[Home]
Franz Nahrada / Texte /
Die Globale Stadt und die Globalen Doerfer


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







Veränderung (letzte Änderung) (Autor, Normalansicht)

Verändert: 5c5,6
===Die globale Stadt und das globale Dorf (Dörfer)=

Die globale Stadt und das globale Dorf (Dörfer)

Vortrag Salzburg Digital city

§editieren (Vorlage auf GIVE.at)

Die globale Stadt und das globale Dorf (Dörfer)

Ungelöste Aufgabenbereiche bei der Verknüpfung von städtischer und ländlicher Telematik

Franz NAHRADA

(Mag. Franz J. NAHRADA, Zentrum für soziale Innovation, Wien, A-1160 Wien, Hettenkofergasse 13/45, email: f.nahrada@magnet.at)

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Die globale Stadt und die globalen Dörfer   
Die Karte der Hoffnung   
Die Stadt als ein Informationsmedium   
Die Stadt und der Raum der Flüsse   
Telematik ist eine Brücke   
Das Dorf in der Stadt   
Miniaturisierung und Evolution von Multistädten   
Synthese zwischen städtisch und ländlich   
Piazza Telematica: städtischer Raum im Dorf   
Die Stadt als ein globales Dienstleistungszentrum   
Städtische Agglomerationen   

Die globale Stadt und die globalen Dörfer    

Im Jahre 1993, bei der ersten unserer Global Village Konferenzen, zeigten wir zwei Dias mit denen auch ich meinen Vortrag beginnen möchte. Sie alle wissen, daß Los Angeles eine Stadt ist, die durch das Auto drastisch verändert wurde. Das üppig grüne und bewirtschaftete Tal wurde im Laufe der Zeit zubetoniert. Deswegen ist die vorherrschende Farbe auf dem Satellitenbild von Los Angeles grau.

Die Frage, die uns auf diesen Global Village Konferenzen beschäftigt hat, ist folgende: Kann die Informationstechnologie eine ähnliche Auswirkung auf das Aussehen der Städte haben wie es die Autos hatten, die das öffentliche Verkehrssystem in Los Angeles nahezu ausradierten und die Natur verschwinden ließen? Manchmal mögen wir Amerika, weil die Dinge in viele Richtungen bis zum Äußersten gehen können, und wir fanden auch eine künstlerische Vision, die eine extreme Perspektive einer möglichen telematischer Auswirkung zeigt.

Joseph Smyth aus Los Angeles argumentierte, daß es nicht so sehr die fundamentale Sehnsucht der Menschen ist, die das Einfamilienhaus und die Garage gebracht hat, sondern daß es eher eine Verkettung von Auto- und Developerlobby war, die ein neues, konsistentes Lebensmodell in die Welt zu setzen schien. Sehr viele Instanzen bis hin zur Filmindustrie haben dieses Modell mit Bildern unterstützt, bis es zur vorherrschenden Realität wurde. Eine Veränderung in den Köpfen der Menschen sei ohne einen "neuen amerikanischen Traum" nicht zu haben.

Die Karte der Hoffnung    

So malte der Visionär eine andere Satellitenkarte, die zeigt, was passieren würde, wenn wir die Bedeutung des Autos in den heutigen Städten beträchtlich reduzieren könnten. Er zeigt ein Netzwerk von Fußgänger - orientierten, verdichteten Gemeinden, die in einem chaotischen Prozeß der Konzentration aus den Randstädten entstehen könnten. Sie erinnern uns in gewisser Hinsicht viel mehr an die europäische Flächennutzung der Gegenwart, mit Subzentren, die in unmittelbarer Nähe Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleistungs- und vielen Freizeiteinrichtungen geben. Diese Subzentren sind aufgereiht an den Hauptachsen des öffentlichen Verkehrs und erlauben die Entfaltung von neuem Grünland zwischen diesen Achsen. Telematik spielt eine große Rolle bei der Verbindung dieser Subzentren; eine Mischung zwischen physischer und virtueller Mobilität ersetzt das heutige "Commuting" weitgehend. Die Bedeutung der Erwerbsarbeit ist gegenüber der lokalen Betreuungsarbeit zurückgegangen: und diese lokale Betreuungsarbeit bezieht sich auch, wissenschaftlich fundiert, auf die enormen potentiale kreativ gestalteter künstlicher Ökosysteme, "living machines", die die Grenzen zwischen Architektur, Solartechnologie, Gebäudetechnologie und Landwirtschaft verschwimmen lassen.

