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Mein Vater hatte den Panzer IV nur bis Rumänien gefahren. Dort wechselte er auf einen Tankzug. Er fuhr, von den Obersten gestohlenes Erdöl ans Schwarze Meer. Mehr wusste er nicht und falls er mehr wissen wollte, wartete eine Kugel auf ihn. Natürlich wurde er auch beteil(ig)t - mit Geld und damit zum Kollaborateur - wieder Willen.
Mein Vater hatte den Panzer IV nur bis Rumänien gefahren. Dort wechselte er auf einen Tankzug. Er fuhr, von den Obersten gestohlenes Erdöl ans Schwarze Meer. Mehr wusste er nicht und falls er mehr wissen wollte, wartete eine Kugel auf ihn. Natürlich wurde er auch beteil(ig)t - mit Geld und damit zum Kollaborateur - wider Willen.

Die Abenteuer des braven Soldaten Mauk

eine familiäre Geschichte aus dem 2. Weltkrieg, erzählt von Rudolf Mauk jun.

Wie mein Vater, Rudolf Mauk Sen., es schaffte, an zwei Fronten zu "kämpfen" und keinen Schuss auf den Feind abzugeben. Ein Gedächtnisprotokoll aus jahrelangen Bemühungen, die Geschichte eines Pazifisten und Regimegegners als Soldat wider Willen zu rekonstruieren.

Oder, eine Kette von glücklichen Fügungen mitten im Unglück.

Vorwort

Mein sehr lieber Freund Franz Nahrada brachte mich auf die Idee, diese Geschichte unserer Familie hier festzuhalten. Ich danke ihm hiermit für diesen Anstoß und widme ihm diese Geschichte.

Die folgenden Anekdoten resultieren aus Gedächtnisprotokollen der sehr seltenen Gespräche mit meinem Vater über dessen Kriegs- und Vorkriegserlebnisse.

Nicht nur Kriegsverbrecher und eingefleischte Nazis wollten nach dem Ende des 1000 jährigen Reiches die menschenunwürdigen Geschehnisse während der Herrschaft des 3. Reiches vergessen. Die "junge" Generation damals wuchs genau in die Weltwirtschaftskriese, die Identitätskrise des Staates und die des Bürgerkrieges hinein. Für sie kam es schlecht auf schlechter. Eine Katastrophe jagte die Andere. Ihre Jugend wurde ihnen gestohlen.

Die psychische Zermürbung der Bevölkerung hatte System. Die damaligen Despoten spielten die Knöpfe der Massenpsychologie sehr virtuos und fast perfekt. Sie hielten die Bevölkerung in ihrem Gefängnis des Psychoterrors gefangen. Jeder Bürger fand sich in einer Woge der Existenzangst und des Misstrauens wieder. Nachbaren wurden zu Verdächtigen - entweder zu gefährlichen Spionen des Systems - oder zu Regimekritikern, zu denen ein Kontakt unter Beobachtung tödlich sein konnte. Alles in Allem eine Welt des Psychoterrors, die man gerne vergisst. So auch mein Vater. Es kostete mich viel Mühe, Geduld und Einfühlungsvermögen, ihm die Informationen zu entlocken, die mich damals (vor 50 Jahren) so brennend interessierten.

Mir war völlig unklar wie es möglich war, dass die Menschen die ich liebte, in einem abgrundtief unmenschlichem System existieren konnten. Allein das sie dies konnten, war für mich schon fast ein Widerspruch. Ich wollte verstehen unter welchen Umständen es möglich war, in diesem System zu überleben.

Ich hatte viel zu radikale Vorstellungen. Die Wirklichkeit ist viel trivialer und erstaunlicher als man zunächst annimmt. Der Mensch ist ein "Gewohnheitstier" das vom "Gruppenzwang" geleitet wird. So lernt man es in der klassischen Psychologie. Das dies nicht unbedingt falsch, aber auch nicht hilfreich für die Nachforschung nicht erklärter Verhaltensmuster.

Jeder tut was er vor seinem "Gewissen" und vor seinen Mitmenschen vertreten kann - ganz nach seinen Möglichkeiten. Möglichkeiten ergeben sich aus der Verfügbarkeit freier psychischer Energie, die dann nach den eigenen Erfordernissen eingesetzt werden.

