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Texte aus dem Buch (Hsg. Ulrich Beck, Verlag Suhrkamp, 2000)

Ein kritischer Vergleich zwischen der NeueArbeit von FrithjofBergmann und der "Bürgerarbeit" von Ulrich Beck ist hier zu lesen.

Ulrich Beck: Wohin führt der Weg, der mit dem Ende der Vollbeschäftigung beginnt?
Ulrich Beck lehrt Soziologie an der Universität München und an der London School of Economics.

....IV: Schöpferischer Ungehorsam: Die Idee der Bürgerarbeit (S.46/47)

.....Ziel...ist es, einerseits "Arbeit" außerhalb von Staat und Markt im nicht gewinn-, sondern gemeinwohlorientierten Freiwilligen-Sektor in eine neue Rolle zu gießen. Andererseits ist Bürgerarbeit Nicht-Arbeit und damit ein Schritt zur Anerkennung derselben, nämlich gemeinsames politisches Handeln. Bürgerarbeit als gemeinschaftsstiftendes Handeln ist eine Zwitterform, die es einer Gesellschaft, die in den letzten 2000 Jahren Arbeit zum anthropologischen Wesensmerkmal des Menschseins überhöht hat, erlaubt, einen ersten selbstbewussten Schritt aus dem Wertimperialismus der Erwerbsarbeit in eine neue Art von Selbstverantwortlichkeit zu tun.

....In der Bürgerarbeit kooperiert, wer sonst kaum zusammenarbeitet: verschiedene Berufsgruppen, Einkommensgruppen, Junge und Alte usw. Also nicht nur Arbeitslose, sondern vor allem Berufstätige, die einmal etwas anderes tun wollen, oder junge Alte, die endgültig das tun können, was sie immer schon tun wollten. (FE: Frithjof Bergmann würde sagen: "Was sie WIRKLICH-WIRKLICH-WOLLEN", aus: "Neue Arbeit, Neue Kultur") Davon hängen sogar das Ansehen und die Attraktivität der Bürgerarbeit wesentlich ab. Auf diese Weise kann Bürgerarbeit neben Erwerbsarbeit - ergänzend, nicht ersetzend - zum zweiten Zentrum sozialer Inklusion und gesellschaftlicher Erneuerung werden....

....IV: Ausblick (S.65)

....Die Frage dieses Buches lautet: Wie wird Demokratie jenseits der Erwerbsgesellschaft möglich? Die Teilantwort...lässt sich so zusammenfassen: indem politisch an einer Gesellschaft gebaut wird, die den Arbeitsmangel in Zeit-Wohlstand und selbst zu gestaltende politische Freiräume verwandelt. Eine Politik, die mit bezahlter Bürgerarbeit das Selbstbestimmungsrecht der Individuen materiell fundiert, ist gerichtet gegen das, was diese Kultur der Freiheit bedroht: zum einen das alles durchdringende, allmächtige Marktsystem, zum anderen ein Kommunitarismus, der die alten Gemeinschaftswerte in Homogenität und Kollektivität wiederzubeleben sucht. So kann im Aufbruch, im Suchen, im Konflikt "Gesellschaft" jenseits des Arbeitsimperativs politisch belebt, ja neu begründet werden. Unverzichtbar dafür ist, dass der Tätigkeits-Pluralismus - Erwerbsarbeit, Selbstarbeit und Bürger-(Nicht-)Arbeit- nicht nur erkannt und anerkannt wird. Vielmehr müssen auch in der Gestalt eines neuen gesellschaftlichen "Aktivitäts-Vertrages" die notwendigen Basissicherheiten geschaffen werden, damit die Menschen zwischen diesen Tätigkeitsfeldern wählen und wechseln können.

Heiner Keupp/ Wolfgang Kraus und Florian Straus: Civic matters
Motive, Hemmnisse und Fördermöglichkeiten bürgerschaftlichen Engagements

Heiner Keupp ist Professor für Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum - Wolfgang Kraus ist Diplompsychologe und Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich "Reflexive Modernisierung" der Universität München - Florian Strauss ist Diplomsoziologe und Geschäftsführer des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung in München.

