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Willkommen im Globalen Dorf / Soziale Innovation Am Land |
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57. Sendung der Reihe "Willkommen im Globalen Dorf"
F Lieber Helmut, erzähl mal, wie wir uns kennengelernt haben und wie wir begonnen haben, zusammenzuarbeiten. ˧
H Sehr gerne, Franz. Also, da muss ich fast ein bisschen ausholen. Wir haben uns kennengelernt im Rahmen der 'Rural Design Days', ein globaler Online-Event, ein Online-Treffen ländlicher Gestalter aus allen Erdteilen und ... vielleicht ganz kurz die Entstehungsgeschichte: F: Genau, ich denke mir, das ist ja dann auch weitergegangen, nicht? ˧ H: Ja, Wir haben die Rural Design Days dann noch ein paar Jahre jährlich organisiert und hatten sehr spannende Akteure dabei. Mal überlegen, also der mir einfällt ist der Hartmut Esslinger, Gründer von FROG sozusagen, der heilige Gral des Industriedesigns, des Produktdesigns und wer ihn nicht kennt: Hartmut Esslinger hat damals mit Steve Jobs zusammen die ersten Apple-Computer gestaltet. Steve war der Innovator und Hartmut Esslinger der Gestalter, der dieses unverkennbare Macintosh-Design damals auch mitentwickelte - und ich habe den dann angerufen den Hartmut und habe ihm auch erzählt von Silicon Vilstal, dass wir hier in einer ländlichen Region Innovation vorantreiben möchten, und er hat dann gleich sich wohlgefühlt und erzählt, dass er damals ja auch sein erstes Studio im Schwarzwald hatte, mit neun Häusern nur in dem Dorf und dann waren wir plötzlich in einer super ländlichen Stimmung und er hat dann eben zugesagt, bei unseren Royal Design Bays als Speaker mitzumachen. ˧ F: Das war 2022, wenn ich mich richtig erinnere. ˧ H: Ich glaube ja. Also wir haben das dann während der Pandemie gemacht und im Nachgang auch weiter. Wir sind dann bei dem Online-Format geblieben, weil es einfach so bequem erlaubt, eine globale Gemeinschaft zusammenzubringen. ˧
F Ja und ich kann mich erinnern, dass ich beim zweiten Mal von dir die Gelegenheit bekommen habe, so eine eigene Interview-Reihe aufzusetzen mit Menschen, die ich im internationalen Raum für besonders bedeutsam halte, wie Richard Lowenberg und anderen, die auch in Deutschland ... Harald Kegler mit der Werkstatt Industrielles Gartenreich oder auch aus Russland den Dorferneuer Gleb Tyurin mit seiner Retrospektive der "urbanen Designs", die in der Sowjetunion entstanden sind und so weiter. H: Ja, also was mich immer sehr gefreut hat, dass das so eine globale, familiäre Stimmung war in dem Kreis und wir sind gerade dabei, eine Blaukause zu entwickeln, beziehungsweise wir haben die entwickelt, jetzt auch zu verbreiten für die Entwicklung sozialer Innovationsregionen. Ein Baustein von dem Konzept ist das Win-Win-Welcome, weil wir glauben, dass gerade ländliche Regionen so eine ganz natürliche "Willkommensart" haben, also eine archaische Gastfreundschaft und Aufgeschlossenheit. Wenn da jemand kommt, dass er dann Unterstützung erfährt und dieses freundliche, sich gegenseitig willkommen heißen, das war auch zu spüren in diesen Rural Design Days, egal aus welchem Erdteil die Teile mir jetzt kamen. ˧ Ich fand auch spannend zu sehen, dass es zum Teil ähnliche Ansätze gibt, also "Alte Muster" zum Beispiel hatten wir mehrere Projekte, die sich vorgestellt haben aus Indonesien und aus Indien, die versuchen traditionelle Muster wieder neu zu beleben in einem digitalen oder elektronischen Kontext. Von daher war es für mich selbst auch immer super schön und lehrreich. ˧
