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Leben Meiner Großmutter Maria Weber


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Ihre hochmusikalische Sangesfreude und ihr hartes Familienleben
Ihre hochmusikalische Sangesfreude und ihr hartes Familienleben

Berta Klement

Aus dem Leben meiner Großmutter Maria Weber (1859-1941)
Ihre hochmusikalische Sangesfreude und ihr hartes Familienleben

Auch in ihrem höchsten Alter hörte sie einfach alles. Wie viel „Hintergründiges“ war in ihrem Schweigen. Am Ende ihrer heute fast unvorstellbaren Lebensleistung war sie verblieben als unser Mittelpunkt mit seiner Liebe und Verehrung mitteilenden Ausstrahlung. Ihre Erinnerungen ließen uns sogleich aufhorchen:

Etwas Geheimnisvolles mochte in ihr vorgehen, wenn jemand an der Tür klopfte: „Jetzt, jetzt kummt er!“ wachte sie aus ihrem Nachsinnen auf, in das sie aufseufzend wieder versank. Sie flüsterte nur mehr: „Ja, mei Poldi! Kumm endlich, kumm z´ruck!“

Sie konnte es nie mehr erfassen, dass er im ersten Weltkrieg als „vermisst“ gemeldet worden war. Er, der wie geschaffen und bewährt war, das Lebenswerk des Vaters Karl Weber weiter zu führen Dieses war angewachsen auf 200 Pferde, dazu etwa 100 Kutscher, Handwerker und hausgesinde. Die Großmutter horchte und horchte: „Jetzt kummt er, er der gefallen war für „Gott, Kaiser und Vaterland“, wie nahm sie ihn wahr ?

Inzwischen war der zweite Weltkrieg ausgebrochen. „Der Dank des Vaterlandes ist euch gewiss...!“ lautete eine der ermutigenden Phrasen, welche das Durchhaltevermögen aller überzeugend bekräftigen sollten.

Es ging auch um den Nachwuchs: Würdige Frauen bekamen „Mutterkreuze“ verliehen, je nach der Anzahl ihrer Sprößlinge in Bronce, Silber oder Gold. Zehn Kinder hatte „die Weberin“ geboren. Die Familie war sich einig, dass sie dafür ausgezeichnet werden sollte. Wir alle warteten vergebens.

Ahnungsvoll fragte Großmutter oft:„Hab´n die auf uns leicht vergessen? Oder mög´ns uns einfach net? Oder wart´ns, bis der Kriag aus is?“ Man hat es nie erfahren, warum eigentlich diese vorbildhafte Frau aus dem Volk damals von „Staat und Partei“ unbeachtet worden ist. Wir hätten ihr das „goldene Mutterkreuz“ von Herzen gegönnt. Wie so viele zwischenmenschliche Erschütterungen hat auch diese „Zeiterscheinung“ dazu beigetragen für unsere Entwicklung zwischen „Schein“ und „Sein“ direkter unterscheiden zu lernen. Zu unser aller Ehre suchten wir den Anschluß an die wirkliche Herkunft der Frau Maria Weber und was sie zu überwinden vermochte, um innerlich mit zu wachsen und zu reifen, über das Tagesgeschehen hinaus.

Oftmals hatte ich den Eindruck, sie hatte ihre besonderen Lebenskräfte aus ihrer Vorheimat in den „Hohen Tauern“ mitgebracht.

Die Spur führt dort nach „Flattach-Berg“ im Mölltal. Uralte Ruinen von Schmelzwerken erinnern heute noch daran, wie man einst Gold und Silber aus den Bergen ringsum gebrochen hat. Die „Fercherischen“ waren geprägt worden durch die Schwerarbeit als Bergleute. Als solche zogen sie mit zu neuen Fundorten, nachdem die unergiebig gewordenen stillgelegt worden waren. In Rauris und in Werfen hat man noch Gold und Edelsteine aus den Aachen und dem Sand der Salzach geschlämmt. Die allgemeine Weltwirtschaftslage hat es mit sich gebracht, dass dort die Naurvorkommnisse nicht mehr „zum Leben und nicht mehr zum Sterben“ reichten.

