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Städte müssen nicht wachsen, sie können sich vernetzen

Bemerkungen zum Verhältnis von Stadt und Land im Informationszeitalter

ein Beitrag für die Zeitschrift "Perspektiven" der Wiener Stadtplanung (1996)

© Franz Nahrada

Unter den vielen Kommentaren zur HABITAT II Konferenz fand sich auch einer von Günter Nenning, in dem er eine sehr bemerkenswerte Tatsache ins Zentrum stellte: Wien ist eine Stadt, die noch um die letzte Jahrhundertwende den Rang einer geistigen Metropole mit einem vorderen Platz unter den bevölkerungsreichsten der Weltstaedte verband. Der relative Positionsverlust von Wien - heute rangiert Wien unter den Millionenstaedten der Erde statt unter den Top Ten hinter mindestens zweihundert anderen - sei ein Gewinn für Lebensqualität, Planbarkeit und die Fähigkeit, urbane Probleme in den Griff zu bekommen.
Der Positionsverlust ist freilich keine beabsichtigte Strategie städtischer Entwicklung gewesen, sondern ausgelöst durch politische und soziale Einschnitte. Die Schwankungen der letzten Jahre in den demographischen Prognosen über das städtische Bevölkerungswachstum und die darauf aufbauenden politischen und planerischen Reaktionen haben gezeigt, daß es nicht nur keinen wirklichen Konsens zu der Frage gibt, inwieweit die Stadt dem demographischen Wachstumsdruck nachgeben muß, inwieferne Migration in die Stadt strukturell zu begrüßen ist - sondern auch inwieweit Planung hier überhaupt Maßstäbe setzen kann und soll. Auf der einen Seite stand die Notwendigkeit, sich auf eventuell zu erwartende Migrations-bewegungen in Europa vorzubereiten, diese als eine positive Komponente der Stadtentwicklung integrieren zu können, gerade auch in Hinsicht auf Faktoren wie strukturelle Überalterung etc.. Auf der anderen Seite stand eine praktizierte Politik des Konservierens des Status quo ante und der Eindämmung von Zuwanderung, die sich in durchaus abgemilderter Form in den allgemeinen Trend einfügt, den Alvin Toffler die "Revolte der Reichen" nannte: Besitzstände zu erhalten, Krisenlasten zu externalisieren und Ausgrenzungen zu verstärken.

Der Status quo ist daher wieder geworden: Wien wächst nur moderat, qualitatives hat statt quantitativem Wachstum den Vorrang. Die Frage ist freilich, ob diese Festlegung als Konsens ausreicht, ob sie uns wirklich in die Lage versetzt, mit den Herausforderungen der Zukunft fertig zu werden und angesichts der verstäkten Dynamik von Städtekonkurrenz und Globalisierung ein Programm für eine Verankerung und Funktionsbestimmung Wiens im 21. Jahrhundert enthält. Hier soll eine etwas unkonventionelle Antwort formuliert werden: nur wenn es gelingt, aus der Situation des vergleichsweise moderaten (oder gar negativen) physischen Wachstums der Stadt eine bewußte Stärke zu machen, die die globale Position und die städtische Funktion Wiens insgesamt nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern sogar in gewisser Weise sogar eine positive Bedingung einer neuen Vernetzungsdynamik -mit Wien als einem zentralen Knotenpunkt - darstellt, wird diese Stadt auch im nächsten Jahrhundert eine Rolle spielen, die der Rolle in ihrer Vergangenheit adäquat ist - und ihr die Mittel verschafft, auch weiterhin ein guter Platz zum Leben zu bleiben.

===Die Folge der Informationstechnologie: globale Konkurrenz der Städte=

In der gegenwärtigen Debatte um Stadtentwicklung wird den Informationstechnologien breite Aufmerksamkeit gewidmet, und das zu recht: ganz sicher ist hier ein Potential entstanden, das die Bedeutung von Räumen, von Zentralität und Peripherie, radikal zu ändern imstande ist. In der bisherigen Entwicklung der Technologie und in der Debatte darüber ergab sich eine Verstärkung der wirtschaftlichen Gewichtung von Zentralräumen, von "globalen Städten", die in sich logistische Kontrollfunktionen oder Supportfunktionen zu konzentrieren vermochten.

"Wirtschaftliche Globalisierung kann aller Erfahrung nach nicht so interpretiert werden, daß es dadurch zu einer Gleichverteilung der Kommandozentralen der Wirtschaft auf der Welt kommt. Was ablesbar ist, ist eine Erweiterung des Systems der Zentralen von europäischen und US-amerikanischen Städten auf japanische und einige fernöstliche Städte bei gleichzeitiger Konzentration von Funktionen in den bisherigen 'Weltzentren'. Wenn die Austrian Airlines ihre ganze Buchhaltung nach Indien auslagern, dann ist das mit Sicherheit erst durch die entsprechenden Telekommunikations-verbindungen möglich geworden. Wo aber in Indien wird diese Buchhaltung gemacht? Nicht am Land, sondern wieder in einer Stadt, mit einem hohen Potential an indischen EDV-SpezialistInnen und ProgrammiererInnen".1

Städte, so das durchaus richtige Argument, vermögen durch Vernetzung ihre interne Effizienz bei weitem schneller zu steigern als ländliche Räume. Und dieser Prozeß ist selbstverstärkend, erhöht beständig den Unterschied zwischen der Leistungsfähigkeit von Wirtschaftsräumen zum Nachteil der ländlichen und peripheren Räume. Die leistungsfähigen Räume liegen dort, wo Manuel Castells den "Space of Flows" verortet hat: an den Knotenpunkten der Verkehrs- und Handelsströme, mit hochentwickelter Kommunikationsinfrastruktur und einer Vielzahl lokaler Akteure. Dabei sind die Städte zunehmend auf einer unmittelbar globalen Ebene miteinander konfrontiert: im globalen Büro von Bangalore können mittlerweile auch die hochqualifiziertesten Job Descriptions erledigt werden, ob die Produktion von Software für Tomographen oder der Formelsatz für Computerbücher - und das alles für einen Bruchteil der Kosten von London oder gar Wien. Die Boomtown des Infomationszeitalters zieht natürlich jede Menge von Hilfs- und Supportfunktionen an, Information Brokers, Medienproduzenten, Steuer- und Handelsrechtsexperten, Computerlieferanten und so weiter. Der Multiplikationseffekt ist hinlänglich bekannt, und er wird nochmals multipliziert durch die globale Bedeutung einer Stadt. Saskja Sassen hat in ihren Büchern ("The Global City", "Losing Control?") diese globale Agglomerationslogik genau studiert, die darin gipfelt, daß es nicht nur den Zwang des Zulieferers gibt, "just in time" möglichst nahe an den Geschäftszentren zu sein, sondern auch den Zwang für Entscheidungsträger und Manager, im physischen "Information loop" der globalen Stadt präsent zu sein - auch wenn Datenhighways und emails scheinbar alle egalitär verbinden. Die „Wissenskulturen” oder besser „Subkulturen” der Städte gewinnen in der „neuen Geographie der Macht” an Bedeutung, die „weichen Standortfaktoren” des Zusammenspiels vieler für das eigene Umfeld bedeutsamer Akteure werden für die Städte immer wichtiger - je mehr die sie zu globalen Städten werden. Und diesem Zwang, sich nicht mehr auf eine "heimische" Wirtschaftsbasis zu stützen, sondern lediglich ein mehr oder weniger günstig gelegener Standort für sehr wählerische Unternehmen zu sein, unterliegen alle Städte.

