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Das Dorf In Österreich


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von Gerhard Stenzel

Das Buch deckt Hintergründe der Thematik des Kirchbach-Vortrages ab, also lohnt sich die Mühe eines Exzerpts.

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Einleitung und Überblick: 3 Existenzformen des historischen Dorfs auf dem Gebiet des heutigen Österreichs:   
So begann es   
Die frühen Dörfer   
Weistumstexte, Banntaiding   
Unter neuen Herren   
Literarische Quellen   
Entwicklung neuer Oberschichten   
die Türkenkriege   
Seelenbeschreibung und Viehzählung   
Dorfwirklichkeit, Dorfomantik   
Erzherzog Johann, der Brandhofer   
Dorfgeschichten, Bauern- und Heimatromane   
Der Dammbruch   
Nicht Bauer und Herr, sondern Land und Stadt   
Das Dorf heute und morgen   
Noch lebt das Dorf   
Typologie der alten Dörfer, Fluren und Höfe   
Diskussion   

Einleitung und Überblick: 3 Existenzformen des historischen Dorfs auf dem Gebiet des heutigen Österreichs:    

  • "die frühmittelalterliche bäuerliche, selbstverwaltete Wohn- Lebens und Kulturgemeinschaft", wo selbst der Grundherr noch Teil der Dorfgenossenschaft war.
  • "das hoch-, spät und nachmittelalterliche Untertanendorf". Seine Bewohner waren gezwungen der jetzt in Herrenburgen und Schlössern residierenden Grundherrschaft Robot, Zins, Zehent und andere Abgaben zu leisten. Unter Maria Theresia und Joseph II. wurden die Dorfbewohner wie das Vieh inventarisiert und registriert.
  • Seit dem 19. Jahrhundert (1848) die "freie Ortsgemeinde", gleichgestellt mit Märkten und Städten.
einschneidende Veränderungen sind also:

  • der Verlust der Dorfautonomie im Hoch- und Spätmittelalter durch Verbreitung und Machtkonkurrenz lokaler Grundherrschaften.
  • die Auflösung des alten Bauerndorfes, seine Verbürgerlichung und staatliche Reglementierung im 18. Jahrhundert
  • der Zerfall des Nachbarschafts- und Genossenschaftsprinzips im 19. Jahrhundert.
Bauernaufstände 15. - 17. Jahrhunderts wurden im Namen "alter Rechte und Freiheiten geführt".

Nur in Tirol erhielten sich die ursprünglichen Verhältnisse...dörflich-genossenschaftliches Miteinander von Bauer und Adel, unmittelbare Beziehung der Dorfbewohner zum Landesfürsten, Sitz und Stimme im Landdtag und bäuerliche Gerichtsbarkeit.

Die Einführung des Zunftwesens in den Dörfern und die gemischte Berufsstruktur ist dem Autor zufolge eine Erscheinung die erst spät, unter Karl VI. und Maria Theresia einsetzte.

Der Absolutismus tritt nominell gegen den Wucher der Grundherren auf, beseitigt aber damit auch noch die überkommenen Reste von Dorfautonomie.

Erzherzog Johann symbolisiert eine Gegenbewegung gegen das staatlich reglementierte Elend, indem er die bäuerliche Lebensform zu restituieren sucht. Er setzt ein Zeichen und wird selbst Bauer....(hier vertiefen)

Das große Bauernlegen beginnt in Österreich nach dem Zerfall der Grundherrschaften, die sich nun in die Herrschaft des Geldes verwandeln. Es beginnt die Dissoziation in Großbauern und Kleinbauern, die Proletarisierung.

im 19. jahrhundert:

  • zunehmender Konkurrenzkampf, steigende Preise für industrielle und gewerbliche Güter
  • Verbot bäuerlich-genossenschaftlicher Vereinigungen
  • die Zahl der zwangsversteigerten Bauernhöfe und Anwesen geht in die Hundertausend
"Keine der historischen Entwicklungs-und Niedergangsformen des Dorfes erlaubt es, romantischen Vorstellungen vom Dorfleben nachzuhängen. Das Dörfliche für sich als Lebensart und Lebensform bejahen heißt auch in unserer Zeit vornehmlich und zuerst: Landarbeit ohne Anspruchs- und Freizeitdenken der städtischen Konsumgesellschaft, heißt einfaches Leben in Naturnähe und nachbarschaftlich-genossenschaftliches Miteinander innerhalb einer überschaubaren Ortsgemeinde." (Seite 8)

So begann es    

Kelten: vorherrschende Lebensform Streusiedlung, in weit über die Talböden verstreuten Einzelhöfen. Königreich Noricum.