Mit diesem Vortrag möchte ich zeigen, daß die europäische Flächennutzung und die Tradition von kleinen, gruppierten Gemeindezentren für die sich verändernde Art der Arbeit und des Lebens in der Informationsgesellschaft die geeignetste ist, und daß daher Europa - was die geographische Raumentwicklung betrifft - den Vereinigten Staaten buchstäblich um mehr als hundert Jahre voraus ist. Leider werden wir die Früchte dieses Vorteils wahrscheinlich nicht ernten können, sondern eher zusehen müssen, wie unser Vorsprung zusammenschmilzt. Die gängigen Entwicklungsmuster der Informationsgesellschaft haben den industriellen Schumpeterschen Mythos, der Anhäufung, Konzentration und Wachstum von Kapital als den letzten Weg zum Fortschritt unterstützt, noch nicht vollkommen überwunden. Technologieentwicklung beruht nach wie vor auf Annahmen von “urban” versus “rural”, auch im Bereich der Telematik. Städte sind Orte wirtschaftlicher Dynamik, an deren Rändern sich suburbane Schwimmreifen bilden, der ländliche Raum erscheint als ständig im Nachhinken begriffene Peripherie und Problemzone.

Es wäre umgekehrt ein großer Fortschritt, wenn es uns gelingen würde diese beiden Bereiche, den städtischen und den ländlichen, in einem Entwicklungsmodell zu verbinden. Der Prozeß der Urbanisierung hat sie nämlich ohnehin schon zu einem Gemenge aus dichteren und weniger dichten Elementen in einem einheitlichen Wirtschaftsraum verschmolzen. Normalerweise bezieht man sich bei solchen Plädoyers für Stadt-Landvernetzung heutzutage auf den Blickwinkel der ländlichen Gebiete, die in den städtischen Absatzmärkten und Konsumentenpotentialen eine wirtschaftliche Überlebenschance finden mü.ten, und so möchte ich zur Abwechslung einmal hervorheben, warum ganz umgekehrt die Zukunft der Stadt in den Dörfern liegt.

Die Stadt als ein Informationsmedium    

Ich möchte die Stadt Wien als Beispiel nehmen. Im Jahre 1900 zählte Wien noch zu den zehn bevölkerungsreichsten Städten der Welt, während sie heute irgendwo an 250ster Stelle steht. Die geographische Größe und Bevölkerungszahl sind nicht notwendigerweise ein Indikator für die Wichtigkeit und Bedeutung einer Stadt - sie können auch eine massive Belastung bilden. Trotzdem strömen Leute vor allem in der dritten Welt massenhaft in die Städte, weil sie den Kern der wirtschaftlichen Dynamik bilden. Städte bieten einen leichteren Zugang zu allem, sie bieten "Economy of scale" und Wettbewerbsvorteile. Zu glauben, daß die Städte von diesem Planeten verschwinden würden, ist so wie die Gravitation zu fragen, aufzuhören.

Je mehr wir durch die Medien verbunden werden, desto mehr möchten wir von den mannigfaltigen Möglichkeiten, die wir zunehmend wahrnehmen Gebrauch machen. Presse, Photographie, Radio und Fernsehen haben mehr Leute in die Städte gebracht als die feudalen Enteignungen im 18. Jahrhundert. Die Städte selbst sind die gesellschaftlichen Sammelorte für Informationen und Medien des Informationsaustausches geworden.

Die prozessierte und brauchbare Information, die wir Wissen nennen wird eher in Menschen und Instituten gespeichert als in den Archiven,Bibliotheken und Museen, und der Stadtökonom Richard Knight behauptet zu Recht, daß die große Menge vorhandenen Wissens die Stadt zum Ort der wirtschaftlichen Dynamik macht. Was er die “Wissensbasis” nennt, ist im Kern der Gravitationskraft, die die Städte wachsen und prosperieren und sich immer wieder an neue wirtschaftliche Entwicklungen anpassen läßt.

Die Stadt und der Raum der Flüsse    

Die Erhaltung einer urbanen Wissensbasis ist ein direktes Äquivalent zur wirtschaftlichen und ökologischen Funktion eines Stadtsystems. Städte stehen jetzt im globalen Wettbewerb und sie haben begonnen, wie Unternehmen zu agieren. Hier sehen Sie einen Teil des Stadtentwicklungsplanes von Wien. Er zeigt, daß das Stadtsystem nicht an den Rändern der Stadt aufhört, daß die Stadt schon immer eine geographische Kreuzung für Mensch und Materialien war und diese Funktion auch in unserem virtuellen Zeitalter weiterbesteht und wächst.

