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Falter 42/17

18.10.2017

Saskia Schwaiger

...

Syrisch-orthodoxe Frauen in Wien: Die Tradition sieht Kopftuch und strikte Geschlechtertrennung beim Gottesdienst vor.

Am Sonntagvormittag ist bei der Kirche Mor Ephrem am Stefan-Fadinger-Platz in Favoriten der Himmel los. Schwarze BMWs mit Wunschkennzeichen parken im Schatten der Bäume, daraus steigen Männer im Anzug und mit getrimmten Schnurrbärten und Frauen mit offenem Haar, hautengen Minikleidern und Highheels. Eilig gehen sie auf den Eingang der Kirche zu, die Frauen greifen in ihre Handtaschen, ziehen Spitzentücher in Schwarz oder Weiß hervor, werfen es über ihre bloßen Schultern und verschwinden im Dunkel des Innenraums.

Seit Stunden liegt ein klagender Gesang in der Luft, einzelne Frauen- und Männerstimmen wechseln mit der lauten Antwort des Kirchenchors, immer wieder durchbrochen von der kräftigen Stimme des Paters, der in einer seltsamen Sprache die Liturgie vorgibt: „Abun d-Baschmayo, Nethqadasch Schmoch….“, Vater unser im Himmel, geheiliget werde dein Name. „Aschkur.Allah“, flüstern Familienväter in den hinteren Reihen mit eifrigem Kopfnicken: Ich danke Gott. Und: „Amin“, Amen.

Allah? Wie kommt Allah in die Kirche? Und wer sind diese Menschen, die in einer sehr archaischen Form ihren Gottesdienst zelebrieren?

Die Kirchgänger nennen sich „Suryoye“, es sind syrisch-orthodoxe Christen, die hier jeden Sonntag beten. Die meisten von ihnen stammen aus dem syrischen Grenzgebiet in der Osttürkei, viele leben seit den 1970er-Jahren in Österreich. Durch die Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre hat die Kirche zuletzt unerwarteten Zuwachs bekommen. Auch andere Kirchen füllen sich mit Christen aus dem Nahen Osten, die in Wien Zuflucht gesucht haben.

Die Kirche Mot Ephrem hieß früher Kirche Maria vom Berge Karmel und war bis vor einem Jahr römisch-katholisch. Nachdem die Gläubigen ausbleiben und mangels Pfarrern kaum die bestehenden Kirchen bespielt werden konnten, überließ die Erzdiözese Wien die Kirche der syrisch-orthodoxen Gemeinde unter Pfarrer Emanuel Aydin. Das verwaiste Gotteshaus an den Ausläufern Favoritens kam ihm gerade recht: Während die ursprüngliche syrisch-orthodoxe Gemeinde aus ein paar Familien der ersten Generation von Gastarbeitern aus dem Osten der Türkei bestand, hat sie sich innerhalb der letzten drei Jahre mehr als verdoppelt: Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien haben die Gemeinde auf 10.000 Gläubige anwachsen lassen. Daran war Aydin, heute 76, nicht gerade unbeteiligt.



2.Seite:

.... .....

„Die Kirche Mor Ephrem am Stefan-Fadinger-Platz in Favoriten (links). Die Katholiken bleiben schon länger aus, jetzt strömen syrische Flüchtlinge in die orthodoxe Sonntagsmesse von Pater Aydin.“

Text zwischen der Textspalten:

„Die ersten Monate in Wien sind für viele Christen aus dem Nahen Osten eine Enttäuschung. Sie erkennen, dass ihre Religion hier nicht wichtig ist. Auch Christen sind hier „nur“ Flüchtlinge“ (Pater Michael Harb)

Im Sommer 2013 hatte die große Fluchtbewegung noch nicht begonnen. Die Situation in Syrien war aber bereits dramatisch, weshalb der ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger und die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ankündigten, 500 syrische Flüchtlinge aufzunehmen – und zwar vorrangig verfolgte Christen.

Eine solche Bevorzugung ist international nicht üblich: Während Deutschland, das damals ebenfalls Menschen aufnahm, die Auswahl dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) überließ, befragte die österreichische Regierung die katholische und syrisch-orthodoxe Kirche nach Namenslisten von verfolgten Christen.