....I. Eine andere Perspektive (S.219-221)

....Einer der originellsten und einflussreichseten Managementwissenschaftler der USA ist Peter Senge. Für ihn müssen zukunftsfähige Organisationen vor allem Phantasie, Kreativität, persönliche Reflexionsfähigkeit im Sinne eines kontinuierlichen Infragestellens und Überprüfens innerer Bilder, die Gemeinschaftsfähigkeit und vor allem die Fähigkeit zu gemeinsamen Visionen fördern. Eine Gesellschaft, die auf individuelle Durchsetzungsfähigkeit und Konkurrenz setzt, hinterlässt genau in diesem Bereich verheerende Defizite.

Aber Bildungsziele sind ja nicht nur aus den Imperativen des Arbeitsmarktes abzuleiten. In ihnen sollten die Lebenskompetenzen enthalten sein, die für eine souveräne Lebensbewältigung "an der Zeit" sind. In einer individualisierten Gesellschaft, in der die Menschen ihre Biographien immer weniger in den gesicherten Identitätsgehäusen der Berufsarbeit einrichten können und in der ihr Lebenssinn zur Eigenleistung wird, sind vermehrt Fähigkeiten zur Selbstorganisation in den sozialen Mikrowelten gefordert. Fertige soziale Schnittmuster für die alltägliche Lebensführung verlieren ihren Gebrauchswert. Sowohl die individuelle Identitätsarbeit als auch die Herstellung von gemeinschaftlich tragfähigen Lebensmodellen unter Menschen, die in ihrer Lebenswelt aufeinander angewiesen sind, erfordern ein eigenständiges Verknüpfen von Fragmenten. Bewährte kulturelle Modelle gibt es dafür immer weniger. Die roten Fäden für die Stimmigkeit unserer inneren Welten spinnen wird ebenso zur Eigenleistung der Subjekte wie die Herstellung lebbarer Alltagswelten. Jugendliche und junge Erwachsene brauchen die dazu erforderlichen Lebenskompetenzen in einem viel höhreren Maße als die Generation vor ihnen. Sie müssen in der Lage sein, ein Berufsleben ohne Zukunftsgarantien zu bewältigen, ihren individuellen Lebenssinn ohne die Vorgabe von Meta-Erzählungen zu entwickeln und eine Komplexität von Weltverhältnissen auszuhalten, die nur noch in Sekten auf ein einfaches Maß reduziert werden kann. Gefordert ist eine Perspektive der "Selbstvorsorge", wie Michel Foucault es genannt hat, oder eine "Politik der Lebensführung" - so Anthony Giddens.

Bürgerschaftliches Engagement wird aus dieser Quelle der vernünftigen Selbstvorsorge gespeist. Menschen suchen in diesem Engagement Lebenssinn, Lebensqualität und Lebensfreude, und sie handeln aus einem Bewusstsein heraus, dass keine, aber auch wirklich keine externe Autorität das Recht für sich beanspruchen kann, die für das Subjekt stimmigen und befriedigenden Konzepte des richtigen und guten Lebens vorzugeben. Zugleich ist gelingende Selbstsorge von dem Bewusstsein durchdrungen, dass autonome Lebensprojekte soziale Anerkennung und Ermutigung brauchen. Sie steht also nicht im Widerspruch zu sozialer Empfindsamkei, sondern beide setzen sich wechselseitig voraus. Und schließlich heißt eine "Politik der Lebensführung" auch: Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass meine Vorstellungen vom guten Leben im Delegationsverfahren zu verwirklichen sind. Ich muss mich einmischen. Eine solche Perspektive der Selbstsorge ist deshalb mit keiner Version "vormundschaftlicher" Politik und Verwaltung vereinbar.

