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Smetanas Moldau Und Polizist Zorro


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Berta Klement:

Smetana´s „Moldau“ und „Zorro“, der berittene Polizist

Der völkerverbindende Geist Friedrich Smetana´s, unser Nachbar in Wien und seine „Zuag´rasten“.

Unsere Nachbarn waren selbstverständlich schon lange auch unsere Freunde geworden. Jeder beeilte sich, den anderen zuerst zu grüßen und wir freuten uns über jede Gefälligkeit, die wir im Alltäglichen einander erweisen konnten. Wir vertrauten so manches einander an, aber das größte Geheimnis unserer Nachbarn hat sich bis heute leider noch nicht offenbart:

Man munkelte schon lange, unser Herr Nachbar sei ein direkter Nachkomme des genialen böhmischen Komponisten Friedrich Smetana ! Wir belehrten einander, dass dieser nationale Tscheche aus Mähren die Musik genannt „Mein Vaterland“ geschrieben hat mit dem wunderbar ergreifenden Kernstück „Die Moldau“. Tür an Tür horchten beide Familien auf, wenn die Melodien aus der Nachbarwohnung herüber drangen und dabei oft auch leise ein mitteilsamer Türspalt geöffnet wurde. Mein Vater kam aus dem Böhmerwald nach Wien und Herr K. aus Mähren. Also „Zuag´raste“, wie der Volksmund sich diese Abkunft wortschöpferisch verständlich machte.

Leider hat diese Familien-Legende bis heuer – im Jahr 2007 – noch keine Bewahrheitung erhalten. Immerhin: das bisher Erspähte bewirkte mit eine beiderseitige Bemühung um Verständnisinnigkeit im Gefühl und dem „Wissen“, dass so ein Genie auch auf uns andächtige Zuhörer vom Parnass herunter lächeln könnte.

Der Sohn unseres Nachbarn musste - vielleicht auch bestärkt durch so eine Abstammungsgeschichte – auch „Musiker“ werden ! Er spielte mit in dem elitären Orchester des Wiener Burgtheaters ! Dort blies er die Tuba und übte zu Hause fleißig. Wir erduldeten gerne die wirklich harte, lautstarke Arbeit eines Künstlers an sich selbst und seinem Instrument, der Tuba ! Wir hielten „um der Kunst willen“ einfach zusammen.

Der Vater des Musikers war aus Mähren eingewandert. Dort war er ein gelernter Tischlergeselle, welcher seiner Erzählung nach immer peinlich genau arbeitete und mit seiner handwerklich bewiesenen Gewissenhaftigkeit auch die Vorkommnisse des täglichen Zusammenlebens geregelt haben wollte.

Da geschah es, dass sein Meister von einer Kundschaft schändlich um den Lohn betrogen wurde! Als der junge Tischler dies erfuhr, erschütterte ihn dieses unmenschliche Betragen sosehr, dass er sich kurz entschloss, seinen Beruf zu wechseln! Er wollte „Polizist“ werden, um so den Menschen näher zu kommen und sie auch „zu verbessern“! Mit jugendlichen Lebensaufschwung meldete er sich in Wien bei der Polizei und wünschte zur „Berittenen“ zu kommen. Diese hatte ihre Stallungen im 4.Nachbarbezirk, wo er alsbald täglich „sein“ Pferd sattelte und abends wiederum zur Futtergrippe und Pflege zurückritt. Tagsüber war ihm das „Triesterviertel“ zugeteilt, zu welchem auch die heute verbauten Felder auf dem Wienerberg gehörten. Er fand alsbald eine besonders einfühlsame, liebe Frau zu einer jahrzehntelangen guten Ehe.

Die besondere Güte dieser Frau erwies sich auch darin, dass sie ihn immer anhörte und ihn beruhigen konnte, wenn er seiner Empörung Luft machen musste über alle Gaunereien, ja Verbrechen, die ihm sein beruflicher Alltag vor die Füße legte, ihm, der stets „den g´raden Weg“ in seinem und seiner Mitmenschen Leben weiterhin suchte. Wer aber waren seine unverbesserlichen Übeltäter ? Die „leichten Fälle“ waren Frauen, die als „Z´sammräumbestien“ – wie er sie zähneknirschend nannte – ihr Staubtuch zum Gassenfenster hinaus ausbeutelten. Vielleicht geradewegs einem Vorbeigehenden auf den Kopf...? Drohend mit erhobenen Zeigefinger ritt der Herr Inspektor durch die Gassen. Alle hatten ihn einfach gern, weil solche Ermahnungen mit weißen Handschuhen mit einem beruhigenden Lächeln voll überwältigendem Charme verbunden waren.