Und Pfarrer Aydin war mit einer langen Liste zur Stelle. Wie viele davon damals wirklich kamen und nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden, bleib unklar. Auch Aydin wurde damals heftig kritisiert. Heute sagt er: „Ein paar Familien konnten wir über das Kontingent herbringen, aber viele sind 2015 selbst über das Mittelmeer gekommen. Hauptsache, sie haben es geschafft.“

Mittlerweile gibt es in Wien zwei syrisch-orthodoxe Kirchen, dazu Messen in arabischer Sprache in vielen anderen Kirchen. Sie sollen die Nachfrage nach unterschiedlichen Traditionen jener Menschen bedienen, die in den vergangenen Jahren nach Österreich gekommen sind. (siehe Infokasten).

Rund ein Zehntel der syrischen Flüchtlinge sind Christen, schätzt Pater Michael Harb, 42, der selbst aus dem Libanon stammt und seit 2002 die maronitische Gemeinde in Wien betreut.

Er koordiniert nun zusätzlich die anderen arabischsprachigen Gemeinden und beobachtet, dass viele Flüchtlinge, egal woher sie stammen, zunächst einmal Orientierung suchen: „Viele besuchen jeden Sonntag eine andere Messe, um zu sehen, wo es ihnen zusagt. Unsere Kirchen sind durch die Flüchtlinge vielfältiger und lebendiger geworden.“

Im Halbdunkel des Mittelschiffs der Mor-Ephrem-Kirche hat heute jeder seinen Platz auf den Holzbänken gefunden: Die Männer sitzen in losen Reihen rechts, die Frauen links. Ihr Haar und ihre Schultern haben sie nun alle in sauberen Spitzentüchern bedeckt, es sieht fast so aus, als würden hier 60 Bräute auf die Trauung warten.

Ab und zu fällt von hinten Licht herein, dann heben die Besucher in den hinteren Reihen ihre Köpfe, während die Messe vorn weiterläuft. Die Eintretenden kneifen die Augen zusammen und tasten sich seitlich zu dem Tisch mit den kleinen roten Lichtern. Sie entzünden eine Kerze und werfen ein paar Münzen in den Korb. Ein Zettel mit der Aufschrift „für Irak und Syrien“ verrät den Adressanten.

Nur ganz hinten sitzen ein paar Familien zusammen: Sie sind die Neuen hier, sie tragen Jeans und bunte Shirts, die Eltern flüstern mit ihren Kindern und recken die Hälse, um die arabische Schrift zu erkennen, die ein Beamer an die Wand wirft. Die Liturgie ist auf Aramäisch, angeblich die Sprache Jesu, und sie wird seit ein paar Monaten nicht nur ins Deutsche, sondern auch ins Arabische übersetzt.

Nach der Messe grillen die Gläubigen gemeinsam, sie singen, trinken Kaffee, es gibt Kleiderflohmärkte oder Spielenachmittage. Das ist für den Zusammenhalt und die Integration wichtig, sagt Harb. Denn: „Die ersten Monate in Wien sind für viele Christen aus dem Nahen Osten eine Enttäuschung.“ Christen, die in Syrien oder im Irak katholische Schulen besuchen, Französisch lernen und in den meisten muslimischen Ländern schlechtergestellt waren, hätten hohe Erwartungen an Europa, sagt er.

„Dann kommen sie her und erkennen, dass ihre Religion hier nicht wichtig ist. Auch Christen sind in Österreich einfach nur Flüchtlinge, die auf Unterstützung und Nächstenliebe angewiesen sind. Das zu akzeptieren ist hart.“

Die Rolle der Christen in Syrien ist zwiespältig: Einerseits gehörten viele traditionelle Familien zur besser gebildeten, wohlhabenderen Schicht in den Städten und profitierten vom restriktiven Kurs von Diktator Baschar al-Assad, der zwar keine freie Meinung, aber Religionsfreiheit garantierte. „Früher war es tabu, abfällig über andere Religionen zu sprechen“, erzählt George Soued, 26, der in Damaskus aufgewachsen ist und jetzt als Lektor am Institut für Orientalistik an der Universität Wien lehrt. In der von Nonnen geführten Klosterschule, die er besuchte, saßen christliche und muslimische Jugendliche nebeneinander. „Wir haben gemeinsam Weihnachten gefeiert und sind an den muslimischen Feiertagen essen gegangen.“

Mit dem Beginn des Krieges und dem Erstarken des IS brach das religiöse Gefüge auseinander: Christen wurde vorgeworfen, Assad zu unterstützen, viele verloren ihren Job, zwischen Familien entstand Streit.

