[Home]
Willkommen im Globalen Dorf / 27-Wege Aus Der Enge / Interviews /
Gerlind Weber


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







https://forschung.boku.ac.at/fis/suchen.person_uebersicht?sprache_in=de&menue_id_in=101&id_in=287 ˧

Transkription von CorinnaHB ˧

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
(Impulse von außen: Alle Menschen sollten in der Jugend die Welt kennenlernen)    
(Lösungsmuster Kontaktkultur)    
(Lösungsmuster Lebendigkeitszentren)    
(Dark Pattern Kirchturmpolitik    
(Lösungsmuster interkommunale Kooperation)    
(Dark Pattern Konformitätszwang)    
(Dark Pattern Dorfkaiser)    
(Dark Pattern Gefälligkeitsdemokratie)    
(Dark Pattern Gespaltenheit    
(Selbstvorstellung    
˧

FN (00:01) … OK. Also, wir waren jetzt bei dieser … ˧

GW (00:07) Ich habe verstanden. ˧

FN (00:08) Ja. ˧

 (Impulse von außen: Alle Menschen sollten 
in der Jugend die Welt kennenlernen)
    

GW (00:11) Also grundsätzlich ist es heute, glaube ich, nicht mehr vertretbar, wenn man versucht, junge Leute abzuhalten, an einen anderen Ort, einen anderen Lebensort aufzusuchen, um ihr weiteres Leben zu gestalten. Es geht darum, dass man das respektiert, man kann niemand eben heute davon abhalten, eben in der Herkunftsgemeinde zu bleiben, wenn er oder sie die Absicht haben, hier zu gehen. Das ist heute nicht mehr vertretbar, hier zu bleiben.
(00:46) Auf der anderen Seite hat der Bürgermeister, den wir einmal im Rahmen eines Projektes in der Steiermark interviewt haben, hat er g`sagt: „Kleinkinder und Hausbau sind wie Klebstoff.“ Und das ist schon richtig, aber zum Beispiel, der Wegziehende ist immer jünger, als der Häuselbauer. Den interessiert der Baugrund, den er angeblich billiger bekommt von der Gemeinde, wenn er dableibt, ja, den interessiert er nicht. Es interessiert ihn einfach, auch wegzukommen und woanders eine Lebenserfahrung zu machen, die er glaubt, an seinem Heimatort eben nicht machen zu können.
˧

 (Lösungsmuster Kontaktkultur) 
    

(01:24) Und daher ist es heute eher die Aufforderung zu sagen: „Wir akzeptieren, dass du gerne gehen möchtest, auf der einen Seite und auf der anderen Seite haben wir aber ein großes Interesse, dass du mit uns Kontakt hältst und auch wir werden dir Kontaktpersonen zur Verfügung stellen.“
(01:43) Das ist entweder ein Gemeinderatsmitglied, das so quasi der Außenminister oder die Außenministerin ist, die sich um diese Weggegangenen (handelt) kümmert. Oder in Wien gibt`s zum Beispiel - und das kann man überall in den zentralen Orten machen, wo eben gerade die Studierenden z.B. hinziehen, oder aber auch andere, die ihre Ausbildung dann in einer Großstadt machen, dass man so dieses Dorfkonsulat einrichtet, ja.
(02:09) Also einen Begegnungsort, wo dann die auch immer wieder Gäste einladen aus der Herkunftsregion, die dort eben über den Arbeitsmarkt, über die Chancen, über die Wahrnehmungen, die jetzt da passiert sind in Hinblick auf die regionale Entwicklung machen kann.
(02:28) Und dann ist es wichtig, eben auch diese einzelnen Schritte, die man in der Ferne tut, sozusagen, mit Wohlwollen auch zu beantworten, um eben zu signalisieren: „Wir sind stolz auf dich, wir schätzen deine Qualitäten und wir wären sehr froh, wenn du zurückkommst. Und wir würden dich in dieser Form auch unterstützen.“
˧

 (Lösungsmuster Lebendigkeitszentren) 
    

