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Hans Gert Graebe / Leipziger Gespraeche /
2020-02-07


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Prof. Holländer wies zunächst darauf hin, dass jene Fragen auch aus einer anderen, dualen Perspektive heraus betrachtet werden können, wenn nicht von den Strukturierungen ausgegangen wird, um die Dynamiken zu gewinnen, sondern umgekehrt von den Dynamiken – den Prozessen, Flüssen und Strömen – ausgegangen wird, um aus deren Verdichtungen und Stabilisierungen die Strukturen zu erklären, also Bedürfnisse und Handlungen an den Anfang zu stellen und aus ihnen heraus Strukturbildungen zu erklären. Derartig Forderungen – nicht zu fragen "Was ist?", sondern "Was bindet?" – wurden bereits mit dem Potsdamer Manifest im Einsteinjahr 2005 aufgeworfen und entsprechen auch den Erfahrungen aus der Modellierung dissipativer dynamischer Strukturen wie etwa der Bénard-Zellen, in denen sich raum-zeitliche Größenverhältnisse als Resonanzphänomene des Stoff- und Energiedurchsatzes ergeben, in denen äußere Durchsatzraten die Bedingtheiten schaffen, innere Strukturierungspotenziale zu entfalten.
Prof. Holländer wies zunächst darauf hin, dass jene Fragen auch aus einer anderen, dualen Perspektive heraus betrachtet werden können, wenn nicht von den Strukturierungen ausgegangen wird, um die Dynamiken zu gewinnen, sondern umgekehrt von den Dynamiken – den Prozessen, Flüssen und Strömen – ausgegangen wird, um aus deren Verdichtungen und Stabilisierungen die Strukturen zu erklären, also Bedürfnisse und Handlungen an den Anfang zu stellen und aus ihnen heraus Strukturbildungen zu erklären. Derartige Forderungen – nicht zu fragen "Was ist?", sondern "Was bindet?" – wurden bereits mit dem Potsdamer Manifest im Einsteinjahr 2005 aufgeworfen und entsprechen auch den Erfahrungen aus der Modellierung dissipativer dynamischer Strukturen wie etwa der Bénard-Zellen, in denen sich raum-zeitliche Größenverhältnisse als Resonanzphänomene des Stoff- und Energiedurchsatzes ergeben, in denen äußere Durchsatzraten die Bedingtheiten schaffen, innere Strukturierungspotenziale zu entfalten.

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Am Ende der Diskussion eröffnete sich eine sehr pragmatische Perspektive wenigstens für wirtschaftlich eingebundene Systeme: Resilienz als pragmatisches Wechselspiel von Innen und Außen. Wenn akzeptiert wird, dass Systemdynamik auch den Untergang nicht resilienter Systeme einschließt, dann geht es in der Prospektion der Tragfähigkeit von Systembeziehungen vor allem um die realistische Einschätzung der Resilienzpotenziale der beteiligten Systeme durch Dritte, als Teil begründeter Erwartungen, in welchem Umfang die Ankopplung eigener Beziehungen an diese Beziehung die eigene Resilienz beeinflusst. Dies erfordert ein angemessenes System-Monitoring, zu dem das System durch Bereitstellung entsprechender Informationen einen eigenen Beitrag leisten muss. Resilienz erweist sich damit als globaler Monitoringprozess, in dem Systeme standardisierte Schnittstellen zu anbieten, die im Rahmen dieser Monitoringprozesse ausgelesen werden. Die Resilienzproblematik ordnet sich damit ein in allgemeine Monitoringstrukturen von Wirtschaftsaktivitäten, wie sie nicht nur die Börse oder das Statistische Bundesamt betreibt, sondern jedes einzelne Unternehmen im Supply Chain Management.
Am Ende der Diskussion eröffnete sich eine sehr pragmatische Perspektive wenigstens für wirtschaftlich eingebundene Systeme: Resilienz als pragmatisches Wechselspiel von Innen und Außen. Wenn akzeptiert wird, dass Systemdynamik auch den Untergang nicht resilienter Systeme einschließt, dann geht es in der Prospektion der Tragfähigkeit von Systembeziehungen vor allem um die realistische Einschätzung der Resilienzpotenziale der beteiligten Systeme durch Dritte, als Teil begründeter Erwartungen, in welchem Umfang die Ankopplung eigener Beziehungen an diese Beziehung die eigene Resilienz beeinflusst. Dies erfordert ein angemessenes System-Monitoring, zu dem das System durch Bereitstellung entsprechender Informationen einen eigenen Beitrag leisten muss. Resilienz wird zum globalen Monitoringprozess, in dem Systeme standardisierte Schnittstellen anbieten, die im Rahmen dieses Monitoringprozesses ausgelesen und die Angaben von Dritten bewertet werden. Die Resilienzproblematik ordnet sich damit ein in allgemeine Monitoringstrukturen von Wirtschaftsaktivitäten, wie sie nicht nur die Börse oder das Statistische Bundesamt betreiben, sondern jedes einzelne Unternehmen im Supply Chain Management.

