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Raumwirkungen der Telekommunikation

© Franz Nahrada 1996

"Es mag zunächst überraschen erscheinen, daß die sogenannten 'Informationstechnologien' und die Entwicklung des 'Informationszeitalters' besonders wichtig beim Begreifen der Landschaft sind. Ich hätte das vor 10 Jahren nicht gesagt, als ich begann, die Manifestation von Technologie in Landschaft zu untersuchen. Information, so schien es damals und noch heute, ist im wesentlichen eine nichträumliche Entität. Sie nimmt keinen Raum ein; sie benötigt auch keine spezifische Örtlichkeit. Sie kann unsichtbar von einem Punkt zum anderen übertragen werden, und sogar von einem Punkt zu allen anderen. Wie kann so etwas Illusorisches, Unsichtbares zu etwas Bedrohlichem oder gar Zerstörerischem für die Landschaft werden? Ich begann bald zu verstehen, daß die wichtigen Einflüsse der Informationstechnologie auf die Landschaft nicht direkt, sondern in zweiter oder dritter Vermittlung erfolgen." 1

Die Vernetzung mit digitalen Medien ist spätestens seit der NII- Initiative von Al Gore unter dem Namen "Datenhighway" ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Durch die neue, interaktive Qualität elektronischer Medien soll es möglich werden, wesentliche Bereiche der Arbeit, der gesellschaftlichen Produktion und Dienstleistungen so zu gestalten, daß herkömmliche Ballungserfordernisse weitgehend außer Kraft gesetzt werden. Sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses sind von diesen Entwicklungen tangiert: Sowohl die Produktion, soweit sie immer mehr zu einem kooperativen Arbeitsprozeß wird, in dem informationelle Verknüpfung eine immer wesentlichere Rolle spielt , als auch die Konsumptions- bzw. Dienstleistungssphäre bedienen sich der elektronischen Medien als Kanal; in letzterer tritt Information auch als Schlüsselfaktor einer "Selbstbedienungsgesellschaft" (Prosumer Society) auf, in der sich das Verhältnis von Produktion und Konsumtion grundlegend wandelt.

Damit wird natürlich in fundamentaler Weise die Grundlage raumplanerischer Überlegungen tangiert. Die telekommunikativen Kanäle sind dabei zugleich das Beiprodukt und ein grundsätzlich neuer Faktor im wirtschaftlichen Globalisierungsprozeß; sie erlauben die Ausdehnung der Reichweite wirtschaftlicher Aktivitäten, universalisieren aber dabei auch die Konkurrenz in einem nie dagewesenen Umfang. Dadurch wird das funktionale Zusammenspiel lokaler ökonomischer, politischer und kultureller Aktivitäten ebenso in Frage gestellt wie die Idee von so etwas wie einer homogenen nationalen Binneninfrastruktur oder "Lebenslage". Auf der anderen Seite wird der Zugang und die Adaption zu den informationellen Kanälen zu einer Kernfrage lokaler Entwicklung.