Und irgendwann schossen Nachbarn aufeinander, erzählt Filebs Aho, 48, aus dem Dorf Qamischli nahe der türkisch-syrischen Grenze. Er besaß mehrere Hektar Grund mit gutem Boden, als der Krieg ausbrach.
„Acht Männer sind plötzlich vor mir mit Kalaschnikows auf meinem Acker gestanden. Ich kannte sie alle, es waren Männer aus unserem Dorf. Sie haben gesagt: „Gebt uns den Acker, sonst töten wir euch alle.“ Schon beim Wort „Qamischli“ hat der kräftige Mann Tränen in den Augen. Er verließ Syrien am selben Tag.

In Damaskus und Aleppo stehen heute ganze christliche Wohnviertel leer, fast alle haben ihre Heimat Richtung Europa und USA verlassen.

Fouad Roham, 63, war einst Universitätsprofessor und ein Orthopäde im Spital von Aleppo. Die Rebellen unterstellten ihm, dass er das Regime unterstützte, weil er im öffentlichen Spital auch Soldaten der syrischen Armee versorgte. Roham kam im Rahmen des Kontingents 2014 nach Österreich, seine Kinder, ebenfalls Mediziner, gingen nach Deutschland, wo sie bereits als Ärzte arbeiten.



Dritte Seite:

''Foto von Riwonya Kurter neben Bild eines Priesters + Text:

„Auch viele Junge fühlen sich den alten Patriarchen verpflichtet: Die 19-jährige Riwonya Kurter hat in Wien Aramäisch-Unterricht bekommen. Sie sagt: „Wir sind alle Aramäer, das ist unsere Kultur“

Er selbst wird sich den langen Nostrifikationsprozess in Österreich nicht mehr antun. „Ich bin 63“, sagt er müde. „Ich gehe jeden Tag in einen Deutschkurs, aber noch einmal studieren – das schaffe ich nicht mehr.“ Stattdessen malt er großformatige Bilder, viele haben religiöse Motive. Er hat mittlerweile die gesamte Kirche Mor Ephrem mit seinen Märtyrer- und Bibelszenen ausgestattet. „Religion ist mir wichtig“, sagt er. „Sie gibt mir meine Heimat wieder.“

Die Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung scheint ein wichtiges Bindeglied zwischen den neuen syrischen Flüchtlingen und der traditionellen syrisch-orthodoxen Gemeinde Wiens zu sein. Dabei sehen die Traditionalisten neben den bunten Flüchtlingsfamilien beinahe so aus, als wären sie einem wissenschaftlichen ethnologischen Fachbuch entsprungen. Die Familien, die sich hier seit 1974 Sonntag für Sonntag versammeln, stammen alle aus dem Südosten der Türkei, sie sprechen Aramäisch, eine alte semitische Sprache, die zur Zeit von Christi Geburt im Nahen Osten verbreitet war.

Bis auf wenige Enklaven in Syrien ist die Sprache heute ausgestorben. Doch in Wien nützen diese Familien einen aramäischen Dialekt als Umgangssprache, sogar Burschen und Mädchen der zweiten Generation. „Schlomo?“, „Wie geht´s?“, ist das häufigste Wort beim Zusammensitzen im Garten nach der Messe.

Die „Neuen“, wie sie genannt werden, werden hier skeptisch beäugt. Umso mehr, seitdem 2015 plötzlich so viele von ihnen kamen. „Viele von den Neuen sind vielleicht gar keine Christen“, mutmaßt eine ältere Frau im Sonntagskleid verschwörerisch und redet sich in Rage. „Sie sprechen kein Aramäisch. Keiner hat die Flüchtlinge gefragt, welche Religion sie haben. Die Regierung hat alle hereingelassen, ihr werdet schon sehen, was passieren wird!“, sagt sie.