16. Interdisziplinäres Gespräch "Das Konzept Resilienz als emergente Eigenschaft in offenen Systemen"

Das

16. Interdisziplinäre Gespräch: Das Konzept Resilienz als emergente Eigenschaft in offenen Systemen

bildet den Höhepunkt und Semesterabschluss des Moduls "Interdisziplinäre Aspekte des digitalen Wandels".

Termin: 7. Februar 2020, 10–16 Uhr
Ort: Research Academy Leipzig, Wächterstraße 30, 04107 Leipzig

Mit diesem interdisziplinären akademischen Gespräch wird die im Herbst 2011 begonnene Reihe akademischer Reflexionen über die Umbrüche unserer Zeit fortgeführt. Das Interdisziplinäre Gespräch ist der Semesterhöhepunkt unseres Interdisziplinären Lehrangebots.

Die Reihe der Interdisziplinären Gespräche am Institut für Informatik wird unterstützt vom Institut für angewandte Informatik (InfAI), von LIFIS - Leibniz-Institut für Interdisziplinäre Studien, dem MINT-Netzwerk Leipzig sowie der Research Academy Leipzig.

Links:

Impulsreferate:
Anliegen

Im Seminar (siehe Reader) hatten wir den Begriff des Systems, besonders in dessen technischer und ingenieur-technischer Ausprägung, als enge Symbiose von Beschreibungsformen und Vollzugsformen menschlicher Praxen herausgearbeitet.

In diesen Vollzugsformen interagiert eine Vielzahl derartiger Systeme, so dass auf der Ebene der Beschreibungsformen auch Systeme von Systemen in den Fokus rücken, die als systemische Interaktion von Komponenten gefasst werden können und üblicherweise auch so gefasst werden. Damit verbunden ist auf der Ebene der Beschreibungsstrukturen eine Komplexitätsreduktion längs einer White Box / Black Box Strategie, in der bewährte Praxen – im günstigsten Fall – als Komponenten auf deren Schnittstellenverhalten reduziert werden, um neue übergreifende Praxen auf der Ebene eines "Systems von Systemen" zu implementieren. Jene Implementierung als eine Transformation einer "Wirklichkeit an sich" in eine "Wirklichkeit für uns" folgt einer engen Zweck-Mittel-Bestimmung längs der Interessen der handelnden Subjekte, was mit einer weiteren Reduktionsleistung der Modellierung auf das Wesentliche verbunden ist, die im TRIZ-Umfeld auf eine ausgefeilte Methodik von 76 Standardverfahren zur Entwicklung angemessener Stoff-Feld-Modelle zurückgreifen kann.

Ein derartiger Obersystem-System-Komponenten-Komplex als dominantes intersystemisches Verhältnis spielte in (Holling 2001) zur Analyse intersystemischer Stabilitätsverhältnisse, die (ebenda als "adaptiver Zyklus") auch Stabilität durch Systemumbau erfassen, eine zentrale Rolle. Es führt mathematisch auf die Struktur eines gerichteten azyklischen Graphen (Hollings "Panarchie"-Konzept ist als Modell von Systemebenen noch strikter), in dem sich Abhängigkeiten wie

System A enthält Komponente B und System B enthält Komponente A

nicht darstellen lassen.