F: Ja, das ist sehr interessant. Dann haben sich unsere Wege ein bisschen getrennt. Wir hatten versucht ein großes Projekt, ich glaube ein Horizon-Projekt war das, Rural X, einzuleiten, da sind wir leider gescheitert, sonst hätte sich die Geschichte anders entwickelt. Wir hatten ja ein riesiges Netzwerk da einbezogen in diese Einreichung .. und dann haben wir sozusagen ein bisschen den Kontakt verloren. Interessanterweise, ich weiß gar nicht, ob ich das erzählt habe, habe ich dann ein anderes Online-Event im Jahr 2023 gefunden, ( ...Wir wollen uns wirklich wohlfühlen und zum Wohlfühlen gehört Gemeinschaft und gehört Austausch mit Menschen und auch mit der Natur. Also was mich damals so fasziniert hat, wie das dann bruchlos auch übergegangen ist, mit der Rebuild in eine neue Bewegung, die sich zusammengesetzt hat aus Architektur, Permakultur und verschiedenen neuen Modellen wie Co-Living, dass man eben auch physisch Menschen hostet, wo dann plötzlich sozusagen von der anderen Seite, von der Seite derer, die Du willkommen heißt, ja auch quasi dieses Bedürfnis an diese Win-Win-Welcome-Situation nicht nur geäußert wurde, sondern wo gesagt wurde, wir brauchen das, wir müssen das haben, wir müssen verschiedene Orte aufbauen, wo wir uns wirklich willkommen fühlen. Und diese Kultur, die hat sich vor allem in einigen Ländern wie Portugal oder Costa Rica mittlerweile zu einem ziemlich großen Netzwerk von kulturkreativen Dörfern weiterentwickelt. Also das ist sehr spannend, dass hier ein Strang geht und ich habe dann eben auch diese Konferenz hier auch rezipiert, auch hier bei uns ein bisschen zugänglich gemacht und Plakate gemacht: Schaut mal, die Dörfer haben Zukunft. Also das ist der Werdegang. Und jetzt habe ich mir gedacht, okay, du hast mich unlängst wieder kontaktiert mit dem Auftrag, mal über die Zukunft der Social Innovation Region nachzudenken und diese Wiederkontaktaufnahme hat mich inspiriert, einfach mal eine Sendung zu machen, was heißt eigentlich Sozial Innovative Region? Also das wäre eigentlich dann unser heutiges Thema. ˧
Können wir sehr gerne einsteigen, das ist auch ein Herzensthema von mir. Wir versuchen gerade eine Soziale Innovationsregion in Niederbayern aufzubauen. Es fängt im Grunde ja an schon bei dem Wort "Soziale Innovation". Übersetzt oder eigentlich nur "überwortet" aus dem englischen "Social Innovation". Das führt auch zu vielen Missverständnissen im deutschsprachigen Raum. Besser wäre gewesen, man hätte es mit "gesellschaftlicher Innovation" übersetzt, dann würde man eher verstehen, dass es um einen gesellschaftlichen Wandel oder das Aufgreifen innovativer Praktiken in der Gesellschaft geht; So, als Wort Soziale Innovation wird es oft etwas enger verstanden - und wir haben das hier bei unserem Vorhaben ganz pragmatisch gehandhabt. Wir haben einen Auftragsworkshop gemacht mit verschiedensten Beteiligten und haben mal eine gemeinsame Verständnisweise des Wortes für unseren Raum gefunden. Wir hatten viele sozialwirtschaftliche Akteure dabei aus der Wohlfahrt - und letztlich ist der inhaltliche Fokus, den wir jetzt hier vorantreiben werden, schon etwas aus dem Sozialwirtschaftlichen geprägt. Wir haben für uns selbst und auch als Blaupause für andere Regionen eine - Neudeutsch würd man sagen: Ecosystem-Map - entwickelt. ˧ Das heißt, wir haben Rollen abstrahiert, die man in so einer sozialen Innovationsregion braucht. Das ist ein Orchestrator, das sind Betreiber von Begegnungsorten und sozial engagierte Unternehmer. So haben wir alle möglichen Rollen und Funktionen definiert und dann auch wie Aufkleber an die bestehenden Organisationen und Institutionen 'angeheftet', sodass wir jetzt einen größeren Kreis von Akteuren haben. ˧ Spannend war dann, was soll denn so eine soziale Innovationsregion können? Welche Wirkung soll die erzielen? Und da haben wir dann gesagt, die soll das Regionalglück steigern. Also wir haben uns da ein bisschen orientiert an dem, was in Bhutan mit dem Brutto-Nationalglück gemacht wird. Ich hatte mich dann auch mit einem Entwurf unseres Konzeptes getroffen mit oder unterhalten mit ganz vielen verschiedenen Akteuren auf der Welt. ( Also Johanna Mair zum Beispiel, die globale Grand Dame der hier leider ein paar Audio Verzerrungen) sozialen Innovationen[1]. Und hatte das Glück, mich mit dem Dasho Karma Ura [2] treffen zu können, dem Leiter des Nationalen Glücksinstituts von Bhutan [3]. Und hab denen so erzählt, was wir vorhaben, unseren Entwurf gezeigt. ˧ Die waren eigentlich alle schon relativ angetan davon. Und