Sich selber getreu fanden die Bergleute eine neue Lebensstellung im Salzbergwerk in Hallein. Seit Jahrtausenden wird dort der „Dürrnberg“ unterminiert über die landesgrenze hinweg bis nach Berchtesgaden. Die Naturgewalten bedrängten alles und förderten zugleich einen besonders stämmigen Menschenschlag. Großmutter erzählte, wie sorgenvoll ihr Vater“einfuhr“ in die Tiefe eines Berges, dessen eigentümlicher Druck stets auch ein „Zuwachsen“ der Stollen als Antriebs-Geisel der Zimmerleute „unter Tag“ bewirkte, war da auch die Gefahr eines plötzlichen Selber-verschüttet-werdens ! Die Festtagskleidung dieser Bergleute war diesen Lebensumständen entsprechend „schwarz und weiß“. Sie fanden sich an Feierabenden auch alle wiederum zusammen, um zu jodeln, zu singen und zu musizieren. Dies hatten sie einfach „in sich“, sodass ein Notenlesen überflüssig zu sein schien.

„Über Tag“ - auf diesem Dürrnberg – deckt nur eine dünne Grasnarbe den salzhaltigen Boden. Fast täglich wird diese überregnet, wo noch die Luft so salzhaltig angereichert ist, dass auch besondere „Luftkurorte“ sich dort ausbreiten konnten. In dieser „g´sunden Gegend“ gibt es auch die Wallfahrtskirche „Maria Dürrnberg“. Dort hat meine Großmutter mit ihrer besonders ergreifenden Stimme im Kirchenchor wie auch solo gesungen, ohne Ausbildung – wunderschön ! Weit und breit sollen es Wallfahrer herum gesprochen haben, dass der Gesang dieses jungfrischen Geschöpfes vernommen werden könnte als ein „Höhepunkt aller Andacht und Volksfrömmigkeit.“

Das war eines Tages auch einem hochgebildeten Sommergast aufgefallen. Mit den besten Absichten wollte er aus diesem „Naturtalent etwas machen“. Der Vater meiner Großmutter war gerade zu einer „längeren Schicht“ in den Berg eingefahren. Da kam der „Stadt-Frack“ - wie der wohlmeinende Herr später nur mhr genannt worden ist. Er „verdrehte“ Mutter und Tochter völlig den Kopf mit der Aussicht auf eine „große Karriere“ ihrer Tochter. Voll freudigster Erwartung zog seine Entdeckung sogleich mit in die große, berühmte Musikstadt Salzburg.

Abgekämpft kam ihr Vater wieder ans Tageslicht und nach Hause. Überströmend von Glück und Fantasie erzählte ihm seine Frau „einfach alles“. Das war zuviel für den schlichten Bergmann. Seine Welt war ihm voll aus den Angeln geraten und voll Entsetzen marschierte er so wie er aus dem „Berg“ gekommen war, zu Fuß viele Kilometer weit bis in die Stadt. Seine väterliche Angst ließ ihm überwach werden und dort direkt die Musikschule erfragen. Er ging mitten hinein in den Unterricht, wo unter den Schülerinnen wirklich auch seine Tochter saß, verklärt wohl durch das Erleben eines allerbesten Gesangunterrichtes. Er aber soll nur gebrüllt haben: „Du wirst mr net so ane wearn wie die da!“ Welch eine furchtbare Vorstellung muss ihn überwältigt haben. Ohne alle Umstände fasste Vater Fercher sein Kind Maria fest an der Hand und es folgte ihm, brav wie immer. Hand in Hand gingen beide den weiten Weg zurück nach Hause auf den Dürrnberg. Dort blieb es weiterhin geborgen im alltäglichen Volksleben.

