[Home]
Franz Nahrada / Texte /
Geld Oder Leben


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







Veränderung (letzte Änderung) (Autor, Normalansicht)

Verändert: 3c3
Geldkritik und das Ende der Arbeitsgesellschaft: Ein negatives und ein positives Geschaeft
Geldkritik und das Ende der Arbeitsgesellschaft: Ein negatives und ein positives Geschaeft (1997 publiziert in den "Streifzügen")

Geld oder Leben?

Geldkritik und das Ende der Arbeitsgesellschaft: Ein negatives und ein positives Geschaeft (1997 publiziert in den "Streifzügen")

© Franz Nahrada

A. Das negative Geschaeft:

Waehrend die achziger Jahre im Zeichen der kasinokapitalistischen Euphorie standen, das Geldversprechen eines universellen Zugangs zum gesellschaftlichen Reichtum die Hirne vernebelte, haben die Neunziger ein Revival der ernsthaften Versuche gebracht, sich den zerstoererischen Auswirkungen der Globalisierung zu entziehen; eine erste dumpfe Ahnung bricht auf, dass die One World der globalen Marktwirtschaft gerade in ihrem schrankenlosen Expansionsdrang die Bedingungen ihres Funktionierens nicht zeitweise, sondern auf Dauer untergraebt und letztlich zerstoert.

Daher erleben wir ein eben noch schier unglaubliches Aufbluehen von LETS-Systemen, lokalen Abkopplungsversuchen vom globalen Maß der Werte und theoretischem Interesse an alternativen Systemen des Austauschs.

Stillgelegte Fabriken, hohe Arbeitslosigkeit, Warenberge auf Halde: das ist die immergleiche Realitaet der kapitalistischen Krise, diese reale Absurditaet, dass alle Elemente des stofflichen Reichtums in Uebermass vorhanden sind, aber nicht aktiviert werden koennen, wenn nicht nach betriebswirtschaftlichen Kriterien lohnend aus Geld mehr Geld gemacht werden kann.

Wo das Leben aller Menschen vom Geld abhaengig geworden ist, fuer dessen Vermehrung man sich daher auf die eine oder andere Art nuetzlich zu machen hat - dafuer gibt es bekanntlich die Freiheit - wird nur sehr selten die Frage nach dem Warum und Wozu des Geldsystems gestellt. Dafuer aber umso oefter die Frage nach den Schuldigen, die ihr Geld statt in die Produktion in die Spekulation stecken. Als Erklaerung fuer die Krise wird angeboten, dass der Selbstlauf der Spekulation dem Geldbesitzer zu einem falschen Gebrauch seiner Zahlungsfaehigkeit fuehrt: der Zins geraet ins Visier als Perversion der an sich notwendigen und guten Austauschfunktion des Geldes, der es in den abseitigen Teufelskreis einer Simulationsmaschine zieht. Zinsloses Geld in der einen oder anderen Form erscheint als Loesung, deren Realisation allerdings immer am boesen Willen und an der Uneinsichtigkeit der Maechtigen scheitere.

Vielleicht verhaelt sich die Sache aber auch genau umgekehrt: vielleicht ist es sehr sachgerecht, wenn die Geldbesitzer einerseits mit der Produktion so verfahren, als waere der Markt unbeschraenkt aufnahmefaehig, und auf der anderen Seite sie dann auch diese Produktion mitunter bleiben lassen. Mehr als das: 'vielleicht ist das spekulative Aufblaehen der Simulationsmaschine die einzige Art und Weise, ueberhaupt noch den schlapp gewordenen Produktionskarren von der Stelle zu ziehen.

Dafuer sprechen ein paar Argumente, die keineswegs neu, aber dafuer umso gruendlicher verdraengt sind:

1. Wenn jede Form stofflichen Reichtums in einer identischen Qualitaet gemessen wird, die sich darin ausdrueckt, dass alles seinen Geldpreis hat, dann ist das das genaue Gegenteil einer proportionalen Aufteilung der gesellschaftlichen Produktion nach stofflichen oder sonstigen Gesichtspunkten. Weil diese gerade nicht stattfindet, muss jedes Produkt zusaetzlich zu seinen wirklichen Eigenschaften so tun, als ob es eine Proportion haette. Denn arbeitsteilig verlaeuft die Produktion schon, wir sind nicht bei Robinson.

2. Die Proportionen stehen aber nicht fest, sie sind gerade KEINE stoffliche oder sonstige Qualität der Produkte, und sie koennen auch nicht feststehen, weil sie sich erst post festum, im Austauschprozess erweisen. Was aber feststeht, das ist schon ein ziemlicher Abstraktionsprozess: unabhaengig von der Qualitaet und dem Ziel der Produktion wird das Produkt jene Proportion zu verkoerpern suchen'.

(Wir sind hier natürlich in einer fetischistischen Sprachweise: genau genommen tun die Produkte gar nichts, sondern die Menschen folgen einer "sachlichen" Logik und setzen die verrückten Erfordernisse des Wert-Seins als Charaktermasken der Waren in die Welt(.. sehen wir einfach weiter zu:).

