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Anton Pelinka, "Zeit-online", 3.12.2009

Kanzler-Bilanz - Nicht einmal eine Tragödie

Seit einem Jahr ist Kanzler Werner Faymann im Amt. Ihm gelang das Kunststück, bislang keine Spuren zu hinterlassen.

Triumphe sehen anders aus, auch Tragödien. Bundeskanzler Werner Faymann begeht den ersten Jahrestag seiner Regierung – und dieses Thema vermag kaum einen Einfall zu beflügeln. Ja, es stimmt, die Koalition hat ihre Negativagenda erfüllt.: Sie beging nicht die Fehler, die ihre Vorgängerin zerstörte. »Gestritten« wird nicht mehr. Doch dadurch würden zumindest jene Ecken und Kanten erkenntlich werden, die erst einer Regierungsarbeit Profil verleihen. So aber ist dem Kabinett Faymann jegliche Kontur abhandengekommen.

Vor einem Jahr hätte die Chance bestanden, eine neue Epoche einzuläuten. Alle wissen, dass Bildung das wahrscheinlich entscheidende Politikfeld der Zukunft ist. Alle sehen, wie sehr die österreichische Bildungslandschaft hinter dem Potenzial des Landes zurückbleibt. Doch die neue Koalition schreibt nur die alte Blockade fort. Die ÖVP verhindert ein Schulsystem, das europäischen Standards entspricht. Und der SPÖ fällt zu den Problemen der Universitäten weiterhin kein konstruktiver Gedanke ein.

Migration findet statt. Die Grenzen zwischen Asylsuche, legaler und illegaler Zuwanderung verschwimmen. Wer, wenn nicht eine Koalition der beiden noch immer größten Parteien, sollte eine rationale Migrationspolitik formulieren und umsetzen können? Dazu zählt auch, dass im Europa des Binnenmarktes und des Schengen-Vertrages solch eine Politik nur europäisch abgestimmt vorstellbar ist. Doch das verhindern ebendiese Regierungsparteien, deren Vertreter im Europäischen Parlament demonstrativ gegen eine europäisierte Migrationspolitik stimmten.

Diese Koalition hätte Zeit. Zum ersten Mal erstreckt sich die Legislaturperiode über fünf Jahre. Das sollte eigentlich eine Politik ermöglichen, die nicht immer nur ängstlich auf die gerade aktuellen Umfrageergebnisse schielt. Leadership? Ethik und Ästhetik einer Politik des großen Wurfes? Mut zur Unpopularität? Noch nie war eine Regierung weiter davon entfernt als diese Regierung des »Genug gestritten«.

Da war einmal der Kanzlerbonus. Seit dem Vorjahr ist dieser ersetzt – durch den Vizekanzlerbonus. Josef Pröll, als Parteichef der ÖVP ähnlich ein Novize wie Faymann in der SPÖ, übertrumpft den Kanzler in allen nur denkbaren Kategorien. Seit einiger Zeit sogar dort, wo Faymann meinte, seinen entscheidenden Heimvorteil zu besitzen – in den Spalten der Kronen Zeitung .

Der Kanzler und SPÖ-Vorsitzende hat bisher nichts getan, um die für jedermann sichtbaren Defizite seines Erscheinungsbildes zu korrigieren. Wo sind die auch international geführten Debatten über die Zukunft der Sozialdemokratie? Wo findet ein Diskurs darüber statt, wie diese Traditionspartei in Europa ebenso wie in Österreich wieder aus ihrer Talsohle herauskommen könnte? Faymann gilt diesbezüglich als beratungsresistent. Das war auch Alfred Gusenbauer. Dieser war offenbar der Meinung, er selbst wüsste ohnehin schon alles und vor allem besser. Bei seinem Nachfolger hingegen scheint die Unsicherheit zu dominieren; in seiner ganzen Schüchternheit ist er der erste Parteivorsitzende der SPÖ, von dem keine Wortmeldung zu Grundsatzfragen der Sozialdemokratie bekannt ist. Und das in jener politischen Bewegung, die Männer wie Victor Adler und Bruno Kreisky hervorbrachte.

Wenn er es sich schon selbst nicht zutraut, könnte Faymann zumindest denken lassen. Niemand rechnet mit einem großen intellektuellen Wurf von ihm persönlich. Zu erwarten wäre aber, dass er die Notwendigkeit dazu erkennt und, um nur eine Möglichkeit zu nennen, zu einer großen, prominent besetzten Konferenz einlädt, bei der er in einer gut geschriebenen Eröffnungsrede die Sensibilität des SPÖ-Vorsitzenden für die großen Herausforderungen unter Beweis stellt. Das alles ließe sich sogar blendend medial vermarkten.

Kanzler Faymann kann gelegentlich auch Stärke demonstrieren – wie etwa als er verhinderte, dass Wilhelm Molterer als österreichischer EU-Kommissar nach Brüssel ziehen darf. Das sind schale Siege. Das Amt des Regierungschefs wird er allerdings nur dann ausfüllen können, wenn er Wahlerfolge mit politischer Originalität zu verbinden weiß. Dann, und nur dann, kann es ihm gelingen, zumindest gegenüber der eigenen Fraktion Autorität auszustrahlen. Wahlerfolge blieben bislang jedoch aus. Und Originalität?

Faymann weiß, dass die größte Gefahr immer aus den eigenen Reihen droht. Vorläufig schützt ihn lediglich der Mangel an innerparteilichen Alternativen gegen potenzielle Rebellionen in manchen Ländern, etwa der Steiermark oder Oberösterreich. Die SPÖ kann sich einfach noch nicht erlauben, ihren derzeitigen Vorsitzenden neuerlich so zu behandeln wie dessen Vorgänger. Allerdings, dieser Schutzmechanismus wirkt nur kurzfristig.

Schwer vorstellbar, dass sich Werner Faymann einfach damit abfinden mag, dass innerhalb der Koalition ein Vizekanzlerbonus aufgebaut wurde und dass seine Partei immer mehr Kernwähler an die Freiheitlichen verliert, ohne gleichzeitig rot-grüne Wechselwähler zu gewinnen. Oder doch? Irgendwie wirkt der Kanzler noch immer wie ein altgedienter Wiener Juso-Funktionär, der plötzlich erfahren muss, dass die große, weite Welt ganz anders funktioniert als die beschauliche Binnenpolitik, die er aus seinem roten Biotop gewohnt ist.