wir haben jetzt noch nicht, man könnte es ja qualitativ empirisch erfragen, aber allein auszusprechen, dass die Zielsetzung Regionalglück ist, führt schon zu einem kleinen Umdenken bei den handelnden Akteuren, weil man sich eben automatisch fragt, okay, wenn jetzt das Ziel ein irgendwie noch zu definierendes Regionalglück ist zu steigern, dann ist man eben sofort raus aus der Technik und bei den Menschen. Und da bin ich sehr, sehr neugierig, wie das Regionalglück unser weiterer Prozess bringen wird. ˧ F Man ist ja nicht nur raus aus der Technik, man ist ja eigentlich auch raus aus dem herkömmlichen Indizes, wie BruttoRegionalprodukt? oder monetäres Wachstum. Es geht eigentlich schon um ganz andere Maßstäbe, die hier angelegt werden an die soziale Innovation. ˧ H: Ja, genau. Viele kennen Zahlen, was nicht BruttoSozialprodukte? .... unterstellem ja stillschweigend, dass ihre Verbesserung die Leute glücklicher macht, aber es gibt ja auch Studien zum Beispiel, die zeigen, ab einem gewissen Wohlstand führt wirtschaftlicher Wohlstand nicht zu mehr Glück, sondern das stagniert dann tatsächlich, obwohl der Wohlstand steigt. ˧ Das war einfach eine sehr pragmatische Herangehensweise. Dann haben wir gesagt, naja, wenn das eh alle nicht so recht wissen oder manche Dinge, die man gern verbessert, gar nicht zum Glück beitragen, dann lass uns doch das nehmen, was implizit eigentlich alle wollen, nämlich das Glück zu steigern. ˧ Ja, da sind wir jetzt unterwegs und sind einmal unterwegs vor Ort in Niederbayern, das zu konkretisieren und auch konkrete Projekte zu starten in dem Netzwerk. Wir haben uns da keine Rechtsform gegeben, sondern haben im Grunde uns zufrieden gegeben mit individuellen Absichtserklärungen, Mitwirkungserklärungen, weil wir da schnell vorankommen wollten. ˧ Das andere ist, wir sind auch mit dem Konzept überregional unterwegs, um es als Anregung anderen vorzustellen. Zum Beispiel waren wir auf der Europäischen Social Economy Region-Konferenz der Europäischen Kommission in Brüssel [4] und dort haben wirs den Akteuren aus Europa vorgestellt, die da zusammen waren. Das ist eigentlich ganz gut angekommen, weil es im Grunde so eine Art Kochrezept oder Bauplancharakter hat und wir haben jetzt schon die ersten Regionen, die sozusagen einen Nachbau des Konzepts anstreben. ˧ F Da könnten wir jetzt schon einige Ansatzpunkte finden, aber vielleicht machen wir es ein bisschen plastischer. Vielleicht sagst du ein paar Beispiele, wo es wirklich um grundlegende Veränderungen geht. ˧ Kleiner Einschub, ich bin ja selbst sehr lange in diesem Konzept gewesen. Im Jahr 1990 war ich als verschämter Soziologe und technikbegeisterter Apple-Entwickler in Stanford und habe den Douglas Engelbart getroffen, den Erfinder der Maus. Der hat gesagt, es ist viel wichtiger, dass Sie Soziologe sind, denn wir brauchen etwas, was die technische Innovation ergänzt, sonst wird die technische Innovation zum Fluch werden. Er hat selbst gesagt, ich habe die Maus erfunden, die Computermaus -das hat er tatsächlich- ich habe die Fenstertechnik, dass man auf einem Bildschirm mehrere Fenster hat, das habe ich erfunden. Und zwar in den späten 50er und 60er Jahren auf irgendwelchen Mainframe-Computern. Das hat er alles schon durchexerziert. Und ich habe auch den Hyperlink erfunden. Das hat er mir alles erzählt und hat dann gesagt, eigentlich wollte ich damit das menschliche Denken verbessern. Aber was dann rausgekommen ist, ist wie wenn man eine technische Innovation, sagen wir mal Gewehre, du lieferst jetzt irgendwelchen verfeindeten indianischen Stämmen Gewehre oder so. Das soll jetzt nicht rassistisch überkommen, aber es gibt Situationen, wo jemand dann für seine nicht so guten Ziele, fraglichen Ziele eben neue technische Mittel zur Verfügung hat. Das hat er mir schon 1990 gesagt: Wenn wir einfach unsere sozialen Strukturen beibehalten, die aus ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen gewachsen sind, dann werden die technischen Innovationen zum Fluch. Sie werden uns keinen