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36-Ein Zukunftsmärchen


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<Sendung 35 ............. Sendung 37> ˧

/Diskussionen ˧

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
1.Teil   
Intro   
Cradle2Cradle   
Zwischengedanken über Utopien und das Glasperlenspiel   
Ein paar Schlussfolgerungen zum Gesellschaftsentwurf (Rousseau, Spehr und beyond)   
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1.Teil    

Intro    

Willkommen zur 36. Sendung Willkommen im Globalen Dorf, vom 28.November 2022. Hier ist wieder einmal Franz Nahrada aus Wien und Bad Radkersburg, und ja, ich bin immer noch - seit vielen Monaten - geplagt von einer nichtendenwollenden Depression und dagegen ankämpfend mit dem Entschluss wenigstens das Projekt dieser Sendung nicht gänzlich aufzugeben. ˧

Ich habe in den letzten Sendungen ja ein wenig darüber erzählt, was es heißt depressiv zu sein, und möchte heute wieder ein wenig wegkommen davon. Leicht ist das nicht - wie gesagt ist all meine Energie, mein Zukunftsoptimismus, meine Kreativität, ja sogar meine Überzeugung von der Sinnhaftigkeit meines Tuns wie durch ein schwarzes Loch verschwunden. Und dennoch war da etwas und ist da etwas was mir auch gegen alle sogenannte Erfahrung quasi heilig ist. ˧

Ich erinnere mich der tiefsten Motive für meine Vision der globalen Dörfer: Dass der immense Fortschritt an Wissen und Können den die Menschheit zuwege gebracht hat sich in einer Lebensweise manifestiert, in der die Wiederentdeckung unserer eigenen Natur - als in Millionen Details mit der äußeren Natur verbundene und abgestimmte - zu einem intensiven Zusammenwirken in voll Lebendigkeit leuchtenden, schillernden, strotzenden Mikrokosmen führt, eben die eine Gesundheit von Mensch und Planet ausstrahlend. ˧

Alle Elemente einer solchen anderen Welt sind real vorhanden und entwickeln sich mit jedem Tag weiter. Ich habe es immer als eine der drängendsten Aufgaben empfunden, zu zeigen dass es, wenn sich die Menschheit von einer solchen Aufgabe beseelen lässt, keinen Mangel und keine Armut auf dieser Welt geben müsste. »Wir« unter Anführungszeichen, also die Menschheit spekulativ als Einheit gedacht, besitzen jedenfalls das technische und organisatorische Potential , um in absehbarer Zukunft genug für die Grundbedürfnisse aller Menschen zu produzieren. In Wahrheit wird der potentielle Reichtum dieser Welt in einem ungeheuren Ausmaß verschwendet.Unmittelbar sichtbar wird dies im Krieg, von dem wir eine mittelgroße Variante gerade miterleben dürfen. Die weltweiten Militärausgaben sind bereits in den letzten sieben Jahren kontinuierlich auf 2,1 Billionen US Dollar gestiegen, bei einem geschätzten Bruttoinlandsprodukt der Welt von 96 Billionen. All dies für Dinge, die bestenfalls nichts hervorbringen und im schlimmsten Fall und in ihren Folgewirkungen Reichtum und Leben zerstören. ˧

Verschwendung unseres realen und potentiellen Reichtums herrscht aber auch in Friedenszeiten, und sie hat so viele Dimensionen dass einem schlecht werden könnte. Auf der stofflichen Seite, also ohne Betrachtung der gesellschaftlichen Form, sehen wir, dass unsere Produktion auf der Produktion von Abfall statt auf Kreislauf beruht. Dabei ist auch Natur verschwenderisch, aber eben anders: sie hat im Lauf der Jahrmillionen gelernt, ein nahezu perfektes System der multiplen Kreisläufe aufzubauen. ˧

Cradle2Cradle    

„Keine Grenzen. Stattdessen Überfluss: vielfältig, sicher, gesund, sauber, erfreulich“, heißt es im Buch „Intelligente Verschwendung“ des Chemikers Michael Braungart, das uns auffordert, das Konzept des Abfalls abzuschaffen und zeigt, dass keine Ressource als entbehrlich oder unverwertbar gelten sollte. [1]. Dieses Konzept "Wiege zu Wiege" statt "Wiege zur Bahre" wurde ja schon in früheren Zeiten erwähnt. ˧

Eine Cradle to Cradle-Welt würde es uns ermöglichen, Fülle und Überfluss zu genießen sowie Vielfalt zu fördern, ohne dass die Welt dabei verarmt. Dafür verwendet er das Bild eines Kirschbaums: „Stellen Sie sich einfach einen Kirschbaum vor. In jedem Frühjahr bringt er Tausende von Blüten hervor, von denen viele irgendwann zur Erde fallen. Die Blüten lösen sich dann auf und werden zu Nährstoffen für den Boden und tragen zur Gesamtgesundheit des lokalen Ökosystems bei. Der Überfluss des Baums ist also nicht Verschwendung, sondern nützlich, sicher und schön.“ Beim australischen Biologen Bill Mollison dem Begründer der Permakultur wurde Verwelktes oder Abgestorbenes als Nährstoff wiederverwertet. Auch hier gibt es keine Abfälle. „Die verschiedenen Lebenszyklen der Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen griffen ineinander und unterstützten sich gegenseitig.“ ˧