Die gegenwärtige Krise der Stadt resultiert aus der Tatsache, daß Menschen die geographische Nähe dieses "Stadteffektes" suchen und daß suburbane Entwicklungen das Stadtsystem als Ganzes stark belasten. Prognosen sagen, daß im Jahre 2000 die Hälfte der Weltbevölkerung in Agglomerationen leben werden, die zwei Prozent der Erdoberfläche einnehmen und drei Viertel aller Naturressourcen verbrauchen werden. Die gleichen Prognosen sagen eine Verdoppelung des Energiebedarfs der urbanen Systeme voraus.

Die Städte dürfen den Wachstumspfad nicht verlassen, um ihre Wissensbasis zu behalten. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Dienstleistungen und Lieferanten macht es zur Pflicht, in einer wachsenden Wirtschaft in der Nähe des Raums der Umsätze zu bleiben, wie Manuel Castells es formulierte. Das paradoxe Phänomen ist, daß einerseits dieser Raum der Flüsse (space of flows) die Märkte mit modernem Transport, Logistik und Kommunikationstechnologien erweitert hat, und andererseits eine neue geographische Machtverteilung erschaffen hat, in der bestimmte "globale" Stadtzentren oder Stadtarchipele sogar zunehmend wichtiger werden.

Telematik ist eine Brücke    

Er konstatiert einerseits das Faktum daß ein großer Teil der Unterstützungsarbeit für Telematik in den Call Centers, Back Offices, die sich in den Vorstädten befinden, gemacht wird, wo Arbeitskräfte der Mittelschicht reichlich vorhanden sind. Nichtsdestoweniger sehen wir auf der anderen Seite eine Menge von jungen, hungrigen neugegründeten Institutionen, Geschäftsstellen und Tochtergesellschaften von großen Unternehmen und Gesellschaften, die sich in den als obsolet prophezeiten,inneren Bezirken und Bürotürmen ansiedeln. Dem Bedürfnis nach Agglomeration, nach Unterstützung und Kommunikation wird mit einem dichten und dynamischen geographischen Umfeld besser begegnet, und je verschiedenartiger und chaotischer die globale Reichweite der Stadt ist, desto mehr blicken wir zu den Machtzentren. Was ist nun mit der Absicht meines Vortrages passiert? Habe ich nicht zu Beginn gesagt, daß ich für die ländlichen Gebiete, die Dörfer und die entlegenen Plätze sprechen möchte? Und habe ich nicht gerade wiederholt, was Sie von UrbanistInnen wie Saskja Sassen schon kennen, daß die globale Stadt das globale Dorf sozusagen besiegt hat? Ich habe dies deswegen so gemacht, damit sie mich nicht mißverstehen. In den letzten 6 Jahren haben wir einige Fälle der Telematik-Entwicklung studiert, und sogar daran mitgearbeitet, und das Ergebnis war sehr einfach und sehr eindrucksvoll und hat für die Raumfunktion der Telematik enorme Bedeutung. Ein Telematik-Raum ist nicht einer, er ist immer zumindest zwei. Ein Telecottage, ein Telecenter oder ein Telehouse und sogar ein Teleport sind nutzlos wenn es da nicht einen zweiten Platz gibt, der diesem in Form und Funktion entspricht. Telematik ist eine Brücke und nicht ein einzelnes Säulenmonument. Wann immer dieser einfache Aspekt nicht realisiert wurde, ist das Projekt gestorben oder es ist nie entstanden. Es sind gerade diese Brücken, welche die größten Herausforderungen für die Städte darstellen, die ihre Wissensbasis erhalten und erweitern möchten. Und es sind diese Brücken, die es für die Stadt attraktiv machen, ihren Wirtschaftsraum in die Region hinein und darüber hinaus zu erweitern.

Das Dorf in der Stadt    

Während es zutrifft, daß die Menschen aus ökonomischen Gründen in die Städte drängen, erleben die Städte einen tiefen Strukturwandel, den wir mangels eines besseren Wortes als "Urbanisation" bezeichnen. Das Stadtzentrum wird aus zwei Gründen gebraucht: Machtrepräsentation und Freizeitaktivitäten für Touristen. Wahre Funktionalität wurde langsam an den Rand gedrängt, beginnend mit Wohnen, gefolgt von Einkauf bis hin zur Arbeit. Wir sehen eine Renaissance von "kleineren Städten" und sogar "Dörfern" in den größeren Städten; neue Stadtzentren, die chaotisch um Aufmerksamkeit und Benutzer wetteifern. Nun sehen wir plötzlich eine Multifunktionalität um Einkaufszentren herum, die Synergien jener Zentren und Büror.ume, die neue mikrokosmische Umwelten und neue Anziehungspunkte schaffen. Diese Einkaufszentren fressen sich aber auch entlang der Autobahnen tief ins flache Land hinein, bringen wiederum so manche gewachsene kleinstädtische Wirtschaftsstruktur um und erfassen so die gesamte Bevölkerung bis hin zum letzten Bauernhof, nicht nur die städtische. Dabei tritt eben neben vielen negativen auch der positive Aspekt auf, daß plötzlich eine neue Multizentralität entsteht, daß die Stadt im eigentlichen Sinn gar nicht mehr Ort der Begegnung ist, es sei denn für Touristen und Machteliten.

