[Home]
Willkommen im Globalen Dorf / 63 Wider den Wahnsinn /
Artikel


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







Veränderung (zum vorhergehenden Autor) (Änderung, Korrektur, Normalansicht)

Verändert: 3c3
===1. Einstieg – Der Verlust der Ordnung=
===Wider den Wahnsinn=

Hinzugefügt: 4a5
Die Toleranzgespräche 2025 haben ein Thema von höchster Relevanz aufgeworfen: den Verlust jener geistigen Wegmarken, die noch vor kurzem Orientierung gaben und Sinn stifteten – Ideen wie Fortschritt, Vernunft, Demokratie, Wahrheit oder Menschlichkeit. Doch diese Leitsterne scheinen sich zunehmend an der Realität zu blamieren; sie verlieren ihre Substanz in einer Welt, die sich rasant verändert. Wo vor Jahrzehnten noch von einer "Insel der Seligen" gesprochen wurde, wenn es um Österreich ging, scheint nun "Insel der Gestrigen" eine adäquatere Bezeichnung zu sein; mit ständig sich beschleunigender Geschwindigkeit erodieren die Fundamente, auf denen gestern noch unsere ganze Zivilisation gegründet schien. Der Platz als neutraler Zufluchtsort hat seinen Wert verloren, seitdem die Stürme der Geopolitik in nie gekannter Intensität toben und selbst die Zeiten der Kubakrise oder des Zusammenbruchs der Sowjetunion dagegen im Rückblick harmlos erscheinen. Es wird zunehmend klar, dass von der stabilen Basis der Weltherrschaft des Dollars nichts weiter übrigbleibt als ein ständig wachsender Berg ungetilgter Schulden, dass seit Jahrzehnten alle Erfolge der Globalisierung auf einer großen Simulation beruhten, der kein wirkliches Wachstum entsprach - aber sehr wohl die Fähigkeit, eine solche Simulation von Ordnung gewaltsam in die Welt zu setzen. Die Wende zum Trumpismus gleicht einem "Rette sich wer kann", bei dem scheinbar plötzlich die ökonomische Potenz nackter Gewalt der Staaten unverhüllt die bisherige Erzählung eines kooperativen Vorteils durchstreicht und dementiert. Aber was wie eine Wende aussieht ist wie ein Offenbarungseid einer Weltordnung, die schon viel länger auf Dominanz und "wer nicht für mich ist ist gegen mich" setzt. Hier war der Westen um die Jahrtausendwende durchaus der Vorreiter mit seinem "Krieg gegen den Terror" - sprich dem Weltordnungskrieg gegen den Irak und andere Unruheherde, dem Krieg gegen Serbien, den zahllosen Interventionen, der strategischen Einkreisung durch hunderte Militärbasen weltweit etc. Wen wundert es, dass er genau damit wie Goethes Zauberlehrling massive Gegenkräfte auf den Plan gerufen hat, die einem solchen Kontrollregime mit allen Mitteln entgegenwirken?

Verändert: 6,17c7
Wir leben in einer Zeit, in der sich alles beschleunigt.

Nicht nur Technik und Information,

sondern auch der Verlust von Gewissheiten.



Wir verlieren die geistigen Wegmarken,

die uns einst Orientierung gaben:

Fortschritt, Vernunft, Demokratie, Wahrheit, Menschlichkeit.



Und während wir noch glauben, das Steuer fest in der Hand zu halten,

kippt das Schiff der Zivilisation in einen Sturm,

den wir selbst erzeugt haben.



Eine sehr treffende Beschreibung gab die Sozialgeographin Nel Bonilla jüngst auf ihrem Substack "Wordlines": "Je mehr der Westen jeden Bereich militarisiert, desto mehr reagieren seine Rivalen in gleicher Weise; Je mehr sich die Rivalen anpassen, desto mehr eskaliert der Westen. Doch hinter all dem verbirgt sich eine ausgehöhlte industrielle Basis, alternde Bevölkerungen und ein Gesellschaftsvertrag in Trümmern." [[Fußnote] https://themindness.substack.com/p/weaponizing-time-part-ii-the-global]

Verändert: 19,58c9,15
===2. Diagnose – Elemente des geistigen Verfalls=


Wir spüren es in vielen Dimensionen:



Erstens: Die Wahrheit selbst wird flüssig.