Was haben alle diese idealistisch anmutenden Ideen mit dem Konzept der "Bürgerarbeit" zu tun? Sie versuchen, es zunächst einmal aus einer fragwürdigen Rahmung durch neoliberale Ordnungspolitik herauszulösen und mit einer sozialpsychologisch gestützten zivilgesellschaftlichen Perspektive zu verknüpfen. Ins Zentrum rückt dann nicht das instrumentelle Interesse an einer möglichst kostengünstigen und kosmetisch geschickten Bereinigung des bürgerschaftlichen Engagements. Dieses bildet den Gärteig einer zukunftsfähigen Demokratie. Es entsteht nicht aus einem moralischen Kraftakt, der den hedonistisch gesonnenen Subjekten als Verzicht abverlangt werden muss. Im Gegenteil wird aus einer Lebenspolitik der Selbstsorge erzeugt: Es ist nicht anstößig, sondern legitim und wertvoll, gemeinschaftsförderliche Projekte aus eigenen Wünschen und Interessen heraus zu beginnen und voranzutreiben. Selbsthilfegruppen und die meisten Projekte bürgerschaftlichen Engagements gewinnen ihre Stärke und Vitalität genau aus einem solchen motivationalen Wurzelgeflecht.

Ulrich Beck: Die Seele der Demokratie: Bezahlte Bürgerarbeit

.....VI. Ausblick: Verwirklichungschancen (S.446/447)

Hat das so verstandene und in seinem Anspruch begrenzte Modell Bürgerarbeit Chancen, politisch umgesetzt zu werden? Die Verwirklichungschancen der Bürgerarbeit liegen in folgendem: Es handelt sich um einen Vorschlag, der das Wohlfahrtssystem erneuert und die Bürgergesellschaft revitalisiert, ohne dass zusätzliche Kosten entstehen; in der Vertrauenskrise der Institutionen, der auf diese Weise entgegengewirkt werden kann; zugleich wird der neuen Bedeutung von Individuen als Träger gesellschaftlicher Verantwortung Rechnung getragen, werden die chronisch überlasteten öffentlichen Haushalte entlastet, die erhärtete Kritik an dem "entmündigenden" Wohlfahrtsstaat umgesetzt sowie Aufgaben von der zentralen, nationalen auf die kommunale, dezentrale Ebene verlagert.

Nicht zuletzt liegen die politischen Durchsetzungschancen der Bürgerarbeit in einem - noch latenten - Allparteien-Konsens. Alle politischen Gruppierungen suchen nach Lösungen, die die Quadratur des Kreises ermöglichen: Sozialkosten zu sparen, aber gleichzeitig soziale leistungen zu verbessern. Es liegt nahe, dass dabei überall der Blick auf den Freiwilligen-Sektor fällt. Das bürgerliche Lager gehört zu den schärfsten Kritikern der unbezahlbar gewordenen Leistungsangebote des Wohlfahrtsstaates. Gleichzeitig besinnt sich der zivilgesellschaftliche Konservatismus auf die in ihm enthaltene Tradition einer aktiven Bürgerschaft. Die Liberalen haben, wenigstens in ihrem bürgergesellschaftlichen Flügel, immer die Belebung örtlicher Bürgerinitiativen politisch in Großbuchstaben geschrieben. Dies gilt auch für die Grünen (in Deutschland und Europa). Selbst die sozialdemokratischen und Arbeiterparteien Europas, die aus vielen Gründen am nachhaltigsten das existierende Sozialsystem verteidigen, beginnen die Innovationskraft eines finanziell abgesicherten und gesellschaftlich aufgewerteten Freiwilligen-Sektors für die Lösung zukünftiger Gesellschaftsaufgaben zu entdecken. Das bedeutet: Eine große Koalition zur Durchsetzung von Bürgerarbeit lässt sich sehr wohl schmieden. Die öffentliche Debatte über Bürgerarbeit kann sogar den Konsens stiften, der sie wirklich macht.

Für erforderlich halte ich eine politische Initiative, welche die Grundidee der Bürgerarbeit vermittelt. Sie soll auch helfen, die Denk-, Moivations- und Identitätsblockaden zu überwinden, die in der Fixierung auf Erwerbsarbeit begründet liegen und bestehen bleiben, solange die Erwerbsarbeit alternativlos die Identifikation bindet. Meine Hoffnung ist, dass Bürgerarbeit, eine "vita activa" jenseits der Erwerbsarbeit für viele wünschenswert, erfahrbar, ja verführerisch wird.