Die von Cäsar beschriebenen "Oppida" (also unsere befestigten gallierdörfer) waren zumeist eher Fürstensitze und Handelsplätze. In Österreich gab es ein solches Oppidum z.B. auf dem Magdalensberg in Kärnten, ebenso auf dem Dürrnberg bei Hallein, später auch in der Steiermark und in Niederösterreich / Ringkogel bis Leiser Berge).

Tirol und Vorarlberg sind "rätisch", Verwandtschaft zu Etruskern. (Später enge Verbindung mit nicht assimilierten Romanen).

Eroberung durch Römer - Alpenkriege unter Augustus (nicht so bekannt, scheint mir). Die männliche Jugend der Alpenregionen wird für die Legionen rekrutiert und die Bevölkerung radikal dezimiert. Norikum wird dann schon eher "brüderlich" okkupiert. Es entstehen die römischen Talsiedlungen, die alten Höhensiedlungen verfielen. Also einerseits massive Urganisierung, andererseits systematische Anlage von "villae rusticae".

"Vita Severini" (Eugippius) 6. Jahrhundert. Zerfall der (römischen) Stadtkultur, der Mönch Severin versucht die apathischen Stadtbürger zu ermuntern, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.

Die frühen Dörfer    

Völkerwanderungszeit: nahezu ausschließlich bäuerliche Besiedlung. Germanische Neusiedler (bald als "Bajuwaren" bezeichnet) die zunächst jahrhundertelang in Holz bauen. Im Frühmittelalter werden römische Kastelle und Ruinen oft zu Dorfkernen. Missionierung von Westen aus (großer Einfluß der fränkischen Könige, Worms) beginnt erst um ca. 700. (Salzburg als Kern, vielleicht kommt das Wort Bajuwaren von Iuvavum)). Also auffällig, daß Österreich eigentlich 4-5 Jahrhunderte reines Bauernland gewesen ist. Ortsnamen die auf -ham enden bedeuten "heim", -ing ist die Verkürzung des allemannischen -ingen. Es gibt aber auch romanische Restbevölkerung, "Walchen".

Karolinger führen Awarenkriege, erobern große Teile des heutigen Niederösterreich und Burgenland. Diese "Awarenmark" wird dem Salzburger Erzbischöfen und mit ihnen verbundenen Bistümern Passau und Regensburg übergeben. Daher viele Kirchengründungen, Patronat Rupprecht oder Stephan.

Klosterzellen werden dorfbildend.

Das Wort "Nachbar" kommt von "naher Bauer".

"Das Roden von unwegsamen Gelände, die Bestellung der Fluren konnten meist nur in gemeinsamer Anstrengung und nach gegenseitigem Übereinkommen bewältigt werden. Schon das Abgrenzen der Felder, die Anlage von Wegen erforderten Übereinstimmung unter den Siedlern. Bei größeren Unternehmungen und Bedrohung von außen wurden der Zusammenschluß von Gehöftem, Hofgruppen und Weilern zu größeren Nachbarschaften und genossenschaftlichen Interessensverbänden, der Verzicht auf eigene Vorteile, auf Familien- und Sippenindividualismus, zur Überlebensfrage." (50)

Zunächst ist auch der Lehensherr des Gebietes zumeist noch "dorfgenos" und bewohnt einen Hof mitten im Dorf.

Dann entwickeln sich (in der zeit der karolingischen Kolonisation um 800) die Meierhöfe. Der "Meier" (ein sprichwörtlich weit verbreiteter Name) kommt vom "Major Domus". vom 9. bis zum 13. Jahhundert entsteht eine gewisse Dualität von Meierhöfen und Dörfern, dann werden die Meierhöfe selbst wieder Siedlungskerne.