Fakten und Fiktionen vermischen sich,

Meinung ersetzt Erkenntnis,

Gefühle übertönen Vernunft.



Zweitens: Die Sprache verliert ihre heilige Kraft.

Worte werden zu Waffen,

Begriffe zu Markenzeichen.

Was einst Denken ordnete,

dient heute der Manipulation.



Drittens: Der Mensch verliert sich im Übermaß.

Wir haben mehr Wissen, aber weniger Weisheit.

Mehr Kommunikation, aber weniger Verstehen.

Mehr Möglichkeiten, aber weniger Sinn.



Viertens: Die Gemeinschaft zerfällt.

Dörfer, Nachbarschaften, Familien, selbst Nationen —

sie alle sind zu Inseln geworden

in einem Ozean des Misstrauens.



Fünftens: Die Wirtschaft ersetzt das Leben.

Wachstum wird zum Gott,

und alles, was nicht Profit bringt,

scheint wertlos.



Sechstens: Die Natur antwortet –

mit Hitzewellen, Fluten, Dürre,

mit einem dumpfen Nein

zu unserer Hybris.



Und schließlich: Die Seele selbst wird müde.

Eine stille Erschöpfung liegt über der Welt.

Menschen funktionieren,

aber sie leben nicht mehr.



Als mein verstorbener Freund Frithjof Bergmann seinerzeit die ökonomische Megamaschine mit einem "Lokkessel, in dem zunehmend Geigen verbrannt werden" verglich, da war das aus der heutigen Sicht noch ein vergleichsweise harmloses Bild. Aber es ist wohl nicht sinnvoll, uns allzu lange auf die Elemente des materiellen und geistigen Verfalls zu fokussieren, die wie ein Menetekel überall auftauchen, auch dort wo scheinbar noch Inseln des Wohlstands florieren. Der Verfall hat, das sei jedenfalls schon noch erwähnt, viele Gesichter:

Erstens: Die gesellschaftliche Suche nach Wahrheit ist übergegangen in eine Lagerbildung und Diskurskontrolle, Fakten und Fiktionen vermischen sich, Meinung ersetzt Erkenntnis, Gefühle übertönen Vernunft, Worte werden zu Waffen und Begriffe zu Markenzeichen.

Zweitens: Der Mensch verliert sich im Übermaß der Information. Mehr Wissen, aber weniger Weisheit. Mehr Kommunikation, aber weniger Verstehen. Mehr Möglichkeiten, aber weniger Sinn.

Drittens: Dörfer, Nachbarschaften, Familien, Regionen und ganze Nationen beginnen sich zu verabsolutieren, sind zu Inseln geworden in einem Ozean des Misstrauens.

Viertens: Die Wirtschaft dient nicht mehr dem Leben, sondern sucht es zu ersetzen. Eine neue Herrschaftsschicht der Superreichen spekuliert offen mit der Herausforderung an traditionelle Souveränitäten. Ihr maßloses Wachstum wird zum Gott, und alles, was nicht Profit bringt,
wird praktisch als wertlos behandelt. Künstliche Intelligenz breitet sich progressiv auf allen Gebieten aus, die dem Menschen Halt und Identität gaben.

Fünftens: planetare Begrenzungen werden ignoriert und die Natur antwortet – mit Hitzewellen, Extremereignissen, Fluten, Dürren - wie mit einem dumpfen Nein zu unserer menschlichen Hybris.


Verändert: 60,77c17
===3. Wendepunkt – Kein Zurück=


(Musik wechselt: ruhig, aber mit innerer Spannung)



Manche träumen von einer Rückkehr zur Normalität.

Zu jener „guten alten Zeit“,

in der alles noch übersichtlich war.



Doch diese Zeit kommt nicht wieder.



Denn was wir für Normalität hielten,

war bereits der Wahnsinn selbst —

ein System, das sich von seiner Lebensgrundlage trennt

und sie zugleich verschlingt.



Nein, es gibt kein Zurück.

Aber es gibt ein Darüberhinaus.