Längst tangiert so das Wachstum einer Stadt nicht nur ihren unmittelbaren physischen Umraum und die benachbarten Regionalzentren, sondern hat unmittelbar globale Auswirkungen auf ganze Branchen auf anderen Kontinenten. In einer Zeit, in der der überwiegende Anteil der Wertschöpfung von Industrieprodukten aus Information und Informationsarbeit besteht, hat die Flexibilität und Verlagerbarkeit von Produktion noch enorm zugenommen. 50% der gesamten Erwerbsarbeit weltweit , so schätzt man heute, bestehen im wesentlichen schon im Umgang mit Symbolen und Sprache, und diese Arbeiten sind leichter zu disloziieren als man es jemals für möglich hielt. Kulturelle Barrieren für Vertwaltungstätigkeiten werden jedenfalls nicht mehr lange halten. Daß es immer noch als etwas Bemerkenswertes gehandelt wird, wenn österreichische Autobahnvignetten in Chicago hergestellt werden, zeigt nur, wie wenig die Öffentlichkeit und das allgemeine Bewußtsein das tatsächliche Ausmaß der Globalisierung zur Kenntnis genommen haben. Zwar stimmt die Faustregel "90% of all Business is local" nach wie vor, aber in dieser Zahl ist eben nicht ausgedrückt, wieviel davon Folge- und Begleiterscheinung globaler Geschäftsbeziehungen ist und ohne sie gar nicht (mehr) existieren würde.

Städte erhalten im Informationszeitalter mehr denn je Funktionen, die sie als "Cluster" um den Kristallisationspunkt von erfolgreichen globalen Positionierungen charakterisieren. Frankfurt oder London ist Finanzplatz, es gibt auch Medienstädte, Industriestädte, Verwaltungsstädte oder Touristenstädte. Manche sind mehreres zusammen und manchmal ergibt sich eines aus dem anderen. Die Frage ist nicht unberechtigt, ob es für jede Stadt - also auch Wien - nicht immer wichtiger wird, die eigene Clustersituation bewußt zu steuern; und ob hier die Informationstechnologien nicht schon wieder eine Beschleunigung ankündigen, auf die es sich vorzubereiten gilt.

===Clustering, Stadtmarketing und Städtisches Informationsmanagment=

Eine Stadt, in der - zum Beispiel - ein hoher Standard medizinischer Versorgung existiert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Sphäre telemedizinischer Angebote erfolgreich sein; damit steigt aber der Grad der Diversifizierung und Wissensintensität am Standort des îHubs”, der Anreiz für viele Partner, gerade hier präsent zu sein, während vergleichsweise andere Standorte im Standard zurückfallen. Es dreht sich also das Verhältnis um und die telekommunikative Vervielfachung des Angebotes einer Stadt nach außen erhöht die Chancen, den Standard nach innen zu erhalten. Eine Studie über makroökonomische Auswirkungen der Telekommunikation (METIER) im Rahmen des ACTs Programms der Europäischen Union warnte schon vor Jahren, daß der bloße Ausbau der Infrastruktur ohne gleichzeitige schnelle Entwicklung angebotsorientierter Strategien im Grunde genommen wie das Konstruieren von Pipelines zum Abtransport von Kaufkraft zu betrachten sei. Besser, so der lakonische Grundtenor der Studie, man baue die Breitbandnetze nicht, als ohne gleichzeitige drastische Verbilligung den lokalen Unternehmen Anreiz und Chance zu nehmen, sich zu globalen Playern zu entwickeln.

Die Allianz aus modernem Transportsystem und Telekommunikation tendiert also dazu, in fast allen Bereichen die Städtekonkurrenz zu intensivieren und die Städte zu unternehmensähnlichem Verhalten, zu Stadtmarketing im weitesten Sinne zwingen, schon in Hinblick auf die Sicherung der inneren Qualität des Levels städtischer Dienstleistungen im Vergleich mit anderen Städten.

Marketing ist dabei gerade nicht nur das Verkaufen dessen, was man aktuell hat, sondern es ist der Versuch, sich durch eine genaue Analyse der eigenen Stärken und Schwächen im Vergleich zu anderen Anbietern die richtige îNische” zu suchen, in der die eigenen Stärken auf das richtige Bedürfnis, auf die richtige Nachfrage treffen. Marketing schließt auch die Entwicklung von Produkten ein, und die moderne Stadt muß sich und ihre "Wissensbasis" als ein Produkt begreifen, daß sie sowohl ihren eigenen Akteuren als auch passenden neuen Akteuren beständig zu verkaufen hat, das sie aber auch selber zu gestalten hat.

Die Entwicklung von Clustern bedeutet die Entwicklung von Netzwerken wechselseitigen Supports, die den einzelnen Akteuren maximale Erfolgsbedingungen verschaffen. Die Geschwindigkeit und Komplexität dieses Prozeses ist ständig im Steigen begriffen; keine Stadt ist mehr in der Lage, in diesem Prozeß eine monopolistische Rolle einzunehmen oder ihn kontrollieren zu können; sie kann nur versuchen, durch Schaffung bestimmter Rahmenbedingungen den Prozeß günstig zu beeinflussen.
Dabei dürften mehrere Faktoren eine Rolle spielen, die durchaus unterschiedlichen Charakter haben:

1. die kommunikative Kultur, die Wahrscheinlichkeit, im städtischen Rahmen produktive Interaktionen zur Entwicklung von Projekten und zum Finden geeigneter Partner durchführen zu können;

2. der Konsens über grundsätzliche Leitvorstellungen der wünschenswerten zukünftigen Entwicklung der Stadt selbst;

3. die „Außenpolitik” der Stadt, also die Leichtigkeit, mit der kommunikative Kanäle von einem Standort aus beschritten und Transaktionen durchgeführt werden können

===Speckgürtel oder Stadtnetz ?=

Im folgenden möchte ich einen in der gegenwärtigen Debatte vernachlässigten Aspekt hervorheben, nämlich die Frage des sogenannten städtischen "Hinterlandes" und nach der Rolle die das geographische Umfeld der Stadt in diesem Globalisierungsprozeß zu spielen imstande ist.

Schon der Begriff des "Hinterlandes" spiegelt natürlich die Sichtweise des Städters wider, er ist schon in seiner Wortwahl tendenziös. Und doch gibt er nur wieder, daß die Dichotomie von städtischem und ländlichem Raum sich zunehmend auflöst:

"Es fällt allerdings schwer, als städtisch zu bezeichnen, was sich augenfällig in den Räumen zwischen Wien und Vösendorf oder Wolkersdorf abspielt und sich als Ansammlung und Abfolge von Betriebsstandorten, Einkaufszentren, Großsiedlungen, Gartenstadt- und Einfamilienhaussiedlungen darstellt. Vösendorf ist nicht Wien und nicht dorf, Atzgersdorf ist Wien und nicht Stadt....Keine Symbiose aus Stadt und Land, kein Nivellierungsprozeß, in dem sich städtische und ländliche Elemente gleichberechtigt zu einer Einheit verbunden hätten, keine Verschärfung des Stadt-Land-Gegensatzes, sondern Verschwinden der jeweils prägenden Elemente...Was passiert zu sein scheint, ist keine gegenseitige Befruchtung und Beeinflussung, sondern eine beiderseitige Verdünnung."2

Die Region versucht von der Nähe zur Stadt zu profitieren, die Stadt lagert Funktionen und Elemente aus, beide sind voneinander abhängig, aber dieser Prozeß ist eigentümlich gespalten. Am Fall Berlin-Brandenburg ließ sich erst unlängst wieder studieren, daß politische Koordination schwierig und die "mentalen Absetzbewegungen" vorherrschend sind. Obwohl mit Händen zu greifen ist, daß die Stadt in die Identität des ländlichen Raumes mehr denn je eingreift, und zwar sowohl in ihrem unmittelbaren Hinterland als auch in der weiteren Umgebung, die mit der Zurückdrängung der bäuerlichen Produktionsweise vor der Wahl steht, entweder zum touristischen Landschaftsanbieter zu mutieren oder zum beziehungslosen Gemenge eines Schlafdorfes zu verkommen, wird immer noch - und zwar gerade von den besten Köpfen! - einer "Identität des ländlichen Raumes" das Wort geredet, während die Städter sich vom Raum längst keine Identität mehr vorschreiben lassen, also ihre auch schon längst verloren haben.