Die Zwischenkriegszeit

Die Menschen hungerten damals. Meine Mutter war gezwungen, in England Arbeit zu suchen, obwohl sie kein Wort Englisch sprach. Mein Vater war arbeitslos und "ausgesteuert", was bedeutete, dass man keinerlei Unterstützung mehr bekam. Man wurde dann zu "Arbeitsdiensten" eingeteilt. Was bedeutete, dass man für Kost, Logie und ein kleines Taschengeld arbeitete das nicht einmal für 3 Zigaretten reichte (ähnlich den 1€ Jobs in Deutschland).

Vorausschicken möchte ich noch, dass unsere Familie immer politisch engagiert war und sich auch aktiv im Schutzbund beteiligte. Mein Vater war also entschiedener Gegner des NS-Regimes, aber realistisch genug seine große Liebe (Mutter) samt Familie nicht zu gefährden. Er war also entschlossen, seinen Weg des "stillen" Protestes zu gehen und soweit Widerstand zu bieten, dass eine Gefährdung seiner Umgebung nicht zu erwarten war.

Die Vorgeschichte

Obwohl mein Vater dies niemals so gesehen hätte, war er (nach meiner Ansicht) ein Glückspilz - einer in Unglück - wohlgemerkt. Durch Verstand, glückliche Fügung und geradlienige Gesinnung war er in der Lage einige, für mich erstaunliche Begebenheiten an mich weiterzugeben. Er hätte es sicher niemals so gesehen, für mich war er ein Gratwanderer an der Kippe zum Verderben. Er behauptete stets nur getan zu haben, was ihm "sicher" erschien. Im Nachhinein, real betrachtet, war er eine ständige Provokation für das von ihm gehasste System.

Genaue Daten hat mein Vater an mich nicht weitergegeben - und wenn doch, habe ich sie in 50 Jahren vergessen. Ich bitte um Nachsicht. Seine frühesten Erzählungen betrafen die Zwischenkriegszeit in der er, ausgesteuert, zum Arbeitsdienst einberufen wurde.

Der erste Arbeitsdienst meines Vaters führte ihn nach Timmelkam in Oberösterreich. Er war dort einem Bautrupp von Tunnelarbeitern zugeteilt, die einen Schacht für eine Strasse (oder was immer) voertreiben sollten. Da mein Vater schon etwas Erfahrung im Bergbau mitbrachte, war er in der Untertagsschicht eingeteilt. Er stellte fest, dass viel zu wenig Stützmaterial für den Stollen zur Verfügung stand und meldete dies auch der Bauaufsicht. Da seine Warnung kein Gehör fand und er die Gefahr erkannt hatte, "löste" er sein Beschäftigungsverhältnis einseitig und heimlich auf und ging zu fuss nach Wien zurück.

Er schaffte den Marsch mit 5 Nächtigungen in Klöstern. Die Route hatte er sich schon vorher zurechtgelegt. Keine 3 Wochen nachdem er zu Hause war, brach der Stollen ein in dem er gearbeitet hatte und begrub seine ehemaligen Arbeitskollegen.

Genau hier begann die (für mich damals wie heute erstaunliche) Geschichte der Erlebnisse meines Vaters.

Nun war mein Vater, Rudolf Mauk Sen., ein technisch sehr interessierter, aber mittelloser junger Mann. Sein sehnlichster Wunsch war es einen Führerschein zu besitzen und ein Kraftfahrzeug zu lenken. Was einer Fortführung der Tätigkeit meines Großvaters (der Kutscher war) bedeutet hätte. In den 30er Jahren des 19 Jhdts. hatten nicht sehr viele Menschen eine Lenkerberechtigung. Der Erwerb eines Führerscheines bedeutete damals den Beitritt in einen exklusiven Club der Bevölkerung.

Mein Vater hatte da einen Freund, der schon im Besitz eines der begehrten Lenkerberechtigungen war und in der Nacht Milch ausfuhr. Dieser ließ meinen Vater ans Steuer des LKW und lehrte ihn die Beherrschung eines Kraftfahrzeuges. Das war für meinen Vater eine Initialzündung - seine Berufung wurde das lenken von Kraftfahrzeugen. Er meldete sich damals in der Fahrschule an, um den Führerschein zu machen. Die ganze Familie legte zusammen, damit er sich eine halbe Fahrstunde leisten konnte (was damals dem Minimum entsprach). Er bestand die Fahrprüfung sofort, konnte sich jedoch den Führerschein 3 Monate lang nicht abholen, da er die Gebühr dafür nicht entrichten konnte. Dennoch gehörte er nun zum exklusiven Club der Kraftfahrer - sein Traumziel.

