Franz Nahrada / Neue Vorträge / Freckenhorst Artikel |
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Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, der am 9.3.2012 anlässlich der KLJB-Bundesversammlung gehalten wurde.
Schon seit längerem ist es nicht mehr wirklich populär in der Wissenschaft, Zukunftsvisionen für den ländlichen Raum zu entwickeln. Die meisten Planer und Theoretiker beschäftigen sich heute mit Fragen wie "Entleerung zulassen", "Schrumpfung positiv gestalten" und Ähnlichem. Ungefähr seit der Jahrtausendwende ist ein "Realismus" eingekehrt, der im Namen der Standortsicherung auf den Weltmärkten das Wachstum großstädtischer Regionen vor die homogene Versorgung der Bevölkerung mit allen Lebensnotwendigkeiten stellt. Die Landflucht speziell junger und vor allem weiblicher Bevölkerungsgruppen wird als nahezu unvermeidliches Schicksal dargestellt. Verstädterung ist unsere Zukunft, so heißt es von allen Seiten. Wahr und substantiell daran ist nur eines: wollen die BewohnerInnen ländlicher Räume diese Entwicklung nicht zulassen oder sich dagegen wehren, dann müssen sie tatsächlich gegen den Strom schwimmen und bewusst die Stärken des ländlichen Raumes zur Geltung bringen, und zwar in einer Form, die den heutigen, durch die Städte geprägten Lebensstandards entspricht. Wer sich hier untätig verhält und auf bessere Zeiten wartet, den wird die Dynamik der ökonomischen und demographischen Entwicklung ganz hart treffen. Aber: für die, die sich auf die neue Situation einstellen, bestehen durchaus gute Chancen, die Transformation nicht nur zu überleben, sondern auch eine Erhöhung von zugleich Krisensicherheit und Lebensqualität zu schaffen. Im folgenden daher auch keine Aufzählung der bekannten Bedrohungen des ländlichen Raumes, die von sinkenden landwirtschaftlichen Erträgen über den Wegfall von Förderungen, die Finanzkrise der Gemeinden, die Auflösung bisher essentieller Infrastrukturen bis eben hin zur Abwanderung reichen, sondern eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Rezepte, wie dieser Entwicklung zu begegnen ist.
Städte haben viele Menschen auf engem Raum, diese sind austauschbarer und unwichtiger. Zum Beispiel im Bereich der Wirtschaft: Wenn heute ein Laden oder ein Gasthaus zusperrt, dann kommt morgen jemand anders und versucht eine neue Idee. Kunden- und Geschäftsbeziehungen sind zufällig, anonym und oberflächlich. Spezialisierung auf Nischen und Zielgruppen ist Trumpf. Wichtig ist Konkurrenzfähigkeit und Geschwindigkeit. Dörfliche Ökonomien haben seit jeher anders funktioniert: sie waren und sind instinktiv darauf angewiesen, sehr viel mehr die wechselseitige Abhängigkeit der ökonomischen Akteure voneinander zu beachten. Sie leben von Beziehungspflege, Reziprozität und Kooperation. Das kann manchmal ganz extreme Formen annehmen: im salzburgischen Dorf Bad Hofgastein zum Beispiel haben unlängst 40 Hoteliers eines Ortes gemeinsam mit viel Geld einen Mitbewerber aufgefangen und gerettet, um eine Lücke im Angebot zu verhindern. In der Stadt ist sowas undenkbar. Auch im ländlichen Raum ist sowas ziemlich neu. ( http://salzburg.orf.at/news/stories/2598530/) Allgemein gesprochen: ländliche Räume sind darauf angewiesen, sehr viel stärker den Einzelnen in seinen vielfältigen Beiträgen zur Sozietät zu beachten und zu stärken. Der grund ist ganz trivial: wenn es gelten soll, dass ein Leben im ländlichen Raum sich dem Leistungsvergleich mit den Städten zu stellen hat, und daran führt wie oben gesagt wirklich kein Weg mehr vorbei - dann müssen eben relativ wenige Menschen und Unternehmen relativ viele Aufgaben erledigen, soll das System die Anforderungen an die Komplexität der Lebensbewältigung erfüllen. Dann müssen diese relativ wenigen Menschen eben auch alles tun, um sinnlose Konkurrenz und zerstörerischen Wettbewerb zu vermeiden. Sie müssen sich miteinander gut koordinieren und sie müssen einander im wirtschaftlichen Alltag sogar unterstützen. Im Resultat kommt daher auch keine Gleichartigkeit, sondern eine Gleichwertigkeit mit den Städten heraus. Diese Andersartigkeit zu akzeptieren und zu leben ist in Zukunft der Schlüssel der Attraktivität ländlicher Räume.