Es ist mein Anliegen, wie treue Hörer dieser Sendung heraushören, die Frage nach der Möglichkeit dieses "Teilen und Mitteilen von Lebendigkeit nach innen und außen" (Natalie Knapp) auf die gesellschaftliche Ebene zu bringen. Hier wird alles viel komplizierter, denn hier geht es um menschliche Selbstbestimmung und Freiheit. Wir finden aber, so meine These, eine Welt voller Ökonomie und Technik vor, die geprägt ist von ihrer Rolle als Machtinstrumente, Bausteine des Beherrschens von hinreichend dichter, wechselseitig abhängiger, hierarchisch geordneter stationärer Bevölkerung. Die Rationalität der Ökonomie und Technik fragt nicht nach den multiplen Qualitäten und Wechselbeziehungen des Reichtums und wie sich daran optimale Verhältnisse des Zusammenwirkens von Mensch und Naturraum, also das Entstehen eines Kulturraumes entdecken lassen, sondern geht von einem Dogma der Knappheit aus, das eigentlich verrückt ist angesichts dessen, das es doch um die Produktion von Reichtum geht. Eines der Standardlehrbücher formuliert: „Knappheit ist zentrales Charakteristikum aller Wirtschaftsgesellschaften,Knappheit ist das Grundgesetz der Ökonomie…“[2]. Die Autoren begründen das Knappheitsgebot damit, dass die Summe der menschlichen Bedürfnisse die Produktionsmöglichkeiten übersteige. Was immer produziert wird, und auch wenn mehr produziert wird, es ist immer zuwenig, keine Sättigung ist möglich. ˧

Dieses zentrale Dogma der Ökonomie blamiert sich zwar an der Realität, in der kein Bedürfnis grenzenlos ist, sondern vielmehr immer auch eine quantitative Bestimmung hat und darin auch begrenzt ist. Man kann nicht 100kg Brot am Tag essen oder 50 Konzerte besuchen. Es mag ein paar Verrückte geben denen ihr Reichtum das Sammeln von Luxusautos erlaubt, aber hier ergibt sich die Unbeschränktheit als Ausnahme von der Regel. Es ist hier ganz eindeutig die bewusst ins Werk gesetzte Verschwendung, mit der so mancher Reiche seine Kreditwürdigkeit demonstriert - und so kann dann auch eine Marotte existieren. ˧

Geständig wird die Verrücktheit wenn das Prinzip der Produktion ausgesprochen wird: "Das Ökonomische Prinzip bedeutet, entweder mit gegebenen Mitteln ein maximal mögliches Resultat oder ein vorgegebenes Resultat mit einem Minimum an Mitteln zu erwirtschaften.“ (Gabler Wirtschaftslexikon). ˧

Wieso - fragt man sich angesichts dieser ständigen Vergleicherei und diesem ständigen Suche nach der Ungleichung - gilt nicht einfach dass das Resultat im großen und ganzen auch die Mittel vorschreibt? In diesem Sinn wäre die Natur äußerst unökonomisch wenn sie Millionen von Fischlarven produziert von denen nur wenige ausgewachsene Fische werden. Und so gilt doch auch für menschliches Produzieren: es ist nicht rational, irgendwas mit immer weniger Mitteln, mit einem Minimum an Mitteln herzustellen. Hier sind allerdings die Begriffe Effektivität und Effizienz zu unterscheiden. Effektivität bezieht sich auf die qualitative Seite eines Prozess, während Effizienz die quantitative Seite betrifft. Die herrschende Wirtschaftsform legt es immerzu auf Effiezienzsteigerung aus bei weitgehender Ignoranz der Effektivitätsseite. ˧

Diese banale Selbstverständlichkeit allen wenn man so will "wirtschaftens" - nämlich das für die Produktion notwendige Quantum an Mitteln einzusetzen - ist aber gerade nicht das Prinzip einer Wirtschaft, die auf Geld basiert. Einerseits ist vieles überhaupt nicht knapp, sondern es wird verschwendet was das Zeug hält, Da wird mit riesigen Kapitalvorschüssen operiert, Dinge werden redundant in jeder Hinsicht hergestellt ..... (ausführen) ˧

Und dennoch hat diese theoretische Manie der Knappheit ein Korrelat in 2 ganz verschiedenen verbreiteten Knappheitserfahrungen. Wenn man kein Geld hat macht man an sich selbst die Knappheitserfahrung, dass man sich tatsächlich kaum etwas leisten kann - da können die Schaufenster und Warenlager noch so voll sein. Dann sind alle Güter knapp. Und wenn man Geld hat, hat man - wie wir gleich näher anschauen werden - immer zuwenig. Geld ist der grenzenlosen Vermehrung fähig und bedürftig. Wer also Geld anlegt, der erfährt, daß er lediglich eine begrenzte Summe hat, und er will mehr daraus machen. Und es gibt ja auch einen Zuwachs, aber der Zuwachs ist wieder begrenzt, und deshalb muss man es weiterhin anlegen, damit aus dem Zuwachs noch mehr Zuwachs wird usw. Im Bedürfnis nach Geld, im Gelderwerb, haben wir so das wirklich „unbegrenzte Bedürfnis“. Die Größe des Kapitals das einer besitzt ist das Mittel, in der Konkurrenz zu bestehen. Deswegen gibt es auch Überproduktion, dann gibt es aufgrund mangelnder Zahlungsfähigkeit Krisen und schließlich, wenn sich das ganze auch durch den Kredit nicht mehr aufblähen lässt, Finanzkrisen. Aber schon im normalen Wirtschaften merkt man dieses verrückte Prinzip, in der Produktion zu sparen und Kosten zu beschränken. Und ich meine jetzt nicht den sogenannten Realen Sozialismus, wo tatsächlich Quantitäten im Plan vorgeschrieben wurden und die Betriebe sie findig umgangen haben, mit zu dünnen Blechen oder dicken Stahlplatten und so diese Vorschriften zu umgehen und zu ihren Gunsten bei scheinbarer Einhaltung der Kennziffern zu manipulieren suchten. Auch das erklärt sich also daraus, dass Produktionseinheiten ihre eigenen Rechnungen auf Kosten der anderen anstellen mussten und ist mitnichten ein Argument für Marktwirtschaft. Ganz im Gegenteil: es ist Argument dagegen Kategorien wie Geld, Betrieb und Gewinn wohlwollend staatlich einzurichten. Aber zurück zur Knappheit: Der reale Kapitalismus hat im Unterschied zum sozialistischen mit dem Kredit die Möglichkeit, die Produktion über alle Maßen aufzublähen, Was einerseits das Knappheitsargument schon widerlegt; aber andererseits wird an Kosten gespart auf vielfältigste und raffinierte Weise, indem er zum Beispiel auf die Arbeitskraft Druck ausübt (er braucht auch grosso Modo keine Arbeitsplätze garantieren) oder die Natur beschädigt. Denn auf die Differenz zwischen Kapitalvorschuss und Ertrag kommt es an, darin liegt der Zweck der Produktion. ˧

