[Home]
Wildalpen /
Ideenskizze Für Ein Schulprojekt


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







Ideenskizze „Globales Lernen in Wildalpen“    

Von Annerose Mühlmann und Franz Nahrada (2007)

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Ideenskizze „Globales Lernen in Wildalpen“   
1. Lernen ist die wichtigste Aktivität des 21. Jahrhunderts   
2. Beschreibung der momentanen Situation der Schulkinder in Wildalpen - soweit sie uns bekannt ist   
3. Telematik in der Schule   
4. Die Waldschule in Wildalpen   
5. Schlusswort   

Als „Hitzeflüchtlinge“ aus der Stadt Wien waren wir in der vorletzten Juliwoche auf Rat eines befreundeten Geographen nach Wildalpen gekommen und genossen das erfrischende, reine Quellwasser in jeglicher Form sowie die Offenheit, Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Wildalpler. Auf unseren „Forschungswanderungen“ stellten wir immer mehr Fragen, kamen binnen weniger Tage ins Gespräch mit unseren Gastgebern in Hotel und Privatquartier, Experten der Wasser- Forst- und Landwirtschaft, der Verwaltung, Bildung, des Wassertourismus und dem Bürgermeister und erfuhren eine ganze Menge.

Wir begriffen sehr schnell die Einzigartigkeit dieser Region nicht nur in ihrer Funktion als Quellwasserproduzent für die Stadt Wien, sondern auch als zu schützende Natur- und Kulturlandschaft und als eine lebendige Schule der Praxis mit unverhältnismäßig vielen gebildeten Fachleuten mit vielfachen und spannenden Tätigkeiten. Wie schade, die „Klassenräume“ dieser „Schule“ stehen leer und die Schüler verlassen täglich das Dorf, um in „fremden“ Schulmauern sozusagen aus zweiter Hand zu lernen.

Das hat mich als Mutter und erfahrene Pädagogin täglich mehr in eine „gesegnete Unruhe“ versetzt, die letztlich zu dieser Ideenskizze in Zusammenarbeit mit Franz Nahrada geführt hat.

Seit vielen Jahren unterrichte ich in Deutschland an einer ganz normalen Schule, habe parallel dazu während zweier Sabbatjahre ein Schulkonzept für eine „Internationale Freie Schule“ in Portugal entwickelt und drei Sommer lang dort erprobt. Einige der dabei angewandten Grundgedanken und gemachten Erfahrungen sind so allgemeingültig und fundamental, dass sie sicher auch für eine Projektplanung zwischen Wildalpen und Wien interessant sein könnten.

Mit Franz Nahrada habe ich die Möglichkeiten der Telekommunikation als neues und ungewohntes Element in diese Überlegungen begonnen einzubauen.

Fazit: Mit der großteils bereits vorhandenen Infrastruktur würde eine modellhafte „Lernpartnerschaft“ zwischen einer Wiener Hauptschule ( z.B. der Europa-Hauptschule) und den Wildalpener Hauptschülern möglich sein und zu einer gemeinsamen „Schule für Globales Lernen“ führen können. Denkbar wäre es, dies auch gleichzeitig oder auch später auf gymnasialer Ebene zu initiieren.

Zum Verständnis dieser Konzeption zunächst einige Grundgedanken zum Thema Lernen, Lernbedingungen und Lernorten.

1. Lernen ist die wichtigste Aktivität des 21. Jahrhunderts    

Jede Überlegung zu Schule und Lernen steht heute im Kontext einer sich rapide wandelnden Gesellschaft. Die Arbeits- und Lebenswelt verändert sich in einem noch nie da gewesenen Ausmaß, alte Sicherheiten und Strukturen zerbröckeln vor unseren Augen. Lernen ist nur mehr als lebenslange Aktivität denkbar, nicht als eine Phase im Leben die wir hinter uns bringen müssen. Drum kann das „höchste“ aller Lernziele nur sein, das Lernen zu Lernen und zwar auf der einen Seite anhand verschiedenster Lebenssituationen und andererseits mit den intelligentesten Kommunikationsmitteln die wir haben. Das ist eine krisenfeste, dauerhafte und erfolgreiche Investition, die eine kluge und vorrausschauende Gesellschaft für ihre junge Generation tätigen kann und muss. Die Triebfeder allen unerzwungenen Lernens sind die angeborene Neugierde und der Spieltrieb, mit dem jedes Lebewesen von der Natur ausgestattet wird, um sich fitt für das Leben und Überleben zu machen. Die Fragen wieso? weshalb? warum? muss der Mensch sein Leben lang stellen können, doch dazu braucht es angemessener Förderung in den wichtigen Jahren der Kindheit und Jugend.