Fortschritt bringen, sondern einen Rückschritt. Jetzt könnte man natürlich auch lange reden, dass wir diesen Rückschritt vielleicht gerade echt miterleben dürfen bis hin zum Rückschritt in einen technologischen Feudalismus. Aber da will ich jetzt gar nicht reingehen in dieses Feld, sondern einfach nur sagen, damals hat schon der Herr Engelbart zu mir gesagt, nein, wir müssen auch genauso intensiv wie wir an den technischen Innovationen arbeiten, an sozialen Innovationen arbeiten. Das hat er mir 1990 gesagt und zwei Jahre später haben wir in Wien das Zentrum für soziale Innovation gegründet mit Josef Hochgerner. Weil wir uns damals schon bewusst waren, wir hatten damals das Gefühl, jetzt kommt die Weltausstellung nach Wien und Budapest und da geht es viel um Technologie - und da war die Idee, nein, wir müssen ganz stark propagieren, dass sich gesellschaftliche Strukturen, Entscheidungsstrukturen, Rollen usw. radikal verändern müssen. Also das war für uns immer schon ein ganz wesentlicher Punkt, soziale Innovation. Und dann hat es natürlich bei uns so ein bisschen einen Dissens gegeben. Die ganze Förderungslandschaft wurde damals umgestellt auf Auftragsforschung, nicht mehr Antragsforschung. Also die Autonomie der Wissenschaftler wurde stark beschnitten und man konnte eigentlich nur mehr Geld kriegen, wenn man sich genau an die Vorgaben bestimmter Projektausschreibungen hielt. ˧ Und ich habe damals gesagt, diesem Zirkus möchte ich nicht mitmachen, ich habe eine bestimmte Vorstellung von sozialer Innovation. Das war ganz wichtig, denn Douglas Engelbart hat zu mir gesagt, wenn Sie nicht eine ungefähre Vorstellung haben, wie zum Beispiel, Sie wollen fliegen, wie die Gebrüder Whright. Sie wollen etwas erfinden, was es noch nicht gibt. Aber wenn Sie diese Vorstellung nicht haben, dann wird es Ihnen auch nicht gelingen eine soziale Innovation herbeizuführen. Das ist nicht ganz ziellos. ˧ Andererseits müssen Sie eines bedenken, Sie können nur viele Möglichkeiten wahrnehmen. Die Wahrheit oder die Wirklichkeit dieser Innovationen kommt aus sehr, sehr vielen verschiedenen gesellschaftlichen Perspektiven. Deswegen hat er auch gesagt, wir müssen kleine Mikrolabore einrichten, in denen wir viele Freiheitsgrade der Neugestaltung unserer gesellschaftlichen Beziehungen haben. Und Sie als Soziologe - hat er zu mir gesagt-, Sie haben nichts anderes als die Aufgabe, diese Menschen zusammenzubringen und diesen Prozess möglichst lebendig zu halten, indem alle Perspektiven zu Wort kommen, denn nur wenn alle Perspektiven zu Wort kommen, so ein bisschen wie im indianischen Medizinrat, nur dann ist gewährleistet, dass es wirklich etwas Sinnvolles, Nachhaltiges, Tragfähiges wird, was hier entsteht. ˧
F. Und die Gesellschaft braucht solche Labore, denn wenn sie das nicht zulässt, dann begibt sie sich eigentlich in einen Weg, den ich vorher skizziert habe, dass die alten Strukturen das Neue und die Möglichkeiten des Neuen gnadenlos und mörderisch missbrauchen. Das war auch mein persönlicher Impuls, all diese Dinge zu starten, wie das Labor für Globale Dörfer und so weiter. Insofern finde ich das sehr lustig.... ˧ HR: Ja. Der Unterschied zwischen technischer oder technologischer Innovation und technologischer Innovation ist nicht nur der Gegenstand oder die Zielrichtung. Das Innovieren selbst unterscheidet sich ja fundamental. Technologische Innovation kann ich bis zu einem gewissen Reifegrad entwickeln und dann rausgehen in die Welt. Eine soziale Innovation ist im Grunde ein Moderations- oder Veränderungsprozess mit Menschen. Und wir arbeiten sehr viel mit sozialen Reallaboren. Das heißt, ähnlich wie oft sonst technische Laborumgebungen, bieten wir sozusagen eine menschliche, gesellschaftliche Laborumgebung. Innovatoren können dann in diesem Umfeld ihre Innovation ausprobieren und weiterentwickeln, prototypisch mit dem sozialen Umfeld dieses Reallabors. Wenn die technologische Innovationsidee zu weit gediehen ist, dann scheitert sie auch: ˧ Ich kann mich erinnern, wir hatten ein