Freilich sind die Städte auch nicht automatisch im Vorteil. Es gibt immer mehr Verliererstädte, denn die Anforderungen an einen weltmarktfähigen Standort steigen von Tag zu Tag. Wirtschaft ist zu einem regelrechten Krieg der produktivsten Regionen geworden, die einander im Kampf um Investoren und Kapital zu übertreffen suchen. Die einen als Koordinationszentren, die anderen als verlängerte Werkbänke. Das Karussel der globalen Gesamtfabrik dreht sich immer schneller, und führt zu immer mehr Ungleichgewichten. Was der Markt nicht hergibt, muss durch Verschuldung kompensiert werden. Ohne die hemmungslose Verschuldung ganzer Volkswirtschaften wäre der Weltmarkt schon längst ins Stocken geraten. Doch dieses System kann nicht ewig wären, es bricht irgendwann zusammen. All dies basiert aber auf einem längst veralteten Denkmodell: Reichtum ist Geld, das man durch Warenexporte anzieht. Weil alle diesem Modell nachlaufen, funktioniert es immer weniger und für immer weniger Menschen. Fabriken, Logistikzentren und Warenumschlag wachsen überall. Und ebenso die Enttäuschungen. Die Menschen in ländlichen Räumen können sich dem leichter entziehen: sie werden durch einen ungeheuren Dezentralisierungsschub der Technologie unterstützt. Sie können heute nicht nur sehr viel mehr Wissen für ihre Tätigkeiten erhalten, sondern auch sehr viel mehr Werkzeuge. Vom Rohmaterial bis zum fertigen Produkt könnte somit alles in der Region gefunden werden und bleiben, die Natur ist ewiger Kreislaufpartner. Diese zunehmende Autarkie verdankt sich dem globalen Austausch von Wissen, und der Tendenz der Automation, immer kleinere und vielseitigere Werkzeugmaschinenm Containerfabriken etc. zu ermöglichen, Die Informationstechnologie gibt es uns in die Hand, nicht nur mit an den Computer angeschlossenen Peripheriegeräten Papier zu bedrucken, sondern Gegenstände zu schaffen. Sie lässt uns aber auch selbst selbst zu Designern dieser Gegenstände werden. Werden wir nach der längst nicht mehr funktionierenden Lohnarbeitsgesellschaft ein neues Paradigma haben, in dem selbständige Menschen in lokalen Gemeinschaften ihre Versorgung in vielen Aspekten wieder selbst in die Hand nehmen und wieder zu Produzenten werden? Meine These ist, dass diese Alternative hier und heute in jedem Moment existiert, dass aber die Bereitsteller der Technologien sie nur sehr zögerlich unterstützen - zumeist sogar noch aktiv bekämpfen. Dabei sind genau diese Menschen krisensichere Kunden mit Zukunft! Freilich müssen die Entwickler ländlicher Räume selber umdenken: Sie müssen Menschen auf Dauer einladen, hier wieder eine Heimat zu finden. Sie müssen aktive Ansiedlungs- und Gemeinschaftsentwicklung betreiben. Sie müssen Kreisläufe gestalten, Lücken schließen, und dabei immer mehr die gestiegenen kulturellen Bedürfnisse und die vielen verschiedenen Werte und Identitäten berücksichtigen! Die biogene und solare Energie und die lebendige Materie zum Bau neuer Heimat sind einer nie dagewesenen Gestaltungsvielfalt vorhanden, wenn wir sie zu nutzen verstehen!
Nach all dem Gesagten ist nicht mehr rätselhaft, warum die Zukunft des ländlichen Raumes an Bildung hängt. Es gibt tatsächlich eine Menge Bausteine einer hochintelligenten Kreislaufwirtschaft. Aber welche Bildungsinstitution ist da, sie uns nahezubringen und uns dafür zu qualifizieren? Bildung geht in den Städten immer stärker in Richtung Spezialisierung, während wir im ländlichen Raum eine große Bandbreite von Wissen und Können benötigen, eine viel universellere und breitbandigere Form von Bildung,anwendungsorientiert und verständlich. Wie soll sich das aber realisieren lassen angesichts leerer Gemeindekassen? Noch dazu haben wir in ländlichen Gebieten viel weniger Lehrende - wo wir doch viel mehr benötigen würden. Teilen und Hereinholen mittels der neuen Kommunikationstechnologien, mittels Video - Vorträgen und interaktiven Kursen: das könnte ein wichtiger Teil der Antwort sein.
Die Stadt hat uns gelehrt, dass Dichte und Kommunikation und starke Zentren eine wesentliche Funktion für Lebensprozesse haben. Dörfer der Zukunft werden nicht nur virtuelle Kommunikation pflegen, sondern tun auch gut daran, multifunktionale Zentren für Begegnung und die Aktivierung gemeinschaftlicher Potentiale zu schaffen. An den Bildungscampus schließen sich logisch Orte der Umsetzung an, Gründerzentren, Vernetzungszentren, Werkstätten, aber auch Orte in denen der zunehmende Druck sozialer Betreuung von den Familien genommen wird; Mehrgenerationenhäuser, betreutes Wohnen, Gesundheitszentren. Auch im Dorf hält Arbeitsteilung Einzug, doch bleibt sie in menschlichen Dimensionen und wird niemals anonym. Die kommende Zeit der neuen, "Globalen Dörfer" ist paradoxerweise auch die Zeit der bewussten Wahl von Lebensmodellen. Der ländliche Raum ist auch deswegen interessant, weil er uns mehr als die Stadt erlaubt, selbstbestimmt nach gemeinschaftlichen Werten zu leben. Schon bildet sich eine junge Generation von Architekten und Planern, die diesem Trend zu gemeinschaftlichem Wohnen und bewusster Lebensgestaltung auch eine würdige Form verleiht. Dörfer, so möchte ich schließen, sind auch eine Chance, der Spiritualität und der Kultur als Zentrum unseres Lebens wieder den Raum zu geben, den sie verdient. Nur ist diese neu entdeckte Spiritualität und Kultur kein Erbschicksal mehr, das wir erleiden, sondern eine bewusste Wahl, die wir in Anbetracht einer Welt von Möglichkeiten und in Kenntnis unserer besten Fähigkeiten treffen. Letztlich wird es aber immer einen zentralen Grund geben, warum das Dorf nicht stirbt: weil wir nicht ohne den Reichtum und die Authentizität der Natur, die Resonanz mit dem, was viele die Schöpfung nennen, leben können. Dies ist wieder eine greifbare Perspektive geworden, jenseits von Mühe und Plage.
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