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Wolfgang Slapansky (Guidetext)

„Weberhaus“ Quellenstraße 156

Wir sind auf einem kleinen Platz, der keinen Namen hat. Dort, wo heute die Straßenbahnen der Linien 1 und 6 zwischen zwei Feuermauern, einer grauen und einer mit einem Graffiti völlig bemalten, in den Untergrund verschwinden beziehungsweise aus diesem auftauchen, stand bis in die 1950er Jahre ein vierstöckiges Wohnhausensemble mit vier Häusern, allesamt Weberhäuser, mit einer geschlossenen und in sich stimmigen Architektur. Heute ist das Ensemble sozusagen ein Torso, in zwei Teile gerissen. Am Vorplatz ist eine kleine Wiese, ein schmuckloser Autoparkplatz und ein kleines Gebäude der Wien-Energie, ein Kebabstand ist der Nachfolger eines Würstelstands und möglicherweise ein Rest des früheren Marktes, der sich hier befand. Und an der Ecke der Hauses Knöllgasse 1 war ein altes, traditionelles Gasthaus, das mit der Sanierung des Hauses verschwand.

Wir sind an einem Ort, an dem fast idealtypisch die Nachkriegsaufbruchstimmung in der Stadtentwicklung nachvollziehbar wird. Denn hier ist im Namen des modernen Wiens in den 1950er und 60er Jahren ein beispielloser Umbau durchgezogen worden. Das neue Verkehrskonzept der Stadt hat damals praktisch alles dem Auto untergeordnet. Viele Straßen wurden verbreitert, begradigt, dem zunehmenden Autoverkehr angepasst. Etwa die Triester Straße und der Gürtel. Am Matzleinsdorfer Platz wurde die Fahrbahn am Gürtel in einen Tunnel verlegt. Und 1969 schließlich kam auch die Straßenbahn unter die Erde. Um diese städtebauliche Anstrengung vollziehen zu können, musste aus dem Ensemble Quellestraße 154 bis 160 quasi ein Teil herausgeschnitten werden, um Platz für die Tunneleinfahrt der Straßenbahn zu schaffen. So ist das Haus Quellenstraße 158 von der Gemeinde Wien gekauft und abgerissen worden. Die restlichen Häuser blieben erhalten.

Was heute als ein unstrukturierter Platz in der urbanen Landschaft wirkt, das war früher ein Zentrum an der rasch wachsenden Peripherie. Verbunden mit einem Namen: Leopold Weber, den Vater vom bereits erwähnten Fuhrwerksunternehmer Karl Weber. Hier, an der Quellenstraße und Knöllgasse, ließ Leopold Weber ab 1870 die ersten Gebäude auf den später so genannten "Webergründen" errichten, von denen das Haus Buchengasse 170 heute noch existiert. In den folgenden Jahren weitete er seinen Besitz in mehreren Etappen konsequent zu einem bedeutenden Großunternehmen aus.

Leopold Weber, der Gründer des Fuhrwerksunternehmens, stammte aus einer Milchmeierfamilie. Diese besaß mehrere Kühe, die am Wienerberg ihre Weideflächen und Stallungen hatten. Die Milch wurde an private Abnehmer, Milchgeschäfte, Greißlereien und Kaffeehäuser geliefert. Dazu brauchte man schon Pferdefuhrwerke. Im Zuge des enormen Baubooms in Wien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sah Leopold Weber eine neue Einnahmequelle, die weit mehr Profit versprach als die Milchproduktion. Das war das Transportgewerbe. Erfahrung mit Pferdefuhrwerken hatte man ja schon, und so "sattelte" die Familie Weber von der Milchmeierei auf das Fuhrwerksunternehmen um. Auf ein Gewerbe, das durch den Bauboom in Wien ein enormes Wachstum erwarten durfte. Ziegel und allerlei andere Baumaterialien wie Holz mussten ja transportiert werden. Damit hatte die Familie Weber viel Geld gemacht. Und das wurde in Immobilien investiert. Leopold Webers Sohn Karl hat, wie gesagt, das Fuhrwerksunternehmen und das Geschäft mit den Zinshäusern weiter ausgebaut. Das zeigen die heute noch stehenden Wohnhäuser an der Quellenstraße. Zinshäuser entstanden hier. Also viel Wohnraum.

Auch für die – früher sehr karge - Freizeit war gesorgt. Im Weberhaus Quellenstraße 156 ist 1914 das erste Kino im Viertel eröffnet worden, das Quellenkino, auch Weberkino genannt. Darauf verweist die „Orte erzählen“-Tafel in der Quellenstraße 156. 1967 ist das Kino zugesperrt worden. Seit 1975 ist hier eine Freikirche daheim. Im Hof des Weberhauses Quellenstraße 154 befand sich von 1922 bis 1936 die Notkirche Königin des Friedens. Als Treffpunkt diente Jahrzehnte lang das Gasthaus an der Ecke Quellenstraße/Knöllgasse, wo auch die Aufträge für Fuhren vergeben wurden und betriebsinterne Besprechungen stattgefunden haben. Daneben gab es hier für die Beschäftigten günstiges Essen.

Auf dem Platz am westlichen Ende der Quellenstraße war ein kleiner Markt mit einer legendären Fischhalle. Östlich der Weberhäuser zwischen Friedhofsmauer und Quellenstraße war ein Spiel- und Eislaufplatz. Also gab es hier alle nötigen Bausteine für ein kleines geschlossenes Dorf in der Großstadt: einen Markt, eine Kirche, Wirtshäuser, ein Kino, Arbeitsplätze, Spielplätze, Wohnungen. Hier war also die Keimzelle dessen, was sich heute bis hinauf auf den Wienerberg als Triesterviertel ausbreitet, wo vor mehr als einhundert Jahren die rege Bautätigkeit dieses Stadtviertels von Favoriten begonnen hat.