Projekt mit einem Corporate Startup eines großen Automobilkonzerns. Das war eine App, die im Grunde ride-sharing ermöglichen sollte oder Shuttle-Angebote ermöglichen sollte, bei denen ein gewisses Vertrauen erforderlich ist. Und wir haben das dann gemeinsam ausprobiert im Umfeld von Seniorenfahrten. Es gab vorher schon hier in der Region eine Nachbarschaftsinitiative, die für Senioren Besorgungsfahrten gemacht hat oder Transfers. Ich habe dann zu dem Startup gesagt, wieso wollt ihr denn die Situation verschlechtern mit eurer App? Die waren ganz stolz, dass sie eine App entwickelt hatten und ich habe dann gesagt, damit macht ihr die Realität für die Senioren schlechter. ˧ Denn: Das Telefonat ist bereits ein menschlicher Kontakt. Das ist ein Telefonat mit Menschen, die sie schon kennengelernt haben, zu denen sie Vertrauen haben. Wenn die das über eine anonyme App machen sollen, ist es nicht nur vom physischen Handling her schwieriger für die, sondern auch sozial weniger attraktiv. Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass wir das dafür nicht einsetzen, sondern die Technologie einsetzen für die Disposition der Fahrten auf Seite der Initiative. Und dort war es wirklich ein Segen, weil die sich bis dahin immer die Finger wundtelefoniert haben untereinander, wer denn nun gerade Zeit hat für die eine oder andere Fahrt. ˧ Man konnte dann als freiwilliger Fahrer diese Initiative auch zum Beispiel in Verfügbarkeitszeiten besser kommunizieren und eintragen. Das System hat dann diese manuelle Dispositionsarbeit erledigt und sehr vereinfacht für alle Beteiligten. Und da war es dann gut aufgehoben. Aber selbst da haben wir gesagt, das ist nur die Hauptlösung. Wir lassen trotzdem noch den telefonischen Dispositionskanal zu, damit wir keine Fahrer ausschließen, die zum Beispiel nicht ein Handy haben, sondern nur normaltelefonisch erreichbar sind. Und so ist es dann gelungen, das in dem Umfeld einzusetzen und das war dann auch ein Learning für alle Beteiligten. ˧ Also für die Nachbarschaftsinitiative - überwiegend ältere Leute auch, nicht sehr alte, aber mittelalte Leute -, für die war das eine segensfreie digitale Innovation und für das Startup war es im Grunde der realen Welt ein bisschen zurechtgerückt. Und so haben alle davon gelernt. Und das ist das Tolle an solchen Reallaboren, dass beide Seiten voneinander lernen. Die Innovatoren und die Beteiligten aus der Gesellschaft. ˧ FN: Super. Da fallen mir gleich zwei Dinge ein dazu, die ich erzählen möchte. Das Erste, als ich Douglas Engelbart 1990 kennenlernte, hat er gesagt, sie sollen sich nicht einfach nur meine Worte anhören. ˧ Ich schicke sie jetzt da runter nach Palo Alto. Da gibt es das Institute for the Research and Learning [5]. Damit sie verstehen, was ich meine mit dieser Ergänzung von technischer und sozialer Innovation. Dann hat er mich tatsächlich da runtergeschickt und ich habe mir das angeschaut und ich war voll weg. Also wie er gesagt hat, alle Zielgruppen waren präsent in diesem.... - das Reallabor war natürlich schon in einem Entwicklungszentrum. Also es war ein großer Raum mit vielen Nischen und so weiter und so fort. ˧ Aber was hier wichtig war, es waren Kinder präsent, Lehrer präsent, es waren Kommunikationspsychologen präsent und so weiter. Ich hatte das Gefühl, hier ist wirklich ein Mikromodell und wie du sagst, wenn die technische Entwicklung zu weit gediehen ist, wenn die Ingenieure am grünen Tisch sich irgendwas vorstellen, was gar nicht mit der Realität übereinstimmt, dann verschlimmbessern sie die Situation. Und hier war in einer relativ frühen Phase eben sozusagen so eine wie sie es nannten Bootstrap-Community. Also das heißt Bootstrap, das ist Schnürsenkel auf Englisch. (Was bei uns die Münchhausen-Legende ist mit dem Hahn, aus dem sich der Münchhausen aus dem Sumpf zieht. Das ist bei den Amerikanern eine Figur, die sich an den Schnürsenkeln in die Luft zieht. Und der berühmte Ausdruck Bootinger Computer kommt ja auch davon, weil das System ja in den Arbeitsspeicher geladen