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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
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Lessigs Ansatz der "Freien Kultur"

Termin: 5. Januar 2016, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-12

Thema: Lessigs Ansatz der "Freien Kultur".

Vortrag und Diskussion mit Kaya Peters.

Ankündigung

In seinem Buch "Freie Kultur: Wesen und Zukunft der Kreativität" beleuchtet Lawrence Lessig, Professor und Jurist an der Harvard University sowie Mitbegründer der "Creative-Commons-Initiative", die Geschichte und Gegenwart des amerikanischen Copyrights, zu dem sich auch deutliche Parallelen zu unserem deutschen Urheberrecht ziehen lassen. Darüber hinaus geht er auf Begriffe wie Piraterie und geistiges Eigentum ein und versucht zu demonstrieren, welche Einschränkungen das moderne Urheberrecht für Schaffende und Innovatoren mit sich bringt.

Nach der Vorstellung von Lessigs Ansätzen sollen in der anschließenden Seminar-Diskussion eigene Eindrücke von freier Kultur, Urheberrechten und der Begriff des "geistigen Eigentums" einfließen. Außerdem könnte sich ein Blick auf die öffentliche Wahrnehmung zum Thema Urheberrechte in Zeiten von wachsendem Netzaktivismus (siehe ACTA) lohnen.

Kaya Peters, 25.11.2015

Anmerkungen

Die bürgerliche Gesellschaft ist in ihrem Kern rechtsförmig verfasst. Diese spezifische Form der Institutionalisierung von Umgangsformen im interpersonalen Verkehr mit der Direktive der privaten Zuordnung der Folgen von Handlungen wurde in der Vorlesung als kulturelle Errungenschaft der bürgerlichen gegenüber vorherigen Organisationsformen von Gesellschaft herausgearbeitet. Erst in einem solchen Kontext wurde es historisch möglich, dem Stand der Arbeitsteilung entsprechende Vermittlungszusammenhänge kooperativen Handelns mit Vermittlungszusammenhängen kooperativen Planens zu synchronisieren.

"Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut." ( Quelle) Dieses Marxzitat ist ein Kind seiner Zeit. 100 Jahre später lässt Brecht seinen "lesenden Arbeiter" fragen

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon
Wer baute es so viele Male auf?
In welchen Häusern des goldstrahlenden Limas wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war die Maurer? ...

Arbeitsteilig sind wir lange an einem Punkt angelangt, wo Handlungsvollzüge nur noch in ihrer kooperativen Vernetzung zu denken sind. Eine solche produktionsorganisatorische Leistung steht heute auch im Zentrum der weiter ausdifferenzierten Formen "Architekt" und "Bauleiter" der alten Profession des Baumeisters. Während der Handlungsvollzug schon lange nicht mehr in eine Hand passt, passt heute zunehmend auch der Handlungsplan nicht mehr in einen Kopf. Es sind damit auch neue Wege der kooperativen Konstituierung von "Baumeistern" zu finden. Lessigs Buch "Freie Kultur" ist ein wichtiger Baustein im Ringen um die Bedingtheiten von Handeln auf diesem Gebiet.

Diese Vorbemerkungen möchte ich vorausschicken, denn Lessigs Buch, Lessigs Ansätze und Lessigs politisches Agieren sind ohne diesen Hintergrund der Auseinandersetzungen um angemessene Bedingtheiten für kooperative Planungsformen auf der Höhe der Zeit wenig verständlich. In diesen Auseinandersetzungen treffen zwei jeweils durch mächtige gesellschaftliche Interessengruppen vertretene Herangehensweisen aufeinander – die durch Autorenschaft, Reputation, Öffentlichkeit und freizügige Verwendung geprägte akademische Kultur und eine auf den Strukturen privatwirtschaftlicher Aneignung aufsetzende Kultur "geistiger Eigentümer". Dieser Hintergrund blieb im Vortrag und der anschließenden Diskussion kursorisch, weshalb im folgenden einige diesbezügliche Aspekte genauer entwickelt werden sollen.