Im Jahre 1995, als wir die Veranstaltung “Global Village” von der Technischen Universität ins Wiener Rathaus übersiedelten, war es die bewußte Verwendung dieser Ironie, die wir im Sinn hatten. Wir wollten, daß die Bürger ins Stadtzentrum reisten, um dort die Zukunft ihrer eigenen Bezirkszentren zu besuchen. Wir nahmen an, daß ein dichtes Telematik-Zentrum aus einer Mischung von echten Geschäften und telematischen Entdeckungszonen ein zentraler Punkt für die städtischen Dörfer der Zukunft wäre, wo sich Menschen treffen und miteinander kommunizieren könnten. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich beim "Digital Art Be-In" im Fashion Center von San Francisco, wo ich die Adaptierung eines Einkaufszentrums für ein Festival der Gegenkultur erleben konnte. Die Architektur der malls wurde von den Bewohnern gegen den Strich gelesen und als Forum, als Agora wiederentdeckt.

Das war das versteckte Programm hinter der Ausstellung in der Volkshalle, welche sich im Erdgeschoß des neugotischen Rathauses befindet. Wir mischten telebanking, telework, Stadtinformationsdienste mit elektronischen Cafés, Ausstellungen und anderem. Aber die Absicht – mit der Einschränkung, daß viele Mitspieler es als eine bloße Messe für Telematikdienste behandelten – war es, das Bild eines ortsunabhängigen Stadtzentrums, realisierbar und reproduzierbar in den neuen urbanen Subzentren, zu testen und zu formen. Statt der Übertragung ins Donauzentrum die neue Zentralität des Suburbanen erreichen zu wollen, dieser Anspruch ist freilich Utopie geblieben, weil eine wesentliche Bedingung fehlt, die erst ganz langsam Gestalt annehmen muß.

Miniaturisierung und Evolution von Multistädten    

Das spannendste Ergebnis der neuen Technologien ist die Tatsache, daß dieser Planet größer wird. Natürlich nicht in der geographischen Domäne, aber durch den multifunktionalen Gebrauch von Raum, der durch soziale und technologische Erfindungen ermöglicht wird. Eric McLuhan hat vor kurzem auf unserer Konferenz “Cultural Heritage in the Global Villlage” über die "erste globale Renaissance" gesprochen. Wie er feststellte,haben die große technologischen Erfindungen - jene, die unsere Wahrnehmungsbeziehungen zur Welt beeinflussen – wo sie passieren, regelmäßig beinahe unsere Gesellschaften zerstört sowie Störungen, Krieg und Konflikte verursacht, sie führten auch - in der Foilge davon - zu geographischer Expansion und Explosion, Migration, Unruhe, Expeditionen und so weiter.

Die erste globale Renaissance führt – laut Eric McLuhan – zu einem ziemlich gegensätzlichen Phänomen, das er die “große Implosion” nennt, womit er eine Vergrößerung des geographischen Raumes durch Miniaturisierung und "Verfeinerung" meint. Der Stadtvisionär Paolo Soleri hat vorhergesagt, daß die Größe der Stadtsysteme bei substantieller Leistungssteigerung beträchtlich verkleinert werden kann. Der Gewinn von Materie und Energie durch Miniaturisierung ist die unvermeidbare Konsequenz der Evolution zu komplexeren Formen des organischen Lebens. Eine Stadt ist, in der Sichtweise von Soleri, eine organische Einheit und ein lebendes Wesen und somit den gleichen Gesetzen unterlegen. Alle gute Technologie geht den Weg der Miniaturisierung; solange dies aber nur für unsere Produkte gilt und nicht für unsere gebauten Systeme, solange ist unsere Technologie hahnebüchen. Dies hat nichts mit capsule inns für kleingewachsene Japaner zu tun, sondern mit Logistik, Kombination und Arrangement von urbanen Funktionen. Toskanische oder umbrische Hügelst.dte sind komplexe Evolutionsprodukte, in denen sich solche urbanen Funktionen intelligent und mit kurzen Wegen gruppieren, ohne daß wir Gefühle von Beengtheit und Beklemmung empfinden. Organische Evolution passiert natürlich nicht graduell, sondern sie passiert in Mutationen, und manchmal sehen wir, was Konrad Lorenz “Fulguration” nannte: das plötzliche Entstehen einer neuen Form aus der Alten. Einzellige Organismen wurden schlußendlich in ein Netzwerk mit neuronalen Verbindungen transformiert. Könnte das gleiche auch für eine fraktale Stadt mit kommunizierenden Zellen gelten? Kann uns die Telematik zur Multi-Stadt führen, in der die Grenzen des Funktionierens jeder Zelle zur Neubildung und Reproduktion führen?

