Franz Nahrada / Texte / e Space2001 - Anmerkungen zu Informationstechnologie und Raumentwicklung |
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erschienen in: Der Raum, Sommer 2001
Warum die Wirkung der Informationstechnologie auf die Entwicklung des Raums paradox und komplex ist läßt sich mit anhand des folgenden Beispiels illustrieren: Auf der einen Seite ermöglicht mir mein Notebook zusammen mit meinem Handy, überall auf der Welt in meinen Briefkasten zu schauen, meine Kontakte zu pflegen, meine Arbeit zu tun. Ich bin also Orts- ungebundener.Ich kann nach Spanien reisen und bin trotzdem an meinem Schreibtisch. Auf der anderen Seite kann ich immer mehr Zeit im sicheren und bequemen Zuhause verbringen, brauche nicht mehr in Bibliotheken recherchieren, pflege Beziehungen und selbst Amtswege per email. Ich praktiziere also eine viel stärkere Orts – gebundenheit.Diese drückt sich auch darin aus, daß ich mit wenigen Mausklicks so viel Informationsmaterial aus dem Internet über Spanien auf meinem Schreibtisch habe wie ich als Reisender nicht sammeln könnte. Allgemein läßt sich die Raumwirkung der Telekommunikation im Verbund mit digitalisierter Information in dieser doppelten Formel beschreiben: Sie vermindert einerseits die funktionelle Verbindung von Räumen mit Handlungsvollzügen. Andererseits aber lädt sie Räume gleichzeitig mit Handlungsmöglichkeiten auf und schafft so etwas wie eine verschärfte Konkurrenz und Dissoziation der Räume. Die Hypothese ist, daß die Raumwirkung der Telekommunikation weniger in einem eindeutigen neuen Typus von Raum zum Tragen kommt als in einem veränderten Verhältnis der Räume zueinander: sie werden sowohl entflechtet als auch neu verdichtet. Dezentralität und neue Zentralität gehen ein kompliziertes Wechselspiel ein. Diese Entwicklungen allerdings erfahren wir in einer Intensität und Nachhaltigkeit, die die vor 10 Jahren aufgestellte zweite Hypothese zu bestätigen scheint, daß die Raumwirkungen der Telekommunikation die des Automobils bei weitem übertreffen werden. Das ist keine Aussage über die Zukunft mehr: das ist bereits Gegenwart.
Was damit gemeint ist, hat Bernd Guggenberger sehr schön ausgedrückt: „Das Signum unserer Zeit ist die Zeit. Die geographische wird von der chronographischen Ordnung verdrängt. Längst sind die Zeit(geist)maskeraden für die Identitätsbedürfnisse und Lebensgefühle vieler wichtiger als vergleichbare "nationale" Repräsentationsereignisse. Für die Kinder von Apple und DOS ist nicht mehr entscheidend, daß sie den Ort gemeinsam haben, wichtig ist allein, daß sie an der nämlichen Zeit partizipieren. Nicht ob einer von Geburt Schweizer, Kanadier oder .. Bulgare ist, schließt ihn ein oder aus, sondern beispielsweise, ob er seine prägenden Eindrücke vor oder nach der Perestroika erfahren hat, ob er mit dem Computer umgehen kann, ob er mit Rap-Musik oder der Chaos-Theorie etwas anzufangen weiß, und ob er des Englischen mächtig ist..“ Mit Lichtgeschwindigkeit dringen die medial präsentierten Realitäten in alle Räume ein, absorbieren unsere Aufmerksamkeit und machen uns zu Zeitgenossen. In ihrem Gefolge kommen nicht nur Waren, Lebensstile, Moden, Gefühle und Werte; sondern es passieren darüber auch sehr reale und dramatische Verschiebungen von Macht, Kontrolle, Organisationen, Entscheidungen, sodaß wir zuletzt anhand der Auswirkungen in elementaren Lebensfragen von Reichtum und Armut, sozialer Sicherheit und Gefährdung, Gesundheit und Krankheit, sozialer Zuwendung und Isolation bemerken, daß sich etwas ganz Ungeheuerliches abgespielt haben muß, ohne daß wir genau wüßten was.. „Die elektronischen Netzwerke, in denen eine wachsende Zahl von Menschen ihren Alltag verlebt, werden von einigen wenigen mächtigen transnationalen Medienkonzernen kontrolliert werden. Sie sind Eigentümer der >Pipelines<, über die die Menschen miteinander kommunizieren, und sie werden über einen Großteil der kulturellen Inhalte verfügen, in denen die bezahlten Erlebnisse der postmodernen Welt bestehen. Für diese umfassende Kontrolle gibt es in der Geschichte der menschlichen Kommunikation kein Beispiel“ , schreibt Jeremy Rifkin.