Der Ansatz einer akademischen Kultur geht davon aus, dass die Reproduktion der Wissensressourcen der Menschheit nur im Ganzen möglich ist, durch "panta rhei" (alles fließt) sowie die ständige Eröffnung neuer, in konkreten Anwendungskontexten noch nicht gedachter Verbindungen geprägt wird, und wir nur "auf den Schultern von Riesen stehend ein Stück weiter schauen können". Für kreativen Einfluss auf eigene und kooperative Lebensbedingungen sowie die Auseinandersetzung mit diesen Lebensbedingungen ist ein solcher freizügiger Zugang zu den überlieferten Erfahrungen und Wissensressourcen der Menschheit unverzichtbar.

Diesem Ansatz steht der Ansatz privatwirtschaftlicher Aneignung gegenüber, der im Bild des genialen Erfinders seinen Ausdruck findet, welcher, durch einen "Geistesblitz" legitimiert, einen Teil der Wissensallmende zu seinem "geistigen Privateigentum" erklären kann und damit das "panta rhei" unterbricht oder erschwert, indem er an relevanten Stellen seine "Grenzzäune" und "Kassenhäuschen" aufstellt. Die Wirkung einer solchen Rechtsposition ist vergleichbar mit der Wirkung der Privatisierung von Wasserressourcen, deren Konsequenzen in den letzten Jahren stärker in den Fokus einer kritischen Öffentlichkeit gerückt sind. Siehe hierzu insbesondere die Arbeiten von Elinor Ostrom. Über eine Privatisierung der "Luft zum Atmen" wird glücklicherweise noch nicht nachgedacht.

Die Präferenz für einen der beiden Ansätze ist allerdings nicht in das persönliche Belieben gestellt, denn in ihrem Gegensatz manifestiert und prozessiert sich der Widerspruch zwischen den notwendigen inneren Bedingtheiten von Wissensreproduktion selbst und der infrastrukturellen Einbettung dieser Produktion in ein privatkapitalistisch-ökonomisches Umfeld als Spannungsfeld im Kontext kapitalistischer Gesellschaftsorganisation. Die permanente Unterfinanzierung des akademischen Bereich, namentlich der Hochschulen, ist ein weiterer Aspekt dieses Spannungsfelds.

Dieses Spannungsfeld prozessiert sich im Rahmen der politisch-rechtlichen Ausgestaltung einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung als Abwägungstatbestand, in dem beide Perspektiven – das Funktionieren eines freizügigen Flusses der Rekombinierbarkeit von Wissen auf dem Hintergrund unvorhergesehener und zu einem gewissen Grad prinzipiell unvorhersehbarer situativer Bedürfnisse sowie das Bedürfnis der ökonomischen Refinanzierung privatkapitalistischer Aufwendungen in diesem Bereich – in einen rechtlich-politischen Regulierungsrahmen gestellt werden.

Dieser rechtlich-politische Regulierungsrahmen ist der des Urheberrechts in seinen Ausprägungen in den zwei globalen Rechtssystematiken des anglo-amerikanischen Fallrechtssystems einerseits und des kontinentaleuropäischen "römischen" Rechtssystems andererseits. In beiden Systemen wurzelt das Urheberrecht im Persönlichkeitsrecht und damit in der Fiktion der Zuordnung des Produkts einer kreativen Leistung zu einem Urheber, dem das Recht zugesprochen wird, über die weitere Nutzung seines Werks zu bestimmen. Diese dem Eigentumsrecht entlehnte Denkfigur, deren Wurzeln im prinzipiellen Bestreben der bürgerlichen Rechtsordnung zu suchen sind, die Folgen von Handeln privater Verantwortung zuzuordnen, findet – wie generell die Sozialpflichtigkeit des Eigentümers – ihre Grenze in verschiedenen Schrankenregelungen, mit denen die Möglichkeiten zur öffentlichen Rede im allgemeinen und der öffentliche Fluss des in der Gesellschaft vorhandenen Wissenspotenzials im besonderen gesichert werden sollen.

Die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Urhebers in diesem privatkapitalistischen Rechtsrahmen konzentrieren sich darauf, Nutzungsrechte an eigenen Werken zu definieren und sie damit warenförmig "in Verkehr" zu bringen. Diese Nutzungsrechte sind Gestattungsrechte in Form von Lizenzen und unterscheiden sich damit deutlich (auch rechtssystematisch) von Eigentumsrechten im klassischen Verständnis, bei denen ein Übergang des materiellen Verfügungsrechts einen Kosmos von potenziell möglichen Anschlusshandlungen eröffnet, die in dieser Form für "geistiges Eigentum" ausgeschlossen sind. Im Gegensatz zum klassischen Eigentumsrecht bleibt das Verfügungsrecht über das Werk auch nach der Weitergabe von Nutzungsrechten in den Händen des Urhebers, woraus sich – nun bereits im vollen Gegensatz zu den Rechten nach einem klassischen Eigentumsübergangs – dessen prinzipiell sanktionsfähige Position zur Kontrolle der bestimmungsgemäßen Ausübung der vergebenen Nutzungsrechte ableitet.