Synthese zwischen städtisch und ländlich    

Der deutsche Stadtökonom Karl Ganser betrachtete die Gesamteffizienz von Stadtsystemen und kam zu einer sehr interessanten Schlußfolgerung:

Es gibt auf der einen Seite einen städtischen Effekt von Verfeinerung und Effizienz , aber wenn wir Städte als lebende Systeme betrachten, die Information, Materie und Energie verarbeiten, haben sie eine optimale Größe, bis zu welcher Leistungsfähigkeit vorhanden ist, im Vergleich zu kleineren Einheiten. Gansers optimaler Grenze ist keine fixe Größe, sondern eher eine Provokation. Er behauptet, daß Städte zwischen um 50 - 100.000 Einwohner vom systemischen Standpunkt am geeignetsten sind. Bei einer höheren Einwohnerzahl sei die Erhaltung des Stadtsystems nur mit steigenden Kosten für zusätzliche Ressourcen oder mit einem teilweisen oder völligen Verzicht auf Stadt- und Lebensqualität möglich.

Nun ist es klar, daß viele Städte diese Grenze bei weitem überschritten haben und es gibt keinen Weg diesen Trend vollkommen umzukehren. Im Gegenteil: Städte müssen wachsen, aber das Wachsen der Städte muß nicht notwendigerweise eine geographische Agglomeration sein. Es kann auch ein "Zusammenwachsen" und ein "Vernetzen" - biologisch ausgedrückt eine "Hyperzyklusbildung" - sein, dem auf der anderen Seite "Zellteilung" und "Froschhüpfen" gegenübersteht.

Bei dem Ideenwettbewerb für die Schaffung eines Geschäftsressorts in der Nähe von Palma de Mallorca, bekannt als das Parc BIT, schlug das Team des britischen Architekten Sir Richard Rogers einen neuen, revolutionären Siedlungstyp vor. Die Idee war einen städtischen “Mikrokern”, einen Mikrokosmos mit dicht aneinander liegenden Wohnungen, Büros und Telematik-Infrastrukturen im Zentrum mit einer ländlichen Fläche mit Gärten, Bauernhöfen, Einfamilienhäusern und offenen Räumen zu kombinieren - ein "Stadt-Dorf" also. Die grüne "Oberfläche" des städtischen Mikrosystems würde die materiellen Bedürfnisse des Systems decken, der "Zellkern" wäre für die Information und Kommunikation zuständig. Wiederum scheinen biologische Analogien mehr als erwünscht zu sein.

Piazza Telematica: städtischer Raum im Dorf    

Der Wettbewerb endete mit einer Kombination von Rogers geographischer Struktur und der Annahme eines Vorschlags von Michel Mosessian und Catherine Veikos für ein Telecenter. Ein besonderes Merkmal von Mosessians Vorschlag war der Name: CUBE, was für “Centre Urbain de Bureautique Externe” steht. Mosessian hob hervor, daß CUBEs nicht nur ein Kommunikationszentren sind, es seien vielmehr flexible Module eines globalen Büroraumes, im geographischen Raum verstreut. Sie kombinierten die Funktion eines Kommunikationszentrums mit Zugang zu städtischer Realität. Das Dorf/Stadt Management sei im virtuellen Raum längst zusammengewachsen und die CUBES würden auch wichtige lokale Aufgaben erfüllen.

Nichts könnte weiter von der Realität der institutionellen Trennung entfernt sein, der wir heute gegenüberstehen. Ein Dorf-Telecenter als Teil einer entfernten Stadt zu betrachten, ruft Ängste, Besorgnis und Proteste hervor. Politische Macht, administrative Sachkenntnis und berufliche Aktivität werden immer noch als vertikale geographische Domänen gesehen. Sie werden auseinander gehalten, als ob die chinesische Mauer zwischen ihnen wäre. Und dennoch ist das Brechen dieser Barriere die einzige Möglichkeit für die Gesellschaft die Früchte der Telematik-Innovationen zu ernten.