3. Weil die Produkte aber verschieden sind, geling ihnen das Kunststueck nur durch Aussonderung einer Geld-Ware. Jedes Produkt wird produziert, um Geld-Ware zu verkoerpern. Damit tritt es aber in ein seltsam schizophrenes Verhaeltnis zu sich selbst. Denn wenn es sich vom Standpunkt des Geld-Ware-Seins betrachtet (als "Wert"), dann kommt es nicht mehr auf die stofflichen oder sonstigen Qualitaeten an, sondern um die Leistung, Wert zu verkoerpern und sich als solcher zu realisieren. Umgekehrt ist dann jede sinnliche oder stoffliche Qualitaet nur Mittel zum Zweck der Wertproduktion.

4. Die Geschichte der Arbeit ist eine Geschichte der Verwandlung aller Taetigkeit in Wertproduktion. Wer zu spaet auf den Markt kommt, den bestraft die Geschichte. Die Produktion des Werts ist der Kampf um ihn. In diesem Kampf ist zunaechst einmal nicht ausgemacht, ob das Produkt sich ueberhaupt auf dem Markt gegen Geld tauscht; es ist dann kein Wert, nichts. Es kommt also darauf an, der Konkurrenz zuvorzukommen. Beschleunigung ist der erste Imperativ, Ausdehnung der Produktion der zweite. Das beste Mitel dazu ist Geld, denn nur so lassen sich die sachlichen Produktionsvoraussetzungen schlagkraeftiger gestalten. Daher muessen alle vorgaengigen Proportionen, soferne sie noch bestanden haben, mit der Zeit aufgeloest werden, denn jeder Produzent muss versuchen, seine ueberproportionale Produktion als Mittel ihrer Aufrechterhaltung einzusetzen.

5. Die Fortsetzung der Geschichte steht in einem Buch, das heute so out ist wie es frueher in war. Sein Autor wird theoretisch behandelt wie ein toter Hund, obwohl er oder vielleicht weil er von einer "absoluten Schranke des warenproduzierenden Systems" sprach.

Er beschreibt die Methoden der effektiven Produktion, die Trennung von Geldbesitzern und Arbeitkraftbesitzern, die Verlaengerung des Arbeitstages, die Intensivierung der Arbeit, die Manufaktur, die Maschinerie und grosse Industrie. Er beschreibt die Rolle des produktiven Auseinandertretens und Zusammenwirkens verschiedener Formen des Kapitals, des Kaufmannskapitals und des zinstragenden Kapitals. Er beschreibt die Rolle der Aktiengesellschaften und des Kredits und des fiktiven Kapitals, und wenn ihm mehr Zeit geblieben waere sein Werk planmaessig weiterzufuehren, haette er auch ueber die Rolle der Staatsverschuldung, der Inflation, der Krisen usw. in der gleichen Ausfuehrlichkeit geschrieben, obwohl er das allgemeine Resultat und die Quintessenz seiner Analyse des Geldsystems schon kannte und ihm daher schon vor mehr als hundert Jahren den unausweichlichen Zusammenbruch prophezeite: Die simple Tatsache, dass fuer Geld, das heisst als Wert produziert wird, fuehrt zu einer hoechst paradoxen Konsequenz: die Produzenten vermindern naemlich durch ihre gemeinsame Aktion bestaendig den Wert ihrer Produkte.

Sie schrauben die Eintrittsschwelle fuer die Quelle allen Zugangs zum Reichtum -den Ertrag der Warenproduzierenden Arbeit -bestaendig hoeher. Sie lassen alle Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums bedenkenlos fliessen, verheeren alle gewachsenen und geschlossenen Kreislaeufe, steigern durch den Einsatz von Wissenschaft und Technik die Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit ins Unermessliche - nur um festzustellen, dass immer weniger Produzenten ueberhaupt in der Lage sind, noch genug "Wert" zu produzieren, und dass die Aufrechterhaltung des Status quo lediglich durch eine immer bedenkenlosere Inanspruchnahme seiner fiktiven Formen, Spekulation und Staatskredit, moeglich gewesen ist:

"Wollte der Staat heute alle notwendig gewordenen Kosten fuer seine Taetigkeit reell durch Steuern finanzieren, so muesste er die Marktwirtschaft ruinieren und dadurch seine eigene Basis zerstoeren... Es hat keinen Sinn mehr, gegen den Staat den Markt anzurufen und gegen den Markt den Staat. Staatsversagen und Marktversagen werden identisch, weil die gesellschaftliche Reproduktionsform der Moderne, die Ware und das Geld, ihre Funktions- und Integrationsfaehigkeit von Grund auf eingebuesst hat" (Robert Kurz)

B. das positive Geschaeft

Die Epoche der globalen Marktwirtschaft hat nicht nur die Leistungsfaehigkeit der gesellschaftlichen Produktion enorm gesteigert, sondern vor allem ein globales, hochdifferenziertes Aggregat der Zusammenarbeit entstehen lassen, das Wissen und die Kombination von Naturprozessen zur ersten Produktivkraft gemacht und die Rolle der menschlichen Plackerei enorm reduziert hat. Es ist ein enormer zivilisatorischer Fortschritt, wenn als Resultat dieses Prozesses die Pipelines der Kommunikations- und Verkehrsnetze die ganze Welt umspannen, auch wenn sie fuer das irre Unterfangen einer globalen Gesamtfabrik nach betriebswirtschaftlich rentablen Kriterien errichtet wurden.

