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SCHUBUMKEHR. Ein Plädoyer für die globalen Dörfer. (2008)

von Franz Nahrada.

Gerade eben lese ich in der Zeitung dass der Punkt überschritten ist an dem mehr Menschen in Städten als im ländlichen Raum leben. Drei komma drei Milliarden Menschen drängeln sich auf zwei Prozent der Landfläche des Planeten zusammen. Von der UNO wird diese Entwicklung begrüßt, denn sie gehört, so erfahren wir, zur - Entwicklung. Ohne Städte kein Wirtschaftswachstum, ohne Wirtschaftswachstum keine Entwicklung, kein Reichtum, kein Fortschritt. In den Städten konzentriert sich Dynamik, Logistik, Support. Komplexe Technologien. Bildung. Und so weiter.

Die Erfahrung und der tägliche Nachrichtenkonsum zeigen uns jedoch ein ganz anderes Bild: Neben glänzenden Hochhäusern und glitzernden Shopping Malls entwurzelte Menschen, Slums, Wanderarbeiter. Arbeitslose Menschenmassen ohne Verwendung. Verkehrsinfarkte, zusammenbrechende Infrastrukturen. Städte wie Ameisenhaufen, in denen sich menschliche Ansprüche wechselseitig die Luft zum Atmen nehmen. Astronomische Immobilienpreise, Spekulation, Verschuldung, prekäre Schicksale. Wir Europäer haben die Führerschaft in Sachen dramatische Verstädterung längst an andere abgegeben und sind doch Mitmacher geblieben.

Es scheint keine Alternative zu geben. Die Verbindung zwischen Erde und Mensch scheint sich aufzulösen. In den Vorstädten der Reichen und der Mittelklassen wird sie noch simuliert, die 'villegiatura', die Landnahme des freien Menschen auf eigener Erde, doch sie lebt nicht aus sich selbst heraus sondern ist abhängig vom Bankkonto sprich der Fähigkeit, zum Beispiel die Wasserbezugsgebühren regelmäßig zu zahlen. In den peripheren Regionen hingegen, dort wo kein Geld zu machen ist, beginnen sich wieder Füchse und Bären gute Nacht zu sagen, der Bauernstand wird abgewickelt, denn lange können wir uns die Subventionen nicht mehr leisten heißt es. Wo Feld war wird wieder Wald.

Anderswo weiter südlich geht es umgekehrt: wo noch Wald ist und damit Humus, wird gerodet, während ausgelaugte landwirtschaftliche Flächen veröden, versteppen. Grosso modo geht Kulturlandschaft en masse verloren, während die Globalisierung weiterzieht. Landwirtschaft ist Industrie. Industrie ist Konkurrenz um Stückkosten. Und die ist gnadenlos. Legendär sind die apokalyptisch anmutenden Landschaften der Glashausregion an der spanischen Plastikküste bei Almeria, aus denen ein großer Anteil unserer Salate kommt, doch schon wird über vertikale Agrarhochhäuser in Städten nachgedacht. "Food production" teilautomatisiert und genetisch optimiert, hygienisch und garantiert ungezieferfrei, genährt von Kunstlicht aus dem Atomkraftwerk. Der Salat schwimmt zu den Erntearbeitern, ein hydroponisches Fließband. Die Tiere haben wir ohnehin schon längst kaserniert.

Der Verlust ist schleichend, aber spürbar. Mit dem immer größeren Auseinanderklaffen der Lebenschancen und der Lebensstile, mit der Beschleunigung der städtischen Dynamik nimmt die Dynamik der Landflucht zu. In China ist es gar schon synonym zu sagen "Ich bin arm" mit "Ich wohne im Dorf". Städtische Slums heissen dort "Dörfer". Ja, es gibt auch schrumpfende Städte, der Wettbewerb wird härter, aber das ist nur Teil des Gesamtbildes und eben nicht der Trend. Es gibt Winner und Loser, nicht nur auf der menschlichen Ebene, sondern auch auf der Ebene ganzer Regionen.