In gewisser Hinsicht sehen wir einen langsamen Anfang eines Gedankenwandels. Wir sehen, wie sich horizontale Netzwerke bilden, wo städtische und ländliche Institutionen beginnen, zusammenzuarbeiten. Die Angst der ländlichen Gebiete, ihre Identität zu verlieren, ist nicht gerechtfertigt; zum ersten Mal können ländliche Gebiete der kulturellen Dominanz einer Hauptstadt entkommen und haben theoretisch die Wahl, sich mit einem anderen hervorragendem Zentrum zu verbinden.

Im Waldviertel, Österreichs fortschrittlichste Region, was Telematik betrifft, wird die sonographische Diagnose im Krankenhaus in Zwettl gemeinsam mit dem Krankenhaus in Innsbruck/Tirol gemacht. Umgekehrt unternehmen Städte wie Macerata in Italien ernsthafte Versuche, sich zu Netzknoten einer ganzen Region zu entwickeln. Diffuse Digital City im Bereich der Verwaltung und Diffuse Museum sind zwei revolutionäre Projekte, die auf die gleichberechtigte Präsenz des "Hinterlandes" und die virtuelle Expansion der Stadt zielen.

Die Stadt als ein globales Dienstleistungszentrum    

Networking mit ländlichen und regionalen Stellen für spezialisierte Dienstleistungen zu erfassen, mag der nachhaltigste Wachstumspfad im zunehmenden Wettbewerb zwischen Städten sein und die interessanteste Art und Weise, die städtischen Wissensbasen zu verbessern. Zum Beispiel hat die Universität für Bodenkultur in Wien (gemeinsam mit der Technischen Universität) begonnen, mit Telematik-Programmen Landwirte auszubilden. Dies gibt der Universität einen kompetitiven Vorsprung in Bezug auf das Erreichen von Studenten und der Beibehaltung der akademischen Forschungsqualität durch Interaktionen von Lehrern, Ausbildern, Autoren und Forschern. Allgemein gesagt, könnte eine "Economy of scale" immer noch anwendbar sein in Bezug auf die Lieferung von Telematik-Dienstleistungen, da der Umfang benötigter Unterstützung immer größer wird. Städtische Wissensbasen können diesen Kompetenzbereich besser abdecken, mit angemessener Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit liefern etc.

Städtische Agglomerationen    

Um diese Aufgabe erfüllen zu können, werden aber nicht unbedingt riesige Universitäten oder ähnliche Institutionen benötigt. Eine dichte städtische Häufung und Spezialisierung von Klein- und Mittelbetrieben könnten eine ähnliche Aufgabe erfüllen. Momentan finden solche Entwicklungen in Europa statt - wie zum Beispiel im Gebiet der Donaufelder Straße in Wien. Viele KMU werden angesiedelt und sie haben somit die Möglichkeit sich zu gruppieren und zu kooperieren. Da ist zum Beispiel der sogenannte “Homeworker" -Komplex, wo Menschen unter angenehmen Umweltbedingungen arbeiten und zugleich leben sollen. Sie teilen sich Einrichtungen, wie zum Beispiel, Sekretariatsleistungen, Telecenters und natürlich Einkaufszentren. Sie haben Studios und Werkstätten in unmittelbarer Entfernung von ihren Wohnungen. Der nächste Block, hundert oder zweihundert Meter entfernt ist die Autofreie Stadt, nicht sehr weit entfernt die "Frauen-Werk-.Statt". “Somit kommt der Geist zurück ins Heim”, wie der britisch-amerikanische Architekt Tony Gwilliam formulierte. Aber was werden diese großen Komplexe von KMUs produzieren? Welche Märkte werden sie bedienen? Es gibt einen schwachen Konsens in Wien, daß es einen Versuch geben wird, einen großen Teil dieses Potentials um “urbane Technologien” herum zu gruppieren und Kommunen in Europa zu bedienen, mit speziellen Lösungen für den öffentlichen Transport, Energieeffizienz usw. Wenn Städte ihren Fokus auf Städte als Kunden einengen, ist der Wachstumspfad nicht aufrecht zu erhalten. Denn die Städte können damit rechnen, daß sich die enormen Produktivitäsgewinne stark auf die demographische Zusammensetzung der Bevölkerung auswirken werden. Auch wenn die globalen urbanen Dienstleistungsbereiche an Größe und Kompetenz zunehmen, kann das die gleichzeitigen Arbeitsplatzverluste in den traditionellen Industrie- und Gewerbesektoren, sowie auch den Vernetzungseffekt der Zentralisierung kaum ersetzen. Einige Autoren, wie Jeremy Rifkin, argumentieren, daß wir einer globalisierten Gesellschaft gegenüber stehen, in der 20% der Bürger 100% der Güter und Leistungen produzieren können, was bedeutet, daß wir, trotz aller politischen Bemühungen Arbeitsplätze zu schaffen, nach komplett neuen Lösungen suchen müssen um die restlichen 80% der Bevölkerung zu erhalten. Dies impliziert auch Fragen der Kaufkraftverteilung und des Konsums, somit letztlich der Produktionsziele städtischer Clusters.