Eines Tages hieß es: In der Stadt braucht eine „vornehme Gnädige“ ein Stubenmädchen. Maria Fercher war bereit, als solches „in Dienst zu gehen“. Inzwischen war sie zu einer wahren „Schönheit“ herangereift. Abermals wurde sie „entdeckt“. Es war Karl Weber, ein besonders tüchtiger „Reitbursch“ des Grafen Taulow zu Salzburg. Er ließ nicht mehr ab von ihr, bis sie einwilligte, mit ihm nach Wien zu ziehen. „Ja, aber i kann z´sammräumen – aber no net guat gnua kochen“ Er aber sprach: „Wenn man will, erlernt man alles! Wirst es sehn: Du kannst es.“ Karl Weber baut sie einfach in seinen besonderen Unternehmungsgeist ein und sie folgte ihm zeitlebens voll Vertrauen und Verehrung.

Oft wurde der Großfuhrmann- der selber sehr „klein“ angefangen hatte – auch gefragt, wie er zu seiner zehnköpfigen Kinderschar unter solchen Umständen kommen konnte. Seine Antwort war immer gleich: „Weil si so schön gewesen ist!“

Dieses Leitbild bewahrte mein Großvater auch, als das Schicksal zuschlug. Sie erkrankte an dem damals noch unheilbaren „Knorpelsubstanz-Schwund“. Mit großen Schmerzrn blieb sie bis zum Tode gefesselt an einen geräumigen Krankensessel und ihrem Rollstuhl. Mein Großvater litt von Herzen mit ihr mit. Er zog die besten Ärzte zu Rate und suchte alle möglichen Heilbäder mit ihr auf. „Rühat´s mi net an – ihr tuat´s ma ja alle nua weh!“ - So klingt es mir heute noch in den Ohren. Besonders empfindsam begann sie auch noch so gut gemeinte Annäherungen abzuwehren und versank in tiefes Schweigen.

Nur ab und zu erzählte sie wieder aus ihrem Leben: „Das waren halt Zeiten, stellt´s euch vor: Zehn Kinder nacheinander! Wenn die Kindsfrau g´sagt hat: „Guate Nacht, gnä´ Frau, heut kann i nimmer!“ hab´ i allein oft nächtelang aufbleiben müssen und alle versorgen und beruhigen!“ Mit ihr gemeinsam erinnerten wir uns auch an ihren riesigen Küchenherd – mitten in der Wohnung. Wir Kinder mussten abwechselnd seinen breiten Metallrand wiederum glänzend putzen, mit Reibsand und Schmirgelpapier. Dieser wurde immer angepatzt durch kleinere Kinder, die mit ihren Blechkannen um Suppe kamen, als Zubesserung zum kargen Mittagstisch vieler Familien zu Hause. Dieser Suppentopf war riesig groß. Er sand in der Mitte des Herdes. Wenn Großmutter ausschöpfte, sah sie jedes Kin erst „in die Augen“. Dann kommandierte sie: „Du kriegst drei Schöpfer voll, du vier – i was, ihr habt´s an klan Bruada kriagt.“ Ihr gerechtes Augenmaß war gebunden an das Wissen um all die sozialen Verhältnisse der Menschen ihrer Umgebung.

So haben die „Brotgeber“ nur die Familien ihrer Arbeiter zusammengahalten, wohl begabt durch eine unbewusste „Kunst der Menschenführung.“ Nur die Liebe zu einem gemeinsamen Lebenswerk vermochte alle harmonisch zu finden, die da kamen aus Ungarn, Polen, Tschechien, Kroatien, der Slowakei, zusammengewürfelt auch mit Burgenländern und Steirern. „Der Ton“ machte zwischenmenschlich eine „Musik“, die sich von meiner Großmutter voll Gefühl wie ein „Lied ohne Worte“ auch auf die Harmonisierung von „Härtefällen“ während der alltäglichen Schwerarbeit aller „Weberischen“ Familienmitglieder auswirkte.Inmitten sogar „wilder Gesellen“ stand meine Großmutter oft da „wie aus Urgestein“ sagte man – wenn sie Wochenlöhne einzuteilen hatte.