Das eigentlich unerhörte ist: das Resultat menschlicher Aktivitäten bricht wie ein Naturgesetz über uns herein. Die immens steigende Produktivität hat sich unter den Bedingungen der Warenproduktion zur größten Bedrohung ausgewachsen, denn sie entwertet die Arbeit all derer, die mit dieser Produktivität nicht mithalten können. Schon Norbert Wiener, der Erfinder der Kybernetik, hat 1948 gefordert, die auf Kaufen und Verkaufen gründende Wirtschaft abzuschaffen, da die Automation den durchschnittlichen Menschen seiner Lebensgrundlage beraube. Doch erst heute hat sich die Wirtschaft dieser Kräfte universell und global bemächtigt. Die Idee dass unser Planet ein sich selbst im Gleichgewicht haltender Organismus ist, mit einem Haushalt, dessen (möglicherweise intelligentester und steuernder) Teil wir sind, ist seltsam ohnmächtig gegen diese von Menschen entfesselte Dynamik. Wir agieren primär als Individuen, Familien, Nationen, Kulturen - und erzeugen einen planetaren Fieberschub, an dem wir alle in verschiedenem Ausmaß leiden. Die Überhitzung wird spürbar, als Klimawandel und als Knappheit an Lebenswichtigem - Wasser, Raum, Lebenschancen. Immer mehr Menschen wollen eine Schubumkehr, doch wie ist sie zu bewerkstelligen?

Wenn im Aufruf zu diesem Buch nach "Städtegründern" gefragt wurde, nach Visionen einer anderen Zukunft, dann möchte ich eine solche beschreiben. Die Stadt - wenn wir darunter die heutigen Megastädte verstehen - ist nicht zu gründen, sie ist zu transformieren, vom alles in sich aufsaugenden Monster zum Netzwerkknoten, zur "Mutterstadt" eines sich wiederherstellenden Gleichgewichts von Städten und Dörfern. Alle Bausteine sind vorhanden, denn

...eine Welt globaler Dörfer ist möglich geworden.

Stellen wir uns einen einzigen kurzen Moment vor, wir wären in einem anderen Jahrtausend und die Menschen haben wie in einer alten Prophezeiung geweissagt wurde "ihre Augen geöffnet" und sind "nicht mehr in ihrem verwirrten Denken und ihren Städten gefangen". Müßten wir dann nicht auch feststellen, dass wir im Besitz aller Fähigkeiten, aller Werkzeuge, aller Kräfte sind, um aus diesem Planeten eine Heimat aller Menschen zu machen?

Beginnen wir mit einer statistischen Übung. Leiden wir an Überbevölkerung, ist die mehr an tierischen Überlebenskampf als an menschliche Gestaltungsfähigkeit erinnernde Konkurrenz um die Ressourcen tatsächlich eine Folge unserer schieren Anzahl? Ist es so, dass diese Erde und ihre Reichtümer eben nicht genug hergeben für sechskommasechs Milliarden?

Vor einigen Jahren wollte man in England extra einen Zweig der Ökologie mit dem Namen Pherologie (von lateinisch "fero", "tragen") gründen, um sich mit der Frage nach der Tragfähigkeit der Erde zu beschäftigen. Er ist freilich zu keinen eindeutigen Schlüssen gekommen, verschiedene Pherologen antworten mit einer Milliarde, zwei Milliarden, manche aber setzen Obergrenzen in zehnfachen Dimensionen an. Die Tragfähigkeit der Erde hängt weitgehend von der Gestaltung der menschlichen Produktions- und Lebensweise ab. Sie wächst in dem Ausmaß, in dem der Mensch selbst zur Erneuerung der natürlichen Ressourcen beiträgt, statt sie zu verbrauchen und zu degradieren. Sie hängt von Konsumgewohnheiten und Ansprüchen ab, zum Beispiel vom Anteil des Fleischkonsums an der Ernährung (die bis zu siebenfache Menge von Nahrungsmitteln wird als Futtermittel benötigt) oder von den Mobilitätsgewohnheiten und Transporterfordernissen. Gelingt es, diese Ansprüche in ein vollkommen der Natur und ihren Prinzipien angepasstes technologisches Schema zu integrieren, dann ist die Bevölkerungszahl nicht das primäre Problem. Es ist ja nicht der Mensch in seiner organischen Leiblichkeit, der das Problem verursacht, sondern seine Autos, Fabriken, Häuser, Städte, also die technischen Artefakte und ihre Gestaltung.