Das wiedererstarkende Dorf

Es ist definitiv falsch, die Zentralisierung und die Dezentralisierung als unvereinbare Gegensätze zu begreifen. Im Gegensatz dazu können wir uns nun zum ersten Mal und mit der Hilfe der Stadt, vorstellen, daß - zum Beispiel - ein Dorf eine Universität hat. Es ist nun möglich, einen Titel über Fernuniversitäten an nahezu jedem Standort in Europa zu erwerben, und das kann durch lokale Institutionen der Erwachsenenbildung unterstützt werden. Das gleiche gilt für die medizinische Behandlung, Arbeitsplatzmöglichkeiten, Unterhaltung und sogar kulturelle Aktivitäten. In einem Programm, das von der Europäischen Kommission unterstützt wird, arbeitet das Filmzentrum Babelsberg – eine große Institution, die sich mit Filmen beschäftigt – an der Möglichkeit, Hochqualitätsfilme an alle Kinos herunterladen zu können oder an Mehrzweck-Gemeindezentren in ganz Europa. Bei unserer letzten Veranstaltung “Cultural Heritage in the Global Village” zeigten wir flache Bildschirmwände mit hoher Auflösung, die die Realisation von virtuellen Ausstellungen in lokalen Bildungszentren erlauben. So kehrt in unserem Zukunftsszenario Louvre und National Gallery zugleich zu einem Besuch in Saalfelden ein... Saalfelden ist aber heute schon ein prototypischer Fall für so ein lokales Bildungszentrum. Zunächst einmal haben sich die Bibliotheken der Gewerkschaft und der Pfarre zusammengeschlossen, so eine Art Don Camillo und Peppone-Effekt. Die alte Feuerwehrstation wurde in ein Ausbildungszentrum umgestaltet, das die fusionierten Gemeindebüchereien mit Erwachsenenbildung und andere Aktivitäten wie kulturellen Veranstaltungen kombiniert. Die gleiche Infrastruktur eines solchen Dorfzentrums könnte für viele Aufgaben verwendet werden, es könnte tagsüber als Arbeitsplatz verwendet werden und abends für kulturelle Veranstaltungen. Der zunehmende Reifeprozeß der Technologie läßt das Bedürfnis nach extra “Telematik”- Zentren veralten. Wir sehen eher eine zunehmende Transformationsaktivität bei “alten” Institutionen wie Büchereien und ein Konvergieren von zuvor getrennten Institutionen zu gemeinsam verwendeten digitalen Einrichtungen und digitalisierten Inhalten. Dörfer können somit wirklich “globale Dörfer” werden, wenn sie fähig sind sich auf diese Weise gekonnt und selektiv an städtische Angebote anzubinden.

Kleine Städte als Vermittler

Die Stadt Waidhofen an der Ybbs hat sich dazu entschlossen, alle ihre Schulen mit einem 100 MB Ring zu verknüpfen, und eine 2 MB Verbindung zum Wiener Ausbildungsnetzwerk zu schaffen. Das Projekt wurde bei der globalen Bangemann Challenge eingereicht und wird von Wiener Institutionen unterstützt. Kleine Städte sind nun in der Lage, ihre frühere Position in der Hierarchie der Siedlungstypen zurückzugewinnen, weil sie in ihrem lokalen Umfeld bessere Fähigkeiten anbieten, globales Wissen zu vertreten und anzuwenden und eine kritische Masse bilden, vielleicht eine spezielle gesellschaftliche Aufgabe zu übernehmen. Ob Stadt der Puppenspieler, psychosomatisches Therapiezentrum oder sonst eine spezielle Wissensbasis - die Kleinstädte werden zum Attraktionspunkt für diejenigen, die von einem bestimmten Ambiente und einer bestimmten Aufgabe angezogen sind und durch ihresgleichen unterstützt werden, und diese Funktion im urbanen System einer Region ist oft weit unterschieden von der ursprünglichen Funktion eines kommerziellen Verteilungszentrums.