Weitere verbreitete Namen (Hofer, Huber, Lehner, Hofstätter) haben ihren Ursprung in dieser Zeit und sie wurzeln in der sozialen und besitzmäßigen Hierarchie der Dörfer:

  • Ein Bauernhof mit 60 Joch (ca.34 ha) heißt im Alpenraum ein "Hof"
  • ein halber Hof mit 30 Joch ist in vielen Gegenden eine "Hube" oder ein "Lehen" oder auch ein "Erb".
  • ein Viertel Hof heißt in vielen Gegenden "Hofstatt"
Daneben gab es Kleinhäusler und Besitzlose - Knechte, Mägde, Tagwerker, Taglöhner.

Ganze gemeinde: gmoa. Dorfzaun: Eder

Dorf aber nicht nur als Nachbarschafts, Genossenschaft und Schutzverband, sondern auch zentrale und oft einzige Hilfs-, Lebens, Glaubens und Kulturgemeinschaft. Die Abhängigkeit von und Unabwägbarkeit der Natur macht es auch zur Überlebensfrage, in gemeinsamen Ritualen und Glaubenswelten zu leben.

Dorfleben bestimmt durch Brauchtum und Überlieferung. Magisches Denken, Versuch der Beinflussung höherer Mächte durch Symbole und Zeichen, spielt große Rolle.

Keine Trennung zwischen Arbeit und Leben: Arbeit selbst wird in den frühen Phasen durch Gesang und Musik, durch Takt und Rhythmus "verfestlicht".


Einschub Robert Kurz, Schwarzbuch, p.60, über die Rollen der Geschlechter und die Veränderungen durch die Ausbreitung der Geldökonomie. Weiters Martina Kaller, Claudia von Werlhof und andere zur Subsistenztheorie. Weitere Gedanken zum wesentlich höheren Lebensniveau im Mittelalter bei Robert Kurz.

Weistumstexte, Banntaiding    

Sammlung früher dörflicher Rechtssatzungen. drastische Strafen für Verletzung von Marksteinen, Ehebruch, Meineid und Ehrabschneidung. Positive Sanktionierung von Gewalt gegen Hausfriedensbruch. (zusammenhang zwischen Ehebruch und Hausfriedensbruch)

Taiding = Tages-Dinge, Alltagsfragen Banntaiding von Bann = Gesetz, Ehaft = gesetz von Bindungen ("Ehe") "Weistum" von "Weisung"

zumeist viermal im Jahr öffentliche Versammlungen. diese beginnen zumeist mit einer ritualisierenden Beschreibung der "seit unvordenklichen zeiten" geltenden Normen

Interessante Details: Entschuldigung für Totschlag, der als Unglück empfunden wird.

wieder was etymologisches: Frieden und Eingefriedet - Verpflichtung zur Errichtung von Zäunen. (Vergleiche die analoge Struktur "MIR" = Frieden und Mauer, im Slawischen.)

Hochgerichtsfälle werden vom landgericht abgeurteilt, "Landtaiding". "das Betreten des Dorfes durch den Landrichter war nicht gestattet" (65)

Sanktionen gegen Bauern, die nicht am Dorftaiding teilnehmen. (Einschlagen eines Pflocks als Ausgrenzungssymbol)

Zunehmend wird die bäuerliche Rechts"schöpfung" und rechts"pflege" durch einen externen bürokratischen Apparat ersetzt.

Unter neuen Herren    
das strategische Dorfsiedlungswerk der Babenberger

Im frühen Mittelalter ist Krieg "Völkerkrieg", etwa die Ungarnkriege. Berichte vom vollständigen Ausrotten von Dörfern in ganzen Landstrichen sind häufig. Insbesondere das Gebiet nördlich der Donau ist noch Urwald, "Nordwald". Die Babenberger beginnen mit dem strategischen Aufbau von Festungen, Burgen, Wehrsiedlungen. Rodung des Nordwalds im 11. bis 13.Jahrhundert.

Hier ist die eigentliche Geburtsstunde der Angerdörfer zu sehen, Erscheinungsform für gelenkte und kollektive Ansiedlung.

Klosterstiftungen unterstützen diese Vorhaben strategisch; es breiten sich alte und neue Orden aus.

  • Zisterzienser in Heiligenkreuz, Lilienfeld und Zwettl(NÖ), Klostermarienberg (BglD?), Baumgartenberg (OÖ), Rhein und Wilhering (Stmk)
  • Prämonstratenser in Geras und Pernegg sowie in Schlägl
  • Augustiner Chorherren in Klosterneuburg, herzogenburg, Reichersberg, Waldhausen, Vorau
Dörfer werden befestigt, Wehrdörfer etc. ; die geschlossene Anlage der Strassendörfer erleichtert die Verteidigung mit Gräben etc.