Die Telekommunikationstechnologie löst diese Problematik keineswegs auf, sie macht sie nur virulenter, denn im Grunde genommen befördert sie zwar die Agglomeration um die Städte, macht aber die Identitätslosigkeit der Städte umso schmerzlicher erfahrbar:

"Zur Lösung unserer Alltagsprobleme oder als ökonomischen Werkplatz brauchen wir die Stadt nicht mehr. Dazu genügen global geschickt verteilte funktionale Zonen, ein Auto, etwas Telekommunikation. Die Städte, die wir heute noch antreffen, sind als Ansammlungen von Gebäuden übriggeblieben aus verschiedenen Epochen wirtschaftlicher Zentralsation und Dezentralisation. Sie waren Marktstädte, Handwerkerstädte, Festungen, Wohnstätten, Industriestädte, Dienstleistungsstädte - heute sind sie dies alles noch, aber nur zufällig. Shoppingcenters, ausgelagerte Industrien, gesunde Gartensiedlungen, Backoffices in der Agglomeration haben der Stadt jede wirtschaftliche Notwendigkeit genommen, leisten alles besser, billiger und rationeller"3

Viele Autoren vetreten die Ansicht, daß Telematik eher zur Herausbildung von "Edge Cities" oder "City-Komplementärzentren" führt. Übersetzt auf den Raum Niederösterreich-Wien hieße das, daß der Gewinner der telematischen Restrukturierung der Wiener Raum links der Donau oder die neuen Subzentren z.B. entlang der Vorortelinie wären, die in räumlicher Nähe zum Stadtzentrum stehen, sich aber zu eigenständigen zentralen Räumen weiterentwickeln können; wiederum im Verbund mit Gemeinden im Umland von Wien, mit denen sich gemeinsam eine Art "Wiener Speckgürtel" entwickelt, in Fortschreibung der jüngsten Zuwachsraten der niederösterreichischen Randgemeinden von an die 100% in zehn Jahren.

Von allen Varianten der städtischen und ländlichen Entwicklung ist dies wohl eine der schlechtesten. Von den vielen Argumenten, die gegen den "urban sprawl" geltend gemacht werden, hat in jüngster Zeit die Analyse der anthropogenen und natürlichen Stoffflüsse zu einer besonders pointierten Polemik gegen weiteres städtisches Wachstum geführt. Der "ökologische Fußabdruck", die Belastung der "Referenzfläche"4 und der Ressourcenverbrauch einer Stadt steigen überproportional an, wenn die Dissipationsräume5 an den Stadträndern zurückgedrängt werden - auch wenn die Städte insgesamt in einem selbstorganisierenden Prozeß ein ziemlich ausgewogenes Verhältnis zwischen Siedlungskernen und Siedlungsoberflächen auf der Grundlage verschiedenster Strategien für die Schaffung von Dissipationsrändern entwickeln.6

Die prozeßtechnische Betrachtung der Stadt als technisches und ökologisches System zwingt zu der Aussage, daß Städte Optimalgrößen haben, und daß die stoffliche Funktionsweise einer Millionenstadt eine unangemessene Vergeudung darstellt.

"Die Vision der ökolologischen Stadt entsteht aus den Antworten aus die immergleiche Frage: Kann ein Stadtsystem so organisiert werden, daß es weit weniger Ressourcen verbraucht?....Haben wir Phantasie genug, uns eine derartige Stadt vorstellen zu können? Denn wenn wir sie uns nicht vorstellen können, werden wir auch nicht entdecken, was vielerorts schon Wirklichkeit ist, wenn auch nur in Ansätzen"

- sagte Karl Ganser auf dem Kongreß "die ökologische Stadt" im Wiener Rathaus 1993 und malte sehr zum Erstaunen einiger Zuhörer das Bild einer mittelgroßen Stadt, "vielleicht 60.000 Einwohner oder auch 150.000....Städte dieser Größe haben heute fast alle Vorteile der großen Stadt und noch nicht alle Nachteile."7

Solche Ausführungen mögen in der Wiener Situation akademisch erscheinen, und doch gibt es die Vision der Planungsgemeinschaft Ost mit einer bewußten Hintanhaltung der Stadtrandwucherungen und einer Stärkung der Mittelstädte, die ihrerseits wiederum als Versorgungszentren für dezentrale Siedlungsräume in den ländlichen Gebieten figurieren. In einer solchen Konstellation koennte die Ubiquität der modernen Telekommunikationstechnologien in voller Bandbreite zur Schaffung dezentraler Zentralität eingesetzt werden, erhalten Nachbarschaftszentren, Infotheken, Dienstleistungszentren ihren Sinn.8

Freilich stehen nicht nur politische Partikularismen einer solchen Vision entgegen: die Tendenzen, im Zeitalter der Liberalisierung und Globalisierung den Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur dem privaten Marktkalkül zu überlassen, tragen sicher nicht dazu bei, automatisch eine ausgewogenere und tragfähigere räumliche Entwicklung zu befördern. Im Gegenteil scheint das kurzfristige Kalkül mit der zahlungsfähigen Nachfrage wiederum dazu zu führen, daß Wirtschaftskraft in der Hoffnung auf die Befriedigung dieser Zahlungsfähigkeit sich in den Ballungsräumen konzentriert, während die längerfristigen Entwicklungspotentiale des ländlichen Raumes, aber auch der Klein- und Mittelstädte in diesem Kalkül keine Berücksichtigung finden.

Kein Wunder, daß der maßgebliche Beamte der niederösterreichischen Landesplanung sich genötigt sieht, eine historische Parallele mit der Entwicklung der Eisenbahn zu ziehen, deren Trassenführung unter kurzfristigen Konkurrenzgesichtspunkten der Eisenbahnbaugesellschaften und nicht immer unter Bedachtnahme auf längerfristige Entwicklungspotentiale erfolgt ist, was noch nahezu ein Jahrhundert später deutlich als Nebenbahnproblem zu spüren ist.9 Die scheinbar so moderne neoliberale Ideologie erweist sich bei historischer Betrachtung als gar nicht so neu. Was uns im Nachhinein als selbstverständliche öffentliche Infrastrukturaufgabe erscheint, ist im Beginn immer ein scheinbar privater Luxus weniger gewesen, dem Gutdünken von Investoren überlassen; das Internet befindet sich hier in der ehrenwerten Gesellschaft der Telephonie und der Motorisierung. Was sich als eine scheinbar neutrale Gesetz-mäßigkeit der Entwicklung darstellt, wäre in Wirklichkeit der Korrektur zugänglich, wenn diese nicht immer bloß mit viel zusätzlichem Aufwand im Nachhinein erfolgen müßte.

===Global City - Global Village=

Die Frage bleibt allerdings bestehen: Können wir eine ausgewogene Entwicklungsperspektive insbesondere des ländlichen Raumes jenseits von Utopie und Wunschdenken ausmachen, die den planenden und lenkenden politischen Eingriff in die sich entwickelnden neuen Technologien rechtfertigt?

Wir können unsere Augen nicht länger vor der tiefen strukturellen Krise verschließen, in die die globalisierte Marktwirtschaft eingetreten ist. Die zentrale Rolle des Arbeitsprozesses in der gesellschaftlichen Reproduktion ist am Schwinden, mit allen damit verbundenen ökonomischen, sozialen und psychologischen Folgen. Betroffen sind davon zunächst gerade die "Ränder", die Peripherien - im Weltmaßstab ebenso wie im regionalen Maßstab.