Es ist augenscheinlich, dass die neuen Gläubigen gewisse Spannungen in die Gemeinde bringen. Doch dann deuten andere der Dame, dass sie still sein möge. Sie erinnern sie an die allererste Pflicht, die Nächstenliebe. „Aramäisch, das ist unsere Kultur, unsere Heimat, wir fühlen uns als Aramäer“, erklärt Riwonya Kurter, sie ist erst 19 Jahre alt. Sie ist in Wien geboren und aufgewachsen und studiert jetzt auf Lehramt. In ihrer ganzen Schulzeit hat sie neben dem syrisch-orthodoxen Religionsunterricht samstags Aramäisch-Unterricht bekommen und auch die schwierige Schrift gelernt.

Sie ist stolz darauf, sie erzählt es wie einen Vorteil, den sie gegenüber ihren serbischen, polnischen und österreichischen Freunden hat.

„Es wirkt nostalgisch, wie wir unsere Tradition pflegen, aber es ist das Einzige, was uns geblieben ist“, sagt ihr Vater Jakub Kurtner. Seit mehr als 30 Jahren lebt der Gold- und Silberschmiedmeister mit seiner Familie in Wien und arbeitet nebenbei für den aramäischen Fernsehsender Suroyo TV mit Sitz in Schweden, der auf Youtube täglich Nachrichten in aramäischer Sprache sendet.

Warum ausgerechnet in Wien die aramäische Kultur blüht? „Es ist, als ob wir durch die Vertreibung und den Völkermord auch unsere Identität verloren hätten“, überlegt Kurtner, „und erst im Exil haben wir sie wiedergefunden.“

Die Enkel der Vertriebenen von 1915 sind heute auch unter den Flüchtlingen aus Syrien, die am Vorplatz der Kirche Mor Ephrem sitzen. Mit den alteingesessenen Gemeindemitgliedern eint sie die Geschichte. Es trennt sie: die Sprache, die schöne Wohnung, die Arbeit.

Aber wenn die Jugendlichen der „Neuen“ die Gitarre auspacken und laut singen und erste Blicke zwischen den Jugendlichen hin- und hergehen, dann scheint das Experiment der Integration auf merkwürdige Weise zu gelingen.



Info am Schluss:

====Christen im Nahen Osten – eine schwindende Minderheit=

Christen lebten schon in den ersten (christlichen) Jahrhunderten in Dörfern, Klöstern und Städten auf dem Gebiet Ostanatoliens, Syriens und des Irak. In Teilen hat sich die aramäische Sprache erhalten, die Jesus Christus sprach und die heute noch in der Liturgie der orientalischen Kirchen verwendet wird. Die meisten orientalischen Christen sprechen allerdings Arabisch.

Im Nahen Osten gibt es verschiedene christliche Kirchen: Die wichtigsten sind die griechisch-orthodoxe und die syrisch-orthodoxe Kirche in der Tradition der Ostkirche.

Zusätzlich gibt es zahlreiche katholische und katholisch-unierte (also vereinigte) Zweige wie die melkitisch-griechisch-katholische Kirche oder die chaldäisch-katholische Kirche (vor allem im Irak). Eine große christliche Gemeinde sind auch die Maroniten, die im Libanon sogar die größte christliche Gemeinde bilden. In Ägypten gab es zuletzt schwere Anschläge von Dschihadisten auf Kirchen und kirchliche Würdenträger. In Syrien und dem Irak hat der IS die Zerstörung des Christentums als Kriegsziel ausgegeben, die unsichere Lage trieb Hunderttausende in die Flucht. Im Irak ist der Anteil der Christen innerhalb weniger Jahre von acht Prozent der Gesamtbevölkerung (2003) auf 0,8 Prozent (2015) zurückgegangen, in Syrien seit dem Kriegsausbruch 2011 von zehn Prozent auf mittlerweile nur mehr zwei bis drei Prozent.