Beispiele für die verheerenden Folgen: "Wir" verschmutzen Wasser, Erde und Luft, um relative Kostenvorteile zu erzielen. "Wir" kreieren künstliche Knappheiten, die so nicht nötig wären, nur um Waren verkäuflich zu halten. "Wir" transportieren einen Joghurtbecher quer durch Europa weil die Arbeit an einem Ort billiger ist. Und so weiter.... ˧

Also das alles erwähne ich um noch einmal klar zu machen: die Vision der Globalen Dörfer ist schon auch die Vision eines Systemwechsels, in dem nicht der abstrakte Reichtum in Geldform, sondern der konkrete, sinnliche Reichtum der im Zusammenwirken von Mensch und Natur im Mittelpunkt steht. Wie dieser Systemwechsel zustande kommt, das wissen wir heute noch nicht. Vielleicht ist es die rasante Ausbreitung von Selbsthilfe - Einrichtungen gemachten wie die Society 4.0, eine Initiative des Rotterdamer Professors Bob de Wit, wie sie sich derzeit in den Niederlanden verbreitet, als Reaktion auf Energiekrise und Inflation - genossenschaftliche Zusammenschlüsse die miteinander regional vernetzt sind und auf hohem technischen Niveau arbeiten. Wir nehmen dieses Geflecht an Alternativen das sich unmerklich in verschiedenen Erdteilen ausbreitet kaum wahr, aber von kurdischen Kommunen über die Basisbewegungen in Mexiko und Indien lässt sich zumindest eines feststellen: dass sich der Netzwerkgedanke lebendiger entwickelt als die alten und neuen Nationalismen. Ahish Kotharie spricht von der "Blume der Transformation" mit den fünf Blütenblättern radikale politische Demokratie, radikale wirtschaftliche Demokratie, soziale Gerechtigkeit, kulturelle (und Wissens-) Vielfalt und ökologische Weisheit. Sie blüht im Schatten der sich aufschaukelnden Machtkämpfe der Staatsgewalten; wann ihre Stunde kommt wissen wir nicht. ˧

Ich habe es schon durchblicken lassen, die optimale Form des gesellschaftlichen Lebens auf diesem Planeten ist in der Analogie zu Bäumen zu denken, im Sinne von lokalen Räumen der gemeinschaftlichen Subsistenz auf höchstem denkbaren Niveau. Dazu gehört gerade nicht ein Weltstaat, wie der in der letzten Sendung zitierte Gero Jenner meint, sondern eine kollektive Weltintelligenz, die vor allem eine unbeschränkte Ressource zielbewusst an Orte der Bedürftigkeit und des Mangels dirigiert. Die unbeschränkte Ressource ist, es war schon oft davon die Rede, Wissen und Kreativität, wobei diese beiden nur die zwei Seiten einer Medaille sind: Wissen ist immer auch Bescheidwissen um die Bedingungen und Möglichkeiten der Entstehung kaskadierender Ketten von Reichtum auch unter scheinbar ärmlichsten Bedingungen. Mir schwebt immer das Bild vom Solar Power Village vor Augen, wie es den scheinbaren Feind des Lebens, die brennend heiße Wüstensonne, durch spezifische Glashaustechniken und vieles mehr in den Spender von Leben im Überfluss transformiert. Kreativität ist angewandtes Wissen in neuer Kombination. ˧

Es geht, ganz im Gegensatz zu den derzeit dominanten Formen der Geopolitik und ihrer imperialen Subjekte um ein Weltmodell, in dem lokale Autonomie und Kreisläufe durch globale Vernetzung gestärkt werden. Globale Wissenskooperation und gezielte Transfers von Ressoucen zum Aufbau einer neuen Integration von menschlicher Siedlungs- und Lebensweiseweise mit den jeweiligen Potentialen der Kulturlandschaft weltweit als die notwendige Antwort auf die obsolete Welt der Megastädte, den globalen Ressourcenfraß und die verschiedenen Katastrophen wie Klimawandel, Artensterben, Übersauerung der Meere, Vergiftung und Verschmutzung und so weiter. Die notwendige Antwort bestünde darin nicht anzuklagen dass "der Mensch massiv in die natürlichen Prozesse eingreift", sondern eine massive Änderung der Lebensform voranzutreiben, die unser Verhältnis zur Natur zu einem symbiotischen Ineinander, zu einer wirklichen produktiven Verschränkung macht. Wir haben ja schon vieles in dieser Sendung behandelt: die immensen Potentiale der Dezentralisierung verbunden mit globaler Wissenskooperation, die Kraft der Nähe und Vielfalt, die aufgrund dieses Wissens freigesetzt werden kann, die neuen Siedlungs- und Lebensformen jenseits der Stadtwucherungen, die den Menschen seine biotopbildende Kraft widerspiegeln und zu entfalten erlauben, das Ineinander von Natur und Technologie, das unser künftiges Habitat zur lebendigen Fabrik macht und tausend Dinge mehr. ˧

Ich habe in diesem Kontext viel Wert darauf gelegt, dass sich tatsächlich die Produktionsweise des Menschen und die Produktionsweise der Natur aneinander annähern in dem Sinn, dass auch der Mensch zunehmend lernt, seine Artefakte autopoetisch zu gestalten, das heißt als materialisierte Information die weitgehend selbständig und in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt agiert. Ich sehe aus dem Zusammenspiel digitaler Technologien und natürlicher und gesellschaftlicher Prozesse langfristig einen Superorganismus erwachsen, in dem wir Schöpfer, Bewohner, Gärtner zugleich sind und dessen Fähigkeiten die Summe der Teile weit übersteigen - eben die erwähnten Bäume, die das genaue Gegenteil von Megalomanismus und Zentralismus sind, wie wir sie zur Zeit gerade in absurden Stadtwucherungen wie Dubai sehen können. ˧