Die Wiener Jahre

Wie es trotz allgemeiner Mobilmachung sehr lange möglich war, sich der Einberufung zu entziehen.

Mein Vater hatte einen Freund aus der Schulzeit, der Arzt war. Diesem Freund verdankte er, dass seine Einberufung zur Wehrmacht massive Verzögerungen erfuhr. Diverse Atteste verhinderten einen sofortigen Einzug in das deutsche Heer. Als dann Nachforschungen für solche Fälle von "Drückebergerei" angestellt wurden, bekam mein Vater vom Blockwart den Hinweis zur "Partei", oder einer parteinahen Organisation zu gehen, um weiter "anonym" zu bleiben.

Nicht aus Opportunismus oder aus Furcht, sondern aus intelligentem Kalkül trat er dem NS-Kraftfahrerbund bei. Der NSDAP konnte er aus Gewissensgründen nicht beitreten, der Kraftfahrerbund schien ihm im Vergleich vertretbar. Seine Grundsätze waren, die deutsche Bevölkerung mobil zu machen und jeder Familie ein Auto zuzuteilen. Das Auto in der Zwischenkriegszeit war eigentlich nur für die oberen Zehntausend und den Transport reserviert. Meinem Vater schwebte schon damals die Freiheit auf vier Rädern vor, die der Bund zu unterstützen schien.

Die Treffen des Bundes fanden einmal in der Woche in einem Gasthaus statt. Zunächst waren die Gespräche sachbezogen. Man sprach über Technik, Motoren, Fahrzeuge, Wartung und Verkehr. Als danach die Themen zunehmend radikaler wurden (wie nehmen wir den Juden die Autos weg), war das für meinen Vater weit über der Schwelle seiner Akzeptanz.

Kurze Zeit nach seinem Fernbleiben von den Sitzungen, sollte er sich bei einem Stabsarzt melden, der umgehend seine Tauglichkeit zum Wehrdienst bescheinigte. Da schrieb mein Vater an seinen schon erwähnten Arztfreund, der in der Zwischenzeit in Hamburg stationiert war.

Intermezzo in Hamburg

Wie es dann doch nicht zu vermeiden war, den Waffenrock anzuziehen - und trotzdem den obersten Knopf nicht schließen zu müssen.

Mein Vater bat den Arztfreund, ihn als Fahrer anzufordern. Damals war es selbst für Ärzte nicht selbstverständlich einen Führerschein zu besitzen. Jeder Stabsarzt durfte also einen Fahrer zugeteilt bekommen. So fuhr Vater ein paar Monate in Hamburg herum.

Der Freund stellte ihm, auf seinen Wunsch, einige Atteste aus. Eines das ihm Atemnot bescheinigte, sodass er den obersten Kragenknopf seines Uniformhemdes offen lassen durfte und eines dass ihm Lichtüberempfindlichkeit bescheinigte, sodass er darüber hinaus Sonnenbrillen tragen "musste".

Ein Affront gegenüber den gestrengen, millitärischen, preussischen Gepflogenheiten der deutschen Armee. Er wurde nicht müde, an jeder zweiten Ecke seine Atteste jedem regimetreuen, zornigen ranghöheren Vorgesetzten - oder auch den "Kettenhunden" (der Militärpolizei) vorzuweisen und sie damit zu brüskieren. Seine Form des "stillen" Protestes.

In der Zwischenzeit war schon der Krieg mit Russland im Gange und die Ärzte mussten selbst fahren (lernen). Mein Vater wurde an die Ostfront befohlen. Seine Bekannten (und die des Arztfreundes) bewirkten aber, dass er noch in Hamburg den Panzerführerschein für den Panzer IV machen durfte, da es zu wenige Panzerfahrer gab.

Als er nun den Führerschein für den Panzer IV hatte, (für jedes Militärfahrzaug braucht man einen eigenen Führerschein) stellte er den Antrag auch alle anderen Führerscheine für Militärfahrzeuge zu machen. Als er ALLE Führerscheine der deutschen Armee besaß bewarb er sich als Fahrlehrer in Hamburg, womit er immerhin noch ein paar Monate an der Heimatfront herausschlug.

Als die Situation der Armee dann immer aussichtsloser wurde, kam der Marschbefehl an die Ostfront. Und wieder ermöglichten es ihm seine Bekanntschaften im Kreis seines Arztfreundes und "der Diener an der Heimatfront" ihm einen günstigen Einstieg in eine Division der 6. Armee, welche im befreundeten Rumänien stationiert war.

