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* Seminararbeit von Marcel Kisilowski

Digitalisierung und Vernetzungsstrukturen

Termin: 29. April 2014 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Thema: Auf dem Weg zum globalen Dorf? Digitalisierung und Vernetzungsstrukturen

Mit einem Einstiegsbeitrag von Marcel Kisilowski

Ankündigung

Im Jahre 1962 wurde der Begriff “globales Dorf” von Marshall McLuhan in seinem Buch “The Global Village” geprägt. Hier kündigte McLuhan das Ende der sogenannten Gutenberg-Galaxie an, das Ende des Buch-Zeitalters und der Beginn der elektronischen Vernetzung der Erde.

Aber was heißt Vernetzung überhaupt? Welche Bedeutung hat Vernetzung für die Menschen? Die physische Vernetzung als technisches Mittel erlaubt die fast augenblickliche Verbindung von geografisch weit entfernten Orten. Aber was bedeutet das für die Vernetzung auf sozialer Ebene?

Vernetzung auf sozialer Ebene wird dabei als Menge von Beziehungen zwischen mehreren Menschen oder Gruppen von Menschen verstanden. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, war Vernetzung schon immer wichtiger Teil menschlicher Praxis und ist nicht erst mit dem Internet neu aufgekommen. Die Möglichkeiten physisch-technischer Vernetzung treten nun hinzu und haben seit den 90er Jahren zunehmend in den Alltag Einzug gehalten.

Ist die dabei oft beklagte "neue Unübersichtlichkeit" ein Phänomen der sozialen Übervernetzung der Menschen? Hat dieser Überschuss an Vernetzung die Folge, dass der Mensch langsam zu einem gläsernen Menschen wird? Die Vor- und Nachteile liegen auf der Hand. Oder?

Die neuen technischen Vernetzungsmöglichkeiten, so Klaus Fuchs-Kittowski [1], haben Auswirkungen auf vielfältige Bereiche und Aspekte menschlichen Handelns. Die technische Vernetzung ist Basis für neue Formen sozialer Vernetzung in Chatrooms, sozialen Netzwerken wie Facebook und so weiter. Mit den neuen Kommunikationsmedien ist es möglich, die Vernetzung eines jeden Menschen zu verdichten. Was haben wir davon?

  • [1] Klaus Fuchs-Kittowski: Zur Ambivalenz der Wirkungen moderner Informations- und Kommunikationstechnologien auf Individuum, Gesellschaft und Natur. Potenziale und Risiken allgegenwärtiger Datenverarbeitung? Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin 112 (2011), S.161–184. pdf
Marcel Kisilowski, 23.04.2014

Anmerkungen

Im Beitrag von Herrn Kisilowski wurde der Vernetzungsgedanke am Beispiel biologisch-neuronaler sowie sozialer Vernetzungsstrukturen entwickelt. In biologisch-neuronalen Vernetzungsstrukturen wurde vor allem der Unterschied zwischen der komplexen Topologie synaptischer Verschaltungen als Grundlage potenzieller Vernetzungsmöglichkeiten und der sich auf diesen Strukturen als chemisch-elektrische metabolische Dynamik entfaltenden realen Hirnaktivitäten betont. Dem stand in der Analyse sozialer Vernetzungsstrukturen das relativ einfache Modell der Dunbarzahlen gegenüber, das verschiedene Intensitätsgrade sozialer Vernetzung postuliert und einen empirisch untermauerten und gehirnphysiologisch interpretierten Zusammenhang zwischen Vernetzungsintensität und der Größe sozialer Gruppen (3..8 für engste soziale Kontakte, 10..15 für intensive soziale Kontakte, bis zu 150 für oberflächliche soziale Kontakte) behauptet.