Das Wachstum der Städte symbolisiert in Wahrheit die Schrumpfung der Reproduktionsfähigkeit des "Gesamtsystems Marktwirtschaft" und die damit verbundene Tatsache, daß die Globalisierung und Flexibilisierung grosso modo sicher keine neue Massenbeschäftigung schaffen wird. Im Gegenteil, Informations- und Kommunikationstechnologien erweisen sich als logistischer Hebel bei der Konzentration von immaterieller Produktion und damit auch der materiellen. Auch wenn an die Stelle des klassischen "Back-Office" einer Bank oder Versicherung der virtuelle Firmenverbund ortsunabhängiger kleiner Einheiten tritt, wenn der Schichtbetrieb der Überwachung einer automatisierten Produktionsanlage im Dreistundenrhythmus rund um die Welt geht, so wird dadurch die absolute Arbeitsmenge keineswegs vermehrt, sondern im Gegenteil drastisch reduziert:

"Die harte Realität ist, daß die Umstände, mit denen wir konfrontiert sind, weder temporär noch das Resultat eines unglücklichen Zufalls sind: sie sind das direkte Produkt des sozialen und ökonomischen Systems, das wir in Kraft gesetzt haben. Wir haben sehr zielbewußt alle Umstände einer "arbeitssparenden" Gesellschaft herbeigeführt- und sind nun irgendwie entgeistert daß immer mehr Menschen ohne Arbeit sind. Unser Dilemma ist genau das: mit dem langen, langen Arm der Technologie können wir alles produzieren was wir benötigen, mit einem Bruchteil der Beschäftigung die wir einst benötigten. Die wirkliche Frage lautet daher: wie organisieren wir unser tägliches Leben unter radikal gewandelten Umständen? ... Wegen der akkummulierten Effekte der Technologie haben wir ein Zeitalter des Überflusses betreten - ohne es wirklich zu erkennen. Aus unerfindlichen Gründen begegnen wir den vor uns liegenden Herausforderungen als wären wir arm und die Welt voll Knappheit. Dabei liegen folgende Dinge in den Ländern der OECD überreichlich auf der Straße: Arbeitskraft, Kapital, natürliche Ressourcen, physische und andere Infrastrukturen, Organisationswissen und so weiter" 10

Zugleich nehmen die finanziellen Mittel zur zentralen Bewältigung gesellschaftlicher Infrastrukturprobleme massiv ab, die Gemeinden und regionalen Körperschaften werden in immer größerem Ausmaß und mit immer kleineren Budgets für diese Aufgaben verantwortlich gemacht, die Homogenität als Grundbedingung politischer Identität scheint zugunsten einer "Verinselung" der Gesellschaft aufzuweichen.

Die Konturen der Antwort auf diese Problemstellung zeichnen sich also bereits ab: eine Neugestaltung und dauerhafte Integration lokaler, ungenutzter Resourcen jenseits der Marktvergesellschaftung bietet sich als Weg aus der Krise der marktwirtschaftlichen Reproduktion geradezu an. Es kommt nicht darauf an, jedes vorhandene wirtschaftliche Potential für den Weltmarkt konkurrenzfähig und funktionstauglich zu machen - umgekehrt dient die Konkurrenzfähigkeit dem gezielten Aufbau lokaler Reproduktionsräume. Dabei können und müssen "Globale Stadt" und "Globales Dorf" eine gewisse Arbeitsteiligkeit anstreben und die Städte müssen nach wie vor und mehr denn je den globalen, marktwirtschaftlichen Part übernehmen.

Die ländlichen Regionen werden in diesem Kontext zum Sammelpunkt der lokalen, postmarktwirtschaftlichen Bemühung um die Rekultivierung von Lebensraum - obwohl sie sich in vielem an der Dichte und an der Qualität urbanen Lebens orientieren könnten. Die Förderung jedweder lokaler Initiative, die tragfähige und dauerhafte Ressourcenautonomie und erhöhte Ressourcenproduktivität zum Ziel hat, geschieht am besten dadurch, daß man ihr das gesammelte Wissen der Welt zur Verfügung stellt. Wo die sozialstaatliche Kompetenz augenscheinlich verloren gegangen ist, muß die Herstellung lokaler Handlungsfähigkeit und die Bereitstellung der Werkzeuge dafür ganz oben in der politischen Prioritätenliste rangieren - zumindest gleichrangig mit der Erhaltung der Position auf den Märkten..

Die Konkurrenz der globalen Städte um Absatzmärkte für telematische Dienstleistungen muß in den Klein- und Mittelstädten in mehrfacher Hinsicht als Mittel der Leverage genutzt werden: einmal zur Entlastung der Kommunen und zur Aufrechterhaltung eines hohen Niveaus an kommunalen Dienstleistungen durch Delegation dieser Dienste an Stadtnetzwerke; zweitens durch die bewußte und gezielte Beteiligung an diesen Stadtnetzwerken durch ausgelagerte Arbeitsplätze und Abteilungen vor Ort. Eine neue Partnerschaft mit der "eigenen" Metropole erscheint gerade unter Bedingungen nicht-ausschließlicher Abhängigkeit wieder attraktiver zu werden.

Es ist also grundverkehrt, Zentralität und Dezentralisierung als einander ausschließende Alternativen gegenüberzustellen. Kleine Teams brauchen großen Support, viele Filialen brauchen einen großen Hub. In dieser Hinsicht sind viele Potentiale des Clustering und der Synergie im Verhältnis von Wien und Niederösterreich ungenutzt, ist aber auch die Frage der Funktionsteilung der niederösterreichischen Mittelstädte in einem neuen Licht zu sehen. Wichtiger als die alten Standortkämpfe und die Frage wo die Hauptstadt ist, wird die Bereitstellung billiger Bandbreite und die Erprobung effektiver Formen der Telekooperation sein, um die kritische Masse für die Entwicklung von flächendeckenden Diensten aller Art in diesem Großraum zu erreichen. Die Konzentration des gesamten Großraumes auf ein globales Angebot im Bereich Dorferneuerung, Umwelttechnik und Stadttechnologien sowie dem gesamten Umfeld in kultureller und sozialer Hinsicht entspricht dem vorhandenen Grundstock an Wissen, Kompetenz und politischen Intentionen und könnte mehr für die Dynamisierung der Region und ihre Attraktivität für die Kooperation mit den natürlichen Partnerstädten (Brünn, Bratislava, Graz) tun als jede politische Absichtserklärung - und ihr in der bevorstehenden gesellschaftlichen Transformation einen besonders sanften Übergang garantieren.



Zitate aus:

1Puchinger, Kurt (1996), global village - Telekom und Stadtentwicklung,In: Zolltexte, 19, S. 30 - 32

2Elisabeth Holzinger, Rurbanisierung oder Pluralisierung. Raum 24/96
3 aus einem Typoskript des Schweizer Autors P.M., "NaQuas?-Die Metropole an der Limmat". Die dort entworfene Utopie von Wiedergewinung städtischer Identität im Zeitalter der Globalisierung sollte sich kein Stadtplaner engehen lassen.

4 Mit Referenzfläche ist die Fläche gemeint, die zur natürlichen oder technischen Reproduktion der verbrauchten Ressourcen in Anspruch genommen wird. Nirhends deutlicher wird sichtbar, daß die Städte weit über ihren Bevölkerungsanteil hinaus ntürliche Ressourcen verbrauchen.

5 Der Dissipationsraum oder die Dissipationsoberfläche ist die physische Oberfläche, die das Stadtsystem benötigt, um die überproportional beanspruchten Stoffmengen (-> Referenzfläche) auch wieder loszuwerden. Vgl. die Arbeiten im Rahmen der Wiener Internationalen Zukunftskonferenz, in: "Zukunft kommt", Perspektiven Sondernummer 1996, passim

6 Humpert, Brenner,Becker: Von Nördlingen bis Los Angeles, fraktale Gesetzmäßigkeiten der Urbanisation. Spektrum der Wissenschaft, Juni 1996, p.18ff

7 Karl Ganser, Die Vision der ökologischen Stadt, Typoskript, 1993
8 vgl. dazu: GIVE/IBM Consulting Group/Forschungsstelle f. Sozioökonomie der Öst Ak d Wiss: Bruck an der Leitung, Forschungsbericht im Auftrag der niederösterreichischen Landesregierung.

9 So Gerhard Silberbauer auf der Veranstaltung "Global Village 95" in Diskussion mit dem Wiener Planungsdirektor Klotz; das Transkript dieser sehr aufschlußreichen Diskussion findet sich im World Wide Web unter http://www.give.at/give/gv95.

10 Eric Britton (1995) Rethinking the city - The changing shape of Work in a knowledge society, Keynote speech auf der Global Village 95, Veröffentlichung in Vorbereitung.