Die Antwort auf die Frage nach der Alternative liegt also vielleicht viel weniger als weithin angenommen in einer Reduzierung des Ressourcenumsatzes, sondern in einer für den planetaren Gesamthaushalt förderlichen Gestaltung genau der technischen Artefakte, die die menschliche Lebens- und Reproduktionssphäre ausmachen. Damit ist nicht die Umstellung von Benzin- auf Elektroautos gemeint, obwohl dies ein Übergangsphänomen sein könnte, denn auch Elektroautos erzwingen eine ungeheuren Sekundäraufwand an Strassenbau, Flächenversiegelung und so weiter. Damit ist auch mehr gemeint als Passivhäuser zu bauen.

Die Antwort liegt im Innersten vielmehr in einer möglich gewordenen Enthierarchisierung des Raumes, in einer ungeheuren Dezentralisierung menschlicher Lebensaktivitäten, durch die eine Fokussierung auf lokales Gleichgewicht menschlicher Aktivitäten mit umgebenden Naturprozessen möglich geworden ist. Bildlich gesprochen: es ist uns möglich geworden, "ins Dorf zurückzukehren und die Städte mitzunehmen" . Die erst in den letzten Jahrzehnten zur Entfaltung gelangten Technologien der dezentralen flexiblen Automatisierung und des ubiquitären Informationsstroms Internet zusammen ergeben die Chance, komplexe menschliche Lebensumgebungen drastisch zu miniaturisieren und funktionell in den Haushalt und die Topologie unseres planetaren Systems einzubauen.

Das Argument dafür haben Stoffstromanalysen geliefert, die zeigen, dass mit der zunehmenden Größe der Stadtsysteme die Versorgung mit zusätzlichen Einheiten an Wasser, Nahrung, Energie immer aufwändiger wurden; fast alle Prozesse unserer Zivilsation benötigen "Dissipationsräume", in denen Wasser und Luft gereinigt, gefiltert, gespeichert, in denen die hochwertigen organische Ausgangsmaterialien unseres Lebens aufgebaut und synthetisiert werden. Der ideale menschliche Siedlungsraum in diesem Sinne ist das Dorf oder die kleine Stadt....

....die dem Einzelnen einen Ausweg aus der psychologischen Dominanz der Kultur und der Künstlichkeit gibt und sich nicht als Nummer, sondern als autonomer Mensch zu erleben ;

....die Gruppen von Menschen umgekehrt auch die Möglichkeit der Manifestation von Werten und Stilen in ihrem Leben gibt, von Gestaltung und Raum;

....die vor allem aber auch die Menschen und ihr Habitat funktionell mit ihrer Naturumgebung zu einem Kreislaufsystem verbindet.

Ausgerechnet der feldbildende, den Raum und seine Hierarchien scheinbar überwindende Charakter der Informationstechnologien haben die Rückkehr zu lokalen und verdichteten Lebensräumen möglich gemacht, ohne die einschneidenden Verluste an Status und Einkommen, die zu unserer Zeit noch damit verbunden sind.

An die Stelle der Hypermobilität tritt die Hyperlokalität; wir brauchen uns nicht wie verrückt auf diesem Planeten zu bewegen, um das zu finden, was wir suchen, wir haben es zunehmend in unseren eigenen Räumen, die durch die Netzwerkrevolution mit Verbindungen und Informationen aufgeladen, verdichtet, spannend sind.

Der Geist kehrt aus den großen Institutionen, den Universitäten, Archiven, Bibliotheken, Archiven, zurück in jedes Heim, wo digitale Artefakte jeder Art verfügbar und bearbeitbar werden.