Manche träumen angesichts dessen noch von einer Rückkehr zur Normalität. Zu jener „guten alten Zeit“, in der alles noch übersichtlich war. Doch diese Zeit kommt nicht wieder. Denn was wir für Normalität hielten war bereits der Wahnsinn selbst — ein System, das sich von seiner Lebensgrundlage trennt und sie zugleich verschlingt. Das spüren sehr viele instinktiv, wenn sie sich dem offenen Diskurs verweigern und sich Trost in den Blasen der Gleichgesinnten suchen, die ihnen die sozialen Medien scheinbar anbieten, während sie genau dadurch unmerklich immer mehr vereinzelt, sortiert und kontrolliert werden.

Hinzugefügt: 78a19
Der Konsens, dass es angesichts all diesen Wahnsinns kein einfaches Zurück zum Status quo gibt, sondern nur die Suche nach dem möglichen "darüber hinaus", war spürbar und könnte die Toleranzgespräche in den nächsten Jahren massiv und nachhaltig prägen. Die Umrisse einer Vision sind jedenfalls sichtbar geworden, sie schweben bereits in vielen Köpfen.

Verändert: 80,131c21,23
===4. Vision – Die stille Revolution=


Der Umbau, den wir brauchen,

ist kein Event,

keine Machtergreifung,

kein Manifest.



Ein neues System entsteht nicht durch Sieg,

sondern durch Wachstum.



Es beginnt sich in den Lücken

und an den Rändern des alten zusammenzuschließen —

nicht indem es sich ihm frontal entgegenstellt,

sondern indem es es durch schiere Vitalität

und überlegene Funktion obsolet macht.



Dies ist eine stille, subversive

und zutiefst biologische Form der Metamorphose.



Die alte Burg der Raubhauptstadt

wird nicht gestürmt.

Sie wird langsam, geduldig und anmutig

von einem lebendigen Netzwerk umgangen,

das eine überzeugendere Zukunft bietet.



===5. Konkretion – Was wächst in den Rissen?=


Überall entstehen diese Keime des Neuen:



Gemeinschaftsgärten,

offene Werkstätten,

regionale Wertschöpfungskreisläufe,

geteilte Wissensplattformen,

Bürgerenergie,

neue Formen von Bildung,

kooperative Lebensweisen,

und die Entdeckung des Lokalen

als Quelle universaler Kraft.



Das Neue wächst nicht in den Palästen,

sondern in den Dörfern,

den Stadtteilen,

den Garagen,

den Köpfen und Herzen derer,

die nicht mehr warten wollen.



Es ist nicht perfekt,

nicht zentral gelenkt,

sondern organisch, lernend,

wie ein Myzel, das unter der Erde

schon längst alles miteinander verbindet.



Der Umbau, den wir brauchen und den wir tatsächlich schon keimhaft vor uns sehen, ist kein einmaliges Ereignis, keine Machtergreifung und kein Sieg, keine große unerwartete Offenbarung und schon keine Revolution. Vielmehr beginnt in den Lücken und an den Rändern des alten Systems ein neues zu wachsen, (genau genommen: aus durchaus heterogenen Elementen zusammenzuwachsen), das sich gerade nicht dem Alten frontal entgegenstellt, sondern indem es das Alte durch schiere Vitalität und überlegene Funktion obsolet macht. Die alte Burg der Raubhauptstadt wird nicht gestürmt - sie wird langsam, geduldig und anmutig von einem lebendigen Netzwerk umgangen, das eine überzeugendere Zukunft bietet. Dies ist eine stille, subversive und zutiefst biologische Form der Metamorphose, wie Richard David Hames [[Fußnote] https://richarddavidhames.substack.com/p/towards-sufficiency-through-ecority] es in einer eindringlichen Passagen beschreibt:

"Einerseits befindet sich das alte und erschöpfte Paradigma, ein mechanistisches, koloniales, reduktionistisches Relikt, in der Endphase seines thermodynamischen Zusammenbruchs. Es ist eine dissipative Struktur im Sinne Prigogines, die den entropischen Abfall ihrer eigenen Operationen nicht mehr verarbeiten kann - sei es Kohlenstoff in der Atmosphäre, Ungleichheit in unseren Gemeinschaften oder Sinnlosigkeit in unseren Seelen...Es ist eine Polykrise, die wir erleben: keine zufällige Ansammlung von Fehlern, sondern der krampfhafte Todeskampf eines Organismus, der seine eigenen lebenswichtigen Organe verstoffwechselt. .. Doch dieser Zusammenbruch ist die notwendige Voraussetzung für die Metamorphose. In der Sprache der Komplexität ist dies ein Bifurkationspunkt - ein Moment maximaler Instabilität und damit maximalen Potenzials. Aus dieser chaotischen Suppe können neue, thermodynamisch elegantere Strukturen entstehen. Unsere "Inseln der Kohärenz" und der Möglichkeiten sind genau diese im Entstehen begriffenen Formen... Es sind Systeme, die nicht auf lineare Extraktion, sondern auf zirkuläre Reziprozität ausgelegt sind; nicht auf die Maximierung der Verschwendung, sondern auf die Optimierung des Beziehungsflusses. Sie stellen einen neuen Stoffwechselweg für die Zivilisation dar, der in der Lage ist, die verfallende Materie der alten Ordnung in den fruchtbaren Humus für eine in ökologischer Integrität verwurzelte Welt zu verwandeln."

Verändert: 133c25,29
===6. Schluss – Einladung zur Teilnahme=
"Jede "Insel der Kohärenz" - eine Genossenschaft für regenerative Landwirtschaft in Sambia, ein gemeindeeigenes Netz für erneuerbare Energien in Dänemark, ein verteiltes Produktionszentrum in Brasilien, ein australisches Unternehmen, das fortschrittliche, in den Lebenszyklus von Gebäuden eingebettete Beschaffungsabläufe ermöglicht - ist eine gesunde Zelle in einem ansonsten kranken Körper. Auf den ersten Blick mögen diese Zellen isoliert erscheinen, sogar dissonant in einer Welt, die immer noch von Konventionen der Wachstums und Welthandels beherrscht wird. Doch wenn sich ihre Vitalität bewährt, beginnen sie zu kommunizieren und zu interagieren, und zwar nicht über eine zentrale Steuerung, sondern über die resonante Sprache gelebter Prinzipien."

Überall entstehen diese Keime des Neuen in den Nischen einer scheinbar unaufhaltsamen selbstbezüglichen Macht- und Prunkentfaltung des Alten. Wo sich die Prolongation des Chaos zur Aufrechterhaltung einer Hierarchie, die sich nicht mehr durch Wohlstand, Innovation oder Zustimmung rechtfertigen kann, mittlerweile der Aufrüstung als Wirtschaftsmotor verschrieben hat, blühen Gemeinschaftsgärten, offene Werkstätten und Maker Spaces, regionale Wertschöpfungskreisläufe, bioregionales Bewusstsein,
geteilte Wissensplattformen und neue Formen von Bildung, Bürgerenergiegemeinschaften und kooperative Lebensweisen, wird das
Lokale und die Nähe als Quelle universaler Kraft wiederentdeckt.

Verändert: 135c31,32
Vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe unserer Zeit:

Das Neue wächst nicht in den Glaspalästen der Geschäftsdistrikte,
sondern in den Dörfern, den Stadtteilen, den Scheunen und Garagen, in den Köpfen und Herzen derer, die nicht mehr länger warten wollen.


Verändert: 137,138c34
Nicht das Alte zu stürzen,

sondern das Neue zu nähren.

Es ist nicht perfekt, nicht zentral gelenkt, sondern organisch, lernend, und vernetzungsfreudig wie ein Myzel, das unter der Erde alles miteinander verbindet.


Verändert: 140,141c36
Nicht die Macht zu übernehmen,

sondern Verantwortung zu teilen.

Vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe unserer Zeit:


Verändert: 143,144c38,40
Nicht zu herrschen,

sondern zu hüten.

Nicht das Alte zu stürzen, sondern das Neue zu nähren.

Nicht Macht zu übernehmen, sondern Verantwortung zu teilen.

Nicht zu herrschen, sondern zu hüten.


Verändert: 147,161c43
In jeder Geste des Teilens,

in jedem reparierten Gegenstand,

in jedem wiederbelebten Dorf,

in jeder Entscheidung für Gemeinschaft statt Konkurrenz.



Das ist kein Ende,

sondern ein Anfang.



Und vielleicht,

nur vielleicht,

war die Unordnung,

die wir Wahnsinn nennen,

notwendig –

damit wir endlich verstehen,

was Leben wirklich bedeutet.