Genau dies ist aber die Perspektive, die Luhmanns Systemtheorie einnimmt mit der Betrachtung der Wirkung von Codes (und damit Implementierungen) eines Systems auf dem Hintergrund aller anderen Systeme als Komponenten (die wie Komponenten nur indirekt über ihre Schnittstellencodes gesteuert werden können).

So weit eine kurze Beschreibung der vorgefundenen Beschreibungen zum Systembegriff, die im Seminar eine Rolle spielten.

Mit dem Konzept der Resilienz (Brand 2007) bzw. der Robustheit (Anderies 2004) wird versucht, die Robustheit einzelner Systeme in ihrem intersystemischen Zusammenhangsverhältnis zu bewerten, indem Robustheitsparameter von benachbarten Systemen und Komponenten ausschließlich über die Input-Output-Schnittstellen kommuniziert werden und sich damit lokal in den Reflexionsstrukturen eines einzelnen Systems bewerten lassen. Die bisherigen Konzepte konzentrieren sich auf die Suche nach aussagekräftigen Kopplungsparametern.

Die TRIZ-Theorie der Evolution Technischer Systeme (Lyubomirskiy 2018) sieht im S-Kurven-Modell der Systementwicklung in einer solchen Robustheit nur eine Phase der Systementwicklung, während in den Phasen der Stabilisierung und von Reife/Niedergang andere Systemqualitäten an Bedeutung gewinnen, insbesondere Leistungen, die andere Systeme für die Stabilisierung der Betriebsbedingungen eines solchen "reifen Systems" zu erbringen haben. So ist die heutige Dominanz sauerstoffbasierter Metabolismen auf der Erde keineswegs eine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis aktiver Transformationsprozesse in der Biosphäre mit wesentlichen Auswirkungen auch auf die Geosphäre.

In unserem Interdisziplinären Gespräch wollen wir uns dem Konzept der Resilienz als einem vielfach überladenen Begriff nähern, der in aktuellen Nachhaltigkeitsdebatten immer wieder in den Vordergrund gerückt wird. Mit unserem Fokus auf emergente Phänomene in offenen Systemen wollen wir die Bedingtheiten von Argumentationslinien unter diesem speziellen Blickwinkel genauer in Augenschein nehmen.

Literaturangaben im Reader.

Hans-Gert Gräbe, 31.12.2019

Anmerkungen

In meinen einführenden Bemerkungen hatte ich zunächst wesentliche Punkte zum Systembegriff rekapituliert, die wir im Forschungsseminar im Wintersemester 2019/20 erarbeitet hatten und die detaillierter im Reader dargestellt sind. Der Begriff eines sozio-technischen Systems wurde dabei als wesentliches Moment der Komplexitätsreduktion in Beschreibungsformen technisch getriebener Praxen dargestellt, wobei die Reduktion als "Reduktion auf das Wesentliche" in wenigstens drei Richtungen erfolgt:

  • Abgrenzung des Systems nach außen gegen eine Umwelt, Reduktion dieser Beziehungen auf Input/Output-Beziehungen.
  • Abgrenzung des Systems nach innen durch Zusammenfassen von Teilbereichen als Komponenten, deren Funktionieren auf eine Verhaltenssteuerung über Input/Output-Beziehungen reduziert wird.
  • Reduktion der Beziehungen im System selbst auf kausal wesentliche Beziehungen.
Systeme in einem solchen Verständnis sind ein Zusammenspiel von Beschreibungs- und Vollzugsformen und haben viel Ähnlichkeit mit Aufführungspraxen von Konzertstücken: vorhandene abrufbare Funktionalitäten (der einzelnen Musiker) werden durch angemessene Gestaltung der Beziehungen zwischen diesen Elementen (Interpretation des Musikstücks) nach einem der Aufführung vorgängigen Plan (der Partitur) zum Zusammenspiel gebracht und damit seinerseits eine komplexere Funktionalität erzeugt.