Zur selben Zeit wird auch in anderen Teilen Österreichs intensive Landnahme betrieben.

Um die Mitte des 12. Jahrhunderts entwickeln sich allmählich zentrale Orte, Märkte und Städte.

"Als Anfang des 13. Jahrhunderts die extensive Kolonialiiserung im Land unterhalb der Enns abgeschlossen war, hatte sich die einst gottverlassene, weithin verwüstete Awarenmark in eines der am dichtesten besiedelten Gebiete des damaligen Reiches entwickelt" (69)

Im Land oberhalb der Enns setzten die Städtegründungen nach 1192 ein, als neben der Steiermark auch das östliche Mühlviertel an die Babenberger fiel. Oststeiermark "im 12. jahhundert in großen Rodungsblöcken an gesitige und weltliche Grundherren vergeben",Kärnten, Salzburg, Tirol, Vorarlberg etc.siehe P.71

Literarische Quellen    

Geschichten von Neidhart von Reuenthal über die Bauern des 13. Jahrhunderts berichten von Dorfleben und Sippenfehden auf dem Tullnerfeld.

 Ritter wollten sie sein, ihm gleichen, Irenwart und Ruge
 die von rechtens gehen sollten übers Feld, hintern Pfluge
 konnt nan jüngst zu Wien
 Waffen, Rüstung kaufen sehn

Wernher der Gaerteneaere berichtet in einem Kleinen Epos über Meier Helmbrecht. Auch hier strebt ein Bauernsohn nach Ritterromantik, endet gar fürchterlich als Objekt der Landsgerichtsbarkeit und der Rache der kleinen Leute.

Entwicklung neuer Oberschichten    

"Freie Bauern waren im hochmitelalterlichen Österreich eine Ausnahme.In Urkunden kommt das Wort "paur" selten vor, in ihnen ist nur von Holden, Grundholden, Hintersassen und bäuerlichen Untertanen die Rede. Der Holde hate seinem Grundherrn gehuldigt, ihm den Treueeid geleistet..." (84)

Mit der Zunahme der selbständig wirtschaftenden Bauern auf seinem Herschaftsbesitz sah sich der Grundherr bald jeder Eigenleistung enthoben. Aus dem ehemaligen Selbstversorger war ein Rentenempfänger geworden.

-> das ist der Grund warum die Adligen ihre Meierhöfe in den Altsiedlungsgebieten auflösen und in kleinbäuerliche Zinsgüter verwandeln. Mannigfache Pflichten:

  • Produktion zum billigsten Preis überlassen (Anfeilrecht)
  • Zehent, Spandienst, Handrobot
  • Abgaben aller Art, wie Anfahrtsgeld, Abfahrtsgeld, Rauchzins, Hausgulden
  • Feste müssen natürlich in der Schloß- oder Burgtaverne gefeiert werden
  • Beim Tod des Bauern droht der "Heimfall" an den Grundherrn, dafür entschädigt das "Besthaupt", das beste Stück Vieh
  • Kriegsdienst (selber stellen oder bezahlen)
  • Kriegssteuern, Türkensteuer
Es entwickelt sich eine von Mißtrauen und Ablehnung gekennzeichnete Untertanenmentalität.

In den neuen Rodungsgebieten sind die Bauern relativ unabhängiger und werden auch eher wohlhabend.

Freie Bauern gibt es im eigentlichen Sinn nur noch in Tirol. Sie fungierten Sogar als Richter und Abgeordnete im Landtag.

die Türkenkriege    

bringen das entfremdete Verhältnis von Bauern und Herschaft besonders zum Ausdruck; die Grundherrn sind zumeist zu ener systematischen verteidigung unfähig und verschanzen sich in ihren Burgen. Folge sind Bauernbünde, die selbstorganisierte Verteidigungsanstrengungen machen wie der tragische "Obrist" Peter Wunderlich in Villach, der 1478 3000 Bauern zum Schwur auf seinen Bund zusammenbringt.In nur einer Generationbreitet sich dieses Selbstbewußtsein aus: Wachau, gasteinertal (Florian Geyer), Tirol (Michael Gaismaier - letzterer forderte die Schleifung der Städte!), Steiermark (Michael Gruber), Salzburg. Setzt sich fort in Niederösterreich, 1596-1597, mit bis zu 30.000 beteilgten Bauern. Eine Generation später in Oberösterreich (Stefan Fadinger,1626)

