[Home]
Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2016-06-28


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







Veränderung (letzte Änderung) (keine anderen Diffs, Normalansicht)

Hinzugefügt: 11a12
* Seminararbeit von Richard Schenk

KI revisted. Das Human Brain Project und seine Grenzen.

Termin: 28. Juni 2016, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Thema: KI revisted. Das Human Brain Project und seine Grenzen.

Vortrag und Diskussion mit Mikolaj Szafranski und Richard Schenk.

Ankündigung

Die Künstliche Intelligenz ist eine Thematik, die seit viele Jahren und Jahrzenten diskutiert wird. Jedoch gab es noch nie ein so heißes Rennen um eine revolutionäre Entdeckung auf diesem Gebiet wie derzeit.

Das Human Brain Project ist ein Großprojekt der Europäischen Kommission und wird mit mehreren Milliarden Euro von der EU unterstützt. Es soll das menschliche Gehirn vollständig nachbilden und könnte somit den Grundstein für künstliche Intelligenz legen.

Doch das Projekt hat auch seine Grenzen und steht stark in der Kritik. Nicht zuletzt spielt dabei das Bewusstsein eines Menschen eine besondere Rolle. Das künstliche Bewusstsein, wie es erzeugt werden soll und ob das überhaupt möglich ist, darüber sind sich sogar Wissenschaftler uneinig.

Der Vortrag soll einen Überblick über die künstliche Intelligenz, das Human Brain Project und seine Grenzen geben. In der Diskussion sollen damit verbundene Problematiken sowie Visionen aufgegriffen werden.

Richard Schenk, Mikolaj Szafranski, 21.06.2016

Links:

Anmerkungen

"KI revisted" – ein solcher Teiltitel entspringt der Beobachtung, dass heute auf eigentümliche Weise Diskussionen und Argumente der 1960er bis 1980er Jahre erneut aufgenommen werden, mit denen die Rolle und Stellung der Menschen im von ihnen selbst geschaffenen techno-sozialen Umfeld genauer bestimmt werden soll. Eine solche Standortbestimmung setzt ein Bild vom Menschen selbst voraus, wobei die Fragestellungen oft mehr über jenes implizit vorhandene Menschenbild verraten als die expliziten Antworten.

So ist es auch mit dem Begriff künstliche Intelligenz selbst, der auf eigenartige Weise ein Konkurrenzverhältnis postuliert zwischen eben jener "künstlichen" Intelligenz und der "natürlichen" Intelligenz der Menschen, wobei die "natürliche" Intelligenz der Menschen (was sonst?) darauf verwendet wird, die "künstliche" Intelligenz der "natürlichen" gleichwertig und später sogar überlegen zu machen. Dieser Ansatz ist auf wenigstens zwei Weisen pervers. Einmal unter dem Aspekt, dass Technik sonst vor allem dazu "erfunden" wird, menschliche Fähigkeiten zu erweitern, neue Gestaltungsräume zu eröffnen und in diesem Verständnis letztlich in einem synergetischen Verhältnis zu ihren Schöpfern und Anwendern steht. Und zum Zweiten setzt die Begriffsbildung "künstliche Intelligenz" auf einem Autonomiebegriff auf, der einer selbst oberflächlichen kritischen Würdigung nicht standhalten kann.

Eine Quelle eines solchen Autonomiebegriffs ist in den grundlegenden Spielregeln für handelnde Subjekte in einer bürgerlichen Gesellschaft zu sehen (Spielregeln, die als "Fiktionen" im Sinne einer verkürzenden Sprechweise über gesellschaftliche Normalität unseren Alltag begleiten und bestimmen, wie in der Vorlesung entwickelt), für die eine solche "Autonomie-Fiktion" rechtlich gleichgestellter Subjekte konstitutiv ist und durch die rechtsförmige Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft mit den begrifflichen Säulen Eigentum und Vertragsfreiheit befestigt wird. Warum eine solche bereits auf juristische Subjekte übertragene Fiktion nicht auch auf technische Artefakte übertragen, wenigstens solche, die zu scheinbar ähnlichem "autonomen Handeln" fähig sind? Wir hatten eine solche ICH-Kern-Perspektive immer wieder in den eigenen Argumentationslinien gefunden und festgestellt, dass die Zeit eigentlich reif sei, kooperative Ansätze deutlicher zu entwickeln.