Städte müssen nicht wachsen, sie können sich vernetzen

Bemerkungen zum Verhältnis von Stadt und Land im Informationszeitalter

ein Beitrag für die Zeitschrift "Perspektiven" der Wiener Stadtplanung (1996)

© Franz Nahrada

Unter den vielen Kommentaren zur HABITAT II Konferenz fand sich auch einer von Günter Nenning, in dem er eine sehr bemerkenswerte Tatsache ins Zentrum stellte: Wien ist eine Stadt, die noch um die letzte Jahrhundertwende den Rang einer geistigen Metropole mit einem vorderen Platz unter den bevölkerungsreichsten der Weltstaedte verband. Der relative Positionsverlust von Wien - heute rangiert Wien unter den Millionenstaedten der Erde statt unter den Top Ten hinter mindestens zweihundert anderen - sei ein Gewinn für Lebensqualität, Planbarkeit und die Fähigkeit, urbane Probleme in den Griff zu bekommen. Der Positionsverlust ist freilich keine beabsichtigte Strategie städtischer Entwicklung gewesen, sondern ausgelöst durch politische und soziale Einschnitte. Die Schwankungen der letzten Jahre in den demographischen Prognosen über das städtische Bevölkerungswachstum und die darauf aufbauenden politischen und planerischen Reaktionen haben gezeigt, daß es nicht nur keinen wirklichen Konsens zu der Frage gibt, inwieweit die Stadt dem demographischen Wachstumsdruck nachgeben muß, inwieferne Migration in die Stadt strukturell zu begrüßen ist - sondern auch inwieweit Planung hier überhaupt Maßstäbe setzen kann und soll. Auf der einen Seite stand die Notwendigkeit, sich auf eventuell zu erwartende Migrations-bewegungen in Europa vorzubereiten, diese als eine positive Komponente der Stadtentwicklung integrieren zu können, gerade auch in Hinsicht auf Faktoren wie strukturelle Überalterung etc.. Auf der anderen Seite stand eine praktizierte Politik des Konservierens des Status quo ante und der Eindämmung von Zuwanderung, die sich in durchaus abgemilderter Form in den allgemeinen Trend einfügt, den Alvin Toffler die "Revolte der Reichen" nannte: Besitzstände zu erhalten, Krisenlasten zu externalisieren und Ausgrenzungen zu verstärken.

Der Status quo ist daher wieder geworden: Wien wächst nur moderat, qualitatives hat statt quantitativem Wachstum den Vorrang. Die Frage ist freilich, ob diese Festlegung als Konsens ausreicht, ob sie uns wirklich in die Lage versetzt, mit den Herausforderungen der Zukunft fertig zu werden und angesichts der verstäkten Dynamik von Städtekonkurrenz und Globalisierung ein Programm für eine Verankerung und Funktionsbestimmung Wiens im 21. Jahrhundert enthält. Hier soll eine etwas unkonventionelle Antwort formuliert werden: nur wenn es gelingt, aus der Situation des vergleichsweise moderaten (oder gar negativen) physischen Wachstums der Stadt eine bewußte Stärke zu machen, die die globale Position und die städtische Funktion Wiens insgesamt nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern sogar in gewisser Weise sogar eine positive Bedingung einer neuen Vernetzungsdynamik -mit Wien als einem zentralen Knotenpunkt - darstellt, wird diese Stadt auch im nächsten Jahrhundert eine Rolle spielen, die der Rolle in ihrer Vergangenheit adäquat ist - und ihr die Mittel verschafft, auch weiterhin ein guter Platz zum Leben zu bleiben.

Die Folge der Informationstechnologie: globale Konkurrenz der Städte

In der gegenwärtigen Debatte um Stadtentwicklung wird den Informationstechnologien breite Aufmerksamkeit gewidmet, und das zu recht: ganz sicher ist hier ein Potential entstanden, das die Bedeutung von Räumen, von Zentralität und Peripherie, radikal zu ändern imstande ist. In der bisherigen Entwicklung der Technologie und in der Debatte darüber ergab sich eine Verstärkung der wirtschaftlichen Gewichtung von Zentralräumen, von "globalen Städten", die in sich logistische Kontrollfunktionen oder Supportfunktionen zu konzentrieren vermochten.

"Wirtschaftliche Globalisierung kann aller Erfahrung nach nicht so interpretiert werden, daß es dadurch zu einer Gleichverteilung der Kommandozentralen der Wirtschaft auf der Welt kommt. Was ablesbar ist, ist eine Erweiterung des Systems der Zentralen von europäischen und US-amerikanischen Städten auf japanische und einige fernöstliche Städte bei gleichzeitiger Konzentration von Funktionen in den bisherigen 'Weltzentren'. Wenn die Austrian Airlines ihre ganze Buchhaltung nach Indien auslagern, dann ist das mit Sicherheit erst durch die entsprechenden Telekommunikations-verbindungen möglich geworden. Wo aber in Indien wird diese Buchhaltung gemacht? Nicht am Land, sondern wieder in einer Stadt, mit einem hohen Potential an indischen EDV-SpezialistInnen und ProgrammiererInnen".1

Städte, so das durchaus richtige Argument, vermögen durch Vernetzung ihre interne Effizienz bei weitem schneller zu steigern als ländliche Räume. Und dieser Prozeß ist selbstverstärkend, erhöht beständig den Unterschied zwischen der Leistungsfähigkeit von Wirtschaftsräumen zum Nachteil der ländlichen und peripheren Räume. Die leistungsfähigen Räume liegen dort, wo Manuel Castells den "Space of Flows" verortet hat: an den Knotenpunkten der Verkehrs- und Handelsströme, mit hochentwickelter Kommunikationsinfrastruktur und einer Vielzahl lokaler Akteure. Dabei sind die Städte zunehmend auf einer unmittelbar globalen Ebene miteinander konfrontiert: im globalen Büro von Bangalore können mittlerweile auch die hochqualifiziertesten Job Descriptions erledigt werden, ob die Produktion von Software für Tomographen oder der Formelsatz für Computerbücher - und das alles für einen Bruchteil der Kosten von London oder gar Wien. Die Boomtown des Infomationszeitalters zieht natürlich jede Menge von Hilfs- und Supportfunktionen an, Information Brokers, Medienproduzenten, Steuer- und Handelsrechtsexperten, Computerlieferanten und so weiter. Der Multiplikationseffekt ist hinlänglich bekannt, und er wird nochmals multipliziert durch die globale Bedeutung einer Stadt. Saskja Sassen hat in ihren Büchern ("The Global City", "Losing Control?") diese globale Agglomerationslogik genau studiert, die darin gipfelt, daß es nicht nur den Zwang des Zulieferers gibt, "just in time" möglichst nahe an den Geschäftszentren zu sein, sondern auch den Zwang für Entscheidungsträger und Manager, im physischen "Information loop" der globalen Stadt präsent zu sein - auch wenn Datenhighways und emails scheinbar alle egalitär verbinden. Die „Wissenskulturen” oder besser „Subkulturen” der Städte gewinnen in der „neuen Geographie der Macht” an Bedeutung, die „weichen Standortfaktoren” des Zusammenspiels vieler für das eigene Umfeld bedeutsamer Akteure werden für die Städte immer wichtiger - je mehr die sie zu globalen Städten werden. Und diesem Zwang, sich nicht mehr auf eine "heimische" Wirtschaftsbasis zu stützen, sondern lediglich ein mehr oder weniger günstig gelegener Standort für sehr wählerische Unternehmen zu sein, unterliegen alle Städte.