Falter 42/17

18.10.2017

Saskia Schwaiger

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Syrisch-orthodoxe Frauen in Wien: Die Tradition sieht Kopftuch und strikte Geschlechtertrennung beim Gottesdienst vor.

Am Sonntagvormittag ist bei der Kirche Mor Ephrem am Stefan-Fadinger-Platz in Favoriten der Himmel los. Schwarze BMWs mit Wunschkennzeichen parken im Schatten der Bäume, daraus steigen Männer im Anzug und mit getrimmten Schnurrbärten und Frauen mit offenem Haar, hautengen Minikleidern und Highheels. Eilig gehen sie auf den Eingang der Kirche zu, die Frauen greifen in ihre Handtaschen, ziehen Spitzentücher in Schwarz oder Weiß hervor, werfen es über ihre bloßen Schultern und verschwinden im Dunkel des Innenraums.
Seit Stunden liegt ein klagender Gesang in der Luft, einzelne Frauen- und Männerstimmen wechseln mit der lauten Antwort des Kirchenchors, immer wieder durchbrochen von der kräftigen Stimme des Paters, der in einer seltsamen Sprache die Liturgie vorgibt: „Abun d-Baschmayo, Nethqadasch Schmoch….“, Vater unser im Himmel, geheiliget werde dein Name. „Aschkur.Allah“, flüstern Familienväter in den hinteren Reihen mit eifrigem Kopfnicken: Ich danke Gott. Und: „Amin“, Amen.
Allah? Wie kommt Allah in die Kirche? Und wer sind diese Menschen, die in einer sehr archaischen Form ihren Gottesdienst zelebrieren?

Die Kirchgänger nennen sich „Suryoye“, es sind syrisch-orthodoxe Christen, die hier jeden Sonntag beten. Die meisten von ihnen stammen aus dem syrischen Grenzgebiet in der Osttürkei, viele leben seit den 1970er-Jahren in Österreich. Durch die Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre hat die Kirche zuletzt unerwarteten Zuwachs bekommen. Auch andere Kirchen füllen sich mit Christen aus dem Nahen Osten, die in Wien Zuflucht gesucht haben.
Die Kirche Mot Ephrem hieß früher Kirche Maria vom Berge Karmel und war bis vor einem Jahr römisch-katholisch. Nachdem die Gläubigen ausbleiben und mangels Pfarrern kaum die bestehenden Kirchen bespielt werden konnten, überließ die Erzdiözese Wien die Kirche der syrisch-orthodoxen Gemeinde unter Pfarrer Emanuel Aydin. Das verwaiste Gotteshaus an den Ausläufern Favoritens kam ihm gerade recht: Während die ursprüngliche syrisch-orthodoxe Gemeinde aus ein paar Familien der ersten Generation von Gastarbeitern aus dem Osten der Türkei bestand, hat sie sich innerhalb der letzten drei Jahre mehr als verdoppelt: Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien haben die Gemeinde auf 10.000 Gläubige anwachsen lassen. Daran war Aydin, heute 76, nicht gerade unbeteiligt.



2.Seite:

.... .....

„Die Kirche Mor Ephrem am Stefan-Fadinger-Platz in Favoriten (links). Die Katholiken bleiben schon länger aus, jetzt strömen syrische Flüchtlinge in die orthodoxe Sonntagsmesse von Pater Aydin.“

Text zwischen der Textspalten:
„Die ersten Monate in Wien sind für viele Christen aus dem Nahen Osten eine Enttäuschung. Sie erkennen, dass ihre Religion hier nicht wichtig ist. Auch Christen sind hier „nur“ Flüchtlinge“ (Pater Michael Harb)

Im Sommer 2013 hatte die große Fluchtbewegung noch nicht begonnen. Die Situation in Syrien war aber bereits dramatisch, weshalb der ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger und die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ankündigten, 500 syrische Flüchtlinge aufzunehmen – und zwar vorrangig verfolgte Christen.
Eine solche Bevorzugung ist international nicht üblich: Während Deutschland, das damals ebenfalls Menschen aufnahm, die Auswahl dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) überließ, befragte die österreichische Regierung die katholische und syrisch-orthodoxe Kirche nach Namenslisten von verfolgten Christen.