„Auf den Straßen spielen Kinder, die einige meiner dringlichsten physikalischen Grundprobleme lösen könnten, weil sie über eine Form der Sinneswahrnehmung verfügen, deren ich seit langem verlustig gegangen bin.“ Das sagte der Physiker Robert Oppenheimer. Lernen ist sinnlich und verlangt den ganzen Menschen (Kopf, Herz und Hand). Es ist fast niemals das, was „man“ (der Lehrende) erwartet. Es manifestiert sich in einer Veränderung der Umwelt. Da Innenwelt und Umwelt Bestandteile einer Welt sind, ist das Lernen gelebtes Leben, und dies umso mehr, als uns die Automaten zwar die Routinearbeiten abnehmen, aber in Wirklichkeit gerade nicht die Verantwortung für unsere Lebens - Ziele. Weil wir immer mehr Ziele setzen müssen und immer weniger ausführendes Organ der Ziele anderer sind, deswegen wird Lernen zur wichtigsten Aktivität im 21. Jahrhundert. Deswegen wird hier nicht einem „Lernkonzept“ im üblichen Sinne das Wort geredet, eher einer „Orientierungstafel“, auf der steht, wo die Wege des Lernens zu finden sind. In einer Schule im üblichen Sinne kann diese Orientierungstafel im Grunde nicht ihren Platz finden. Eher auf einem Dorfplatz, wo sie den Neugierigen, Fragenden und Suchenden zu den Lernorten – und den dort wirkenden „Professoren der Praxis“ - weist. Lernen ist überall da, wo etwas entsteht, wächst, blüht, kracht, brummt, klingt, duftet, stinkt, schweigt, vergeht, ….

Wie ein Sonnenkollektor oder ein Kompostklo funktioniert und gebaut wird, wie aus Wasser Strom wird, welch überraschende Vielfalt an Leben in einer Handvoll Waldboden es zu entdecken und zu schützen gibt, wie ein Weidendom entsteht und lebt, weshalb die Überlebensstrategien von Pflanzen und Tieren und ihr Schutz vom Menschen zum eigenen Überleben notwenig sind, warum die Nutzung des Quellwassers eine Kooperation zwischen Stadt und Land geradezu „erzwingt“ usw. – systematische Lebenszusammenhänge können hier, in Wildalpen, an Ort und Stelle erfahren werden.

Natürlich braucht es einen zentralen Ort als „Anlauf und Begegnungsstätte“, als einen Lernort für die Dinge, die eben nicht in der Dorfpraxis allein gelernt werden können. Es braucht ein multifunktionales Haus der Kultur und Informations-beschaffung. Es braucht auch noch mehr als ein dörfliches Lernbiotop. Es braucht die ganze Welt im Dorf. Denn das Dorf funktioniert nur, weil und insofern viel spezialisiertes Wissen zusammengetragen wird. Ein mögliches Modell das zu erreichen, ist die Zusammenarbeit eines „Globalen Dorfes“ mit seiner „Mutterstadt“. Mit ihr lebt es durch die „Nabelschnur“ der Telekommunikation in ständigem Austausch, ist in ständigem Kontakt mit Institutionen der Bildung, Kultur und Forschung.

Kinder brauchen wie Erwachsene gemeinsame Ziele und ernsthafte Aufgaben, keine pädagogischen „Lernmatten“. Praktische Erfahrungen bestehender „freier Schulen“ bestätigen: Alle Kinder, alle Menschen, wollen lernen, wenn es einen ernsthaften Verwendungszweck für das Wissen gibt, der ihnen auch einsichtig ist. Dieses Verständnis des Lernens ist besonders geeignet, Kindern (und auch Erwachsenen) die Fähigkeit zu selbständigem Lernen zu erhalten und sie zu befähigen, für ihr Lernen und ihre Lebensgestaltung Verantwortung zu übernehmen und damit auch mit den heute so häufigen Umbruchssituationen besser fertig zu werden.

Wenn wir das ernst nehmen, was wir über den Lernprozess und das Aufwachsen von Kindern und Jugendliche wissen, dann ist es selbstverständlich, dass wir sie in den Aufbau- und Entwicklungsprozess eines Projektes und ihrer eigenen Lernumgebung aktiv einbeziehen. Sie wissen sehr genau (oft viel besser als wir Erwachsenen), was ihnen gut tut. Sie gehen mit großer Unbefangenheit, Kreativität, Energie und Fantasie an Probleme, Aufgaben heran ohne in gewohnte Denkmuster und Lösungsansätze zu verfallen. Deshalb sollten sie von Anfang an als ernst zu nehmende Partner die Möglichkeit haben, sich einzubringen. In der Kinderrepublik Bemposta (Spanien) habe ich z.B. eine von den Kindern und Jugendlichen erbaute Kirche gesehen, die sie einfach um einen wunderschönen, alten Baum herum gebaut haben. So denken und handeln Kinder, wenn man sie nicht verbiegt. Zum Lernen braucht es Räume und Freiräume, welche die verschiedenen Entwicklungsstufen beim Lernenden berücksichtigen. Sie müssen gemäß den jeweiligen Ideen und Projekten gestaltet und umgestaltet werden können.