Längst tangiert so das Wachstum einer Stadt nicht nur ihren unmittelbaren physischen Umraum und die benachbarten Regionalzentren, sondern hat unmittelbar globale Auswirkungen auf ganze Branchen auf anderen Kontinenten. In einer Zeit, in der der überwiegende Anteil der Wertschöpfung von Industrieprodukten aus Information und Informationsarbeit besteht, hat die Flexibilität und Verlagerbarkeit von Produktion noch enorm zugenommen. 50% der gesamten Erwerbsarbeit weltweit , so schätzt man heute, bestehen im wesentlichen schon im Umgang mit Symbolen und Sprache, und diese Arbeiten sind leichter zu disloziieren als man es jemals für möglich hielt. Kulturelle Barrieren für Vertwaltungstätigkeiten werden jedenfalls nicht mehr lange halten. Daß es immer noch als etwas Bemerkenswertes gehandelt wird, wenn österreichische Autobahnvignetten in Chicago hergestellt werden, zeigt nur, wie wenig die Öffentlichkeit und das allgemeine Bewußtsein das tatsächliche Ausmaß der Globalisierung zur Kenntnis genommen haben. Zwar stimmt die Faustregel "90% of all Business is local" nach wie vor, aber in dieser Zahl ist eben nicht ausgedrückt, wieviel davon Folge- und Begleiterscheinung globaler Geschäftsbeziehungen ist und ohne sie gar nicht (mehr) existieren würde.

Städte erhalten im Informationszeitalter mehr denn je Funktionen, die sie als "Cluster" um den Kristallisationspunkt von erfolgreichen globalen Positionierungen charakterisieren. Frankfurt oder London ist Finanzplatz, es gibt auch Medienstädte, Industriestädte, Verwaltungsstädte oder Touristenstädte. Manche sind mehreres zusammen und manchmal ergibt sich eines aus dem anderen. Die Frage ist nicht unberechtigt, ob es für jede Stadt - also auch Wien - nicht immer wichtiger wird, die eigene Clustersituation bewußt zu steuern; und ob hier die Informationstechnologien nicht schon wieder eine Beschleunigung ankündigen, auf die es sich vorzubereiten gilt.

Clustering, Stadtmarketing und Städtisches Informationsmanagment

Eine Stadt, in der - zum Beispiel - ein hoher Standard medizinischer Versorgung existiert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Sphäre telemedizinischer Angebote erfolgreich sein; damit steigt aber der Grad der Diversifizierung und Wissensintensität am Standort des îHubs”, der Anreiz für viele Partner, gerade hier präsent zu sein, während vergleichsweise andere Standorte im Standard zurückfallen. Es dreht sich also das Verhältnis um und die telekommunikative Vervielfachung des Angebotes einer Stadt nach außen erhöht die Chancen, den Standard nach innen zu erhalten. Eine Studie über makroökonomische Auswirkungen der Telekommunikation (METIER) im Rahmen des ACTs Programms der Europäischen Union warnte schon vor Jahren, daß der bloße Ausbau der Infrastruktur ohne gleichzeitige schnelle Entwicklung angebotsorientierter Strategien im Grunde genommen wie das Konstruieren von Pipelines zum Abtransport von Kaufkraft zu betrachten sei. Besser, so der lakonische Grundtenor der Studie, man baue die Breitbandnetze nicht, als ohne gleichzeitige drastische Verbilligung den lokalen Unternehmen Anreiz und Chance zu nehmen, sich zu globalen Playern zu entwickeln.

Die Allianz aus modernem Transportsystem und Telekommunikation tendiert also dazu, in fast allen Bereichen die Städtekonkurrenz zu intensivieren und die Städte zu unternehmensähnlichem Verhalten, zu Stadtmarketing im weitesten Sinne zwingen, schon in Hinblick auf die Sicherung der inneren Qualität des Levels städtischer Dienstleistungen im Vergleich mit anderen Städten.

Marketing ist dabei gerade nicht nur das Verkaufen dessen, was man aktuell hat, sondern es ist der Versuch, sich durch eine genaue Analyse der eigenen Stärken und Schwächen im Vergleich zu anderen Anbietern die richtige îNische” zu suchen, in der die eigenen Stärken auf das richtige Bedürfnis, auf die richtige Nachfrage treffen. Marketing schließt auch die Entwicklung von Produkten ein, und die moderne Stadt muß sich und ihre "Wissensbasis" als ein Produkt begreifen, daß sie sowohl ihren eigenen Akteuren als auch passenden neuen Akteuren beständig zu verkaufen hat, das sie aber auch selber zu gestalten hat.

Die Entwicklung von Clustern bedeutet die Entwicklung von Netzwerken wechselseitigen Supports, die den einzelnen Akteuren maximale Erfolgsbedingungen verschaffen. Die Geschwindigkeit und Komplexität dieses Prozeses ist ständig im Steigen begriffen; keine Stadt ist mehr in der Lage, in diesem Prozeß eine monopolistische Rolle einzunehmen oder ihn kontrollieren zu können; sie kann nur versuchen, durch Schaffung bestimmter Rahmenbedingungen den Prozeß günstig zu beeinflussen. Dabei dürften mehrere Faktoren eine Rolle spielen, die durchaus unterschiedlichen Charakter haben:

1. die kommunikative Kultur, die Wahrscheinlichkeit, im städtischen Rahmen produktive Interaktionen zur Entwicklung von Projekten und zum Finden geeigneter Partner durchführen zu können;

2. der Konsens über grundsätzliche Leitvorstellungen der wünschenswerten zukünftigen Entwicklung der Stadt selbst;

3. die „Außenpolitik” der Stadt, also die Leichtigkeit, mit der kommunikative Kanäle von einem Standort aus beschritten und Transaktionen durchgeführt werden können

Speckgürtel oder Stadtnetz ?

Im folgenden möchte ich einen in der gegenwärtigen Debatte vernachlässigten Aspekt hervorheben, nämlich die Frage des sogenannten städtischen "Hinterlandes" und nach der Rolle die das geographische Umfeld der Stadt in diesem Globalisierungsprozeß zu spielen imstande ist.

Schon der Begriff des "Hinterlandes" spiegelt natürlich die Sichtweise des Städters wider, er ist schon in seiner Wortwahl tendenziös. Und doch gibt er nur wieder, daß die Dichotomie von städtischem und ländlichem Raum sich zunehmend auflöst:

"Es fällt allerdings schwer, als städtisch zu bezeichnen, was sich augenfällig in den Räumen zwischen Wien und Vösendorf oder Wolkersdorf abspielt und sich als Ansammlung und Abfolge von Betriebsstandorten, Einkaufszentren, Großsiedlungen, Gartenstadt- und Einfamilienhaussiedlungen darstellt. Vösendorf ist nicht Wien und nicht dorf, Atzgersdorf ist Wien und nicht Stadt....Keine Symbiose aus Stadt und Land, kein Nivellierungsprozeß, in dem sich städtische und ländliche Elemente gleichberechtigt zu einer Einheit verbunden hätten, keine Verschärfung des Stadt-Land-Gegensatzes, sondern Verschwinden der jeweils prägenden Elemente...Was passiert zu sein scheint, ist keine gegenseitige Befruchtung und Beeinflussung, sondern eine beiderseitige Verdünnung."2

Die Region versucht von der Nähe zur Stadt zu profitieren, die Stadt lagert Funktionen und Elemente aus, beide sind voneinander abhängig, aber dieser Prozeß ist eigentümlich gespalten. Am Fall Berlin-Brandenburg ließ sich erst unlängst wieder studieren, daß politische Koordination schwierig und die "mentalen Absetzbewegungen" vorherrschend sind. Obwohl mit Händen zu greifen ist, daß die Stadt in die Identität des ländlichen Raumes mehr denn je eingreift, und zwar sowohl in ihrem unmittelbaren Hinterland als auch in der weiteren Umgebung, die mit der Zurückdrängung der bäuerlichen Produktionsweise vor der Wahl steht, entweder zum touristischen Landschaftsanbieter zu mutieren oder zum beziehungslosen Gemenge eines Schlafdorfes zu verkommen, wird immer noch - und zwar gerade von den besten Köpfen! - einer "Identität des ländlichen Raumes" das Wort geredet, während die Städter sich vom Raum längst keine Identität mehr vorschreiben lassen, also ihre auch schon längst verloren haben.