Ich habe auch immer wieder darauf hingewiesen wie wichtig das neue digitale Medium als Träger einer solchen Synthese und globalen Kooperation geworden ist. ˧

Und das klingt sehr lebensfremd angesichts einer Gesellschaft, die sich scheinbar diese digitalen Technologien als Mittel von Geschäften, Kapitalkonzentration etc. vollkommen angeignet hat. In Folge 16 hab ich ja die "unheiligen Allianz aus Digitalisierung und Privatmacht des Geldes" schon genau beschrieben und ihre verrückten Folgen skizziert. Ich möchte das kurz noch einmal aufnehmen und heute eine Spur verfolgen, die damals zu kurz gekommen ist. ˧

ich zitiere nochmal eine zusammenfassende Passage aus Sendung 16: ˧

"Wer die Digitalisierung als Mittel der Schaffung von mehr wirtschaftlichem Wert und zur Überführung der Welt von einer Industriegesellschaft in eine sogenannte "Informationssgesellschaft" ansieht, die in Wirklichkeit rein marktgesteuert und gewinnmaximierend ist, der hat für seine Meinung zwar wie eben ausgeführt jede Menge Anhaltspunkte in der Realität, aber trotzdem hat er rein gar nichts von den Potentialen des Digitalen verstanden. ˧ ˧

Leider ist genau dieses theoretische Unverständnis zur herrschenden Praxis geworden, mit der Konsequenz dass die Welt überflutet wird mit redundanten und chaotischen Datenkataklysmen, die kein Mensch mehr zu bewältigen vermag. Die Muster der industriellen Warenproduktion werden auf die digitalen Inhalte angewendet, wozu auch gehört, sie einem komplett absurden Eigentumsregime zu unterwerfen. Die eben erschaffene Möglichkeit, dass Individuen und Gruppen, die durch Raum und Zeit getrennt sind, nicht nur ihre Gedanken, sondern vor allem ihre Verfahren und Problemlösungen miteinander teilen können und so ständig neue technische und kulturelle Errungenschaften hervorbringen, die wiederum permanent ihren Eigenarbeitsraum erweitert und die wirtschaftliche Logik zurückdrängt, das darf einfach nicht sein. Es ist, als ob sich die Wirtschaft zur Generalprävention verschworen hätte, aber natürlich braucht es keine Verschwörung, denn wenn man nicht bereit ist zu lernen, dann genügen die alten Instinkte und alten Regeln, auch wenn sie angesichts der neuen Möglichkeiten absurd sind. In feudaler Manier werden prinzipiell Ideen und Erfindungen zu privaten Territorien erklärt, die andere nicht so einfach benutzen dürfen. Vollkommen sinnfrei werden daher - sozusagen als "natürliche" Reaktion der Marktteilnehmer - kreative Abweichungen, Variationen und Originalitäten produziert, nur um noch etwas Eigenes auf diesen Markt tragen und verkaufen zu können. Das ist aber gerade in der Sphäre des Digitalen tödlich die Stelle von Vereinfachung und Abstraktion tritt ausufernde Unterschiedenheit und Inkompatibiltät, also das pure Chaos. Menschliche Lebensszeit und Energie wird auf diese Weise aus sogenannten wirtschaftlichen Gründen in ungeheurem, ja geradezu kosmischen Ausmaß vergeudet. Statt einer Welt nützlicher Produkte entsteht ein Schrottplatz von sich immer rascher einstellender Obsoleszenz, und der nicht mehr vorhandene Produktwert wird ersetzt durch die lukrative Nötigungskraft, sich - einmal eingesperrt in einer Produktwelt - Support und Prothesen aller Art kaufen zu müssen." ˧

Immerhin gibt es eine Bewegung, die diesem neuen Feudalismus und Feuilletonismus den Kampf ansagt: die Open Source Bewegung. Leider dringt sie selbst nicht in die innere Verflochtenheit und Systematik des digitalen Gottesgeschenkes vor, sonst müsste sie folgern, dass nur ein radikal anderer Gesellschaftsentwurf uns helfen würde, diese neue Quelle von Wohlstand und wirklichem Fortschritt tatsächlich nutzen zu können." ˧

Ich bin dann zwar noch viel tiefer in die Potentiale der Technologie eingedrungen, habe aber relativ wenig zum Gesellschaftsentwurf gesagt. Das sollte heute begonnen und in weiteren Folgen vertieft werden. Wie könnte die Blume der Transformation weiterblühen, welches Beziehungsgeflecht könnte da entstehen, wo alle Formen von Kommando, Gewalt, Staat und Herrschaft eben nicht mehr anzeptiert werden? Darüber möchte ich beginnen nachzudenken. ˧

Dabei möchte ich mich ein wenig anlehnen an eine Form der Darstellung, die mich seit jeher fasziniert hat: den utopischen Roman oder das spekulative "World Building". Damit möchte ich Motive beschreiben, die das Projekt oder die Vision Globale Dörfer tragen und die bis jetzt vielleicht noch noch zu kurz gekommen sind. Ein Aspekt wäre der Umgang mit kultureller Vielfalt, ein anderer die Frage der Form von Wirtschaftsbeziehungen im weitesten Sinn in einer solchen dezentralen Gesellschaft. Beide Aspekte fließen beständig ineinander, insbesondere wenn wir verstehen dass Wirtschaft in Gegensatz zu unserem landläufigen Verständnis ein Produkt und eine Spielart von Kultur ist. Insbesondere das Studium indigener Kulturen hat dargelegt, dass andere Kulturen eben auch vollkommen andere wirtschaftliche Elementarformen hervorbringen, wie zum Beispiel die Gabe oder das Geschenk. (34min!) ˧

Rest muss gekürzt werden !! ˧

https://freemusicarchive.org/music/Blue_Dot_Sessions/The_Pine_Barrens/A_Palace_of_Cedar/ ˧