Gleichzeitig deutet sich aber auch das Gegenteil an: eine Fülle an Kommunikationsmöglichkeiten läßt Netzwerke entstehen, die sich dieser Fremdbestimmung entgegensetzen. Spektakulär und erfolgreich sind diese Netzwerke auf dem ureigensten Gebiet der Technik und Softwareentwicklung gewesen. Millionen Zeilen an Code, ein komplexes Betriebssystem für Computer und eine ganze Welt von Anwendungsprogrammen entstehen unter dem Titel „Open Source“. Zehntausende Programmierer weltweit nutzen die Kommunikationstechnologien zur freiwilligen und selbstorganisierten Schaffung der komplexesten geistigen Produkte, deren expliziter Zweck es ist, jedem ohne Einschränkung zur Verfügung zu stehen. Fast spiegelbildlich zu staatlichen und wirtschaftlichen Organisationen entstehen Nichtregierungsorganisationen, die zumeist auf Technologien der Kommunikation bestehende arbeitsteilige Freiwilligentätigkeit bündeln und in Kompetenz und Effizienz mit Wirtschaft und Politik wetteifern. Auch hier also, in der Gleichzeitigkeit als bestimmender Größe der sozialen Entwicklung, eine Gleichzeitigkeit von sehr gegensätzlichen Entwicklungen. Schon häufen sich die Feindseligkeiten zwischen den Lagern, der Kampf um strategische Positionen beginnt, der junge, auf den Kommunikationstechnologien basierende dritte Sektor hat allerdings noch kaum zu einer gemeinsamen Sprache, Geschichte und Identität gefunden. Er ist sehr pragmatisch mit dem Aufbau von vielen kleinen Netzwerken beschäftigt. Der Versuch, die Kommandohöhen der Volkswirtschaft durch die Ausrufung einer „New Economy“ zu besetzen, erscheint wie eine absurde Blüte des Zusammentreffens zweier Welten, die ebenso rasch verblüht ist wie ihr Geruch die Börsensäle verzauberte. Als „Informationsrente“, als fiktives Anteilhaben an der Kapitalisierung von Investitionen im IT Bereich spiegeln die zum Teil exorbitanten Börsenkurse der jungen IT Unternehmen tatsächlich die zunehmende Bedeutung der Kontrolle von kulturellen Elementen der Wertschöpfungskette wider. Dabei werden freilich die Regeln des Geschäftslebens auf den Kopf gestellt: “Es kommt darauf an, blitzschnell eine kritische Größe zu erreichen. Allianzen zu schmieden. Das Ganze basiert auf einer Logik die besagt, daß Informationsgeschäfte entweder Monopole oder gar keine Geschäfte sind“.(Josef Urschitz in der „Presse) Der deutsche Ökonom Ralf Krämer ist dieser Logik auf den Grund gegangen: „Der Marktwert dieser Papiere ist zum Teil spekulativ, da er nicht ...durch die wirkliche Einnahme, sondern durch die erwartete, vorwegberechnete bestimmt ist...Erträge aus der Aneignung von Informationsrenten sind kein Resultat von Wertschöpfung, die in dem jeweiligen Betrieb stattgefunden hat (auch nicht in dem kapitalistisch modifizierten Sinne der Produktion von `Produktionspreis'), sondern Aneignung von Teilen des anderweitig gesellschaftlich (oder auch international) produzierten Mehrwerts... Nun könnte man meinen, dass Informationsprodukte ganz im Gegensatz dazu doch gerade keine knappen Produktionsbedingungen, sondern beliebig und extrem billig zu vervielfältigen sind. Technisch gesehen ist das richtig, und das ist die Basis für die Verbreitung von "Raubkopien", "Markenpiraterie" usw. Aber gesellschaftlich ist es nicht so, sondern die Informationsprodukte sind als kapitalistisches Eigentum produziert worden. Dieses Eigentumsrecht bezieht sich auf das ideelle Produkt, die Urheberschaft der Idee bzw. des ursprünglichen Produkts, das den folgenden Kopien oder Anwendungen zugrunde liegt. Als solches ist es ein Monopol, und damit eine potenzielle Basis für Renteneinkommen. Dieses Eigentum soll möglichst hoch verwertet werden, indem möglichst nicht nur normaler Profit erzielt wird, sondern darüber hinausgehende Informationsrenten. Die Aneignung solcher Informationsrenten ist eine zentrale ökonomische Triebkraft der kapitalistische Informationsökonomie. Ein Hauptinteresse des Informationskapitalismus besteht daher darin, die technisch mögliche billige Verbreitung und Nutzung von insbesondere digitalisierten Informationsprodukten zu verhindern.“ In diesem Wettlauf setzen sich aber letztlich die „Global Players“ der alten Ökonomie durch, denn sie beherrschen die Logistik und verbinden die neuen, hochprofitablen Bereiche der Erlebnisökonomie mit den klassischen Funktionen Delivery, Service und Bezahlung. Aus der massenhaften Konkurmasse der Dot.Coms kaufen sie einige wenige Dienste, bis in den globalen Online-Diensten nur mehr einige wenige oligopolistische Anbieter übrigbleiben. Das Schicksal von Napster (einer Musik-Tauschbörse, die auf die Vermittlung von Tauschakten zwischen Privaten Musikliebhabern über das Internet spezialisiert war, die von der Musikindustrie zunächst konkursreif geklagt und anschließend gekauft wurde) markiert das vorläufige Ende der Hoffnung auf eine Versöhnung von Netzwerk und Industrie. Die Überschwemmung der Welt mit Kopien und ihre Bewirtschaftung durch die Besitzer der digitalen Kopiervorlagen hat vorläufigen Vorrang zwischen einer Kommunikation der Originale.