Dieses Wechselspiel zwischen den Begriffen System und Komponente liegt allen entwickelten ingenieur-technischen Leistungen zu Grunde und beschreibt ein historisches Voranschreiten zu komplexeren technischen Artefakten, die sich aus dem Zusammenspiel bereits etablierter "einfacherer" Artefakte (der Komponenten) ergeben. Bei Systemen steht die Implementierung von Funktionalität im Vordergrund, bei Komponenten die Spezifikation von Funktionalität sowie die – vertraglich untersetzte – Garantie des spezifikationskonformen Funktionierens. Dies entspricht dem Konzept der Fiktion aus meiner Vorlesung als verkürzter Sprechweise über eine gesellschaftliche Normalität. Diese gesellschaftliche Normalität wird in einem arbeitsteiligen Vorgehen bereitgestellt und aufrecht erhalten, wobei in den verschiedenen Kontexten Systeme zu Komponenten und Komponenten zu Systemen werden.

Mit einem solchen letztlich statischen Bild wird die Aufbauorganisation einer technischen Welt erfasst als Wechselspiel von Kontextualisierungen und Funktionalitäten, als Wechselspiel von Handeln und Bedingtheiten von Handeln. Die Wirklichkeit ist allerdings weniger Aufbau als vor allem Bewegung, in der sich eine solche Aufbauorganisation permanent transformiert, sich Bedeutungswechsel zwischen einzelnen Elementen vollziehen bis hin zur Ablösung und Transformation ganzer Teilstrukturen. Genau solche Fragen – in welchem Umfang sind einzelne Komponenten eines solchen Gefüges stabil, widerständig, haben noch Transformationspotenzial – werden mit dem Begriff Resilienz thematisiert.

Prof. Holländer wies zunächst darauf hin, dass jene Fragen auch aus einer anderen, dualen Perspektive heraus betrachtet werden können, wenn nicht von den Strukturierungen ausgegangen wird, um die Dynamiken zu gewinnen, sondern umgekehrt von den Dynamiken – den Prozessen, Flüssen und Strömen – ausgegangen wird, um aus deren Verdichtungen und Stabilisierungen die Strukturen zu erklären, also Bedürfnisse und Handlungen an den Anfang zu stellen und aus ihnen heraus Strukturbildungen zu erklären. Derartige Forderungen – nicht zu fragen "Was ist?", sondern "Was bindet?" – wurden bereits mit dem Potsdamer Manifest im Einsteinjahr 2005 aufgeworfen und entsprechen auch den Erfahrungen aus der Modellierung dissipativer dynamischer Strukturen wie etwa der Bénard-Zellen, in denen sich raum-zeitliche Größenverhältnisse als Resonanzphänomene des Stoff- und Energiedurchsatzes ergeben, in denen äußere Durchsatzraten die Bedingtheiten schaffen, innere Strukturierungspotenziale zu entfalten.

Dennoch kommt auch ein solches Herangehen nicht um das Henne-Ei-Problem von strukturierender Bewegung und bewegter Strukturen herum, für das ein systemtheoretischer Ansatz wie oben beschrieben zunächst eine Lokalisierung des In-Bewegung-Setzens (System) vorgefundener Bedingungen (Komponenten) leistet. Die Beschränktheit eines solchen Zugangs ist offensichtlich – Emergenzphänomene großflächiger Strukturen lassen sich so nicht einfangen –, dennoch ist er eine spezifische Form der Kontextualisierung, die in allen, auch noch so ausgefeilten Beschreibungsformen dynamischer Prozesse mitschwingt und letztlich selbst expliziert werden muss.

Dieses Problem hatte uns auch schon im Seminar bewegt, und Herr Kleemann stellte die Frage, was hier andere Kontextualisierungsansätze wie etwa Framing-Theorien leisten können.