Unter den Versuchen, die Wirkung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Entwicklung von Räumen zu beschreiben, gilt heute weitgehend der Ansatz von Urbanisten wie Manuel Castells und Saskja Sassen als einer der differenziertesten. Beide nehmen ihren Ausgangspunkt bei der faktischen massiven globalen Verstädterung im Zuge des wirtschaftlichen Göobalisierungsprozesses. Ihr bevorzugtes Untersuchungsobjekt ist die "global city", das Paradigma der sich nur an ihresgleichen messenden, ständig in Konkurrenz befindlichen modernen Metropole. "Die oft zu hörende Mutmaßung, Zusammenballungen würden mit fortschreitender globaler Telekommunikation hinfällig und einer größtmöglichen Streuung weichen, stimmt nur zum Teil. Gerade weil die durch die Telekommunikation ermöglichte territoriale Streuung Fortschritte macht, kommt es m.E. zu riesigen Agglomerationen von zentralisierenden Tätigkeiten. Dies ist keine bloße Fortschreibung der hergebrachten Ballungsstrukturen, sondern könnte als neue Ballungslogik bezeichnet werden." . Während von dieser Ballungslogik alle diejenigen betroffen sind, die hochentwickelte Infrastruktur für globales Management benötigen oder aber diese bereitstellen - worunter auch diejenigen Dienstleister fallen, die ihren Kundenkreis primär im Hersteller und Unternehmensbereich haben, zu denen sie räumliche Nähe unterhalten und/oder just in time liefern müssen, fallen aus dieser Ballungslogik viele Tätigkeiten heraus, die sich entweder im Inneren, im back office von Firmen oder aber jenseits intensiver Kommunikation abspielen. "Die Zwischenbereiche der Wirtschaft - wie routinemäßige Büroarbeit in Hauptgeschäftsstellen, die nicht an die Weltmärkte angekoppelt sind, und die vielfältigen Dienstleistungen, die die weitgehend in den Vorstädten lebende Mittelschicht nachfragt - und die Zwischenschichten der Stadtbevölkerung - können sich aus den Städten zurückziehen und haben dies auch getan." (ebenda) Auch hier gibt es spektakuläre Beispiele; die Campus Cities im Silicon Valley oder in Oregon, denen Computerhersteller oder Softwarefirmen ihren Stempel aufgeprägt haben, in denen sich aber auch so manches Back Office einer Bank oder Versicherung findet, verkörpern diese Entwicklung in einer Reinkultur, wie sie in Europa wohl kaum zu finden ist.

Die Realität der urbanen Entwicklung bewegt sich also jenseits der Debatten über die "Rechtfertigung der Stadt" im Informationszeitalter; Metropolen und "globale Dörfer" koexistieren und stehen miteinander in einem komplexen Wechselspiel. Sie konstituieren gemeinsam das, was Castells den "Space of Flows" genannt hat: ein vernetztes Gebilde von Verkehrs- und Telekommunikationsverbindungen, in denen einerseits räumliche Nähe zu komplexen lokalen Supportsystemen, andererseits subtile Flexibilität über große Distanzen eine Rolle spielen. So ist es kein Widerspruch, wenn auf der einen Seite die Anforderung an einen Wirtschaftsstandort gestellt wird, binnen einer sehr niedrig angesetzten Zeiteinheit (zum Beispiel binnen einer halben Stunde) so gut wie jedes denkbares Problem oder jede denkbare Stockung innerhalb eines zentralen Kontrollmechanismus oder einer zentralen Produktionseinheit zu beseitigen, während auf der anderen Seite dieselbe Firma ihre Buchhaltung nach Indien auslagert. Ökonomische Unterschiede werden in dieser Dynamik eher benutzt als minimiert; lokale Differenzen spielen eine zunehmend bedeutende Rolle in der Positionierung von Städten und Wirtschaftsräumen in globalen Netzen.

Eine andere Herangehensweise an die Problematik der Raumwirksamkeit der Telekommunikation ergibt sich, wenn nicht primär die Beziehungen zwischen Unternehmen, sondern innerhalb von Unternehmen betrachtet werden, das sogenannte Telecommuting oder Telependeln. Hier geht es weniger um die Entwicklungsbedingungen von Städten und Regionen insgesamt als um das Verhältnis von wirtschaftlichen Zentren und ihrem "Hinterland": um Verkehrsreduktion, die Belebung von Schlafdörfern, die Wiederansiedelung eines lokalen Dienstleistungsgewerbes. Es geht freilich auch um Fragen der Kostenreduktion und der flexiblen Marktanpassung. Der Manager einer zu 100% telearbeitenden Business Unit einer britischen Computerfirma drückte das auf der Telework Europa -Konferenz 1993 mit einem sehr bildhaften Vergleich aus: "Telearbeiter sind wie die Flammen auf einem Gasherd." Damit ist gemeint, daß der Firma keine Kosten für Büroraum und keine Aufwendungen für Modifikationen der Arbeitsmenge und Arbeitszeit entstehen, denn bezahlt wird nach Produktivität. Die praktischen Erfahrungen mit der Raumwirksamkeit von Telecommuting sind freilich noch relativ gering; unter den Bedingungen einer weitgehend vom Automobil geprägten Verkehrs- und Raumsituation könnte sogar so etwas wie eine "unheilige Allianz" zwischen Automobil und Telematik entstehen:

"In der Geschichte hat sich gezeigt, daß Verkehrsverbesserungen, die Pendelzeiten verkürzen, eine Dezentralisierung, geringere Siedlungsdichten und/oder preiswerteres Wohnen am Stadtrand ermöglichten. Da auch das Telecommuting als eine derartige Verbesserung betrachtet werden kann, scheint es ganz folgerichtig, ähnliche Folgewirkungen auch in diesem Falle zu erwarten" - was sich dann als Verkehrsinduktion statt Substitution bemerkbar machen würde.