Und Pfarrer Aydin war mit einer langen Liste zur Stelle. Wie viele davon damals wirklich kamen und nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden, bleib unklar. Auch Aydin wurde damals heftig kritisiert. Heute sagt er: „Ein paar Familien konnten wir über das Kontingent herbringen, aber viele sind 2015 selbst über das Mittelmeer gekommen. Hauptsache, sie haben es geschafft.“
Mittlerweile gibt es in Wien zwei syrisch-orthodoxe Kirchen, dazu Messen in arabischer Sprache in vielen anderen Kirchen. Sie sollen die Nachfrage nach unterschiedlichen Traditionen jener Menschen bedienen, die in den vergangenen Jahren nach Österreich gekommen sind. (siehe Infokasten).
Rund ein Zehntel der syrischen Flüchtlinge sind Christen, schätzt Pater Michael Harb, 42, der selbst aus dem Libanon stammt und seit 2002 die maronitische Gemeinde in Wien betreut.
Er koordiniert nun zusätzlich die anderen arabischsprachigen Gemeinden und beobachtet, dass viele Flüchtlinge, egal woher sie stammen, zunächst einmal Orientierung suchen: „Viele besuchen jeden Sonntag eine andere Messe, um zu sehen, wo es ihnen zusagt. Unsere Kirchen sind durch die Flüchtlinge vielfältiger und lebendiger geworden.“
Im Halbdunkel des Mittelschiffs der Mor-Ephrem-Kirche hat heute jeder seinen Platz auf den Holzbänken gefunden: Die Männer sitzen in losen Reihen rechts, die Frauen links. Ihr Haar und ihre Schultern haben sie nun alle in sauberen Spitzentüchern bedeckt, es sieht fast so aus, als würden hier 60 Bräute auf die Trauung warten.
Ab und zu fällt von hinten Licht herein, dann heben die Besucher in den hinteren Reihen ihre Köpfe, während die Messe vorn weiterläuft. Die Eintretenden kneifen die Augen zusammen und tasten sich seitlich zu dem Tisch mit den kleinen roten Lichtern. Sie entzünden eine Kerze und werfen ein paar Münzen in den Korb. Ein Zettel mit der Aufschrift „für Irak und Syrien“ verrät den Adressanten.
Nur ganz hinten sitzen ein paar Familien zusammen: Sie sind die Neuen hier, sie tragen Jeans und bunte Shirts, die Eltern flüstern mit ihren Kindern und recken die Hälse, um die arabische Schrift zu erkennen, die ein Beamer an die Wand wirft. Die Liturgie ist auf Aramäisch, angeblich die Sprache Jesu, und sie wird seit ein paar Monaten nicht nur ins Deutsche, sondern auch ins Arabische übersetzt.
Nach der Messe grillen die Gläubigen gemeinsam, sie singen, trinken Kaffee, es gibt Kleiderflohmärkte oder Spielenachmittage. Das ist für den Zusammenhalt und die Integration wichtig, sagt Harb. Denn: „Die ersten Monate in Wien sind für viele Christen aus dem Nahen Osten eine Enttäuschung.“ Christen, die in Syrien oder im Irak katholische Schulen besuchen, Französisch lernen und in den meisten muslimischen Ländern schlechtergestellt waren, hätten hohe Erwartungen an Europa, sagt er.
„Dann kommen sie her und erkennen, dass ihre Religion hier nicht wichtig ist. Auch Christen sind in Österreich einfach nur Flüchtlinge, die auf Unterstützung und Nächstenliebe angewiesen sind. Das zu akzeptieren ist hart.“