Auf ein weiteres Phänomen wies ich hin – das Problem von Zuständen in primär funktionalen Systemen, das aus der Theorie der Programmiersprachen gut bekannt ist. Funktionale, im Kern zustandsfreie, Programmieransätze, die im Kontext moderner Webentwicklungen gerade ein neues Comeback erleben, legen Wert auf die Separierung von Zustand und Funktionalität, im Gegensatz zu objekt-orientierten Ansätzen. Letztere sind aber bereits seit 20 Jahren im Bereich verteilter Anwendungen in der Diskussion, da das Zusammenführen von Zustand und Verhalten in einem Objekt die elementare Trennung von Verantwortlichkeiten zwischen Dienstleister und Kunden unterläuft – für den Service ist der Dienstleister zuständig, für die Daten, die der Service verarbeitet, der Kunde. In diesem Kontext wurde der Objektbegriff zur Kapselung von Zuständen geschärft und tritt als dritter Begriff neben die beiden Begriffe System und Komponente, siehe etwa Szyperski: Component Software.

In seinem Impulsbeitrag ging Prof. Holländer dann auf die Dynamik von Grenzziehungen zwischen Systemen ein, wobei – im Gegensatz zur Theorie Dynamischer Systeme, in der es vor allem um die Verzahnung von Mikro- und Makroevolution von gekoppelten Systemen auf deutlich verschiedenen Zeitskalen geht, – Holländer konkurrierende Systeme auf gleichen Zeitskalen und deren Phänomene Fluktuation und Flexibilität in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte. Dabei wird auch auf das Restrukturierungspattern in (Holling 2001) Bezug genommen, nicht aber auf den dort entwickelten Panarchie-Ansatz. Zusätzlicher Input ergab sich aus einer genaueren Betrachtung der Möglichkeiten von Parametervariationen. Im Gegensatz zur TRIZ-Empfehlung, Parameterwerte in Extrema zu treiben, um wenig ausgeleuchteten Ecken der Modellierung auf die Spur zu kommen, sind in sozio-ökologischen Modellen Parameter nur in engen Grenzen variierbar, die durch spezifische Kipp-Punkte markiert werden. Solche Kipp-Punkte hängen eng mit Phasenübergängen zusammen, die in der TRIZ-Modellierung technischer Systeme so gut wie keine Rolle zu spielen scheinen, in der klassischen Physik aber Gültigkeitsbereiche von Modellierungsansätzen abgrenzen und so tief in Potenziale von Beschreibungsformen, insbesondere auch der Beschreibungsformen von Zuständen, hineinreichen. Auch ein solches Phasenraumkonzept lässt sich in konkreten Anwendungen zunächst statisch entwickeln, daraus können statische Kipp-Punkte bestimmt und damit statische Flexibilitätsspielräume markiert werden. Holländer wies in seinem Impulsbeitrag aber darauf hin, dass eine solche Modellierung das praktisch beobachtete Phänomen der Einengung nicht genutzter Flexibilitätspotenziale nicht berücksichtigt, sich in komplexeren Zusammenhängen also auch Phasengrenzen dynamisch verschieben.

Resilienz wird damit zur Fähigkeit eines Systems, seinen eigenen Platz im Gefüge aller Systeme zu behaupten. Diese Eigenschaft nennt Holländer Regenerativität und spricht sie technischen Systemen ab. Hier wäre nach meinem Verständnis jedoch genauer hinzuschauen, ob dies auch für sozio-technische Systeme gilt, insbesondere unter Einbeziehung sozialer Zwecksetzungsprozesse. Dies wurde im Weiteren kontrovers diskutiert.

Am Beispiel der deutschen Automobilindustrie leuchtete Holländer dann genauer aus, was ein systembezogener Resilienzbegriff leisten kann, wenn die von außen kommenden Impulse in Richtung der Ablösung klassischer Antriebstechniken nur halbherzig aufgenommen werden, gleichzeitig aber die eigenen Einflussmöglichkeiten auf Obersysteme, insbesondere das System der nationalen Wirtschaftspolitik zur Stabilisierung des eigenen, bereits unter Druck geratenen Status quo genutzt werden können. Scheinbare Resilienzdynamiken werden dabei zum Lock-In des Obersystems und führen langfristig zu dessen Destabilisierung – eine Konstellation, die in der Typologie von (Geers 2007) nicht vorkommt.