Ein dritter Ansatzpunkt in der Frage nach der Raumwirksamkeit der Telekommunikation bestünde darin, die Technologie in den Rahmen der eingangs erwähnten Auflösungstendenz nationaler Binneninfrastrukturen zu stellen, die das Verhältnis von Informationsgesellschaft und informeller Ökonomie aus der theoretischen Randlage heraus ins Zentrum rücken. Dazu einige Hypothesen, die dem "Globally Integrated Village Environment" Projekt zugrunde liegen:

- Der durch die Globalisierung noch verstärkte Anstieg in der Produktivität der Arbeit, Rationalisierung und Automation auch in den Dienstleistungssektoren, machen es unwahrscheinlich, daß in Städten massiv Einkommensmöglichkeiten neu entstehen. Der Zuzug und die Migration in die Städte und großen Zentren ergibt sich eher aus dem Zusammenbruch der Ökonomien peripherer Räume.

- Die Auflösung großer, hierarchischer Unternehmensstrukturen und die Tendenz zum Outsourcing, die steigende Arbeitslosigkeit und die technischen Möglichkeiten der Datenhighways und virtuellen Marktplätze zusammen werden die Tendenz zu einer Kultur der "Freelancer" verstärken; diese wird in ihrer Entwicklung allerdings zu völlig neuen Formen der Organisation, der Selbsthilfe und des "self-development" greifen; der entstehende Markt einer "Prosumer-Society" wird rapide Machtverschiebungen im industriellen Sektor mit sich bringen.

- Das Dezentralisierungspotential der Telekommunikation wird an einem "kritischen Punkt" die Grenzen der Städte überschreiten und zu einer Umgestaltung des ländlichen Raums führen; dazu gehören neben dem Anwachsen der oben beschriebenen sozioökonomischen Entwicklungen vor allem die politischen Reaktionen auf die ökologische Krise (Energiesteuern, Clean Air Act) sowie die Entwicklung der flexiblen Automation. Die Städtekonkurrenz selbst wird den Aufbau von und den Umbau zu regionalen City Satellites und Stadtnetzwerken mit sich bringen, die ressourceneffizienter und ressourcenproduktiver funktionieren werden als das heutige Gemenge aus Zentrum, Suburbia und Schlafdörfern. Wie solche City Satellites aussehen werden, ist hochgradige Spekulation, aber unversehens gewinnen schon lange vergessene Entwürfe wie Paolo Soleris "Archologies" neue Aktualität.

- Diese kleinräumigen, von einer natürlichen Ökosphäre umgebenen "Städte" und "Dörfer" werden sich von den heutigen dadurch unterscheiden, daß sie ein wesentlich breiteres Spektrum an Dienstleistungen anbieten, und diese Dienstleistungen werden zunächst wohl ein Produkt der globalen Städte sein, ob Franchise oder Hochtechnologie. Das Entstehen von Community Teleservice Centers, Global University Outlets, Gesundheitszentren, Flexible Factories usw., die mit Hilfe von Wissensressourcen und Datenhighways die Bandbreite lokaler Dienstleistungen verhundertfachen, wird nur durch eine hochspezialisierte Organisation und das Produktionspotential von Städten gekiefert werden können; insoferne ist Saskja Sassen zuzustimmen, daß das Globale Dorf die Globale Stadt erforderlich macht.

- Dennoch wird der neue und vermutlich vorherrschende Lebensraum, die lokale Sphäre einer ressourceneffizienten Verknüpfung von Natur, lokaler Eigenarbeit und globaler Vernetzung, sich in einem anderen Selbstbewußtsein gegenüber der Stadt artikulieren und positionieren als das traditionelle Dorf oder die Bezirksstadt. Wiewohl angelehnt an das regionale Kommunikationssystem einer Stadtregion (der Datenhighway wird wahrscheinlich von regionalen Körperschaften am stärksten gepusht werden), steht doch das "globale Dorf" von vorneherein in einem Austauschverhältnis zu vielen Städten, vielen konkurrierenden Anbietern von industriellen und informationellen Ressourcen für reichhaltige lokale Entwicklung.