Die Telekommunikationstechnologie löst diese Problematik keineswegs auf, sie macht sie nur virulenter, denn im Grunde genommen befördert sie zwar die Agglomeration um die Städte, macht aber die Identitätslosigkeit der Städte umso schmerzlicher erfahrbar:

"Zur Lösung unserer Alltagsprobleme oder als ökonomischen Werkplatz brauchen wir die Stadt nicht mehr. Dazu genügen global geschickt verteilte funktionale Zonen, ein Auto, etwas Telekommunikation. Die Städte, die wir heute noch antreffen, sind als Ansammlungen von Gebäuden übriggeblieben aus verschiedenen Epochen wirtschaftlicher Zentralsation und Dezentralisation. Sie waren Marktstädte, Handwerkerstädte, Festungen, Wohnstätten, Industriestädte, Dienstleistungsstädte - heute sind sie dies alles noch, aber nur zufällig. Shoppingcenters, ausgelagerte Industrien, gesunde Gartensiedlungen, Backoffices in der Agglomeration haben der Stadt jede wirtschaftliche Notwendigkeit genommen, leisten alles besser, billiger und rationeller"3

Viele Autoren vetreten die Ansicht, daß Telematik eher zur Herausbildung von "Edge Cities" oder "City-Komplementärzentren" führt. Übersetzt auf den Raum Niederösterreich-Wien hieße das, daß der Gewinner der telematischen Restrukturierung der Wiener Raum links der Donau oder die neuen Subzentren z.B. entlang der Vorortelinie wären, die in räumlicher Nähe zum Stadtzentrum stehen, sich aber zu eigenständigen zentralen Räumen weiterentwickeln können; wiederum im Verbund mit Gemeinden im Umland von Wien, mit denen sich gemeinsam eine Art "Wiener Speckgürtel" entwickelt, in Fortschreibung der jüngsten Zuwachsraten der niederösterreichischen Randgemeinden von an die 100% in zehn Jahren.

Von allen Varianten der städtischen und ländlichen Entwicklung ist dies wohl eine der schlechtesten. Von den vielen Argumenten, die gegen den "urban sprawl" geltend gemacht werden, hat in jüngster Zeit die Analyse der anthropogenen und natürlichen Stoffflüsse zu einer besonders pointierten Polemik gegen weiteres städtisches Wachstum geführt. Der "ökologische Fußabdruck", die Belastung der "Referenzfläche"4 und der Ressourcenverbrauch einer Stadt steigen überproportional an, wenn die Dissipationsräume5 an den Stadträndern zurückgedrängt werden - auch wenn die Städte insgesamt in einem selbstorganisierenden Prozeß ein ziemlich ausgewogenes Verhältnis zwischen Siedlungskernen und Siedlungsoberflächen auf der Grundlage verschiedenster Strategien für die Schaffung von Dissipationsrändern entwickeln.6

Die prozeßtechnische Betrachtung der Stadt als technisches und ökologisches System zwingt zu der Aussage, daß Städte Optimalgrößen haben, und daß die stoffliche Funktionsweise einer Millionenstadt eine unangemessene Vergeudung darstellt.

"Die Vision der ökolologischen Stadt entsteht aus den Antworten aus die immergleiche Frage: Kann ein Stadtsystem so organisiert werden, daß es weit weniger Ressourcen verbraucht?....Haben wir Phantasie genug, uns eine derartige Stadt vorstellen zu können? Denn wenn wir sie uns nicht vorstellen können, werden wir auch nicht entdecken, was vielerorts schon Wirklichkeit ist, wenn auch nur in Ansätzen"

- sagte Karl Ganser auf dem Kongreß "die ökologische Stadt" im Wiener Rathaus 1993 und malte sehr zum Erstaunen einiger Zuhörer das Bild einer mittelgroßen Stadt, "vielleicht 60.000 Einwohner oder auch 150.000....Städte dieser Größe haben heute fast alle Vorteile der großen Stadt und noch nicht alle Nachteile."7

Solche Ausführungen mögen in der Wiener Situation akademisch erscheinen, und doch gibt es die Vision der Planungsgemeinschaft Ost mit einer bewußten Hintanhaltung der Stadtrandwucherungen und einer Stärkung der Mittelstädte, die ihrerseits wiederum als Versorgungszentren für dezentrale Siedlungsräume in den ländlichen Gebieten figurieren. In einer solchen Konstellation koennte die Ubiquität der modernen Telekommunikationstechnologien in voller Bandbreite zur Schaffung dezentraler Zentralität eingesetzt werden, erhalten Nachbarschaftszentren, Infotheken, Dienstleistungszentren ihren Sinn.8

Freilich stehen nicht nur politische Partikularismen einer solchen Vision entgegen: die Tendenzen, im Zeitalter der Liberalisierung und Globalisierung den Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur dem privaten Marktkalkül zu überlassen, tragen sicher nicht dazu bei, automatisch eine ausgewogenere und tragfähigere räumliche Entwicklung zu befördern. Im Gegenteil scheint das kurzfristige Kalkül mit der zahlungsfähigen Nachfrage wiederum dazu zu führen, daß Wirtschaftskraft in der Hoffnung auf die Befriedigung dieser Zahlungsfähigkeit sich in den Ballungsräumen konzentriert, während die längerfristigen Entwicklungspotentiale des ländlichen Raumes, aber auch der Klein- und Mittelstädte in diesem Kalkül keine Berücksichtigung finden.

Kein Wunder, daß der maßgebliche Beamte der niederösterreichischen Landesplanung sich genötigt sieht, eine historische Parallele mit der Entwicklung der Eisenbahn zu ziehen, deren Trassenführung unter kurzfristigen Konkurrenzgesichtspunkten der Eisenbahnbaugesellschaften und nicht immer unter Bedachtnahme auf längerfristige Entwicklungspotentiale erfolgt ist, was noch nahezu ein Jahrhundert später deutlich als Nebenbahnproblem zu spüren ist.9 Die scheinbar so moderne neoliberale Ideologie erweist sich bei historischer Betrachtung als gar nicht so neu. Was uns im Nachhinein als selbstverständliche öffentliche Infrastrukturaufgabe erscheint, ist im Beginn immer ein scheinbar privater Luxus weniger gewesen, dem Gutdünken von Investoren überlassen; das Internet befindet sich hier in der ehrenwerten Gesellschaft der Telephonie und der Motorisierung. Was sich als eine scheinbar neutrale Gesetz-mäßigkeit der Entwicklung darstellt, wäre in Wirklichkeit der Korrektur zugänglich, wenn diese nicht immer bloß mit viel zusätzlichem Aufwand im Nachhinein erfolgen müßte.

Global City - Global Village

Die Frage bleibt allerdings bestehen: Können wir eine ausgewogene Entwicklungsperspektive insbesondere des ländlichen Raumes jenseits von Utopie und Wunschdenken ausmachen, die den planenden und lenkenden politischen Eingriff in die sich entwickelnden neuen Technologien rechtfertigt?

Wir können unsere Augen nicht länger vor der tiefen strukturellen Krise verschließen, in die die globalisierte Marktwirtschaft eingetreten ist. Die zentrale Rolle des Arbeitsprozesses in der gesellschaftlichen Reproduktion ist am Schwinden, mit allen damit verbundenen ökonomischen, sozialen und psychologischen Folgen. Betroffen sind davon zunächst gerade die "Ränder", die Peripherien - im Weltmaßstab ebenso wie im regionalen Maßstab.