muss. Der Computer sozusagen, der ist noch nicht fertig. Der muss quasi im Moment des Startens eigentlich erst sich selbst sein Betriebssystem geben.) Also da ist für mich sehr anschaulich geworden, was das heißt. Die soziale Innovation kann eben auch nicht getrennt von der technischen Innovation erfunden werden, denn sie ist ja nur dadurch ermöglicht, dass es diese neuen technischen Möglichkeiten gibt. Und gleichzeitig bedarf es eben genau dieser bewussten Einrichtung von Reallaboren, damit man überhaupt weiß, welche technischen Entwicklungen sinnvoll sind. ˧ Und die zweite Geschichte ist, weil du jetzt ganz stark dieses Beispiel aus dem Seniorenbereich gebracht hast, ich habe einen wunderbaren, auch sehr alten und erfahrenen Entwickler kennengelernt, der ist leider schon gestorben. Sein Name war Bernd Eisinger. Und der hat gesagt, wenn ich die älteren Menschen mit Technologie versorge, dann muss ich schauen, dass diese Technologie maximal kooperativ ist. Das maximal Kooperative wäre, wenn ich Videokonferenz auf ihren Großbildfernseher bringe oder größeren Fernseher. Und dann können sie mit dem lokalen Lebensmittelgeschäft genauso in Verbindung treten, wie mit dem Arzt oder Therapeuten oder sonst was, weil sie eben nicht mobil sind. Oder eben auch mit ihren Verwandten und so fort. Ich kann ja nicht irgendwie so ein kleines Tablet in die Hand drücken. Die haben einfach Schwierigkeiten schon zu sehen, ich muss ihnen maximal entgegenkommen. Mir hat das total beeindruckt, wie hier einfach klar gesehen wurde, die menschlichen Bedürfnisse im Verhältnis zur Technologie. Jetzt nur in einer Zielgruppe. Dieses Projekt hieß 'Windows Wide Open'. Meines Erachtens wäre das eine sehr sinnvolle Sache, es in einem Dorf so einzurichten, dass auch die älteren Menschen ständig den Blick auf den Hauptplatz haben. Diese bildliche Metapher. Dass sie einbezogen sind auch ins soziale Leben. Um das ein bisschen in ein plastisches Beispiel zu fassen. ˧ HR: Also ich glaube, dass die soziale Innovation vielleicht sogar, also das, was man heute drunter versteht und betreibt, vielleicht sogar zu einem Vorreiter werden kann von einer ganz neuen Herangehensweise an Innovationen. Dass man also viel stärker noch bei Innovationsprozessen die Nutzerseite einbezieht. Design Thinking gibt es ja jetzt auch schon ein paar Jahre. Aber trotz allem ist es häufig noch so, dass man hier eine Art Sequenz hat. Es gibt die Innovatoren, die etwas bis zum gewissen Reifegrad bringen und dann es nach draußen geben. ˧ Und ich könnte mir vorstellen, dass die Notwendigkeiten, die man bei der sozialen Innovation hat, auch jegliche Form von Innovationen methodisch beeinflussen. Sodass man eigentlich Innovation als Veränderungs- oder Transformationsprozess begreift. Es gibt so ein Sprichwort, Innovation liegt immer im Auge des Betrachters. ˧ FN Ja, also ist es jetzt Schrott, mit dem ich die Welt überflute, weil ich ein Bedürfnis erzeuge? Oder habe ich zunächst einmal zugehört, was die Leute wirklich brauchen? ˧ HR; Beziehungsweise findet die Innovation dann mit den Menschen gemeinsam statt. Insofern würde ich sagen, ist dieses Arbeiten mit sozialen Reallaboren und diese Haltung, dass soziale Innovation eigentlich ein gemeinsamer Veränderungsprozess ist, ist eigentlich, geht noch über Design Thinking hinaus. Weil beim Design Thinking ja man sich als der Innovator Gedanken macht über die Bedürfnisse des späteren Nutzers. Aber: Ich habe viele Innovationsprozesse, Innovationsworkshops erlebt und kaum jemand traut sich, die Zielgruppe, die Nutzergruppe live in einen solchen Workshop hinzuzunehmen. Irgendwie fürchten sich da alle vor, diesen Realitätsbezug. Wir haben mal einen Workshop gemacht für eine gewerbliche Zielgruppe, Dienstleistungszielgruppe und hatten aus der Personengruppe eine Dame mit dabei im Innovationsworkshop. ˧ Und das war sehr berührend, weil, als wir am Ende so eine Feedbackrunde der Teilnehmer hatten, war die den Tränen nahe und hat dann gesagt, das war für sie so bewegend, dass sich so