"Ihrem Wesen nach waren die spätmittelalterlichen Bauernaufstände Proteste des ländlichen, in und mit der Natur lebenden Menschen genenen den hinter Wehr- und Burgmauern verschanzten, in Schlössern und Städten von jeder Natur abgeschlossenen absolutistisch - aufklärerischen Nutznießer des Landes und seiner Bauern; Proteste gegen die Entpersönlichung des Menschen durch den sich abzeichnenden modernen Staat; Proteste im Namen der freilich durchwegs mißverstandenen und umgedeuteten lutherischen "Freiheit eines Christenmenschen".

Seelenbeschreibung und Viehzählung    

1683 Sieg über die Türken, bringt auch im Verältnis Stadt und Land eine Wende. Es beginnt der explizite ideologische Kampf zwischen Merkantilisten und Physiokraten, 1754 ordnet Kaiserin Maria Theresia die ersten umfassenden Untersuchungen zur Landwirtschaft an, 1768 werden Bauernschutzgesetze erlassen.

Die Untersuchungen werden vor allem 1770 durchgeführt und geben ein umfassendes Bild vom Landleben, das allerdings sehr düster gemalt ist. Der lebensstandard, die Hygiene, der Gesundheitszustand der Landbevölkerung geben zu sorgen Anlaß - zur Sorge, ob mit solchen Untertanen überhaupt Staat zu machen geht.

Josef II. hebt die patrimoniale Gerichtsbarkeit weitgehend auf und übergibt die Verwaltung an Beamtenapparate. Die Leibeigenschaft wird dem Namen nach aufgehoben.

Dorfwirklichkeit, Dorfomantik    

Ab Beginn des 19. Jahrhunderts setzt das Interesse am Landleben durch die Städter ein. An der Jahrhundertwende erscheinen Bücher wie "Fußreisen nach dem Schneeberg" von Franz Xaver Embel oder "Ausflüge nach dem Schneeberg in Unterösterreich" von Joseph August Schulte. Beide Bücher äußern sich ebenfalls sehr negativ über den hygienischen, technischen und kulturellen Stand der Dörfer. Schon damals sind sie durch die hohe Zahl der Nebenerwerbsbauern überrascht, es ist für die Bauern üblich geworden, als Fuhrleute und Marketender in eigener Sache Holz und Kohle zu verkaufen. Die Ausbeute der Wälder rund um die wachsenden Industrien wird für die Bauern attraktiver als die Feldarbeit, was die Autoren auch zu frühen ökologischen reflexionen über die Zukunft bringt.

Der K.K. Hofschauspieler Anton Reim zeichnet 1820 ein komplett verschiedenes Bild als "Wanderer im Waldviertel", in einer Gegend die damals fernab der Industrie lag und einen signifikant höheren Lebensstandard hatte. (unglaublich, aber hier bestätigen sich auch die Aussagen der Quellen die Robert Kurz anführt nochmal).

Aber auch diese Gegend bleibt nicht verschont von den Auswirkungen von Industrie und Akkumulation. Robert Hamerling beschreibt 1867 das Leben der Weber in Kirchberg am Walde und dabei sind Parallelen zu anderem frühindustriellen Elendsschilderungen keineswegs zufällig.

(Mir wird hier besonders klar wieso die Subsistenztheoretikerinnen zu ihren falschen Verallgemeinerungen kommen konnten)

Erzherzog Johann, der Brandhofer    

Prinz Johann Baptist von Habsburg, der Sohn von Kaiser Leopold II., hatte sich schon als Jugendlicher im Schönbrunner Park ein Tirolerhaus errichten lassen. Seine Erzieher und seine Leidenschaften wiesen in dieselbe Richtung, und die napoleonischen Kriege steigerten seine Bewunderung für das Bergvolk der Tiroler. Darüber kommt es sogar zum offenen Bruderzwist im Haus Habsburg, Kaiser Franz läßt ihn unter Hausarrest stellen.