Die Frage wie sich die digitale Ökonomie entwickelt ist – das ist mittlerweile breiter Konsens – ausschlaggebender Faktor für die Gestaltung des Raumes. Spektakuläre Standortentwicklungen kreisen heutzutage um die informationsbasierende Industrie , von Malaysia Multimedia Supercorridor bis hin zur Entwicklung von Irland zum Call Center Europas. Das Spektrum zwischen städtischen und ländlichen Modellen ist groß, die Ansiedlungen von Call Center – Industrien auf der grünen Wiese beweisen, daß die Logik der „globalen Stadt“ für bestimmte Funktionen innerhalb der Wertschöpfungskette völlig andere Funktionen hat als andere und daß die Telearbeit keine Chimäre ist. Dem Phänomen der „Globalen Stadt“ (im Unterschied etwa zur „Weltstadt“) wird weiterhin große Aufmerksamkeit geschenkt und diese ist im Licht des oben gesagten auch mehr als berechtigt – nur ist es völlig verfehlt, die „globale Stadt“ mit der physischen Stadt zu verwechseln: „Es gibt – im Gegensatz zu Hauptstädten von Großreichen – keine einzelne, isolierte „global city“, definitionsgemäß ist sie grundsätzlich Element eines Städtenetzwerks.“ (Sakia Sassen) . Daher ist die „distributed digital city“, die verteilte Stadt, keine Antithese zur globalen Stadt sondern ihre logische Fortsetzung, wie sie auch in Stadtregionen Europas, Amerikas und Asiens zum Ausdruck kommt. Einen wichtigen Beitrag zur Analyse des „Raumes der Flüsse“ der die globale Stadt konstituiert und ihre aggressive Wachstumstendenz begründet hat Wolfgang Höhl vorgelegt. Das Phänomen der zersiedelten Landschaft - als Metapolis oder Zwischenstadt, Edge City oder Urban Sprawl vielfach beschrieben - verortet er in der zunehmenden Multidimensionalität von Zentralität. Die punktuelle Konzentration der Versorgungseinrichtungen in sogenannten Super Malls, Zusammenballungen von Konsum-, Büro-und Wohnflächen, vermag urbane Zentralität weit zu verteilen, in Räume, die eine flächendeckende Zersiedelung im Radius bis zu 150 km vom Stadtzentrum zur Folge haben. Telekommunikation und Transportlogistik sind Faktoren in einer Versorgungsmatrix, wobei sich oft differenzierte Substitutionseffekte ergeben. Die „Zeitgenossen“ im suburbanen Raum betätigen ihre Teilhabe an der chronographischen Ordnung einstweilen noch hauptsächlich im Multiplex. „Im Ortlosen nirgendwo“ läßt sich keine Zeit anschauen, deswegen blühen Kinopaläste und food courts auf und sind zum neuen Attraktionspunkt der Einkaufszentren geworden. Während der reale Raum verarmt, hat die Industrie zur Erzeugung virtueller Räume einen nie dagewesenen Aufschwung erlebt. Auf der letzten Konferenz über „Computer und Raumplanung“ haben wir im Track „Virtupolis – die digitale Stadt“ erlebt, daß die Virtualität als ernsthaft anerkanntes Prädikat von Raum endlich auch Eingang in die Diskussion der Planer findet. Vielleicht ist aber weniger die Replikation kompletter Städte und Siedlungsräume im Cyberspace das Thema einer zukünftigen hybriden Raumentwicklung, und auch nicht die Schaffung von Fluchtwelten aus den Traumfabriken Hollywoods - sondern die architektonische Kombination von realen und virtuellen Räumen. Diese ist letztlich so besonders und einzigartig wie der jeweilige Raum selbst. Ein besonders schönes Beispiel habe ich im Nationalparkzentrum des Triglav-Nationalparks in Trenta/Slowenien gefunden. Dort läuft die Installation „RiverGlass“ (V Steklu Reke) des slowenischen Filmemachers Andrej Zdravic, die auch im slowenischen Pavillion auf der Expo 98 in Lissabon zu sehen war. Geboten wird eine unglaubliche Fülle von Perspektiven aus dem Fluß Soca/Isonzo, Perspektiven hauptsächlich aus der Welt nahe der Wasseroberfläche Virtuelle Realität kann also unsere Beziehung zum realen Raum verstärken und die Magie unseres Daseins wieder zur Erscheinung bringen. Vielleicht wird daran einmal die digitale Kultur unseres neuen Jahrhunderts gemessen werden und vielleicht ergibt sich dadurch auch der Ausweg aus der Kopienwirtschaft.