Die dermaßen global zirkulierende Information, wird sie sachgerecht betrachtet, im Verbund mit der "realisierenden" Technologie der dezentralisierten Automation, wie sie am entschiedensten, aber auch am missverständlichsten im sogenannten "Rapid Prototyping" (den berühmten "Fabrikatoren", also 3D-Materiedruckern) zum Ausdruck kommt, hat mehrere, einander trefflich ergänzende Eigenschaften, die zusammen einen Quantensprung auslösen:

  1. Wir können gemeinsam Gegenstände hoher Komplexität entwerfen.
  2. Wir können diese Entwürfe unendlich oft und überall hin kopieren
  3. Wir können diese Entwürfe auseinandernehmen und neu zusammensetzen, gemäß unseren Bedürfnissen modifizieren und weiterentwickeln.
  4. Wir können mit diesen Entwürfen Maschinen betreiben die die Entwürfe realisieren.
Auf dieser Grundlage ist es, wie George Gilder einmal geschrieben hat, sehr viel einfacher geworden, an jedem Ort der Welt menschliche Produktivität und Reichtum zu entfalten. In Verlängerung dieses Gedankens läßt sich sagen, dass es auch möglich geworden ist, das jeweils passende und für die planetare Funktionalität passende menschliche Lebensvorsorgesystem wachsen zu lassen. Jedes so entstandene "Dorf" ist ein Ausdruck des Wissens und Könnens der ganzen Welt, das mit den lokalen Gegebenheiten eine nachhaltige Kooperation eingeht.

Dabei können Ideen, die an einem Ort entstehen, an Millionen von Orten reproduziert werden, und der Anstoß diese Ideen zu entwickeln und zu verbreiten ist der schlichte Umstand dass ein Vielfaches an Innovation von anderen Orten zurückkommt. Eine "Informationsgesellschaft", ernst genommen, wäre keine "Informationsbewirtschaftungsgesellschaft", sondern eine Gesellschaft des freien Wissens, in der die kooperative Natur des menschlichen Wissens voll zur Geltung kommt. Jede lokale Realisation dieses Gedankens wirkt unmittelbar verstärkend und eine kritische Masse solcher "globaler Dörfer" würde schließlich die derzeit dominante Form der Wirtschaft "auskooperieren".

Globale Dörfer sind so nach dem Prinzip der Hyperlokalität gestaltete Lebensräume, in denen die mehrfachen Vorteile des freien Wissenaustausches ("Open Source") bewusst angewandt werden.

Was derzeit noch utopisch klingt, wird von vielen Menschen heutzutage schon konsequent verfolgt; das Solar Heat Pump Electrical Generation System Projekt ( http://www.shpegs.org/) ist ein offenes Projekt, das versucht, die notwendige raschestmögliche Umstellung auf erneuerbare Energien und im speziellen auf Geothermale Verfahren durch die Bündlung der Entwicklungskapazität vieler Unternehmen zu erreichen. "Prinzipien und Projektmanagement Linus Torvalds mit Linux und die vielen anderen Beiträge zu Open Source und freier Software haben gezeigt, wie erfolgreich gerade grosse Projekte sein können. Und obwohl sich dieses Projekt von freier Software in vielem unterscheidet, können das Konzept und Design in ähnlicher Weise entwickelt werden und ähnlich rasche Resultate zeigen." (von der Website http://www.shpegs.org/). Ähnlich setzt der Anglokanadier Richard Nelson auf die freie Weiterentwicklung seines "Solaroof" ( http://www.solaroof.org) durch weltweit kooperierende Communities. In transparenten Behältnissen und Schlauchsystemen auf den Dächern soll nicht nur Wasser erwärmt, sondern auch systematisch Biomasse in Form von hochwertigen Algen angereichert werden - diese "Blau Grünen Dächer" wären wohl weltweit die sinnvollste Lösung, um das in Übermaß vorhandene atmosphärische CO2 - ein Erbe der verbrannten Biomasse aus der Karbonzeit - zu sequestrieren. Algen wiederum könnten Ausgangspunkt für viele phytochemische (also auf pflanzlichen Rohstoffen statt auf Erdöl basierende Chemie) Prozesse sein und einen ganzen Metabolismus lokaler Produktion und Stoffumwandlung speisen. Produkte aus Algen umfassen heute schon nicht nur Kosmetika und medizinische Produkte. Wärmedämmstoffe und Dünger, sondern sind sogar eine wertvolle Ernährungszutat.