- Daher entsteht die Chance, um zu dem eingangs erwähnten Bild zurückzukehren, durchaus "standardisierte" Bausteine der globalen Ökonomie jeweils nach spezifischen Mustern und Bedürfnissen zusammenzusetzen. Eine sehr schöne Metapher dafür ist der "food court", wie er sich traditionellerweise etwa in Singapur findet und wie er sich in amerikanischen shopping-malls durchgesetzt hat: mit vielen Tischen in der Mitte und rundherum einer Fülle von Restaurant - Ständen, an denen man sich nach Lust und Laune ein Menü aus griechischem Salat, indonesischem Hauptgericht und Wiener Dessert zusammenstellt. Genauso ist es mit dem telematischen Angebot, das die globale Information society bereithält. Es enthält die Chance, das Richtige auszuwählen ebenso, wie sich an einer falschen Zusammenstellung den Magen zu verderben.

- Bleibt die Frage, wird der telematische food-court, jene Fülle an dezentralisierten Angeboten - im Quartier der "fraktalen Stadt" ebenso wie im "City Satellite" - ein öffentlicher Ort sein, oder kündigt er die Entwicklung des Heims zum "Zentrum der Gesellschaft" an? Der britisch - amerikanische Architekt und Buckminster Fuller - Schüler Tony Gwilliam hat dazu eine ebenso interessante wie unkonventionelle Antwort gegeben: sollte es wirklich so sein, daß die telematische Revolution mehr und mehr den "entrepreneurial individuals" Raum verschafft, dann wird auch der alte öffentliche Ort, die Schule, Universität, das Büro, die Shopping Mall, zugunsten einer Entwicklung zurückgedrängt, die die Entfaltung der produktiven Fähigkeiten wieder näher an den Privatbereich rückt. "Every Home can be a school, a workshop, a spiritual place" - das liest sich zwar angesichts unserer industriell geprägten Wohnsituation wie ein schlechter Witz, drückt aber vielleicht Bedürfnisse von morgen aus, die unsere Kategorien und unsere Planungen zum Tanzen bringen sollten.

1Robert Thayer, Gray World, Green Heart, Technology, Nature and the Sustainable Landscape, New York 1994, p.197
2 "Over 50% of the value of a car is now in its "information" content - in its conception, design, the design and operation of the assembly, in its marketing and sale. Even "basic products" now have a high information content: the cost of a packet of pasta in the supermarket consists largely (over 80%) of information-related costs - in processing, packaging, advertising and retailing".
3 Peter Johnston, "Telework And Transport In The Transition To An Information Society", Papier der European Commission, DGXIII-B, Brüssel 1994
4 vgl. Alvin Toffler, "The rise of the prosumer", in: The Third Wave, Bantam paperback edition New York 1981, p.265 - 288 passim.
5 vgl. dazu etw: Manuel Castells, "The informational city" Oxford 1989, Saskja Sassen, "The global City: New York,London,Tokyo" Princeton University Press, 1991
6 Saskja Sassen, Wirtschaft und Kultur in der globalen Stadt, in Meurer(Hg.), Die Zukunft des Raumes, zitiert nach:Newsletter Urbane Initiativen 2, Wien 1995, p.74 Sassen, a.a.O
7 Patricia Mokhtarian, Defining Telecommuting, in Transportation Research Record, Vol 1305/1991. zitiert nach: Peter Hall, Der Einfluß des Verkehrs und der Kommunikationstechnik auf Form und Funktion der Stadt, in Finke et al., Zukunft Stadt 2000, Stuttgart 1993 (Wüstenrot Stiftung)
8 vgl. dazu: F.Nahrada, Die Globalisierung der immateriellen Produktion und ihre lokalen Konsequenzen, in: Nahrada/Stockinger/Kühn, Wohnen und Arbeiten im Global Village, Wien 1994, p.11ff