Mag. Franz Nahrada ist Leiter der GIVE-Forschungsgesellschaft – Labor für Globale Dörfer in Wien und Initiator der Veranstaltungsreihe „Global Village“ über Raumentwicklung und Telekommunikation (1993 – 2000)
1 Bernd Guggenberger: „Wrapped Reichstag: An der Schwelle zur neuen Zeitordnung“, In Ansgar Klein et alii (Kulturbox), Kunst, Symbolik und Politik, Berlin 1995 (Internet Edition der Stadt- und Landesbibliothek, http://www.zlb.de/projekte/kulturbox-archiv/buch/guggenbe.htm) 2 Der ehemalige UTA – Manager Karl Bonomeo hat in Form eines fiktiven Berichtes über die Lebensgeschichte des Angestellten eines Automobilzulieferbetriebes Franz Kringel eine sehr schöne Satire auf diese Entwicklung geschrieben, die unter dem bezeichnenden Titel „das Verschwinden des Ortes“ als Book on Demand bei Amazon (www.amazon.at) und anderen Online-Buchhändlern auffind- und bestellbar ist. 3 Jeremy Rifkin, Access, Das Verschwinden des Eigentums, deutsche Ausgabe im Campus Verlag Frankfurt und New York 2000, Seite 19. 4 Josef Urschitz, „Die Web-Att@cke“, Die Presse, Dienstag 4. April 2000, Seite 21 5 Ralf Krämer (Dortmund), Zur Politischen Ökonomie des Informationskapitalismus, Proceedings der ersten Oekonux-Konferenz, Dortmund 2001, http://www.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/kraemer.html Diese konterproduktive Entwicklung wirtschaftlicher Aktivitäten dürften auch ein Grund dafür sein, daß die Indikatoren für soziale und wirtschaftliche Wohlfahrt (ISEW) seit den 70er Jahren stagnieren, die bis dahin gültige positive Korrelation mit dem Bruttonationalprodukt sich aufgelöst hat. Obwohl diese Entwicklung seit den 70er Jahren läuft werden ihre Auswirkungen als Erosion gesellschaftlicher Infrastruktur erst heute spürbar. Ähnlich der globalen Erwärmung handelt es sich um eine komplexe Wirkungskette mit dramatischer Akkumulation von Effekten, und ähnlich der globalen Erwärmung scheint diese Wirkungskette dem politischen Eingriff zunehmend entzogen: die „Standortlogik“ gebietet, daß sich Staaten in Aktivitäten zum „Schutz geistigen Eigentums“ sogar noch überbieten, und während Umweltpolitik mittlerweile zum anerkannten Faktor nationalen und internationalen Handelns geworden ist, ist die zunehmende Beeinträchtigung der Informationsökologien durch Patentschutz und Lizenzen erst ganz wenigen bewußt geworden. 6, wobei die Konvergenz von Informationstechnologie und Biotechnologie durchaus unterstellt werden kann. Biotechnologie ist die Vollendung der Aufhebung der Trennung von Information und Produktion, die durch die IT und die Erfindung der informationsverarbeitenden Maschine begonnen wurde. 7 Saskia Sassen, Die „Global City“ – Einführung in ein Konzept und seine Geschichte, in: Martin Seger (Hrg): Mitteilungen der österreichischen Geographischen Gesellschaft, Wien 2000, Seite 197 8 Wolfgang Höhl, „Unsichtbares Kapital – Stadtentwicklung in Wien“ in: Werkstattblätter nr. 6, Dezember 1998, 10. Jahrgang, http://www.spoe.at/visit/zuk/werk069806_n.htm
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