Ein solcher Bedarf ist eng mit der Weiterentwicklung der digitalen Welt als Ansammlung von Einzelcomputern in den 1960er bis 1980er Jahren hin zu einer vernetzten Computerwelt verbunden. Die heute mehrheitlich diskutierten Fragestellungen nach den Potenzialen einer KI bleiben allerdings auf der Ebene jener Debatten der späten 1970er Jahre stehen. Sie reichen oft nicht einmal bis zur Explikation der simplen Beobachtung, dass mit der Art der Fragestellungen nach "künstlicher Intelligenz" ein klarer individualanthropomorpher Intelligenzbegriff vorausgesetzt wird, der aus heutiger Sicht höchst fragwürdig erscheint – ist Intelligenz ein individuelles oder nicht doch ein primär soziales Phänomen? Aus der zweiten Perspektive reduzieren sich die meisten Fragen nach dem Potenzial künstlicher Intelligenz auf Fragen nach der prinzipiellen Leistungsfähigkeit von modernen computergesteuerten Werkzeugen in solchen sozialen kooperativen Prozessen der "Gestaltung von Welt". Und erst in den Begrifflichkeiten einer solchen sozial vernetzten Welt werden die Potenziale und auch Gefahren des "autonomen" Handelns von Robotern (und auch von Menschen) greif- und beschreibbar. Eine moderne KI-Debatte muss historische Argumentationslinien aufnehmen, kann aber nicht sinnvoll auf der argumentativen Ebene der 1970er Jahre geführt werden.

Im zweiten Teil des Vortrags ging es um das Human Brain Project (HBP), wobei vor allem forschungsmethodische und forschungspolitische Fragen diskutiert wurden. Zu letzteren gehört die Frage der Relativierung der öffentlich proklamierten Ziele des HBP, deren reißerischen und teilweise unseriös erscheinenden Dimensionen mit der Notwendigkeit in Verbindung gebracht wurden, Prozesse der politischen Legitimation der immensen Ausgaben voranzutreiben. Hier wurde eine Verbindung gesehen, dass eine solche Legitimation vor allem mit etablierten Wissenschaftlern, Diskursthemen und Ansätzen erreicht werden kann, was die Befestigung alter Forschungsfragen und -methoden befördert – ein Phänomen, welches wir auch in anderen Wissenschaftsbereichen beobachtet hatten, die in Umbruchprozessen hin zu digitalen Methoden stehen. Eine solche Betrachtung legt den Gedanken nahe, dass umfangreiche finanzielle Mittel, die eine umfassende politische Legitimation erfordern, zur Verstärkung dieser eher konservativen Tendenzen führen und damit letztlich einen "digitalen Wandel" der Forschungsfragen und -methoden der jeweiligen Domäne erschweren. Eine solche Prognose geht allerdings davon aus, dass die forschungspolitischen Binnenstrukturen einer Domäne einen gewichtigeren Einfluss auf derartige Weichenstellungen ausüben als die fachinterne wissenschaftslogische Eigendynamik. Der "Putsch" gegen H. Markres im Jahr 2015 und der wissenschaftsinterne Umgang mit dieser Krise zeigt, dass sich hier einfache Antworten verbieten.

Simulation setzt existierende Modelle voraus, die sich im Kontext der geltenden Gewissheiten grundlegender Annahmen über die Struktur der Begrifflichkeiten der jeweiligen Domäne bewegen. Im Umbruchzeiten sind auch solche "Gewissheiten" brüchig und die Weiterentwicklung eines Konsenses über Begrifflichkeiten im Fach kann Modelle und damit die Formulierung von Projektzielen zügig entwerten. Mit Blick auf zunehmend diskutierte komplexere kooperativ-soziale Ansätze zur Beschreibung der Formierung und Entwicklung des Gehirns könnte dies auf das HBP-Ziel "Vollständige Simulation des menschlichen Gehirns" zutreffen, das immer lauter als prinzipiell fragwürdig bezeichnet wird. Gleichzeitig rückt Supercomputing, das zunächst Mittel zum Zweck der Simulation war, weiter ins Zentrum der Aufmerksamkeit, weil der informatische Gegenstand des Übergangs zu neuartigen massiv-parallel vernetzten Rechnerarchitekturen im HBP mit dessen Modellen sowohl einen wichtigen Stichwortgeber (neuronale Strukturen) hat als auch mit (konservativen, s.o.) Fragen der Modellierung und Simulation des menschlichen Gehirns einen wichtigen Anwender mit komplexen und extrem anspruchsvollen Aufgaben, an denen sich die neuen Konzepte von Rechnerarchitekturen bewähren können. Anspruchsvolle Mittel und Werkzeuge entwickeln sich so zu einem eigenen Forschungsgegenstand.

Wir hatten solche Phänomene auch in anderen Bereichen der Digital Humanities beobachtet und im Sinne eines Kuhnschen Paradigmenwechsels gedeutet. Über dessen zeitliche Dimensionen und Verlaufsformen kann allerdings nur spekuliert werden, da belastbare akademische Theorien solcher technologisch getriebener umfassender gesellschaftlicher Wandlungsprozesse fehlen.

Hans-Gert Gräbe, 29.06.2016


OrdnerVeranstaltungen