Tatsache ist, dass die Teilhabe an rentabler Produktion in dieser globalen Gesamtfabrik einen immer geringeren Prozentsatz der Weltbevoelkerung direkt betrifft; der Rest der Menschheit stoert eigentlich nur, weil er weder als Produzent noch als Konsument in dieser Gesamtfabrik, der "planetaren Arbeitsmaschine", vorkommt.

Die Distinktion zwischen funktionalen und nichtfunktionalen Teilen der Weltbevoelkerung wird freilich vom Konkurrenzprozess selbst vorgenommen. Niemand ist per se Gewinner oder Verlierer, auch wenn unterschiedliche Voraussetzungen sich perpetuieren. Die Staaten, die sich die ganze Welt als Anlagesphaere ihres Kapitals erschlossen haben, sind in die Globalisierungsfalle gegangen und erleben, dass das Aufrechterhalten von homogenen Binnenstandards des Lebens nicht mehr moeglich sind, wenn die Arbeitskraft ein global verfuegbares Gut wird, das zudem zunehmend von Mikroelektronik und Biotechnologie substituiert wird. Sie stehen vor der Wahl, entweder den Anspruch auf soziale Mindeststandards aufzugeben oder aber die Unterstellung, dass die Infrastruktur einer Gesellschaft auf der Basis einer rein marktwirtschaftlichen Steuer- und Verschuldungslogik, also auf Basis des Geldes, erhalten werden kann.

Genau deswegen finden heute gesellschaftskritische Gedanken am ehesten ihr Publikum dort, wo gesellschaftliche Infrastrukturaufgaben erfuellt, aber nicht mehr finanziert werden koennen: in den Planungsabteilungen der Kommunen und Ministerien, die erleben, wie Kompetenzen und Aufgaben zunehmend und unterfinanziert auf immer weiter unten liegende Hierarchieebenen abgeschoben werden.

Will man ernsthaft, dass elementare soziele Versorgungsfunktionen aufrechterhalten und sogar ausgebaut werden koennen, und kann man sich nicht mehr auf das Allheilmittel einer wirtschaftlichen Standortkonkurrenz verlassen, dann geraten zwei Dinge ins Blickfeld, die frei verfuegbar und zugaenglich sind, wenn politische Rahmenbedingungen geschaffen werden: einerseits lokale Ressourcen, die betriebswirtschaftlich nicht mehr oder nur sehr einseitig nutzbar sind, und andererseits der enorm gestigene Reichtum an globalem Wissen und Kommunikationsmitteln, die die Effizienz des Ressourceneinsatzes dramatisch zu erhoehen vermoegen.

Wenn man nicht wie der ansonsten sehr sachlich argumentierende Robert Kurz zu dem drastischen Schluss kommt, es habe keinen Sinn, ueber einzelne Reformen ueberhaupt noch zu diskutieren "solange dies nicht in einer Perspektive der radikalen Abschaffung der modernen Ware und ihres Weltsystems geschieht" (Der Kollaps der Modernisierung, p.270), dann erscheint die Perspektive einer dualen Wirtschaft als durchaus logisch; ein neuer sozialer Sektor, der sich nicht auf Geld, sondern auf lokale Ressourcen und Zugang zu globaler Information stuetzt, kann durchaus fuer eine laengere historische Epoche mit der schrumpfenden Marktwirtschaft koexistieren; die "globalen Doerfer" und die "globalen Staedte" koennen ein Synergieverhaeltnis eingehen, das beiden Seiten eine neue Perspektive weist. Freilich fuehrt dahin ein langer und dorniger Weg; wo Eigenarbeit auf Gemeinschaftsebene noch immer mit Schwarzarbeit gleichgesetzt wird, ist er noch nicht einmal ansatzweise beschritten. Subsistenz als bewusst gewaehlte lokale Lebensform, in die man hinein- und auch wieder herauskann, vielleicht in einem Wechselprozess zwischen globaler und lokaler Lebenswelt, wird in einem Generationen dauernden Prozess vielleicht auf groessere Vernetzungszusammenhaenge uebergreifen, vielleicht auch viel schneller. Ohne Experimente, bei denen wir sehr schnell "beyond money" gehen muessen, wird es jedenfalls nicht abgehen - und damit ist auch schon alles ueber das Beste ausgesagt, was wir derzeit tun koennen.