Zwischengedanken über Utopien und das Glasperlenspiel    

Bevor ich mich diesen Themen widme, möchte ich ein paar Gedanken zur Methode der Utopie einstreuen. Ich habe die heutige Sendung "ein Zukunftsmärchen" genannt, weil ich mich in der Folge tatsächlich auf einen visionären Entwurf einer Welthesellschaft von Dörfern konzentrieren möchte, der sich von den Fragen der Wahrscheinlichkeit seiner Realisierung möglichst freispielt. ˧

Natürlich gibt es solche Zukunftsentwürfe wie Sand am Meer, und sie scheitern zumeist dort wo sie konkret werden. Die kreisförmigen technokratischen Zukunftsstädte eines Jaques Fresco vom Venus Project etwa versuchen die wünschenswerte Zukunft - geldfrei, rational, kooperativ - im Detail auszuspinnen, und sie muten seltsam kalt und tot an, obwohl sie von der Grundidee äußerst sympathisch sind. [3]: ˧

Eine Utopie die sich von allen konkretistischen Auspinselungen frei hält hingegen ist das Glasperlenspiel von Hermann Hesse: schon am Anfang seines Buches fühlt man, dass seine Absicht weit prinzipieller ist, wenn er die Schwierigkeit der Utopie beschreibt.: ˧

“… denn mögen auch in gewisser Hinsicht und für leichtfertige Menschen die nicht existierenden Dinge leichter und verantwortungsloser durch Worte darzustellen sein als die seienden, so ist es doch für den frommen und gewissenhaften Geschichtsschreiber gerade umgekehrt: nichts entzieht sich der Darstellung durch Worte so sehr und nichts ist doch notwendiger, den Menschen vor Augen zu stellen, als gewisse Dinge, deren Existenz weder beweisbar noch wahrscheinlich ist, welche aber eben dadurch, daß fromme und gewissenhafte Menschen sie gewissermaßen als seiende Dinge behandeln, dem Sein und der Möglichkeit des Geborenwerdens um einen Schritt näher geführt werden.” [4] ˧

Es geht bei Hesse um die geistige Bedingung der Existenz einer nicht näher beschriebenen, aber jedenfalls friedvollen und kooperativen Welt. Mit Bedingung der Existenz ist vor allem gemeint, dass die Willkür und die Beliebigkeit, mit denen das geistige Leben der Gesellschaften im 20. und auch im 21. Jahrhundert gekennzeichnet war, die er das Zeitalter des Feuilletonismus nennt, durch eine neue Hochblüte von Wissenschaft und Kultur als richtungsweisenden Instanzen abgelöst wird. Diese sind in einer Art von klösterlichem Orden organisiert, der auch Verantwortung für Bildung weit über die Grenzen des Klosterstaates Kastalien hinaus trägt. Interessanterweise ist ein besonderes geistiges Gut dieses Ordens, das offensichtlich auch die Leistungsfähigkeit als Träger von Bildung und Kultur hervorbringt aber auch von manchen misstrauisch gesehen wird, eine Art Spiel, eben das Glasperlenspiel. Wir erfahren darüber nur, dass es den Spieler in die Lage versetzt, Entwicklung und Aufbau verschiedenster Verästelungen der Realität zu dechiffrieren und die Prinzipien herauszuarbeiten, die immer wiederkehrend in der Kulturgeschichte auftretende lebendige Strukturen zu begreifen erlauben. Offen bleibt, ob der museale Aspekt entscheidend ist, sondern ob dem Glasperlenspiel nicht auch durch die Entbergung zeitloser Qualitäten ein auf Gestaltung und Entwicklung gerichteter Aspekt innewohnt. Helmut Leitner hat diese Interpretation als frühe Vorahnung der Idee der Mustersprachen folgendermaßen charakterisiert als "Theorie die dazu beiträgt dass Handlungen freier werden, indem Optionen bewusst gemacht werden. Sie trägt aber auch dazu bei, der der Mensch aus diesen möglichen Optionen die für ihn möglichst vernünftigen Optionen erkennen und wählen kann." ˧

Ich will heute aber gar nicht auf die Mustersprachen genauer eingehen, sondern einfach darauf hinweisen, dass Hesse dieses Buch in seiner schweizerischen Wahlheimat schrieb, während ringsum der 2. Weltkrieg tobte und der Nationalsozialismus in Deutschland radikal Kultur ausmerzte. ˧

Die Mobilisierung einer weit weg liegenden Zukunft - immerhin spielt das Glasperlenspiel im 23. Jahrhundert - war wohl auch für Hesse hilfreich, sich gegen den Zeitgeist zu stabilisieren und nicht zu verzweifeln. ˧

folgende Elemente erscheinen mir dabei besonders attraktiv: ˧

  • Dass die zukünftige Weltgesellschaft rückblickend nicht nur an Gewalt und Herrschaft unserer gegenwart Anstoß nimmt, sondern vor allem auch an der strukturellen Gewalt der Willkür im Denken. Hesse nennt dieses System des ausufernden Meers beziehungsloser Informationswaren den Feuilletonismus. Es ist als ob der die Informationsflut des digitalen Zeitalters und den Verlust der Qualitäten der Transparenz und Verlässlichkeit vorausgeahnt hätte. ˧
  • Zweitens dass dagegen die Wichtigkeit von Kultur und Kulturträgern gesetzt wird, die sich in Netzwerken organisieren und schließlich in einer ordensähnlichen Struktur sowohl zur Blüte und sozialen Wirkkraft gelangen als auch in den eigenen Strukturen gefangen werden, was sich im Lebensschicksal des Protagonisten Josef Knecht ausdrückt. ˧
  • Dritttens die Vorausahnung einer Wissens- und Theorieform, in der strenge Wissenschaftlichkeit und zugleich künstlerische Kreativität zusammenfinden. ˧
(xxxx) Ich habe - neben der erwähnten Analogie, in vertrackten Zeiten dem Denken einen Raum der Stabilisierung zu geben - eine gewisse Sympathie für Hesses Form der Utopie, weil sie generativ ist, sie regt selbst Vorstellungskraft an. Insbesondere das paradoxe Ende des Romans - der Glasperlenspielmeister Josef Knecht entsagt seinem Amt weil er trotz aller Hingabe an die Theorie in sich das Bedürfnis nach lebendiger individueller Auseinandersetzung mit einem einzelnen Menschen spürt - hat einige Fortsetzungsversuche stimuliert. ˧