In jeder Geste des Teilens, in jedem reparierten Gegenstand, in jedem wiederbelebten Dorf, in jeder Entscheidung für Gemeinschaft statt Konkurrenz.


Verändert: 163c45
(Langsames Verklingen der Musik, kurze Stille.)

Hier ist kein Ende, sondern ein Anfang.


Verändert: 165c47,48
„Aus den Rissen der Welt wächst das Neue.“

Und vielleicht, war die Unordnung, die wir Wahnsinn nennen,
notwendig - damit wir endlich verstehen, was Leben wirklich bedeutet.


Verändert: 167c50
— Franz Nahrada


Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Wider den Wahnsinn   
˧

Wider den Wahnsinn    

Die Toleranzgespräche 2025 haben ein Thema von höchster Relevanz aufgeworfen: den Verlust jener geistigen Wegmarken, die noch vor kurzem Orientierung gaben und Sinn stifteten – Ideen wie Fortschritt, Vernunft, Demokratie, Wahrheit oder Menschlichkeit. Doch diese Leitsterne scheinen sich zunehmend an der Realität zu blamieren; sie verlieren ihre Substanz in einer Welt, die sich rasant verändert. Wo vor Jahrzehnten noch von einer "Insel der Seligen" gesprochen wurde, wenn es um Österreich ging, scheint nun "Insel der Gestrigen" eine adäquatere Bezeichnung zu sein; mit ständig sich beschleunigender Geschwindigkeit erodieren die Fundamente, auf denen gestern noch unsere ganze Zivilisation gegründet schien. Der Platz als neutraler Zufluchtsort hat seinen Wert verloren, seitdem die Stürme der Geopolitik in nie gekannter Intensität toben und selbst die Zeiten der Kubakrise oder des Zusammenbruchs der Sowjetunion dagegen im Rückblick harmlos erscheinen. Es wird zunehmend klar, dass von der stabilen Basis der Weltherrschaft des Dollars nichts weiter übrigbleibt als ein ständig wachsender Berg ungetilgter Schulden, dass seit Jahrzehnten alle Erfolge der Globalisierung auf einer großen Simulation beruhten, der kein wirkliches Wachstum entsprach - aber sehr wohl die Fähigkeit, eine solche Simulation von Ordnung gewaltsam in die Welt zu setzen. Die Wende zum Trumpismus gleicht einem "Rette sich wer kann", bei dem scheinbar plötzlich die ökonomische Potenz nackter Gewalt der Staaten unverhüllt die bisherige Erzählung eines kooperativen Vorteils durchstreicht und dementiert. Aber was wie eine Wende aussieht ist wie ein Offenbarungseid einer Weltordnung, die schon viel länger auf Dominanz und "wer nicht für mich ist ist gegen mich" setzt. Hier war der Westen um die Jahrtausendwende durchaus der Vorreiter mit seinem "Krieg gegen den Terror" - sprich dem Weltordnungskrieg gegen den Irak und andere Unruheherde, dem Krieg gegen Serbien, den zahllosen Interventionen, der strategischen Einkreisung durch hunderte Militärbasen weltweit etc. Wen wundert es, dass er genau damit wie Goethes Zauberlehrling massive Gegenkräfte auf den Plan gerufen hat, die einem solchen Kontrollregime mit allen Mitteln entgegenwirken? ˧

Eine sehr treffende Beschreibung gab die Sozialgeographin Nel Bonilla jüngst auf ihrem Substack "Wordlines": "Je mehr der Westen jeden Bereich militarisiert, desto mehr reagieren seine Rivalen in gleicher Weise; Je mehr sich die Rivalen anpassen, desto mehr eskaliert der Westen. Doch hinter all dem verbirgt sich eine ausgehöhlte industrielle Basis, alternde Bevölkerungen und ein Gesellschaftsvertrag in Trümmern." [1] ˧