Zunächst in Schloß Thernberg im südlichen Niederösterreich und dann in Graz entfaltet er eine ungeheure Aktivität zur Förderung des ländlichen Raumes.

Seine Haltung wird noch bestätigt durch eine Studienreise 1815/16 nach England, wo er in sieben Monaten das technologisch und ökonomisch fortschrittlichste Land der Welt bereist. Er ist schockiert "von der Ansammlung der Menschen, die keinen eigenen Herd, kein Vaterland haben, denen ihr täglicher Gelderwerb..und jedes Mittel ihn zu mehren..alles ist". Er sieht voraus daß das Industriesystem eine Überbevölkerung an Paupers produziert, und wird in seiner Überzeugung bekräftigt, daß es nur ein Gegenmittel gibt: eine Stärkung des Dorfes und des Bauerntums.

Mit 36 Jahren entschließt er sich, selber Bauer zu werden, kauft den zur Versteigerung ausgeschriebenen Brandhof am Seebergsattel zwischen Mariazell und Aflenz und will in dieser Ungunstlage über 100m Seehöhe ein landwirtschaftliches Mustergut führen. Er heiratet eine Tochter des Auseer Postmeisters - was nur durch kaiserliche Ausnahmegenehmigung möglich wird.

1848 wurde er Reichsverweser. Diese Geschichte gehört woanders hin, mir war das vollkommen neu! Nach 1848 wird er Bürgermeister von Stainz.

http://de.wikipedia.org/wiki/Erzherzog_Johann

Dorfgeschichten, Bauern- und Heimatromane    

So sind Land und Dorf "hoffähig" geworden. Der Trendsetter sind die "Dorfgeschichten" von Bertold Auerbach, dessen Stil von August Karl Silberstein in Österreich kopiert wurde. Eine "Sintflut" an Landliteratur kennzeichnet die Zeit um und nach 1848.

Der Dammbruch    

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wird das Bauernland Österreich ein Industrieland. zwischen 1849 und 1914 verfünffacht sich die Einwohnerzahl von Wien, wächst von 431.000 auf 2.239.000! Auch Graz verdreifacht seine Einwohnerzahl.

Ein wichtiger Auslöser war die von Hans Kudlich, einem schlesischen Bauernsohn im Recihstag durchgesetzte Bauernbefreiung in den fünfziger Jahren. Diese war janusköpfig in den Auswirkungen, denn um zu Eigentümer "ihrer" Höfe zu werden, mußten die Bauern den Grundeigentümern Entschädigungen zahlen.

Während viele Großbauern dadurch (und durch die staatliche Unterstützung von 50% beim Freikauf) ihre Lage wesentlich verbessern konnten, kehren endgültig Standes- und Klassenschranken ins Dorf ein, zerfallen die alten Genossenschaften.

Verschuldung, Auflösung von Solidargemeinschaften,sind die Folge - siehe Einleitung. Grundaufkäufer sind unterwegs und bieten scheinbar stattliche Summen. 276.000 Menschen wandern alleine nach Amerika aus. Der Traum des Erzherzog Johann ist ausgeträumt.

Nicht Bauer und Herr, sondern Land und Stadt    

Peter Rossegger ist der Chronist des sterbenden Dorfes. symptomatisch seine Erzählung "Jakob der Letzte". Er zeigt daß das, was da im Rückzug begriffen ist,aber eben immer noch existiert, jahrhundertealte Wurzeln und eine tiefe Kultur hat.

Interessante Geschichte von der dörflichen Armenversorgung: die "Einleg", wo sich ein Armer jeweils für eine Woche auf einem Hof aufhalten darf und verköstigt wird.

Das Dorf heute und morgen    

"Das alte Dorf ist tot"

Gemeindezusammenlegungen der sechziger Jahre

"Während sich in Westösterreich die Stellung der einstigen Dörfer innerhalb der Katastralgemeinden kaum änderte, bilden in den Donauländern, in Kärnten und in der Steiermark jetzt meist ehemalige Dörfer eine Ortsgemeinde."

Der Verschmelzungsprozeß des polymorph "urbanen" und der ländlichen Regionen schreitet dadurch umso stärker fort.