viele Leute um sie und ihren Berufsstand Gedanken machen, weil sie das im Tagesgeschäft nie erlebt, diese Anteilnahme und Wertschätzung. ˧ FN Das ist übrigens ein ganz entscheidender Punkt. Wie denken die Menschen? Und ich glaube, wir brauchen da zwei Arten zu denken, damit wir überhaupt eine soziale Innovation zuwege bringen. ˧ Das Erste ist, natürlich, da sind wir gut, da sind wir stark, das ist sogar die aktive Kompetenz. Also wir alle haben sehr spezielles Wissen über irgendein Gebiet und sind auf einem Gebiet exzellent - oder mehr oder weniger exzellent zumindest einmal. Wir sind gut ausgebildet, bringen tiefer in Detailprobleme ein und so weiter. Die andere Seite, die würde aber darin bestehen, dass man auch versteht, seine sowohl Kompetenzen als auch Bedürfnisse... Also ich nehme jetzt ein Beispiel. Ich habe einen Koch, der hat Kompetenzen, aber er muss irgendwie wissen, wer sind seine Kunden und was essen die gerne. Und auf der anderen Seite ist der Koch ja auch abhängig davon, mit welchen Kochgeschirr, also mit welchen Pfannen er arbeitet. Und es ist interessant, dass die technischen Innovationen, die heute den Markt überschwemmen, oft gar nicht so sehr das Bedürfnis der Profis treffen. Also man müsste quasi eine Kommunikation zwischen dem Köchen und dem Pfannengießereihen einleiten, eine bessere, damit wahrscheinlich im Profibereich passiert das manchmal. Aber man müsste eigentlich auch die Menschen wiederum qualifizieren, auch wenn sie dieses Wissen des Pfannengießers nicht haben. ˧ Also man muss, wenn man wirklich eine soziale Innovation zu Wege bringen will, sich, wie du sagst, nämlich auch um die anderen Sorge machen. Also wie können die optimal auf Bedürfnisse reagieren? Also das ist nicht so, dass jeder zu einfach sagt, ja ich bin kompetent, sondern ich bin kompetent, weil ich dein Problem löse und ich habe ein Problem, für das ich eine Lösung suche. Also dieser Kreis, der sich da oft schließt, das ist glaub ich eigentlich die Kernqualität einer wirklichen sozialen Innovation. Wie siehst du das? ˧ Ja, also ich glaube die Haltung des Innovators muss sich da ändern, zu einem Moderator. Also einem Diener des sozialen Innovationsprozesses, nicht dem Herrscher über den sozialen Innovationsprozess. Vielleicht an dem Punkt auch, wie kann man jetzt organisieren als Region, als große Verwaltungseinheit, als Bundesland, als Nation, wie kann man soziale Innovationen organisieren oder fördern? Das führt uns zurück zu dem Begriff und ich bin vor einigen Monaten mal drauf aufmerksam gemacht worden von dem Andreas Willisch [6](verrauscht), auch ein sehr kundiger Innovator vom Thünen Institut für Regionalentwicklung, dass es kaum Berührungspunkte gibt zwischen einer Social Entrepreneurship Szene, die eher 'urban start-up bezogen' ausgerichtet ist und einer riesigen Ehrenamtsszene, die vielleicht häufiger 'ländlich, lokal verortet 'ist. ˧ Was ich super schade finde und was mir in dem Moment erst klar wurde, als es gesagt hat, weil für uns bei Silicon Vilstal gibt es diese Grenzziehung gar nicht, sondern wir sind sogar mit beiden Beinen in diesen beiden Themenfeldern drin und ich glaube, dass auch das Zusammenspiel von einer vielleicht digital affineren Innovationsszene rund um Social Entrepreneurship und dem klassischen Ehrenamt, dass das sehr synergetisch wäre und das wäre vielleicht eine Maßnahme, die man als Land treffen könnte, dass man diese Welten versucht zusammenzubringen, weil sich daraus glaube ich sehr schöne soziale Innovationsvorhaben entwickeln würden. ˧