Aus eigener Initiative schritt er jedoch mit großer autoritärer Wirkung ein, wenn es jeden Freitag nachzuhelfen galt, dass betroffene arme Ehefrauen die Anzahlung erhalten konnten, die ihr Mann ihnen schuldig war, damit sie für ihn und seine oft große Kinderschar die Wirtschaft führen konnte! Wie es bei so einem Einsatz zuging, muss man sich bitte vorstellen: Vor dem Eingang eines kleinen Gasthauses in der Buchengasse drängten sich ein paar Frauen zusammen: „Herr Inspektor, Herr Inspektor . Er kummt scho. Da sans wieder alle beinander und versaufen alles, was wir zum Leben bauchen! Helfen´s uns wieder, bitte, bitte, bitte..“ wurde.... geweint. Der Herr Inspektor stieg vom Pferd und schritt gelassen und sehr beruhigend auf die armen Weiber zu. Aus dem Wirtshaus drangen die Wogen eines Gegröhles heraus – bis auf die Gassen. Auf einmal schien der charmante Inspektor wie verwandelt: Nun war er der „Zorro“, wie ihn vor allem die halbwüchsige Jugend nach einem Filmhelden insgeheim nannte. Er ging auf die Alten und auf die jungen Zecher zu und befahl: „Alsdann, wos is ? Her mit dem Geld! Schämt´s euch net. Wie ihr den Frauen das Leben schwer macht´s ?“ Totenstille. Dann rief er die Frauen einzeln herein und er war selbst Zeuge, dass diese von ihren Ehemännern erhielten, was ihnen zustand.

Ich selber gehörte einmal mit meinen Großeltern zu den anwesenden Gästen, welche dieses Schandspiel mitansehen und anhören mussten. Alle begannen ein höchst lobendes Gespräch über „so an guat´n Herrn Inspekta...“ und ließen darüber klagend auch ihre eigene Mahlzeit kalt werden.... Der „Zorro“ stand Wache solange, bis auch die letzte verhärmte Frau glückstrahlend heimwärts bummelte.

Am härtesten wurde doch im Sommer oftmals unser Polizist gefordert, wenn auf dem Wienerberg eine riesige Strohtriste zu rauchen begann. „Feuer! Feuer!“ durchfuhr es ihm. Als Berittener konnte er am schnellsten am Ort der Katastrophe sein und auch Mithilfe holen, um zu retten, was noch zu retten war. Die heute modernen Kommunikationsweisen waren zu seiner Zeit ja noch nicht entwickelt. Was aber war geschehen ? Immer waren es Obdachlose, die sich in den Tristen einen warmen Unterschlupf zurecht machten. Erschöpft zündetet sich mancher dann eine Zigarette an, schlief achtlos ein und das trockene Stroh fing Feuer. Aufflammend ging alles sehr schnell, nicht alle Obdachlosen konnten sich retten. Einige starben an Rauchgasvergiftung, andere trugen schwere Brandwunden davon und immer wieder wurde ein armer Mensch unter einer eingestürzten brennenden Strohtriste begraben....Das waren erschütternde Erlebnisse für unseren gestrengen und nur jetzt machtlosen „Inspektor Zorro“. Alle Belobigungen, die er danach für sein mustergültiges Verhalten von seinen Vorgesetzten erhielt, konnten die Eindrücke nicht auslöschen, die in ihm hochkamen, sobald er sein Dienstgewand abends ablegte. Von einem erholsamen Schlaf war lange keine Rede. Über Nacht wurden seine schönen Haare weiß....

Der wohlverdiente Ruhestand ließ seine erste Tischler-Liebe zum Holz wiederum aufkeimen. Zu Hause richtete er sich eine kleine Werkstatt ein in der Küche seiner geduldigen Frau. Viel brauchte er ja nicht zu seiner Intarsienarbeit aus allerfeinsten farbigen Hölzern aus aller Welt.

Mir als Kunst-Studentin erlaubte er, ihm bei seiner Kunstfertigkeit in aller Stille zuzusehen. Im Vertrauen „nur für edle Arbeit zu verwenden...“ zeigte er mir so manchen „handwerklichen Kniff“, wie er nur unter achtbaren Handwerkern einander weitergegeben wird und keinem Lehrbuch entnommen werden könnte. Im Hintergrund stand meist seine Frau, die ihn auch seelisch stützte, wenn er noch lange mit den bösen Erinnerungen an seine Polizisten-Aufgaben rang. Wenn nötig, strich sie ihm beruhigend über das weiße Haar und flüsterte das „Zauberwort“ der Familie: „Friedrich Smetana, du weißt ja...“ gleich einer „Geisterbeschwörung“! Jedes Mal fühlten wir uns wie erhoben zu einem besseren Mensch-sein durch die holde Kunst.

In ähnlichen Momenten seelischer Rührung und Begegnung merkten wir wohl auch den Unterschied unserer herberen deutschen Art – verglichen mit der typisch slawischen Weichheit. Aus der Sehnsucht nach gegenseitigem Verständnis drehten wir im Rundfunk einfach die Schallplatte der „Moldau“ auf. Wir empfanden diese Musik wie die übernationale „Bundeshymne“ unserer Hausgemeinschaft !