In der Etappe

Wie ein Kriegsgewinnlernest zeitweise Zuflucht und enorm viel Lehrreiches über die Menschennatur bot.

Von Beginn an war für meinen Vater eines klar, er hat keine Feinde in der Fremde (die saßen in der Heimat) und wird daher auch keinen gezielten Schuss auf sie abgeben. Zugegeben, dieser Vorsatz ist für einen Panzerfahrer auch relativ leicht durchzuführen - rein fiktiv. Es sollte sich aber als Prüfung erweisen.

Zunächst war mein Vater in einer rumänischen - deutschen Garnison untergebracht. Ein deutscher Bekannter, der ihn empfahl, war ebenfalls dort stationiert. Der diente unter einem Oberst welchem die Verwaltung der Erdölquellen zugeteilt war. Wie das in jedem Krieg so ist, verdienen sehr Wenige daran sehr Viel. Besagter Oberst verhökerte rumänisches Öl an den Meistbietenden.

Mein Vater hatte den Panzer IV nur bis Rumänien gefahren. Dort wechselte er auf einen Tankzug. Er fuhr, von den Obersten gestohlenes Erdöl ans Schwarze Meer. Mehr wusste er nicht und falls er mehr wissen wollte, wartete eine Kugel auf ihn. Natürlich wurde er auch beteil(ig)t - mit Geld und damit zum Kollaborateur - wider Willen.

Mit dem Geld hätte er sich (nach seinen Aussagen) zwei neue Autos kaufen können - theoretisch. Praktisch war das Geld für ihn ein Ballast mit dem er nichts anfangen konnte. Er versuchte Teile davon nach Hause zu schicken, es kam nie an. Danach versuchte er Naturalien nach Hause zu schicken. Ein Schaf z.B. - eine Keule davon ist daheim angekommen - wenn überhaupt.

Eine Begleiterscheinung der Monate in Rumänien war, dass die dortige Heeresführung es für wichtig hielt, meinen Vater zum Unteroffizier zu machen. Wahrscheinlich wollten sich die deutschen Mafiosi so seiner Loyalität versichern. Eine Befehlsverweigerung oder Sabotage hätte ohnehin mit einer Kugel in Vaters Schädel geendet - er war immer in Begleitung eines treuen Untergebenen des Obersten.

Mein Vater ging danach dazu über, sein unnützes Geld zu verprassen (war natürlich nicht unnütz). Er hielt das ganze Dorf, wo er stationiert war, einfach bein Dorfwirt aus. Er bezahlte Trinkgelage. sowie Essen für hungrige und Bedürftige. Er fand dort auch Zugang zur "rumänischen Seele". "Die Menschen dort haben einen völlig anderen Zugang zum Leben wie wir", hat er zu mir gesagt. Sie arbeiten um zu leben - und sie stehlen auch dafür. Ja sie haben das Stehlen erfunden - wird dort behauptet. Meinem Vater haben sie jedoch nie etwas gestohlen - außer ein mal, Bein Abschiedsfest.Als wir abrückten "Da haben sie geweint" (die Rumänen), hat mein Vater gesagt.

Jedenfalls hat er erzählt, dass bei der Abschiedsfeier in Rumänien, die Rumänen den Deutschen angesagt hatten, dass sie ihnen etwas stehlen und das sie auf ihr Zeug achten sollen. Trotzdem haben die Rumänen jedem Soldaten etwas gestohlen. Vom Wehrdienstbuch über Seitengewehr bis zur Pistole hat jedem etwas gefehlt - sie hatten aber schlussendlich alles zurückgegeben.

Doch dann kam der Fahrbefehl nach Stalingrad. Die Wehrgruppe Herrmann Hoth wurde kurzerhand der 6. Armee zugeteilt und hatte den Befehl, die eingeschlossene 6. Armee zu entsetzen, S.h. sie rauszuhauen.

Stalingrad

Die gesammelte Inkompetenz der deutschen Kriegsführung rettete ihm abermals das Leben, aber kostete viel Mühe.

Die Fahrt nach Stalingrad war das (von meinem Vater erhoffte) Ende der deutschen Aggression. Hier kam mein Vater erstmals mit Kampfhandlungen in Berührung. Russische Scharfschützen waren die wahre Niederlage der deutschen Panzerdivisionen. In sumpfigen Gelände mussten nur der erste und letzte Panzer durch sie lahmgelegt werden und die ganze Gruppe war verloren. Sie waren in der Lage, einen Kettenbolzen aus der Panzerkette zu schießen, um ihn lahmzulegen. Dann brauchten sie nur zu warten, bis die Luke aufging ...