Das Wachstum der Städte symbolisiert in Wahrheit die Schrumpfung der Reproduktionsfähigkeit des "Gesamtsystems Marktwirtschaft" und die damit verbundene Tatsache, daß die Globalisierung und Flexibilisierung grosso modo sicher keine neue Massenbeschäftigung schaffen wird. Im Gegenteil, Informations- und Kommunikationstechnologien erweisen sich als logistischer Hebel bei der Konzentration von immaterieller Produktion und damit auch der materiellen. Auch wenn an die Stelle des klassischen "Back-Office" einer Bank oder Versicherung der virtuelle Firmenverbund ortsunabhängiger kleiner Einheiten tritt, wenn der Schichtbetrieb der Überwachung einer automatisierten Produktionsanlage im Dreistundenrhythmus rund um die Welt geht, so wird dadurch die absolute Arbeitsmenge keineswegs vermehrt, sondern im Gegenteil drastisch reduziert:

"Die harte Realität ist, daß die Umstände, mit denen wir konfrontiert sind, weder temporär noch das Resultat eines unglücklichen Zufalls sind: sie sind das direkte Produkt des sozialen und ökonomischen Systems, das wir in Kraft gesetzt haben. Wir haben sehr zielbewußt alle Umstände einer "arbeitssparenden" Gesellschaft herbeigeführt- und sind nun irgendwie entgeistert daß immer mehr Menschen ohne Arbeit sind. Unser Dilemma ist genau das: mit dem langen, langen Arm der Technologie können wir alles produzieren was wir benötigen, mit einem Bruchteil der Beschäftigung die wir einst benötigten. Die wirkliche Frage lautet daher: wie organisieren wir unser tägliches Leben unter radikal gewandelten Umständen? ... Wegen der akkummulierten Effekte der Technologie haben wir ein Zeitalter des Überflusses betreten - ohne es wirklich zu erkennen. Aus unerfindlichen Gründen begegnen wir den vor uns liegenden Herausforderungen als wären wir arm und die Welt voll Knappheit. Dabei liegen folgende Dinge in den Ländern der OECD überreichlich auf der Straße: Arbeitskraft, Kapital, natürliche Ressourcen, physische und andere Infrastrukturen, Organisationswissen und so weiter" 10

Zugleich nehmen die finanziellen Mittel zur zentralen Bewältigung gesellschaftlicher Infrastrukturprobleme massiv ab, die Gemeinden und regionalen Körperschaften werden in immer größerem Ausmaß und mit immer kleineren Budgets für diese Aufgaben verantwortlich gemacht, die Homogenität als Grundbedingung politischer Identität scheint zugunsten einer "Verinselung" der Gesellschaft aufzuweichen.

Die Konturen der Antwort auf diese Problemstellung zeichnen sich also bereits ab: eine Neugestaltung und dauerhafte Integration lokaler, ungenutzter Resourcen jenseits der Marktvergesellschaftung bietet sich als Weg aus der Krise der marktwirtschaftlichen Reproduktion geradezu an. Es kommt nicht darauf an, jedes vorhandene wirtschaftliche Potential für den Weltmarkt konkurrenzfähig und funktionstauglich zu machen - umgekehrt dient die Konkurrenzfähigkeit dem gezielten Aufbau lokaler Reproduktionsräume. Dabei können und müssen "Globale Stadt" und "Globales Dorf" eine gewisse Arbeitsteiligkeit anstreben und die Städte müssen nach wie vor und mehr denn je den globalen, marktwirtschaftlichen Part übernehmen.

Die ländlichen Regionen werden in diesem Kontext zum Sammelpunkt der lokalen, postmarktwirtschaftlichen Bemühung um die Rekultivierung von Lebensraum - obwohl sie sich in vielem an der Dichte und an der Qualität urbanen Lebens orientieren könnten. Die Förderung jedweder lokaler Initiative, die tragfähige und dauerhafte Ressourcenautonomie und erhöhte Ressourcenproduktivität zum Ziel hat, geschieht am besten dadurch, daß man ihr das gesammelte Wissen der Welt zur Verfügung stellt. Wo die sozialstaatliche Kompetenz augenscheinlich verloren gegangen ist, muß die Herstellung lokaler Handlungsfähigkeit und die Bereitstellung der Werkzeuge dafür ganz oben in der politischen Prioritätenliste rangieren - zumindest gleichrangig mit der Erhaltung der Position auf den Märkten..

Die Konkurrenz der globalen Städte um Absatzmärkte für telematische Dienstleistungen muß in den Klein- und Mittelstädten in mehrfacher Hinsicht als Mittel der Leverage genutzt werden: einmal zur Entlastung der Kommunen und zur Aufrechterhaltung eines hohen Niveaus an kommunalen Dienstleistungen durch Delegation dieser Dienste an Stadtnetzwerke; zweitens durch die bewußte und gezielte Beteiligung an diesen Stadtnetzwerken durch ausgelagerte Arbeitsplätze und Abteilungen vor Ort. Eine neue Partnerschaft mit der "eigenen" Metropole erscheint gerade unter Bedingungen nicht-ausschließlicher Abhängigkeit wieder attraktiver zu werden.

Es ist also grundverkehrt, Zentralität und Dezentralisierung als einander ausschließende Alternativen gegenüberzustellen. Kleine Teams brauchen großen Support, viele Filialen brauchen einen großen Hub. In dieser Hinsicht sind viele Potentiale des Clustering und der Synergie im Verhältnis von Wien und Niederösterreich ungenutzt, ist aber auch die Frage der Funktionsteilung der niederösterreichischen Mittelstädte in einem neuen Licht zu sehen. Wichtiger als die alten Standortkämpfe und die Frage wo die Hauptstadt ist, wird die Bereitstellung billiger Bandbreite und die Erprobung effektiver Formen der Telekooperation sein, um die kritische Masse für die Entwicklung von flächendeckenden Diensten aller Art in diesem Großraum zu erreichen. Die Konzentration des gesamten Großraumes auf ein globales Angebot im Bereich Dorferneuerung, Umwelttechnik und Stadttechnologien sowie dem gesamten Umfeld in kultureller und sozialer Hinsicht entspricht dem vorhandenen Grundstock an Wissen, Kompetenz und politischen Intentionen und könnte mehr für die Dynamisierung der Region und ihre Attraktivität für die Kooperation mit den natürlichen Partnerstädten (Brünn, Bratislava, Graz) tun als jede politische Absichtserklärung - und ihr in der bevorstehenden gesellschaftlichen Transformation einen besonders sanften Übergang garantieren.


Zitate aus:

1Puchinger, Kurt (1996), global village - Telekom und Stadtentwicklung,In: Zolltexte, 19, S. 30 - 32
2Elisabeth Holzinger, Rurbanisierung oder Pluralisierung. Raum 24/96 3 aus einem Typoskript des Schweizer Autors P.M., "NaQuas?-Die Metropole an der Limmat". Die dort entworfene Utopie von Wiedergewinung städtischer Identität im Zeitalter der Globalisierung sollte sich kein Stadtplaner engehen lassen.
4 Mit Referenzfläche ist die Fläche gemeint, die zur natürlichen oder technischen Reproduktion der verbrauchten Ressourcen in Anspruch genommen wird. Nirhends deutlicher wird sichtbar, daß die Städte weit über ihren Bevölkerungsanteil hinaus ntürliche Ressourcen verbrauchen.
5 Der Dissipationsraum oder die Dissipationsoberfläche ist die physische Oberfläche, die das Stadtsystem benötigt, um die überproportional beanspruchten Stoffmengen (-> Referenzfläche) auch wieder loszuwerden. Vgl. die Arbeiten im Rahmen der Wiener Internationalen Zukunftskonferenz, in: "Zukunft kommt", Perspektiven Sondernummer 1996, passim
6 Humpert, Brenner,Becker: Von Nördlingen bis Los Angeles, fraktale Gesetzmäßigkeiten der Urbanisation. Spektrum der Wissenschaft, Juni 1996, p.18ff
7 Karl Ganser, Die Vision der ökologischen Stadt, Typoskript, 1993 8 vgl. dazu: GIVE/IBM Consulting Group/Forschungsstelle f. Sozioökonomie der Öst Ak d Wiss: Bruck an der Leitung, Forschungsbericht im Auftrag der niederösterreichischen Landesregierung.
9 So Gerhard Silberbauer auf der Veranstaltung "Global Village 95" in Diskussion mit dem Wiener Planungsdirektor Klotz; das Transkript dieser sehr aufschlußreichen Diskussion findet sich im World Wide Web unter http://www.give.at/give/gv95.
10 Eric Britton (1995) Rethinking the city - The changing shape of Work in a knowledge society, Keynote speech auf der Global Village 95, Veröffentlichung in Vorbereitung.