Generell halte ich Utopie oder meinetwegen auch Science Fiction für eine gleichberechtigte Auseinandersetzungsform mit der Wirklichkeit mit einer interessanten Beziehung zur Wissenschaft. Sie entsteht aus der Diskrepanz zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen und lehrt uns das sogenannte Wirkliche nicht für das einzig Mögliche zu halten. Utopie lebt aber im wesentlichen davon, nicht nur Phantasie zu sein. Das Bauen von plausiblen Welten erfordert durchaus einen elementaren Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Utopie ist sinnlos und fade, wenn sie etwas imaginiert das nicht möglich ist. Sie beansprucht aber einen geistigen Freiraum um das scheinbar unmögliche oder das noch nicht realisierte als konkrete Möglichkeit anschaulich zu machen. ˧

Und das ist, wie Hesse mit Wörtern wie "fromm" und "gewissenhaft" andeutet, keine leichte Übung. ˧

https://freemusicarchive.org/music/Blue_Dot_Sessions/Speakeasy_1959/Turning_on_the_Lights/ ˧

Ein paar Schlussfolgerungen zum Gesellschaftsentwurf (Rousseau, Spehr und beyond)    

Ich möchte aus diesem Exkurs über Utopien zurückkehren zu den angekündigten Themen des Gesellschaftsentwurfes der Globalen Dörfer. Unlängst habe ich eine junge Frau kennengelernt, mit der ich diese Themen diskutierte, sie hat sich als Kommunistin geoutet und sie hat mit sehr großem Erstaunen registriert, dass ich alles daran setze, mit dem Theorem der Globalen Dörfer einen Gesellschaftsentwurf zu propagieren, der Ernst macht mit der radikalen Freiheit des Menschen, sich seine Wirtschaftsweise und seine Gesellschaftsform nicht vorschreiben zu lassen. Ich weiß mich darin einig mit Marx, der Kommunismus als die freie Assoziation der Produzenten, heute würden viele sagen Produzent:innen verstand. Auch wenn de facto Kommunismus zur Rechtfertigungsideologie und zum Etikett einer bestimmten Sorte von Staatsgewalt geworden ist die in unserer Zeit als chinesische Herausforderung reaktualisiert wird, so gibt es einen breiten Strang des Denkens der sich der Herausforderung stellt, die freie Assoziation zur Grundlage von Theorie und Praxis sozialer Gestaltung zu machen. ˧

Ich möchte hier besonders auf Abdollah Öcalan, den legendären infatieten Anführer der kurdischen PKK verweisen, der in seinem voluminösen Werk "Jenseits von Staat, Macht und Gewalt" genau diesen übergang versucht. (Zitat Seite 89...) ˧

Wie aber verhält es sich mit einer Gesellschaft Jenseits von Staat, Macht und Gewalt? ˧

Eines ist klar: das, was wir heute als unsere Freiheit bezeichnen, ist untrennbar mit Staat, Macht und Gewalt verbunden. Die Garantie der Freiheit erweist sich bei näherer Betrachtung als ein vollendetes System von Regeln und Vorschriften in dem eine Staatsgewalt die Verfolgung von gegensätzlichen Interessen der Menschen garantiert und ihnen wie man so schön sagt eine Verlaufsform gibt. Dabei ist schon einmal eines ausgeschlossen: dass sich eine nennenswerte Gruppe von Menschen aus diesem Zwangszusammenhang entfernen und eine eigene Form zu wirtschaften jenseits der Marktwirtschaft aufzumachen in der Lage wäre. Nicht einmal ein Austritt, eine Sezession ist vorgesehen und wird von Katalonien bis Schottland verhindert, und umso mehr geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass das System von Geld und Gewinn auch nur in deiner autonomen Zone in Frage gestellt werden kann. Diesen unsichtbaren Totalitarismus unseres Systems übersieht unser Alltagsverstand zumeist, und erklärt die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Gegensätze zur Naturgegebenheit. Aber in Wirklichkeit brauchen wir den Staat und das Geld nur, weil wir nicht wirklich miteinander kommunizieren können, es auch nicht wollen. ˧

Einer hat das schon relativ früh erkannt: Ich zitiere einen Aufklärer namens Jean - Jacques Rousseau: ˧

"Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen." (Rousseau)[5] ˧

Der Diskurs über alternative Gesellschaftsentwürfe kann an Rousseau nicht vorbei. Er schrieb seine Schrift über den Gesellschaftsvertrag als Bürger eines Stadtstaates, Genf, und obwohl sein Buch auch in seiner Heimat sofort verboten wurde, merkt man dem Buch an, dass es primär für überschaubare Gemeinwesen gedacht war. An einer Stelle spricht er sogar im bereits erwähnten Sinn von den "anderen Bäumen" denen man sich anschließen können müsse. ˧

Die Aufgabe die er sich stellt ist folgende: "Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor." ˧

Eine freie Assoziation, also eine Vernetzung ohne äußeren Zwang, das ist es auch was Christoph Spehr im Jahr 2000 in seiner Schrift "Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation", [6] (in einer gewissen Analogie zur Rousseauschen Schrift über den Gesellschaftsvertrag auch über einen Wettbewerb ausgelös)t. War es bei Rousseau 1749 die Akademie von Dijon, die die Frage stellte "Hat die Wiederherstellung der Künste und Wissenschaften zur Reinigung der Sitten beigetragen?", so ist es bei Spehr die von der linken Bundesstiftung Rosa Luxemburg gestellten Frage: "Unter welchen Bedingungen sind soziale Gleichheit und politische Freiheit vereinbar?". ˧