Im Zuge dieser Schaffung einer ganzen Welt neuer Artefakte die zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien und Stoffen zu tun haben - beschleunigt durch die Bewegung der Open Source Ecology - kommt es auch zu einer Würdigung der Qualität vieler Pflanzen- und Tierarten selbst, die im Verbund mit dem Menschen und seinen Artefakten eine immens reiche Lebenssphäre zu schaffen in der Lage sind. Die fortgeschrittenste Automationstechnik wird beschämt durch die Selbstherstellung, Selbstheilungsfähigkeit und Sensibilität der Pflanzen, die weit über photo- und chemotropische Mechanismen hinaus ein Kommunikationssystem enormer Leistungsfähigkeit mit ihrer Umwelt besitzen. Der Mathematiker und Informatiker Leonard Adleman hat in den neunziger Jahren entdeckt daß DNA-Polymerase die Eigenschaften einer rechnenden Turing - Maschine hat, eine Forschungsgruppe der Universität Berkeley fand unlängst heraus, daß während der Photosythese ein supramolekularer Prozess zwischen Chlorophyll- und Pheophytin-Molekül stattfindet, der einen hocheffektiven quantenphysikalischen quasi "Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozess" für den Weg der Protonen im Antennensystem darstellt.

Ich will nicht behaupten, dass ich mich als Soziologe mit diesen Dingen übermäßig gut auskenne, aber eines ist sicher: der Mensch ist gut beraten, näher hinzusehen und das Design der Natur zu begreifen. Das was er erfolgreich über Jahrtausende getan hat, sich mit einem kulturell überformten Ökosystem zu umgeben, ist wohl die einzige Überlebensperspektive nach den wenigen Jahrhunderten des industriell - fossilen Wahns. In dem Maß, in dem die zentralisierende Industrie durch die dezentralisierende Automation abgelöst wird, indem gerade durch diese Industrie Dinge geschaffen werden die Intelligenz eingebaut haben, die sie zu Aktionen (und sogar zu eigener Produktion) befähigt, in genau diesem Masse erkennen wir die Strukturanalogien zwischen unseren Produkten und den Lebensformen um uns herum. Es ist nicht einzusehen, warum die Kreaturen aus Silikon und die aus Karbon in einen Kampf um diesen Planeten treten sollten; sie sind miteinander verwandt und werden einander immer ähnlicher.

Es wird schon sichtbar, und ich habe oben das "Dorf" unter Anführungszeichen gesetzt; das Nachher kann und wird sich dabei, durch unser gewachsenes Wissen, vom Vorher der präindustriellen Periode durchaus radikal unterscheiden. Wir haben gelernt zu analysieren und zu synthetisieren, uns mit künstlichen Stoffen zu umgeben. Neuere Forschungen - unter anderem von Braungart, McDonough und von Hanswerner Mackwitz - zeigen uns, dass die nächste Generation dieser Materialien zumeist pflanzlichen Ursprungs sein werden - wir kennen bereits heute kompostierbare Plastikflaschen und können aus den immensen pflanzlichen Abfällen von Mais und Sonnenblumen Verpackungsmaterial und Ähnliches generieren. Diese Materialien sind vor allem nichttoxisch und fließen in mehr oder weniger wertvoller Form direkt als Rohmaterial in natürliche Prozesse zurück.