Als mein verstorbener Freund Frithjof Bergmann seinerzeit die ökonomische Megamaschine mit einem "Lokkessel, in dem zunehmend Geigen verbrannt werden" verglich, da war das aus der heutigen Sicht noch ein vergleichsweise harmloses Bild. Aber es ist wohl nicht sinnvoll, uns allzu lange auf die Elemente des materiellen und geistigen Verfalls zu fokussieren, die wie ein Menetekel überall auftauchen, auch dort wo scheinbar noch Inseln des Wohlstands florieren. Der Verfall hat, das sei jedenfalls schon noch erwähnt, viele Gesichter:
Erstens: Die gesellschaftliche Suche nach Wahrheit ist übergegangen in eine Lagerbildung und Diskurskontrolle, Fakten und Fiktionen vermischen sich, Meinung ersetzt Erkenntnis, Gefühle übertönen Vernunft, Worte werden zu Waffen und Begriffe zu Markenzeichen.
Zweitens: Der Mensch verliert sich im Übermaß der Information. Mehr Wissen, aber weniger Weisheit. Mehr Kommunikation, aber weniger Verstehen. Mehr Möglichkeiten, aber weniger Sinn.
Drittens: Dörfer, Nachbarschaften, Familien, Regionen und ganze Nationen beginnen sich zu verabsolutieren, sind zu Inseln geworden in einem Ozean des Misstrauens.
Viertens: Die Wirtschaft dient nicht mehr dem Leben, sondern sucht es zu ersetzen. Eine neue Herrschaftsschicht der Superreichen spekuliert offen mit der Herausforderung an traditionelle Souveränitäten. Ihr maßloses Wachstum wird zum Gott, und alles, was nicht Profit bringt, wird praktisch als wertlos behandelt. Künstliche Intelligenz breitet sich progressiv auf allen Gebieten aus, die dem Menschen Halt und Identität gaben.
Fünftens: planetare Begrenzungen werden ignoriert und die Natur antwortet – mit Hitzewellen, Extremereignissen, Fluten, Dürren - wie mit einem dumpfen Nein zu unserer menschlichen Hybris.
˧

Manche träumen angesichts dessen noch von einer Rückkehr zur Normalität. Zu jener „guten alten Zeit“, in der alles noch übersichtlich war. Doch diese Zeit kommt nicht wieder. Denn was wir für Normalität hielten war bereits der Wahnsinn selbst — ein System, das sich von seiner Lebensgrundlage trennt und sie zugleich verschlingt. Das spüren sehr viele instinktiv, wenn sie sich dem offenen Diskurs verweigern und sich Trost in den Blasen der Gleichgesinnten suchen, die ihnen die sozialen Medien scheinbar anbieten, während sie genau dadurch unmerklich immer mehr vereinzelt, sortiert und kontrolliert werden. ˧

Der Konsens, dass es angesichts all diesen Wahnsinns kein einfaches Zurück zum Status quo gibt, sondern nur die Suche nach dem möglichen "darüber hinaus", war spürbar und könnte die Toleranzgespräche in den nächsten Jahren massiv und nachhaltig prägen. Die Umrisse einer Vision sind jedenfalls sichtbar geworden, sie schweben bereits in vielen Köpfen. ˧

Der Umbau, den wir brauchen und den wir tatsächlich schon keimhaft vor uns sehen, ist kein einmaliges Ereignis, keine Machtergreifung und kein Sieg, keine große unerwartete Offenbarung und schon keine Revolution. Vielmehr beginnt in den Lücken und an den Rändern des alten Systems ein neues zu wachsen, (genau genommen: aus durchaus heterogenen Elementen zusammenzuwachsen), das sich gerade nicht dem Alten frontal entgegenstellt, sondern indem es das Alte durch schiere Vitalität und überlegene Funktion obsolet macht. Die alte Burg der Raubhauptstadt wird nicht gestürmt - sie wird langsam, geduldig und anmutig von einem lebendigen Netzwerk umgangen, das eine überzeugendere Zukunft bietet. Dies ist eine stille, subversive und zutiefst biologische Form der Metamorphose, wie Richard David Hames [2] es in einer eindringlichen Passagen beschreibt: ˧