Die Rolle der Christen in Syrien ist zwiespältig: Einerseits gehörten viele traditionelle Familien zur besser gebildeten, wohlhabenderen Schicht in den Städten und profitierten vom restriktiven Kurs von Diktator Baschar al-Assad, der zwar keine freie Meinung, aber Religionsfreiheit garantierte. „Früher war es tabu, abfällig über andere Religionen zu sprechen“, erzählt George Soued, 26, der in Damaskus aufgewachsen ist und jetzt als Lektor am Institut für Orientalistik an der Universität Wien lehrt. In der von Nonnen geführten Klosterschule, die er besuchte, saßen christliche und muslimische Jugendliche nebeneinander. „Wir haben gemeinsam Weihnachten gefeiert und sind an den muslimischen Feiertagen essen gegangen.“
Mit dem Beginn des Krieges und dem Erstarken des IS brach das religiöse Gefüge auseinander: Christen wurde vorgeworfen, Assad zu unterstützen, viele verloren ihren Job, zwischen Familien entstand Streit.
Und irgendwann schossen Nachbarn aufeinander, erzählt Filebs Aho, 48, aus dem Dorf Qamischli nahe der türkisch-syrischen Grenze. Er besaß mehrere Hektar Grund mit gutem Boden, als der Krieg ausbrach.
„Acht Männer sind plötzlich vor mir mit Kalaschnikows auf meinem Acker gestanden. Ich kannte sie alle, es waren Männer aus unserem Dorf. Sie haben gesagt: „Gebt uns den Acker, sonst töten wir euch alle.“ Schon beim Wort „Qamischli“ hat der kräftige Mann Tränen in den Augen. Er verließ Syrien am selben Tag.
In Damaskus und Aleppo stehen heute ganze christliche Wohnviertel leer, fast alle haben ihre Heimat Richtung Europa und USA verlassen.

Fouad Roham, 63, war einst Universitätsprofessor und ein Orthopäde im Spital von Aleppo. Die Rebellen unterstellten ihm, dass er das Regime unterstützte, weil er im öffentlichen Spital auch Soldaten der syrischen Armee versorgte. Roham kam im Rahmen des Kontingents 2014 nach Österreich, seine Kinder, ebenfalls Mediziner, gingen nach Deutschland, wo sie bereits als Ärzte arbeiten.



Dritte Seite:

''Foto von Riwonya Kurter neben Bild eines Priesters + Text:

„Auch viele Junge fühlen sich den alten Patriarchen verpflichtet: Die 19-jährige Riwonya Kurter hat in Wien Aramäisch-Unterricht bekommen. Sie sagt: „Wir sind alle Aramäer, das ist unsere Kultur“

Er selbst wird sich den langen Nostrifikationsprozess in Österreich nicht mehr antun. „Ich bin 63“, sagt er müde. „Ich gehe jeden Tag in einen Deutschkurs, aber noch einmal studieren – das schaffe ich nicht mehr.“ Stattdessen malt er großformatige Bilder, viele haben religiöse Motive. Er hat mittlerweile die gesamte Kirche Mor Ephrem mit seinen Märtyrer- und Bibelszenen ausgestattet. „Religion ist mir wichtig“, sagt er. „Sie gibt mir meine Heimat wieder.“