Am Ende der Diskussion eröffnete sich eine sehr pragmatische Perspektive wenigstens für wirtschaftlich eingebundene Systeme: Resilienz als pragmatisches Wechselspiel von Innen und Außen. Wenn akzeptiert wird, dass Systemdynamik auch den Untergang nicht resilienter Systeme einschließt, dann geht es in der Prospektion der Tragfähigkeit von Systembeziehungen vor allem um die realistische Einschätzung der Resilienzpotenziale der beteiligten Systeme durch Dritte, als Teil begründeter Erwartungen, in welchem Umfang die Ankopplung eigener Beziehungen an diese Beziehung die eigene Resilienz beeinflusst. Dies erfordert ein angemessenes System-Monitoring, zu dem das System durch Bereitstellung entsprechender Informationen einen eigenen Beitrag leisten muss. Resilienz wird zum globalen Monitoringprozess, in dem Systeme standardisierte Schnittstellen anbieten, die im Rahmen dieses Monitoringprozesses ausgelesen und die Angaben von Dritten bewertet werden. Die Resilienzproblematik ordnet sich damit ein in allgemeine Monitoringstrukturen von Wirtschaftsaktivitäten, wie sie nicht nur die Börse oder das Statistische Bundesamt betreiben, sondern jedes einzelne Unternehmen im Supply Chain Management.

Herr Wittenberger und Herr Radtke machten darauf aufmerksam,

  1. dass dies insbesondere im digitalen Securitybereich bereits ein Dauerthema ist,
  2. dass hierfür Holländers Ansatz einer vagen Systemabgrenzung kontraproduktiv ist, da Messen ohne Abgrenzung des zu vermessenden Gegenstands nicht möglich ist,
  3. dass Messen grundsätzlich nur als relative Vergleichbarkeit – und sei es gegen einen Etalon – möglich ist und
  4. dass Messen ein theoretisches Modell des zu Messenden voraussetzt.
Resilienz wird damit zu einem Modellierungsphänomen, das sowohl als Selbstmodellierung (firmeninterne QA- und Assessmentprozesse) als auch als Fremdmodellierung (Börse, Unternehmensberatung, Statistikämter) längst Einzug in die wirtschaftliche Praxis gehalten hat.

Hans-Gert Gräbe, 08.03.2020

Teilnehmer

  • Gerd Arnold, Ingenieur, evermind Leipzig
  • Katrin Buchheim, Digital Humanities, Uni Leipzig
  • Yaoli Du, Philosophie, Uni Leipzig
  • Prof. Hans-Gert Gräbe, Informatik, Uni Leipzig
  • Veronika Heuten, Digital Humanities, Uni Leipzig
  • Annemarie Hohbach, infai, Uni Leipzig
  • Prof. Robert Holländer, IIRM, Uni Leipzig
  • Ken Pierre Kleemann, Philosophie, Uni Leipzig
  • Sebastian Koch, DRK Leipzig
  • Nastasja Krohe, Philosophie, Berlin
  • Shoshana Laubisch, Musikwissenschaft, Leipzig
  • Dr. Sabine Lautenschläger, IIRM, Uni Leipzig
  • Georg von Nessler, Kulturwissenschaft, Leipzig
  • Norman Radtke, infai, Uni Leipzig
  • Immanuel Thoke, Informatik, Uni Leipzig
  • Jörg Wittenberger, Informatik, softeyes Dresden
  • Manfred Wolff, Mathematiker, ASG Leipzig
Interessiert, diesmal aber verhindert

  • Renate Baricz, Studentin, Uni Leipzig
  • Nicola Klöß, Umweltbeauftragte, Uni Leipzig
  • Daniela Kulik, IHK Leipzig
Unterstützer der Veranstaltung


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