"Einerseits befindet sich das alte und erschöpfte Paradigma, ein mechanistisches, koloniales, reduktionistisches Relikt, in der Endphase seines thermodynamischen Zusammenbruchs. Es ist eine dissipative Struktur im Sinne Prigogines, die den entropischen Abfall ihrer eigenen Operationen nicht mehr verarbeiten kann - sei es Kohlenstoff in der Atmosphäre, Ungleichheit in unseren Gemeinschaften oder Sinnlosigkeit in unseren Seelen...Es ist eine Polykrise, die wir erleben: keine zufällige Ansammlung von Fehlern, sondern der krampfhafte Todeskampf eines Organismus, der seine eigenen lebenswichtigen Organe verstoffwechselt. .. Doch dieser Zusammenbruch ist die notwendige Voraussetzung für die Metamorphose. In der Sprache der Komplexität ist dies ein Bifurkationspunkt - ein Moment maximaler Instabilität und damit maximalen Potenzials. Aus dieser chaotischen Suppe können neue, thermodynamisch elegantere Strukturen entstehen. Unsere "Inseln der Kohärenz" und der Möglichkeiten sind genau diese im Entstehen begriffenen Formen... Es sind Systeme, die nicht auf lineare Extraktion, sondern auf zirkuläre Reziprozität ausgelegt sind; nicht auf die Maximierung der Verschwendung, sondern auf die Optimierung des Beziehungsflusses. Sie stellen einen neuen Stoffwechselweg für die Zivilisation dar, der in der Lage ist, die verfallende Materie der alten Ordnung in den fruchtbaren Humus für eine in ökologischer Integrität verwurzelte Welt zu verwandeln." ˧

"Jede "Insel der Kohärenz" - eine Genossenschaft für regenerative Landwirtschaft in Sambia, ein gemeindeeigenes Netz für erneuerbare Energien in Dänemark, ein verteiltes Produktionszentrum in Brasilien, ein australisches Unternehmen, das fortschrittliche, in den Lebenszyklus von Gebäuden eingebettete Beschaffungsabläufe ermöglicht - ist eine gesunde Zelle in einem ansonsten kranken Körper. Auf den ersten Blick mögen diese Zellen isoliert erscheinen, sogar dissonant in einer Welt, die immer noch von Konventionen der Wachstums und Welthandels beherrscht wird. Doch wenn sich ihre Vitalität bewährt, beginnen sie zu kommunizieren und zu interagieren, und zwar nicht über eine zentrale Steuerung, sondern über die resonante Sprache gelebter Prinzipien." ˧

Überall entstehen diese Keime des Neuen in den Nischen einer scheinbar unaufhaltsamen selbstbezüglichen Macht- und Prunkentfaltung des Alten. Wo sich die Prolongation des Chaos zur Aufrechterhaltung einer Hierarchie, die sich nicht mehr durch Wohlstand, Innovation oder Zustimmung rechtfertigen kann, mittlerweile der Aufrüstung als Wirtschaftsmotor verschrieben hat, blühen Gemeinschaftsgärten, offene Werkstätten und Maker Spaces, regionale Wertschöpfungskreisläufe, bioregionales Bewusstsein, geteilte Wissensplattformen und neue Formen von Bildung, Bürgerenergiegemeinschaften und kooperative Lebensweisen, wird das Lokale und die Nähe als Quelle universaler Kraft wiederentdeckt.
Das Neue wächst nicht in den Glaspalästen der Geschäftsdistrikte, sondern in den Dörfern, den Stadtteilen, den Scheunen und Garagen, in den Köpfen und Herzen derer, die nicht mehr länger warten wollen.

Es ist nicht perfekt, nicht zentral gelenkt, sondern organisch, lernend, und vernetzungsfreudig wie ein Myzel, das unter der Erde alles miteinander verbindet.

Vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe unserer Zeit:

Nicht das Alte zu stürzen, sondern das Neue zu nähren.
Nicht Macht zu übernehmen, sondern Verantwortung zu teilen.
Nicht zu herrschen, sondern zu hüten.

Diese stille Revolution hat längst begonnen.
In jeder Geste des Teilens, in jedem reparierten Gegenstand, in jedem wiederbelebten Dorf, in jeder Entscheidung für Gemeinschaft statt Konkurrenz.

Hier ist kein Ende, sondern ein Anfang.

Und vielleicht, war die Unordnung, die wir Wahnsinn nennen, notwendig - damit wir endlich verstehen, was Leben wirklich bedeutet.

˧





[1] https://themindness.substack.com/p/weaponizing-time-part-ii-the-global

[2] https://richarddavidhames.substack.com/p/towards-sufficiency-through-ecority