Der amerikanische Ökopionier Joseph Smyth hat als Architekt sich über viele Jahre mit einer ganz speziellen Baumart beschäftigt, dem von chinesischen Züchtern entwickelten Paulonia - Baum. Paulonia wächst in einer ganz spezifischen Art sehr schnell und kerzengerade nach oben, um dann nach 5 Jahren eine schirmförmige Krone mit großen halbtransparenten Blättern zu bilden. Smyth entwickelte nach chinesischen Ideen Wiederaufforstungspläne für subtropische Gebiete, in denen aus Pauloniawäldern riesige natürliche Hallen entstehen, gekühlt und klimatisiert, in denen genau die richtigen Bedingungen herrschen, um zum Beispiel Getreide anzubauen.

Meine spontane Reaktion auf diese Bilder war: wir müssen alle zu Förstern werden, wir können diese Chance auf Lebensraum nutzen. Emphatisch schrieb ich später ein "Manifest der globalen Dörfer", das so begann: "Unser Leben hat auch und vielleicht vor allem den Sinn, Landschaft zu bewahren - die Schönheit des Planeten in dem wir wohnen. Wir können uns nicht von der Natur zurückziehen und sie verwildern lassen: dazu greifen wir schon längst viel zu tief in den Haushalt des Planeten ein. Also müssen wir hinausgehen aus unseren Städten und mit den Pflanzen und Tieren eine neue Gemeinschaft begründen - im Wissen darum, daß dies überall auf der Welt gleichzeitig geschieht. Wir haben nichts anzubieten als unser Wissen und unsere Fähigkeit zu lernen - vor allem aus unseren Fehlern." Ich beschrieb die Faszination, die davon ausgehen könnte, den rein virtuellen und spektakulären Ideenreichtum der Stadt in mannigfaltige kulturelle Verschiedenheit der Dörfer umzusetzen; in eine gelebte materielle Realität, die uns wieder Schöpfertum und Autonomie ermöglicht; einen Prozess der Evolution von neuen Technologien und Siedlungsformen einzuleiten, der an die Vielfalt der Organismen gemahnt; und ich schrieb über den globalen Geist der Kooperation und des wechselseitigen Austauschs von Ideen, der die Gemeinschaft der Globalen Dörfer beflügelt und befeuert.

Das "Dorf", in das wir überallhin auf dem Planeten zurückkehren können, wenn wir erkennen dass unsere derzeitigen Produktionsschlachten vollkommen zerstörerisch und sinnlos geworden sind, dieses Dorf ist eingebettet in die "lebenden Maschinen" einer zweiten agrikulturellen Revolution, in Hydro- und Hortikulturen, in einen künstlichen Dschungel höchster biologischer Produktivität, in komplexe Permakulturen mit Mikroklimata, in denen wir mit und nach dem Paradima der Pflanze leben werden. Es ist die wahre Fabrik, der wahre Produktionsort, und der Anteil der Hochtechnologie, die dafür in großstädtischen Zentren produziert werden muss geht ständig zurück. Nach innen und nach außen wird unsere Lebenssphäre wirklich organisch werden, und sie wird daher auch weiter an Gestalt zunehmen statt amorpher zu werden.

Der amerikanische Stadtplaner PaoloSoleri hat in den fünfziger Jahren eine radikale Antithese zur Flächenstadt und zur immensen Verhüttelung der Landschaft durch Einfamilienhäuser formuliert, und die Idee in die Welt gesetzt, Städte als integrierte bauliche Einheiten zu begreifen; analog den Siedlungen der Anasazi und Pueblo-Indianer und den Tierstädten der Inka. Soleri sprach klar aus, daß es ein Grundgesetz der biologischen Evolution gibt, das auch der Mensch eventuell zu beherzigen haben wird: Organismen entwickeln sich in Richtung höherer Komplexität, was sie dazu zwingt, permanent Wege der Miniaturisierung zu erfinden, um nicht an der schieren Größe der Systeme und dem Energieaufwand der Organe zugrunde zu gehen. Erst dann sind sie dauerhaft und nachhaltig, wenn sie energetisch auf einem Level mit ihrer Umwelt sind. Was für den einzelnen Organismus im Lauf der Evolution galt, gilt auch für die menschliche Siedlungsform als Ganzes.