"Auch Fachleuten bereitet es Schwierigkeiten, eine verbindliche Definition für das Dorf von heute zu finden. Dörfer, heißt es in einschlägigen Publikationen unter anderem, sind Siedlungen mit bäuerlichem Charakter, die nicht im Sog einer Großstadt liegen und weniger als 5000, - "etwa 2000" - Bewohner zählen. Siedlungen, in denen die Landwirtschaft eine gewisse Bedeutung habe...die sich grundsätzlich von städtischer Siedlungsform unterscheiden...dem tatsächlichen Zustand kommt wohl die Feststellung am nächsten, daß es sich um "Übergangsstadien" vom herkömmlichen Dorf zu anderen, noch schwer erkennbaren Formen handle."

Herkömmliches Dorf:

  • Landwirtschaft traditionell, von Familien, mit Hilfe von Nachbarschaften und Genossenschaften geleistet.
  • In denen Lebensgrundlagen der Bevölkerung durch ein Minimum an gemeinnützigen Einrichtungen erhalten werden.
  • In dem Gehöfte und Häuser nach Traditionsmustern zweckmäßig angelegt wurden.
Der Niedergang dieser Lebensform ist ein jahrhunderte dauernder Prozeß.

Doch in keiner Zeit war der Wandel so spektakulär wie in den letzten Jahrzehnten, in der Industrialisierung, Vollmechanisierung, Beton und Chemie die Landschaft tiefgehend verändern:"Anstelle der historischen Flurformen dehnten sich um die Dörfer jetzt riesige, von allen Unebenheiten befreite Ackerflächen. Flüßchen und Bäche waren kanalisiert und verrohrt. Mit der Umstellung auf Monokultur schien der Gipfel des Fortschritts erreicht...."

Wieder kommt es in den landwirtschaftlich nicht so "begünstigten" Gegenden zur Dominanz der Nebenerwerbslandwirtschaft. Oder die schleichende Aufgabe.....Der Sohn eines Landarbeiters wird Bauarbeiter und baut sich ein Haus.

"Nachbarn der wenigen im Dorf verbliebenen Vollbauern sind nicht mehr "NAh-Bauern", sndern Arbeits- und Dienstnehmer, Angestellte und Beamte,Rentner und Pensionisten und urlaubende Städter."

"Längst haben die letzten Handwerker und Gewerbetreibenden das Dorf verlassen, nach dem Schmiedemeister die Sattler und Wagner, dann Schlosser, Schneider und Schuster, der Fleischhauer und der Bäcker, seit einigen Jahren der Kaufmann und zuletzt auch der Kirchenwirt".

      • Hier ist ein Querverweis fällig auf die gute Studie von Christa Müller "Von der lokalen Ökonomie zum globalisierten Dorf"
      • Klappentext von Campus: Wie aber wurden aus eigenständigen Produzenten konsumierende Lohnabhängige? Wieso ließen die Bauern für das Versprechen eines leichteren und modernen Lebens die solidarische Gemeinschaft des Dorfes hinter sich? Am Beispiel der westfälischen Kleinstadt Borgenteich geht Christa Müller diesen Fragen nach. In ihrer spannenden Analyse führt sie die häufig destruktiven Effekte der Globalisierung vor Augen und gibt zugleich neue Impulse für eine soziale und ökologische Regionalentwicklung.
      • Hier ist besonders interessant die Nachzeichnung der schleichenden Ausdünnung der Berufsstruktur
ZWeithausneubauten bei gleichzeitiger Verödung der Dorfkerne und dem Verfall von Bauernhäusern. Siehe Fehringer, "ein jeder baut die Welt der anderen mit".

In den Alpenländern verstädtern die Altdörfer, gibt es oft "Neudörfer". "Der westöstereichische Dorfbewohner ist größtenteils ein vom Fremdenverkehr abhängiger Zimmer- und Hausvermieter, Pensions-, Restaurants-, Gasthof- oder Hotelbesitzer, Lift- oder Schischulinhaber, Sportlehrer oder Dienstleister".

"Problemfall" ländlicher Raum statt Dorf.