FN: Ja, Helmut, sag mir doch ein paar Beispiele. Jetzt haben wir locker schon unsere Sendezeit bald erreicht. Sagen wir doch fast zum Schluss noch ein paar Minuten, die wir hier noch haben in der Sendung. Fünf bis zehn Minuten. Vielleicht sagst du mir ein paar Beispiele für soziale Innovation, entweder die ihr schon auf die Reise gebracht habt oder von denen ihr träumt. Was mir jetzt spontan natürlich einfällt, ist euer wunderschön gestaltetes Diagramm der "Neuen Dorfmitte". Das heißt, wie hier wirklich auch der Raum völlig neu begriffen wird als eine Art Kommunikationsmedium. ˧ Das heißt, dass man verschiedene soziale Funktionen ganz bewusst in räumliche Nähe bringt, in Nachbarschaft unter ein Dach, weil dadurch die Wirkung sich vervielfältigt. Vielleicht erzählst du mal ein bisschen was über das Projekt Dorfmitte und vielleicht sagst du mir dann vielleicht noch ein, zwei andere Beispiele für soziale Innovation, wie sich das hier euch erträumt. ˧ HR Also was du ansprichst, war das Projekt Ortsmitte 2.0. Wir haben wahrgenommen, dass in unserer Region die Ortszentren, die Ortsmitten zunehmend veröden, dass es Leerstände gibt, was total schade ist, weil das eigentlich ja oft die gute Stube von so einem Ort ist. ˧ Wir haben dann gesagt, okay, lass uns mal überlegen, wie kann man so eine Ortsmitte neu denken, welche Funktionen könnte es dort geben, die die Ortsmitte als Zentrum des Ortes wieder relevant machen und haben dann eine Reihe von Funktionen identifiziert und haben auch dann ausprobiert, die prototypisch zu realisieren und auch miteinander im Kontext zu setzen, also sodass sie sich gegenseitig stützen. ˧ Ein naheliegender Andockpunkt wäre, Coworking Spaces zu verbinden mit anderen Funktionen, zum Beispiel Kinderbetreuung, was dann jungen Eltern vielleicht auch, die wieder neu ins Berufsleben, zurückkehren wollen, das erleichtert, wenn die Kinder nur ein paar Meter entfernt sind von dem Coworking-Arbeitsplatz. ˧ Das ist etwas, was an mehreren Stellen in der ländlichen Coworking-Szene ausprobiert wird und was, glaube ich, eine sehr gute Kombination von Funktionen einer Ortsmitte 2.0 wäre. ˧
Mobilität ist ein spannendes Thema. Wir haben mehrfach ausprobiert, das reine von A nach B kommen attraktiver zu machen - Es gibt ja sehr umfangreiche Diskussionen über ländliche Mobilität. Wir haben einmal den "Kreativexpress" organisiert. Das war ein Kulturprogramm im fahrenden Regionalzug, sodass es eigentlich fast egal ist, wie lange die Fahrt dauert oder sogar die Länge der Fahrt erlaubt, noch etwas mehr von dem schönen Konzert oder der Lesung oder dem Theaterstück mitzukriegen. ˧
Das war eine Kooperation FN: Mir ist spontan eingefallen, das Projekt, das mal bei uns den VCÖ-Preis bekommen hat von Bernhard Harrer und Sabine Rösler, das hieß, das drückt sich schon im Namen aus, Dorfladencafé als Elektromobilitätszentrale. Die Nähe von Kommunikation und Distribution und Mobilität, die dann zu enormen Synergien führen könnte. Das ist vielleicht auch so ein Illustrationsbeispiel. Es bedarf aber wirklich eines innovationsfreundlichen Klimas, damit man das mal ausprobiert und sagt, in welchen Detail fliegt der Teufel. ˧
FN: Gibt es noch Beispiele oder was ihr euch erträumt? ˧ HR: Was ich mir persönlich erträume, wäre, dass sich die Wahrnehmung ländlicher Regionen verändert. Dass man sie nicht als Second Best sieht oder als Entwicklungshilfegebiete, sondern dass man sieht und anerkennt, welche ureigensten Innovationspotenziale sie haben, gerade im Bereich sozialer Innovation und dass die städtischen Quartiere davon lernen und profitieren können. Ich habe mal ein Essay geschrieben mit dem Titel "Die Zukunft der Städte beginnt auf dem Land". Und wenn man so über ländliche Regionen nachdenkt, das wäre so ein Ziel oder ein Traum. ˧ Ja, wunderbar. Dann denke ich, hatten wir heute ein super gutes Gespräch wieder einmal und ich hoffe, dass wir das auch fortsetzen können. Zunächst einmal ist "deine" Sendung auch ein bisschen eine Provokation. Ich habe auch von mehreren Seiten in Österreich gehört, es gibt ganz neue Standorte und Lernorte und Reallabore, die an solchen Innovationen arbeiten und vielleicht wecken wir die ein bisschen auf mit unserem Gespräch. Und ich kann dann über die auch in einer der folgenden Sendungen berichten. ˧ Also Helmut, einmal ganz herzlichen Dank, dass wir dieses heutige Gespräch führen durften und wir hören uns sicher bald wieder. ˧ HR Danke für die Einladung. ˧
˧ Musik: ˧
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