Komplexität und Miniatirisierung gilt es also in den globalen Dörfern zu verwirklichen, freilich auf einer Stufe, die dem Denken der fünfziger Jahre mit seinem für heutige Begriffe gigantomanischen Ausmaßen völlig fremd ist. Soleri hat in der Wüste von Arizona eine Stadt kleinster Bauart prototypisch schaffen wollen, und diese Stadt namens Arcosanti ist heute nur zu 5 Prozent fertig, die Baustelle steht wie ein toskanisches Dorf auf einer Mesa in der Wüste 50 Meilen südlich von Phoenix und ist ein eigentümlich angenehmer und einladender Ort Vielleicht ist gerade diese Größe, in der gerade einige hundert Menschen leben können, heutzutage schon ausreichend, um jenen "urbanen Effekt" zu erzielen, der uns allen so wichtig ist dass wir von unserer Arbeit mit der Erde desertiert sind.

Was macht einen städtischen Raum eigentlich so attraktiv und einen dörflichen weniger? Der britisch- amerikanische Architekt TonyGwilliam hat sich in seinem unpublizierten Essay "Synchroni-City" eingehend damit beschäftigt. Städtische Räume bieten intensive Oberflächen der Aktion, Geschäftszeilen, Arkaden, Märkte, in denen Leben pulsiert und menschliche Aktivität angeregt wird. Diese "Muster" wiederholen sich kulturübergreifend und werden immer neu geformt. Das traditionelle Dorf ist trotz seiner scheinbaren Nähe ein interaktionsarmer Raum, die Häuser abweisend, privat, uniform. Gwilliam entwirft eine völlig neue dörfliche Struktur mit Grünwegen, in denen sich Menschen an der Vorderseite ihres Lebens in halböffentlich - halbprivaten Zonen bewegen, deren primärer Sinn es ist, die Potentiale globalen Wissens und Könnens ins Lokale und in die menschliche Interaktion zu bringen, während an der Rückseite der Häuser die miniaturisierten Elektrofahrzeuge für die mannigfaltigen Transportaufgaben unter der Erde verschwunden sind.

Dies ist also offensichtlich die Aufgabe: ins Kleine, intensiv an die Natur Angebundene zurückzukehren, ohne dabei die Komplexität und das Wissen aufzugeben, das es uns ermöglicht, unser Dasein frei zu gestalten. Diese Bewgung ins Kleine ist insgesamt eine große; eine Kulturbewegung, eine technische Bewegung, eine soziale Innovation. Wir wollen die Kohäsion und die Anbindung an den gesellschaftlichen Organismus nicht aufgeben, sondern so gestalten, dass nicht nur ein Maximum an Umweltverträglichkeit, sondern ein Maximum an Freiheit und Lebensqualität erzielbar ist. Das Globale Dorf erfordert von wenigen Menschen, in ihrem lokalen Funktionskreis eine große Zahl an verschiedenen Aufgaben zu erfüllen - dies ist nur möglich wenn hinter jedem Menschen im Dorf eine virtuelle Gemeinschaft steht, sei es die der Lehrer, die der Heiler oder sei es die der Schuster.

So wird auch klar, wie der An-Schub für die globalen Dörfer gegeben werden kann. Er besteht zuallererst in der Befähigung, in einer Bildungsrevolution, die uns umfassend befähigt die Dinge wieder selber beziehungsweise miteinander zu tun. Der erste Schritt ist ein primär geistiger: begreifen dass wir den Informationsreichtum der Welt für lokale Entwicklung aufbereiten müssen, neue Bildungsinstitutionen entstehen lassen, die mithilfe des Internet Menschen nicht nur bilden, sondern wieder miteinander in Verbindung bringen.

(copyright bis August 2008; veröffentlicht in MachtUmWelt der EDITION BAWAG; ab September 2008 zur Weitergabe freigegeben)


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