Noch lebt das Dorf    

"Die Erhaltung von Bauernhöfen, Ortsbild- und Brauchtumspflege fördern Dorfbewußtsein und Dorfgesinnung, das Problem einer zukünftigen Lebensform Dorf lösen sie nicht"

ein paar klassische forerunners

1. Hinweis auf den gebürtigen Salzburger Leopold Kohr.

"The Breakdown of Nations" ist schon Ende der fünfziger Jahre erschienen. darin spielt Kohr die Beziehung zwischen menschlichen bzw. sozialen Grundbedürfnissen und der Zahl von Akteuren durch.

2. Maurice Guernier, "La derniere Chance du tiers-monde" 1968). "MAn muß das Dorf ...in ein selbstverwaltetes Entscheidungszentrum verwandeln"

3- Theo Maissen, Schweiz Restitution genossenschaftlicher Solidarwirtschaft.

Typologie der alten Dörfer, Fluren und Höfe    

  • Haufenweiler
  • Haufendörfer
    • Sonderform Massendorf
  • Gassengruppendörfer
  • Gassendorf
  • Straßendörfer
  • Grabendörfer
  • Bachuferdörfer
  • Kirchensiedlungen
  • Angerdörfer (Längs, Breit, Linsenanger, Dreiecksanger)
  • Zeilendörfer
  • Reihendörfer
    • Waldhufendörfer
    • Kettendörfer
  • Platzdörfer
Diskussion    

Ich lege einmal prophilaktisch eine Protest dagegen ein, dass mit "... Bauernaufstände Proteste des ländlichen, in und mit der Natur lebenden Menschen genenen den hinter Wehr- und Burgmauern verschanzten, in Schlössern und Städten von jeder Natur abgeschlossenen absolutistisch - aufklärerischen Nutznießer des Landes und seiner Bauern; Proteste gegen die Entpersönlichung des Menschen durch den sich abzeichnenden modernen Staat ..." der heutige Staat als geschichtliche Zwangsläufigkeit negativer Macht- bzw. Herrschaftsausübung dargestellt wird. -- HelmutLeitner 1. Februar 2006 16:57 CET

Nun das ist ein Originalzitat von Stenzel. Wir müssen uns dessen bewußt sein, daß die Existenz des heutigen Staates auf der Struktur von Jahrhunderten fußt, in der sich eine Zentralgewalt ohne Wenn und Aber durchgesetzt hat. Es gab immer wieder Perioden der Reformen in der Geschichte, aber sie sind um Muster gruppiert die sich auch durch historische Kontinuität und strukturelle Ähnlichkeit auszeichnen. Schon das offizielle Selbstbewußtsein unserer Gesellschaft, ihr liebevolles Geschichtsbild, stimmt nicht mit den Fakten überein; nirgends war die Errichtung eines Staates ein freiwilliger Akt, immer ging es , wenn überhaupt, um Zustimmung zu den Resultaten gewaltsamer und herrschaftlicher Entwicklungen. Der Umstand daß heutzutage alle Staatsbürger ihren Staat wollen (müssen) hat auch die schreckliche Seite eines jahrhundertelangen Wütens und Ausrottens von eigenständigen Solidargemeinschaften an sich. Man könnte auch sagen: es war, ist und wird viel wiedergutzumachen sein....Ich bin übrigens zunehmend fasziniert von der Gestalt des Erzherzog Johann, und möchte ohne Eulen nach Athen zu tragen eine schärfere Kontur im steirischen Vortrag rausarbeiten. An ihm fokussiert sich geistesgeschichtlich hochinteressantes und relevantes. Was dieser Mann wohl heute tun würde!? FranzNahrada

Zum ersten Thema: Ohne Historiker zu sein, sehe ich deutlich das Phänomen der Sinnhaftigkeit einer Zentralgewalt (etwa theoretisch als Alexandrinisches Zentrum, aber auch praktisch vom Indianerhäuptling bis zum OS Maintainer), den Kampf um die Legitimierung und Stabilisierung (etwa auf religiöser Grundlage) und andererseits den Kampf um ihre Domestizierung (durch Rechtssysteme und Mitbestimmung).

Was würde Erzherzog Johann tun? Das Dorfwiki könnte mit seinen Ideen zu ihm gehen und er würde es vermutlich großzügig unterstützen. Er würde unter die Menschen gehen und sich hier zu Wort melden. Vielleicht sollte man zu den "heutigen Herzögen" gehen und suchen, ob man darunter einen neuen Erzherzog Johann findet? -- HelmutLeitner 2. Februar 2006 10:08 CET