Beide Schriften haben im Grund dasselbe Thema, Freiheit und Gleichheit. ˧

weisen aber vordergründig eine Differenz auf. Während Rousseau sich für das utopische Gemeinwesen seiner Vision auf das Prinzip der universellen Richtigkeit, die da heißt volonté générale beruft, und deren Gültigkeit jenseits der Rechte und Privilegien des Adels und Königshauses rein aus dem Gemeinwohl, das heißt dem Nutzen für alle ableitet [7] , bestreitet Spehr mit dem Hinweis auf konkurrierende Auffassungen und gesellschaftliche Gegensätze jede vorgängige Existenzberechtigung von Gemeinwohl: ˧

"Freie Kooperation setzt nicht an der Regulierung des Verhandelns an, sondern bei den Akteuren. Ob eine Verhandlung frei und gleich ist, hängt nicht von den Regeln ab, sondern von den Akteuren: ob sie in der Lage - und notfalls auch bereit sind - zum "dann eben nicht", und ob dies zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis möglich ist. Auf dieser Basis können die Akteure auch über die Regeln der Verhandlung verhandeln. Sie können Regeln schaffen und ändern, sich daran halten oder dies nicht mehr tun. Freie Kooperation setzt nicht die Regeln, sie stärkt die gleiche Verhandlungsposition der Akteure. Die Aspekte 'wissenschaftlicher Erkenntnis', 'demokratischer Mehrheiten" oder 'gesellschaftlicher Notwendigkeiten' werden demgegenüber in ihre Schranken verwiesen" ˧

Während Rousseau also mit seiner Identität von "objektivem Interesse" und "Gemeinwohl" auch notfalls die gewaltsame Duchsetzung des Gemeinwohls gegen die Einzelnen befürworten muss - ˧

"Damit also der Gesellschaftspakt keine leere Formalität sei, schließt er stillschweigend folgende Verpflichtung ein, die den anderen allein Nachdruck verleihen kann: Wer immer dem Gemeinwillen den Gehorsam verweigert, wird von der Gemeinschaft dazu gezwungen. Das bedeutet nichts anderes, als dass man ihn zwingen wird, frei zu sein. Dass man ihn zwingen wird, frei zu sein." [8] ˧

- lehnt Spehr diese Konstruktion ab: ˧

"Das Recht der Individuen (und Gruppen), Einfluss auf die Regeln zu nehmen, ihre Kooperationsleistung unter Bedingungen zu stellen, oder Kooperationen abzulehnen, die ihnen nicht zusagen, kann durch keine objektivierende Betrachtung oder angebliche Entwicklungsnotwendigkeit außer Kraft gesetzt werden, zu keinem Zeitpunkt. Ein Mechanismus "jetzt kann nicht verhandelt werden, aber später werdet ihr frei sein" steht in vollständigem Gegensatz zum Konzept der freien Kooperation." (S. 23) ˧

Freiheit und Gleichheit bei Spehr wie auch bei Rousseau stehen nicht in Widerspruch gegeneinander, sondern bedingen sich gegenseitig: ˧

"Das Konzept der freien Kooperation beharrt jedoch darauf, dass die Individuen real gleich sein sollen in ihrer Macht, Einfluss auf die Regeln zu nehmen und ihre Kooperation aufzukündigen oder unter Bedingungen zu stellen, und zwar jederzeit. Freie Kooperation beinhaltet nicht, dass die Beteiligten einer Kooperation homogen oder identisch sind. Sie beinhaltet aber, dass die Beteiligten einander in einer sozialen Position der Gleichheit gegenübertreten. Die Kooperation ist nur frei, wenn sie gleich ist; und die Individuen können nur frei sein in einer Kooperation, wo sie gleich sind." (S. 24) ˧

Eigentlich ist sehr viel von der sozialen Seite der Theorie der Globalen Dörfer diesem Antagonismus geschuldet. Mit anderen Worten: Wenn wir nicht bis zu einem gewissen Grad eine strukturbildende Kraft der Kooperation wie sie sich in Rousseaus Volonté Generale widerspiegelt unterstellen, dann kann Verlässlichkeit und Kohärenz kaum unterstellt werden; den zufälligen und partikularen Interessen entspringt nicht notwendigerweise ein dauerhaftes und organisches Zusammenwirken. So etwas ließe sich maximal unter den Bedingungen nomadischer Assoziation denken, zum Beispiel in den fluiden Stadtbildungen des Seastading [9], wo das Aufkündigen der Kooperation zugleich das Abkoppeln des eigenen Hausbootes von den bestehenden Stadtclustern, die sich viele Utopisten in neuerer Zeit als außerhalb der Souveränität der Nationen bestehend und unter weitgehender Selbstverwaltung stehend ausgemalt haben. ˧

In Wahrheit entspringt zumindest bei Rousseau die Volonté Generale auch nicht den partikularen Interessen die in eine Verhandlungssituation treten. Er lässt eine zusätzliche Figur auftreten, den Gesetzgeber oder Legislateur, der quasi vor der Assoziation das Grundgerüst konstruiert. In der freien Softwarewelt ist es der Maintainer, der einen programmatischen Projektentwurf in die Welt setzt und Mitstreiter:Iinnen (um wenigstens einmal zu gendern) findet oder auch nicht. Linus Thorwalds nannte das die Funktion eines "Wohlmeinenden Diktators". Und ein Managementtheoretiker namens Peter Koenig hat den Begriff «Quelle» für die erste Gründerperson eines Projektes oder Unternehmens ausgewählt, um zu unterstreichen, dass diese erste Person eine ganz besondere Beziehung zum Projekt hat und zu den dazu gehörenden Verantwortungen und Privilegien - wobei dann auch ähnliche Phänomene bei allen Unterprojekten auftreten. Und bei Abdullah Öcalan ist es die sogenante natürliche Gesellschaft, die immer in kommunaler Form existiert hat, und speziell in ihr die Kraft der Frauen, die so einen Zusammenhang zu tragen und zu gestalten in der Lage ist. ˧