Dieses Muster wurde in der Diskussion mit eigenen Erfahrungen abgeglichen und am Beispiel von Facebook der Einfluss eines "digitalen Wandels" auf diese Muster diskutiert. Während bei den engsten und auch intensiven sozialen Kontakten ein solcher Einfluss kaum festgestellt wurde (erstere wurden auch mit Prozessen im eigenen Hormonsystem konnotiert und damit in einen evolutionsbiologischen Kontext gestellt, zweitere stärker mit Strukturen assoziiert, die sich in stabilen Arbeitszusammenhängen herausbilden) wurden in der dritten Sphäre der "flüchtigen" Kontakte mit der Allgegenwart von Facebook und Co. deutliche Veränderungen diagnostiziert.

In der Diskussion wurde vor allem deutlich, dass der Kontaktpflege in jenem Bereich ein höherer Stellenwert zugemessen wird als dies bei flüchtigen Kontakten im prädigitalen Zeitalter der Fall war. Sowohl die Zahl möglicher Kontakte als auch die Einfachheit und Geschwindigkeit möglicher Kontaktaufnahme eröffnen ein vollkommen anderes Möglichkeitsfeld, das in deutlich anderem Verhältnis zu den real umsetzbaren und umgesetzten Kontaktaufnahmen steht als früher und damit ein Gleichgewicht aus dem Lot zu bringen droht, wenn hier nicht ein angemessenes Zeitselbstmanagement etabliert wird. So weit zumindest war der Tenor der Diskussion eindeutig.

Sehr verschiedene Positionen ergaben sich in der Frage, was denn ein solches "angemessenes Zeitmanagement" sei, wie viel Zeit insbesondere in diese Form der Beziehungspflege zu stecken sei und ob dauernde rasche Erreichbarkeit eher als Problem oder eher als Potenzial wahrgenommen werde. Es wurde deutlich, dass hier neue Kommunikationsmuster und -gewohnheiten entstehen, deren Auswirkungen auf die soziale Strukturiertheit von "Welt" noch schwer einzuschätzen sind.

Mit der Zahl der "flüchtigen" Kontakte wächst zweifellos die Zahl der "interessanten" Kontakte darunter und - unveränderte Gewohnheiten unterstellt - auch der Zeitfonds, der zu deren Pflege erforderlich ist. Die sozialen Theorien hinter den Dunbarzahlen behaupten, dass die Grenze von 150 Kontakten, die Menschen als flüchtige "interessante" Kontakte als Gesamtheit "im Blick" behalten können, ebenfalls gehirnphysiologisch bedingt ist, also neue Freunde alte verdrängen müssen. Diese These ist allerdings umstritten und empirisch wenig befestigt.

Vor einem Jahr diagnostizierten die Diskussionsteilnehmer auf dem eigenen Erfahrungshorizont noch die Gefahr von zunehmender Oberflächlichkeit und Unverbindlichkeit, die mit einer wachsenden Zahl potenzieller neuer interessanter Kontakte einhergeht, dass die "Qual der Wahl" dazu führe, über der Vielzahl der neuen Handlungsoptionen das reale Handeln zu vergessen. Dies wurde in der aktuellen Diskussion so nicht problematisiert - eine zu beobachtende Tendenz auch in der Verteilung eigener zeitlicher Ressourcen hin zu "mehr Palaver" über potenzielle Handlungsoptionen gegenüber "praktischer Tat" wurde zwar bestätigt, beunruhigte aber nicht.

Nur vorsichtig angeschnitten wurde die Frage, ob man nicht mehr differenzieren müsse, etwa wenn es um soziale Kontakte zu Vertrauenspersonen wie Ärzten gehe. Hier wird die Begrenztheit eines Ansatzes schnell sichtbar, der soziale Netzwerke auf Gruppenbildungsprozesse reduziert und damit eine gewisse Symmetrie sozialer Beziehungen von Anfang an postuliert. Auch lässt sich so der Einfluss kultureller Unterschiede in den Lebensweisen auf die hier diskutierten Fragen nur schwer ansprechen, die mit Blick auf verschiedene berufliche Erfahrungshorizonte in interdisziplinären Diskursen immer mitgedacht werden müssen.

Hans-Gert Gräbe, 04.05.2014


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