Auch Vaters Panzer wurde lahmgelegt, er konnte ihn jedoch wider fahrtauglich bekommen. In der Folge wurde sein Panzer dann brennend geschossen. Er konnte ihn gerade noch in einen Bach lenken, sodass die Besatzung noch durch das Bodenluk aussteigen konnte. Er wurde dafür sogar ausgezeichnet, warf diese Auszeichnung aber bald darauf bei der ersten sich bietenden Gelegenheit weg. Hätte man ihn dabei erwischt, wäre das Standrecht in Kraft getreten. Gottlob hatten die Hüter der Wehrmacht andere Sorgen.

Durch die organisatorische und logistische Inkompetenz der deutschen Armeeführung war die Katastrophe vorbestimmt. Im Zuge des Vormarsches verebbte der Nachschub. Während des Russlandfeldzuges war fast das gesamte deutsche Heer ohne Winterkleidung. Im kältesten Winter Russlands seit mehr als 60 Jahren. Minus 45 Grad waren vor Stalingrad in der Regel gemessen worden. Ein Eimer warmes Wasser gefror am Weg von einer Baracke in die Andere.

Es fehlte an Nahrung, Kleidung, Munition und Sprit. Bei den gegebenen Temperaturen durften die Motoren nie abgestellt werden. Sie wären nie mehr angesprungen. Das Motoröl nimmt unter diesen Umständen die Konsistenz von türkischem Honig an. Laut Aussagen meines Vaters lag die Entsatzarmee-Stalingrad wie am Kahlenberg vor Wien und konnten weder vor noch zurück. Viele Kameraden meines Vaters erfroren während des Schlafes. Tatsächlich sind weit mehr Soldaten verhungert und erfroren als gefallen.

Als dann nach einer Woche weder Befehle noch Nachschub eintraf, tat sich mein Vater mit ein paar Kameraden zusammen und sie gingen los - Richtung Westen. Die aufgezwungene militärische Kompetenz als Unteroffizier machte es möglich, dass er noch ein paar Kameraden retten konnte. Er tarnte die Flucht als Aufklärungstrupp und rückte ab.

der Marsch

Fast ohne Verpflegung und ohne wirkliche Winterausrüstung machte sich also eine kleinere Gruppe von Soldaten auf den Weg nach Hause. Mein Vater hatte berechtigte Bedenken wegen seiner Uniform. Die Panzeruniform war schwarz, wie die der SS - nicht grau, wie die der Wehrmacht. Die Russen machten keinen Unterschied zwischen Panzer und SS Uniformen. Die wurden sofort erschossen. Hier entledigte sich mein Vater auch seiner Auszeichnung.

Unterwegs fand die Gruppe erfrorene Kameraden und Russen. So pietätlos das heute klingt, sie haben von ihnen genommen, was sie brauchen konnten. Einfach um zu überleben. Die Panzeruniform bestand auch aus Lederstiefel, die denkbar ungeeignet für diesen Marsch waren. Vater wickelte sie in Lumpen um sie zu isolieren - half aber kaum.

Nach einer Woche des Marsches tat sich eine neue Chance für meinen Vater auf. Ein abgeschossener Flieger stieß zu ihrer Gruppe und bat um Hilfe. Er war erst vor Kurzem abgeschossen worden und in einen See eingebrochen. Seine Uniform und Stiefel waren nass. Zur Fliegeruniform gehörten damals Filzstiefel, die weit besser isolierten als die Lederstiefel der Panzeruniform. Der Flieger bat um trockene Kleidung und fragte, ob jemand mit ihm seine Stiefel tauschen wolle. Mein Vater willigte ein. Er trocknete die Filzstiefel über einem Feuer und hatte in der Folge, als einziger, - keine erfrorenen Zehen.

Sie marschierten also in halbwadentiefem Schnee und hatten außer Diesem nichts zu essen oder zu trinken. Heute warnt man vor dem Verzehr von Schnee, aber wenn man nur den hat?!? Sie marschierten, völlig erschöpft, neben einem Bahndamm Richtung Westen und nahmen leise Geräusche von anderen Marschierenden war. Zu müde um über den Bahndamm zu sehen, gingen sie weiter, Stunde um Stunde. Während der Nacht sah dann doch einer über den Damm - drüben marschierten die Russen, die waren auch zu Müde um über den Damm zu sehen. So ließen sie den Russen ein paar Stunden "Vorsprung" und marschierten dann weiter.