Das nötigt uns, Christoph Spehrs negative Seite der freien Kooperation um eine positive Seite zu ergänzen: Es braucht einen generativen Prozess der Projektierung von Gesellschaftsentwürfen. Und das ist der entscheidende Punkt: Wie wäre es, wenn wir eine Vielfalt von Assoziationen hätten, zwischen denen eine Abstimmung mit den Füßen stattfinden kann? ˧

Diese sehr spannende uns spektakuläre Auflösung des zuvor erwähnten Widerspruches zwischen Freiheit des Verlassens und Notwendigkeit der Existenz von verlässlichen Kooperationen (übrigens halte ich diesen Wortwitz mit guten Gründen für keinen Zufall) habe ich bei einem Schweizer Autor gefunden, der ebenfalls ein Klassiker modernen anarchistischen Denkens gworden ist. Ich spreche von Hans Widmer, der sich jahrzehntelang hinter dem Akronym "p.m." verbarg und heute der Inspirator der Bewegung Neustart Schweiz geworden ist. Er führt in seiner utopischen Ethongraphie "bolo'bolo" eine Weltsprache mit einigen dutzend Wörtern ein, die zentrale Konzepte einer radikal dezentralen Weltgesellschaft widerspiegeln. [10]. ˧

(Im DorfWiki: http://www.dorfwiki.org/wiki.cgi?BoloBolo) ˧

originaltext https://www.tuneful.at/elixier/media/bolobolo.pdf ˧

Im Zentrum stehen das "ibu", also das Individuum, und "bolo", also das Dorf, Nachbarschaft oder Assoziationen von 300-500 Menschen, die als ein weitgehend autarker ganzer Haushalt mit Gebäuden, Werkstätten und Land die gesellschaftliche Grundstruktur bilden. Wichtig ist, dass sich das Prinzip der freien Kooperation von unten nach oben durchzieht. ˧

"Die weitgehende Selbstversorgung bedeutet nicht unbedingt Isolation oder Selbstbeschränkung. Die Bolos können (man könnte auch sagen sie müssen) Tauschverträge (oder ähnliche Vereinbarungen) mit anderen Bolos abschließen und so eine größere Vielfalt an Lebensmitteln oder Dienstleistungen erhalten. Diese Zusammenarbeit ist bi- oder multilateral und wird nicht von einer zentralisierten Organisation geplant; sie ist völlig freiwillig. Das Bolo selbst kann den Grad seiner Autarkie oder Interdependenz je nach seiner kulturellen Identität (nima) wählen." ˧

Diese kulturelle Identität ist aber letztlich wie gesagt nicht das Resultat eines zufälligen Aushandelns, sondern sie existiert als Resonanzphänomen - als Grundlage der Aushandelsprozesse: ˧

"bolos entstehen nicht einfach aus irgendwelchen Nachbarschaften oder weil es praktisch ist. Das wirkliche Motiv, das die ibus veranlasst, in bolos zusammenzuleben, ist ein gemeinsames nima. Bestimmte nimas kann das ibu nur dann voll ausleben, wenn es andere ibus findet, die das gleiche haben. In einem bolo verwirklichen, ergänzen und verändern die ibus ihr gemeinsames nima. Umgekehrt können ibus, deren nima keine gesellschaftlichen Formen zulässt (Einsiedler, Vagabunden, Misanthropen, lndividualanarchisten, Narren, Weise usw.) allein bleiben und in den «Zwischenräumen» der überall vorhandenen, aber nicht obligatorischen bolos leben. Das nima enthält eine Lebensauffassung, die Grundstimmung, Philosophie, Interessen, Kleidung, Ernährungsweise (Kochstil), Umgangsformen, Verhältnis zwischen den Geschlechtern, zu Kindern, Wohnräumen, Gegenständen, Farben, Tieren, Bäumen, Ritualen, Tagesablauf, Musik, Tanz, Mythologie, kurz all das, was man als «Tradition» oder «Kultur» bezeichnen könnte. Das nima definiert das Leben, so wie das ibu es sich konkret wünscht" (p.86) ˧

Und so haben wir den Gegenstand unserer Utopie der Globalen Dörfer gefunden. Wie erschaffen wir eine Welt, die voll ist von ganz unterschiedlichen gelebten Lebensentwürfen in Koexistenz, und in der wir uns in Freiheit hingezogen fühlen können zu dem, das mit uns in größte Resonanz geht. Das werde ich in einer zukünftigen Sendung genauer darstellen. In der ich versuchen möchte, Grundlinien einer literarischen Darstellung eines "Planeten der Dörfer" zu skizzieren. ˧


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Musikauswahl ˧

https://freemusicarchive.org/music/Blue_Dot_Sessions/The_Pine_Barrens/A_Palace_of_Cedar/ ˧

https://freemusicarchive.org/music/Blue_Dot_Sessions/Speakeasy_1959/Turning_on_the_Lights/ ˧

Outro ˧

https://freemusicarchive.org/music/Dee_Yan-Key/utopia/02--Dee_Yan-Key-a_long_way_away/ ˧





[1] https://www.xing.com/news/insiders/articles/wahrer-reichtum-warum-es-zeit-wird-das-wachstum-zu-feiern-und-in-grosseren-dimensionen-zu-denken-2266810?xng_share_origin=web

[2] Baßeler,Heinrich,Utechtm: Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, 19.Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2010

[3] https://www.derstandard.at/story/2000120153355/in-der-geldlosen-stadt-der-zukunft-wo-allen-alle-ressourcen

[4] Zitiert nach: Laudatio des Nobelpreiskomitees 1946 https://www.hermann-hesse.de/leben-und-werk/biografie/nobelpreis/laudatio-de/

[5] – Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (Reclam, 1998, S. 115 ff., Anmerkung IX)

[6] zitiert nach: http://www.thur.de/philo/kooperation.htm

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Vom_Gesellschaftsvertrag_oder_Prinzipien_des_Staatsrechtes

[8] https://www.deutschlandfunk.de/kursiv-klassiker-gemeinwille-statt-summe-der-einzelwillen-100.html

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Seasteading

[10] https://theanarchistlibrary.org/library/p-m-bolo-bolo