Das Dorf als Zufluchtsort

So können wir nun auch das Dorf mit anderen Augen sehen. Wie ich schon vorher erwähnte, haben wir mit dem langen Arm der Technologie das Potential, mit nur einem Teil der Bürger und der Arbeitskraft, die wir in der Vergangenheit beschäftigten, alles zu produzieren was wir brauchen. Der Initiator des "rethinking work"-Forums, Eric Britton, sagt dazu: "die wirkliche Frage unter diesem Umstand ist: Wie organisieren wir unser tägliches Leben unter diesen radikal anderen Konditionen? Diese absolut lebensnotwendige Frage bekommt nicht jene Beachtung, die ihr gebührt. Wegen der angehäuften Auswirkungen der Technologieentwicklung, sind wir in ein Zeitalter des Wohlstands eingetreten, ohne es wirklich zu bemerken. Aber aus einem unerklärlichen Grund insistieren wir darauf, auf die vor uns liegenden Herausforderungen zuzugehen wie Almosenempfänger" Vielleicht zeigt sich das ungefähre Bild einer Antwort bereits. Da die Städte das Rennen in Richtung globaler Wettbewerbsfähigkeit schon gewonnen haben, und es zunehmend weiterführen, können die Dörfer der Zufluchtsort für ein Leben jenseits des Überlebenskampfes von Wettbewerb und der Arbeitsplatzökonomie werden. In der von vielen Autoren prophezeiten 20-80 Gesellschaft ist es ddas Dorf, das durch seine verfügbaren natürlichen Ressourcen die Funktion eines neuen, auf dem Wissen unserer Zeit aufgebauten Subsistenz- und Lebensproduktionsraumes übernehmen könnte. Die virtuelle Anwesenheit der Stadt durch Telematik schafft die finanzielle und logistische Bedingung, einen dementsprechenden Prozeß zu initiieren.

Es gibt durch die Technologie einen zunehmende Möglichkeit, sich dieser unmöglichen Aufgabe zu stellen. Mit Werkzeugen und Wissen steigt die Ressourcenproduktivität in den ländlichen Gebieten. Die Überschußproduktion in der Landwirtschaft - eine schwere finanzielle Last für die europäischen Steuerzahler - könnte in eine vollständige, lokale Lebensmaschinerie von Unterstützung und Eigenbedarf verwandelt werden, wenn sich Stadt- und Landentwicklung so koordinieren ließen, daß städtische Bevölkerung und lokale Produzenten partnerschaftliche Entwicklungsmodelle finden. Diese Art von Lebensmaschinerien, Techno-Ökosysteme, die den Reichtum der Ressourcen vollständig ausnützen, ohne sie auf industrielle Art und Weise zu verbrauchen, kann nur geschaffen werden, wenn die Stadt ihr Gegenstück, das Land, wiederentdeckt. Dies stellt zwar neuartige Anforderungen an die Technologie und die Anwendungsentwicklungen, aber auch enorme Möglichkeiten für jene, die sie anwenden können.

Ich schlage eine Perspektive vor, in der globale Stadtknoten als cluster von Know-How und Dienstleistungen gesehen werden, deren Erbringung anderen Teilen der virtuellen Metropole eine produktive Lokalisierung , einen starken Rückgang der Lebenserhaltungskosten sowie eine bessere Nutzung lokaler Ressourcen ermöglicht. Dies eröffnet die Möglichkeit einer neuen Zusammenarbeit zwischen städtischen und ländlichen Gebieten und nicht nur zwischen den "Städten" selbst. Der Markt für diese Art von Wissen und Werkzeuge mag größer sein, als alles, das geholfen hat, die Marktökonomie zu erschaffen, ironischerweise, weil und insoferne weniger und weniger "Spieler" am globalen Markt gebraucht und beschäftigt werden, die potentielle Größe der sozialen Sektoren hingegen zunimmt.. Wenn die städtischen Wissensbasen ihre Hauptaufgabe darin sehen, die neuen Typen autonomer lokaler Ökonomien mit der Fähigkeit zu lokaler Ressourcenproduktivität zu versorgen, ist bis auf weiteres nicht nur die ökologische Nachhaltigkeit unserer Stadtsysteme gesichert, sondern auch der berühmte (Wirtschafts-) Standort.

Diese Perspektive bedarf freilich der Ausarbeitung, und dieser Vortrag versteht sich als Aufruf an kreatives Design und Entwicklung von Partnerschaften zwischen Stadt und Land. Vielleicht gibt das genug Stoff her, um ein eigenes Symposium zu füllen.