Was meiner Großmutter in ihrer langen körperlichen Leidenszeit wohl tat, blieb die bloße Anwesenheit der Menschen aus ihrer Großfamilie. Mein Bruder und ich wurden da eingeteilt, ihr regelmäßig vorzulesen aus ihrem „Unversalkalender“ aus Böhmen. Es waren rührend wahre Geschichten aus dem wirklichen Volksleben. Auf den „letzten Seiten“ fanden wir auch „Witze“ abgedruckt und illustriert, über die wir Kinder laut lachen mussten – bis Großmutter uns ermahnte: „Na, über alles deaf ma a net lachen!“ Sofort schämten wir uns und schärften zugleich auch unser kritisches Urteilsvermögen. Wenn wir wieder brav zuhören wollten, erzählte Großmutter auch voll Andacht, wie sie alljährlich ein Mal mit ihrem „Herrn Weber“ nach Maria Schutz am Semmering und sogar nach Mariazell wallfahrten gefahren ist mit seinem schönsten Pferdegespann.

Es steht endlich auch an zu fragen, was aus der einst vielversprechenden Musikalität und der besonders schönen Stimme meiner Großmutter geworden ist ?

Ihre Schmerzen schien sie zu vergessen, wenn jemand da war, der ihr „zuwie-singen“ konnte, wie in ihren Jugendtagen. Wir horchten gespannt und versuchten endlich selber, die harmonisierenden „zweiten und dritten Stimmen“ wie auch das „Drüber – und Drunter“ zu singen als auch das Jodeln. Sie hörte wohl alles, was wir da hervorbrachten, aber sie ließ uns lange gewähren, weil es sich „wie von selber“ einstellen sollte: dass auch wir die natürliche Harmonie eines schlichten, oft urtümlichen „Singsangs“ erfassten, sodass endlich alle einfach richtig zusammen singen oder tanzen konnten. Da fiel es mir auf, dass Großmutter beim gemeinsamen Singen eine Begleitstimme zu der Hauptstimme sang, die zu singen sie nicht nur selber meinte, sondern auch verteidigte gegen alle unsere kritischen Einwände. Verunsichert fragte ich als Musikstudentin einen weltberühmten Stimmbildner und Chordirigent um Rat ob des hier geschilderten musikalischen auch möglichen Missverständnisses. Er beruhigte mich, dass dieses Phänomen vor allem bei Menschen zu beobachten ist, die „innerlich ganz voll Musik sind“, voll von „innerlichem Hören“. Als ich das inzwischen sehr hohe Alter meiner Großmutter angab, lächelte er und meinte: „Vielleicht hört sie auch bald alle Engel singen. Störe sie dabei nicht.“ Diesen sehr weisen Worten verdanke ich selber auch die Wahrnehmung einer Brüchigkeit unserer Entwicklungsschritte, welche die Hoffnung aufkeimen lassen könnte, dass aus diesen neue Keime lebendig hervor drängen könnten, wenn nicht mehr in dieser – so in einer besseren Welt.

Voll Mitgefühl könnte man hier auch erahnen, wie durch ihre alle Kräfte fordernde Pflichterfüllung auf dem Boden ihres Familienlebens das Erklingen ihrer einst zu großen Hoffnungen verführenden Singstimme ermattet, ja verdrängt worden ist. Verstorben ist sie jedoch nie, weil das Singen – mit welchen Ausdrucksmitteln immer – zu unserem ganzen Menschsein dazu gehört.

In den Kindern und Enkerln singt Großmutter auch heute immer weiter!