2. Beschreibung der momentanen Situation der Schulkinder in Wildalpen - soweit sie uns bekannt ist    

Die Grundschulkinder von Wildalpen werden in dem großräumigen Schulgebäude neben der Kirche unterrichtet. Vor Jahren diente das Gebäude auch als Unterkunft für die Grundschulkinder aus der weiteren Umgebung. Diese Räume werden zur Zeit als Wohnungen vermietet.

Die Hauptschüler müssen mit dem Schulbus täglich nach dem circa 30 km entfernten Göstling fahren und sind dabei 4 Stunden unterwegs. Die Gymnasialschüler müssen entweder nach dem 45 km entfernten Mariazell fahren oder mit 10 Jahren das Elternhaus in Wildalpen verlassen, um im Internat zu leben.

Wie kann diese sehr unbefriedigende Situation ( viel zu lange Schulwege, damit verbundene Kosten und Einbußen an Lebensqualität, frühzeitige Trennung von der Familie,...) positiv verändert werden und zugleich auch Wiener Schülern zum Vorteil gereichen? Darauf könnte es eine Antwort geben: Die Schulen von gestern müssen Schulen von morgen werden, in denen Kinder von heute auf die Zukunft von übermorgen vorbereitet werden. Wildalpen und Wien könnten solch ein globales Lernfeld erzeugen mit einem Modellcharakter, der weit über die Grenzen Österreichs hinausgeht.

3. Telematik in der Schule    

Wir möchten Sie nun in ein „Szenario“ einer Schule von morgen mitnehmen. Stellen wir uns vor: Neben den vier Grundschulklassen werden Multimedienräume eingerichtet. Sie werden am Vormittag von den Schülern und ab dem Nachmittag von den Erwachsenen genutzt. Ein „Informations- und Lernbetreuer“ – eigentlich schon fast ein neuer Beruf, doch in vielem an den Schul- und Stadtbibliothekar erinnernd - kümmert sich am Vormittag um die Schüler und am Nachmittag um die Erwachsenen.

Diese Räume erfüllen folgende Funktionen und Aufgaben:

Jeder Hauptschüler (später auch Gymnasialschüler) der Klassen 5, 6, 7 - was nach der erfolgreichen Erprobung auf die höheren Klassen auszuweiten wäre - hat dort einen Arbeitsplatz mit dem er multimedial (Videokamera, Laptop, Kopfhörer) mit seinem virtuellen Arbeitsplatz in einer Wiener Schule verbunden ist und dort aktiv am Unterricht teilnimmt. Das betrifft sicher nicht alle Unterrichtfächer in gleicher Intensität. Optimal eignen sich z.B. die Fremdsprachen, Deutsch, Mathematik, Geschichte, Politik, Erdkunde, Informatik! Die „Europa – Hauptschule“ in Floridsdorf scheint für diese „siamesische Schulform“ besonders geeignet, da sie bereits über eine Binnendifferenzierung verfügt, die mit ihren reformpädagogisch geführten stabilen Lerngruppen eine flexible Anbindung an Wildalpen leicht macht.

Diese Art des Lernens ist viel intensiver, motivierender, lebendiger als der übliche Fernunterricht, da der Schüler unmittelbar am Unterricht teilnimmt, in seinen Laptop schreibt, was gleichzeitig im Klassenzimmer an die Wand projiziert werden kann und somit für die ganze Lerngruppe in Wien sichtbar wird. So wird er sich auch akustisch (Videokonferenz) in den Unterricht einbringen und vom Lehrer wie jeder andere Schüler wahrgenommen werden. Bei Gruppenarbeit bildet er in Wildalpen mit seinen Mitschülern eine Gruppe. Die dazu benötigten Arbeitsblätter bzw. Arbeitsaufträge scannt der Lehrer in der Klasse ein und schickt sie ihm. Unter pädagogischer Aufsicht des „Informations- und Lernbetreuers“ erfolgt auch die Begegnung mit dem Internet, der gewaltigen Quelle, durch die jeder Ort und jeder Mensch Zugriff auf Informationen der ganzen Welt hat – eine „Informationsflut“, unter der viele auch leiden. Doch mit gezielten Strategien, wie sie zum Beispiel die Lerngruppen der Europaschule versuchen zu praktizieren, lernen die Schüler die Informationen zu filtern und aufgabenorientiert vorzugehen, um das wirklich Relevante herauszuholen und zu verarbeiten. Sie beziehen diese Informationen immer wieder auf reale Probleme und machen sie zu ihrem eigenen geistigen Besitz.