Nach einem Gewaltsmarsch von vier Wochen stieß der Trupp auf erste deutsche Truppen. Mehr tot als lebendig las man sie auf und verfrachtete sie nach Polen in ein Lazarett.

Polen

Wie die deutsche Soldateska an der Front verarztet wurde, um Negativpropaganda zu vermeiden.

In die Heimat wurde damals niemand ins Lazarett geschickt, der so aussah wie mein Vater und seine Kameraden. Ganz einfach, niemand durfte erfahren, dass es deutschen Soldaten an der Front derart schlecht ging. Dass sie erfroren, verhungerten und vergessen wurden.

In ein paar Wochen waren sie soweit aufgepäppelt, dass ihre Geschichten als Lügen hingestellt werden konnten, wenn sie sie denn erzählten. Statt dessen wurden sie alle für Tapferkeit ausgezeichnet um sie mundtot zu machen. Eine übliche Vorgehensweise damals.

Als dann also alle erfrorenen Gliedmassen abgenommen, alle "Helden" ausgezeichnet und alle aufgepäppelt waren ging es erstmal (nach langer Zeit) nach Hause - auf Heimaturlaub - 3 Wochen - der Himmel nach dieser Tortur. Gerade Zeit genug für meinen Vater, um meine Mutter zu heiraten.

Von der Ost- an die Westfront

Nach Frankreich mit dem Ziel, in Kriegsgefangenschaft zu geraten.

Längst war für Vater klar, dass er diesen Leidensweg irgendwie beenden musste. In Rumänien und Russland sah er keine erfolgversprechenden Chance, das Drama zu beenden. Gerüchtweise war durchgedrungen, dass die Russen alle deutschen Soldaten erschießen. Für Vater war das ein nachvollziehbarer Gedanke. Die deutschen hatten ihr Land überfallen und geplündert, da war kein Pardon zu erwarten. Vater hatte den Willensakt des NS.-Ragimes immer als deutsch gesehen - nie als österreichisch. Obwohl der "Schickelgruber" ein Österreicher war. Die deutschen hatten ihn ja schließlich groß gemacht.

So einfach sehe ich das allerdings heute nicht. Ist aber meine persönliche Ansicht. Irgendwie musste sich Vater sicher sein Weltbild zimmern und zwar so, dass er darin leben konnte. Man mag es sehen wie man will, für mich hat mein Vater meinen Dispens verdient. Er hat sein möglichstes getan, um Schaden von sich, seiner Familie, seinen Schutzbefohlenen und seiner Heimat fernzuhalten und dafür gebührt ihm mein allerhöchster Respekt. In einer Zeit in der es schon gefährlich war zu den falschen Menschen nett zu sein, sind seine Taten für mich Vorbild.

Nun aber zu den Berichten zurück. Zum Glück meines Vaters gehörte es auch, nach seinem Heimaturlaub, an die Westfront abkommandiert zu werden. Na ja, Freunde aus Hamburg hatten dem Glück etwas nachgeholfen. Aber schließlich ist es doch auch Glück, die richtigen Freunde zu haben.

Dort angekommen, schmiedete er sofort Pläne um in amerikanische Gefangenschaft zu gelangen. Wider hatte er das Glück einen Freund zu finden, der seine Intensionen teilte. Die beiden verbrachten einige Zeit damit, ein Versteck zu schaffen, indem sie die deutschen Kettenhunde nicht finden konnten. Nacht für Nacht schliefen sie in einem leeren Weinfass eines Weinkellers. Nicht ohne einiges davon zu genießen.

Der Freund meines Vaters in Frankreich sprach französisch und war mit einer Französin verheiratet. Er erklärte den Franzosen den Plan der Beiden. Sie halfen, indem sie die deutschen Patrouillen ablenkten.

Beide gelangten in amerikanische Gefangenschaft, wo mein Vater seine Träume weiter ausleben durfte. Er durfte die amerikanischen Trucks - White und Mack fahren und Motoren vom Renault-Werk holen. Er lebte seinen Traum weiter - bis ins hohe Alter. Er war ein Kraftfahrer mit Leidenschaft.

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Die Familie Mauk lebte lange Jahre in der Siedlung Jedlesee, Ohmgasse.