Die Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung scheint ein wichtiges Bindeglied zwischen den neuen syrischen Flüchtlingen und der traditionellen syrisch-orthodoxen Gemeinde Wiens zu sein. Dabei sehen die Traditionalisten neben den bunten Flüchtlingsfamilien beinahe so aus, als wären sie einem wissenschaftlichen ethnologischen Fachbuch entsprungen. Die Familien, die sich hier seit 1974 Sonntag für Sonntag versammeln, stammen alle aus dem Südosten der Türkei, sie sprechen Aramäisch, eine alte semitische Sprache, die zur Zeit von Christi Geburt im Nahen Osten verbreitet war.
Bis auf wenige Enklaven in Syrien ist die Sprache heute ausgestorben. Doch in Wien nützen diese Familien einen aramäischen Dialekt als Umgangssprache, sogar Burschen und Mädchen der zweiten Generation. „Schlomo?“, „Wie geht´s?“, ist das häufigste Wort beim Zusammensitzen im Garten nach der Messe.
Die „Neuen“, wie sie genannt werden, werden hier skeptisch beäugt. Umso mehr, seitdem 2015 plötzlich so viele von ihnen kamen. „Viele von den Neuen sind vielleicht gar keine Christen“, mutmaßt eine ältere Frau im Sonntagskleid verschwörerisch und redet sich in Rage. „Sie sprechen kein Aramäisch. Keiner hat die Flüchtlinge gefragt, welche Religion sie haben. Die Regierung hat alle hereingelassen, ihr werdet schon sehen, was passieren wird!“, sagt sie.
Es ist augenscheinlich, dass die neuen Gläubigen gewisse Spannungen in die Gemeinde bringen. Doch dann deuten andere der Dame, dass sie still sein möge. Sie erinnern sie an die allererste Pflicht, die Nächstenliebe. „Aramäisch, das ist unsere Kultur, unsere Heimat, wir fühlen uns als Aramäer“, erklärt Riwonya Kurter, sie ist erst 19 Jahre alt. Sie ist in Wien geboren und aufgewachsen und studiert jetzt auf Lehramt. In ihrer ganzen Schulzeit hat sie neben dem syrisch-orthodoxen Religionsunterricht samstags Aramäisch-Unterricht bekommen und auch die schwierige Schrift gelernt.
Sie ist stolz darauf, sie erzählt es wie einen Vorteil, den sie gegenüber ihren serbischen, polnischen und österreichischen Freunden hat.
„Es wirkt nostalgisch, wie wir unsere Tradition pflegen, aber es ist das Einzige, was uns geblieben ist“, sagt ihr Vater Jakub Kurtner. Seit mehr als 30 Jahren lebt der Gold- und Silberschmiedmeister mit seiner Familie in Wien und arbeitet nebenbei für den aramäischen Fernsehsender Suroyo TV mit Sitz in Schweden, der auf Youtube täglich Nachrichten in aramäischer Sprache sendet.

Warum ausgerechnet in Wien die aramäische Kultur blüht? „Es ist, als ob wir durch die Vertreibung und den Völkermord auch unsere Identität verloren hätten“, überlegt Kurtner, „und erst im Exil haben wir sie wiedergefunden.“
Die Enkel der Vertriebenen von 1915 sind heute auch unter den Flüchtlingen aus Syrien, die am Vorplatz der Kirche Mor Ephrem sitzen. Mit den alteingesessenen Gemeindemitgliedern eint sie die Geschichte. Es trennt sie: die Sprache, die schöne Wohnung, die Arbeit.
Aber wenn die Jugendlichen der „Neuen“ die Gitarre auspacken und laut singen und erste Blicke zwischen den Jugendlichen hin- und hergehen, dann scheint das Experiment der Integration auf merkwürdige Weise zu gelingen.


Info am Schluss:

Christen im Nahen Osten – eine schwindende Minderheit

Christen lebten schon in den ersten (christlichen) Jahrhunderten in Dörfern, Klöstern und Städten auf dem Gebiet Ostanatoliens, Syriens und des Irak. In Teilen hat sich die aramäische Sprache erhalten, die Jesus Christus sprach und die heute noch in der Liturgie der orientalischen Kirchen verwendet wird. Die meisten orientalischen Christen sprechen allerdings Arabisch.
Im Nahen Osten gibt es verschiedene christliche Kirchen: Die wichtigsten sind die griechisch-orthodoxe und die syrisch-orthodoxe Kirche in der Tradition der Ostkirche.
Zusätzlich gibt es zahlreiche katholische und katholisch-unierte (also vereinigte) Zweige wie die melkitisch-griechisch-katholische Kirche oder die chaldäisch-katholische Kirche (vor allem im Irak). Eine große christliche Gemeinde sind auch die Maroniten, die im Libanon sogar die größte christliche Gemeinde bilden. In Ägypten gab es zuletzt schwere Anschläge von Dschihadisten auf Kirchen und kirchliche Würdenträger. In Syrien und dem Irak hat der IS die Zerstörung des Christentums als Kriegsziel ausgegeben, die unsichere Lage trieb Hunderttausende in die Flucht. Im Irak ist der Anteil der Christen innerhalb weniger Jahre von acht Prozent der Gesamtbevölkerung (2003) auf 0,8 Prozent (2015) zurückgegangen, in Syrien seit dem Kriegsausbruch 2011 von zehn Prozent auf mittlerweile nur mehr zwei bis drei Prozent.