Das Urheberrecht sieht im § 31 UrHG zwei Arten von Nutzungsrechten vor – ein einfaches und ein ausschließliches Nutzungsrecht. Die Vergabe eines ausschließlichen Nutzungsrechts ist geeignet, den Urheber komplett zu enteignen und das Werk durch Dritte warenförmig in Verkehr zu bringen. Die Content-Industrie möchte grundsätzlich ein solches ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt bekommen, da sinnvolle Geschäftsmodelle zur unmittelbaren Vermarktung von Inhalten nur auf einer solchen Basis möglich sind. Deshalb wird diese Form der Nutzungsrechte auch als "Copyright" im engeren Sinne bezeichnet. Die konkrete Ausgestaltung derartiger vertraglicher Regelungen kann dem Urheber oder Dritten teilweise weitere einfache Nutzungsrechte einräumen und dies auch in Rechtsnormen wie etwa dem unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrecht für Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung verbindlich vorschreiben. Die Möglichkeit zu derartigen vertragsrechlichen Gestaltungsspielräumen oder gar gesetzlichen Vorgaben sind aber schon das Ergebnis rechtlich-politischer Auseinandersetzungen um Schranken des Urheberrechts.

Die Vergabe einfacher Nutzungsrechte war bis zur Mitte der 1980er Jahre eine eher unübliche Ausübung auch zu jener Zeit prinzipiell vorhandener urheberrechtlicher Rechtspositionen. Der "große Hack" der GNU Public License (GPL), der heute auch als "Copyleft" bezeichnet wird, war die Anwendung dieser bürgerlichen Rechtsposition, um an erster Stelle der Allgemeinheit ein einfaches Nutzungsrecht einzuräumen. Damit versperrte sich der Urheber zugleich die Möglichkeit, ein (bedingungsloses) ausschließliches Nutzungsrecht an eine weitere dritte Partei einzuräumen und damit an den zu jener Zeit einzig üblichen Verwertungsritualen von Content teilzunehmen, die aber längst nicht die heutige wirtschaftliche Bedeutung hatten. Diese zunächst nur ideologisch zu motivierende (aus einer Verwertungslogik heraus unlogische) Position unterstellt die Notwendigkeit einer radikal anderen gesellschaftlichen Balance zwischen freizügigem Zugang und ökonomischer Verwertung für die kulturelle Entfaltung von Gesellschaft.

Die Motivation, die Richard Stallman hierfür im GNU Manifesto entwickelt, sind stark von libertär-anarchistischem Gedankengut geprägt. In den seither vergangenen 30 Jahren hat die Forderung nach einer radikal anderen Balance zwischen freizügigem Zugang und ökonomischer Verwertung deutlich an Fahrt aufgenommen. Trotz Weiterentwicklung und Verbreiterung der Motivationsbasis, warum eine solche Rebalance erforderlich ist, und der Entwicklung von Best Practise Beispielen wie etwa

  • den Creative Commons als rechts-technischem "Baukasten", um eigene Copyleft-Bedürfnisse punktgenau und rechtssicher zu formulieren,
  • erfolgreicher Geschäfts- und Entwicklungmodelle mit freizügigen Zugangs- und Nachnutzungsbedingungen als oberster Direktive oder
  • der praktischen Entfaltung und erfolgreichen Umsetzung einer Vielzahl kooperativer Projekte auf dieser Geschäftsgrundlage
ist die erbitterte globale Auseinandersetzung um die Rechtspositionen "geistiger Eigentümer" noch nicht zu Ende. Das Bewusstsein, diese Auseinandersetzungen den Kungelrunden in Hinterzimmern der politischen Macht zu entreißen, ist aber weiter im Wachsen begriffen.

Weiterführende Links:

Hans-Gert Gräbe, 10.1.2016


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