Der gemeinsame Lernprozess der Wiener und Wildalpener Schüler beruht nicht nur auf einem Wissens- und Erfahrungsaustausch. Er spiegelt ihnen eine Lebenswelt, die ihre eigene zu einem größeren, reicheren Ganzen ergänzt, macht sie neugierig auf die am anderen Ende der Nabelschnur lebenden Alterskameraden und deren Umwelt.

Sie lernen sich zu besser zu verstehen und begreifen sich als ein größeres Ganzes. Daraus wird folgerichtig der Wusch entstehen, sich auch real zu begegnen.

4. Die Waldschule in Wildalpen    

In Wildalpen und Umgebung haben wir viele leerstehenden Gebäude (z.B. das Forsthaus) gesehen, die revitalisiert werden könnten, um als Waldschule genutzt zu werden.

Die Einrichtung Waldschule gehört seit vielen Jahren auch in Deutschland zum festen Unterrichtsbestandteil. Die Wiener und Wildalpener Schüler begegnen sich hier, arbeiten und leben zusammen.

Viermal im Jahr setzen sie innerhalb von zwei bis drei Wochen, Gelerntes praktisch um, arbeiten projektorientiert, forschen experimentieren und übernehmen Mitverantwortung nicht nur für ihren Schlaf- und Essbereich sondern auch für Arbeiten in der Wasser - Wald - Forst und Landwirtschaft. An den Wochenenden könnten sie mit ihrem begleitenden Lehrer nach Wien zurückfahren. Gerade für die Wiener Stadtkinder ist solch eine naturnahe Umgebung von extrem hohen Wert. Leben in der Waldschule im Nationalpark bedeutet die Schärfung der in der Großstadt verkümmerten fünf Sinne und Training ihrer körperlichen Fähigkeiten – weit mehr als der Turnunterricht jemals vermag.... Hier werden der Wald mit Flora und Fauna, das Wasser, das Gebirge zum natürlichen Lehrer.

Der bereits oben erwähnte einmaligen Reichtum an Speziallisten, den „professores della practica“ der „Universität des Lebens“ Wildalpen, ist ein Wissensschatz, wie es ihn nicht allzu oft im ländlichen Raum gibt. Er deckt im Grunde alle Schulfächer ab und bringt lebendiges Wissen. Die Schüler lernen an der Seite des Försters, Waldarbeiters, Ingenieurs, Wasserbauers, Rafting - Guides,...und packen mit an. Sie werden ernst genommen und gefordert. Die „Dorfkinder“ werden den „Stadtkindern“ ganz selbstverständliche Dinge „vormachen“ ohne große Diskussionen etc. Die „Stadtkinder“ lernen, in dieser natürlichen Welt zu leben, als Ergänzung zu ihrer „Mutterstadt“ Wien. Was sie kennen und lieben gelernt haben, werden sie schützen und nicht „verkaufen“, egal an wen oder was....

Die ganzjährige Waldschule steht auch anderen Lerngruppen (national und international) zur Verfügung und ist somit ganzjährig ausgelastet. Sie kann auch zusätzliche Aufgaben z.B. im Bereich der Erlebnispädagogik übernehmen.

5. Schlusswort    

So geht das „Reale“ mit dem „Virtuellen“ ein völlig neues Bündnis ein.

„Stadtkinder“ und „Dorfkinder“ müssen nicht eigens Urlaub machen, um das andere Leben kennen zu lernen. Sie erfahren frühzeitig als Schüler, dass Mobilität eine Bereicherung sein kann, lernen sich in verschiedenen Lebenswelten heimisch zu fühlen, ohne dass sie ihre Wurzeln verlieren. Frühzeitige praktische Erfahrung erweitert die Palette möglicher Berufswünsche. Wer so gelernt hat zu lernen, der wartet nicht, dass ihm ein Arbeitsplatz angeboten und maßgeschneidert wird, er wird lernen, sich seinen Arbeitsplatz selbst zu erschaffen, mit anderen gemeinsam Arbeitsfelder zu gestalten und Chancen wahrzunehmen.

Wir würden uns freuen, wenn diese Überlegungen dazu beitragen, dass in neuer Weise über die Zukunft von Stadt und Land nachgedacht wird und ein politischer Wille entsteht, in diese Richtung Experimente zu wagen.