(02:49) Und das sind jetzt z. B. diese Gemeinschaftsbüros, etwas ganz Wichtiges, wo z. B. aufgelassene Poststellen von der Gemeinde angemietet werden, dort umgebaut werden zu Kojen, wo z. B. bestimmte Büros mit mehreren geteilt werden, sodass eben einer, der startet neu beruflich, nicht grad vorneweg gleich in Schulden stürzen muss, um einen adäquaten Arbeitsraum und Arbeitsumgebung zu schaffen und wo auch gemeinschaftlich eine bestimmte Basisinfrastruktur geschaffen wird. Das gilt genauso für Werkhallen und das gilt genauso für irgendwelche künstlerischen Gemeinschaften, etc.
(03:27) Also hier gibt es sehr viel Unterstützungsbedarf … und was auch ganz wichtig ist, dass man z. B. auch stärker passt jetzt den Berufswunsch der jungen Leute mit den Ausbildungsmöglichkeiten in der Region und dann mit den Berufsmöglichkeiten aus der Region. Wir haben oft gesehen, dass die jungen Leute weggehen, weil sie in auf kurzem Wege ihre Berufswünsche nicht realisieren können und daher eben weggehen und dann aber oft auch für die Herkunftsregion und das Herkunftsdorf verloren sind, weil man eben auch nicht Kontakt gehalten hat und weil man nicht spezielle Unterstützungsleistungen dann geboten hat. Also man muss um die jungen Leute auch dann werben und das muss man ganz klar sagen, ja!
(04:17) Es ist heute ein Wettbewerb zwischen großen Gemeinden - sprich Großstädten und Kleingemeinden - um die besten Köpfe in unserem Land und diesen Wettbewerb kann man sich und darf man sich nicht entziehen, das heißt, dass sich auch die Kleingemeinden zusammenschließen und sagen: „Wir kämpfen jetzt auch um die besten Köpfe gemeinsam, in dem wir dies und jenes, anstatt Möglichkeiten zum Beispiel potentiellen Rückkehrern eben schafft und sie vor allem auch direkt anspricht, aber wenn ich nicht einmal weiß, wo die gelandet sind und was sie jetzt für Qualifikationen haben und mich nicht dafür interessiere, kann ich die auch nicht ansprechen.
˧

FN … (05:00) Ja das, da sind wir richtig beim Thema, die - wie soll ich sagen - die Blockaden, die eigentlich die ländlichen Gefüge davon abhalten, über den Tellerrand hinaus zu schauen, nicht. Na, es beginnt ja eigentlich schon bei der Kirchturmpolitik, nicht, dass man einfach sagt: „Na ja, wir und die Nachbargemeinde, das ist ja ein Konkurrenzverhältnis, also das heißt, das beginnt auch schon dort, wo man junge Familien oder Gewerbebetriebe oder Einrichtungen an sich reißen möchte und die Zusammenarbeit in der Region schwächt und natürlich endet das dann oft ... ˧

 (Dark Pattern Kirchturmpolitik 
    

GW (05:45) Ja, das hat aber sehr stark mit der Gestaltung der Finanzräume zu tun, ja. Also, dass die Gemeinden untereinander stark in Konkurrenz stehen. Und daher wär´ mein Vorschlag, das Konkurrenzdenken zu überwinden, eben auch budgetär belohnt wird, ja. Und derzeit wird es faktisch als jeder gegen jeden Kampf eben ausgerichtet und derjenige, der die besseren Beziehungen hat oder eben auch die besseren Ideen hat, der gewinnt diesen Kampf oder einfach auch der Stärkere ist von der wirtschaftlichen Leistungskraft ... ˧

 (Lösungsmuster interkommunale Kooperation)
    

... und hier müsste eben das Zusammentun - nicht zuletzt, um auch gemeinschaftlich Geld zu schaffen - aber auch um etwas zu bieten den jungen Leuten was ich auf Grund dieser sehr intensiven Beschäftigung mit strukturschwachen Räumen für ganz wichtig erachte.
(06:36) Nämlich, dass man durch Zusammenarbeit auch sozusagen eine Options-qualität in manchen Bereichen bereitstellen kann, die mit städtischen Angeboten vergleichbar sind.
(06:51) Wir haben zum Beispiel in Oberkärnten kennen gelernt, wo sich zwei Gemeinden zusammengetan haben, um einen gemeinschaftlichen Kindergarten zu betreiben und da einen Kindergarten für über 100 Kinder geschaffen haben und dies ermöglichte eben dann, dass wir fünf Tarifstufen hier eingeführt wurden. Also ganz verschiedene Angebotsqualitäten, also das Kind Ganztag im Kindergarten zu belassen, nur am Vormittag, nur die Hälfte der Tage am Vormittag und dann nicht oder dann am Nachmittag und das sind eben Qualitäten, die sie sonst nur im städtischen Raum haben. Und genau so muss man denken, dass man hier eben eine Angebots-vielfalt herstellt, wo nicht jeder immer das Gleiche macht und den anderen konkurrenziert, sondern wo man gemeinschaftlich eine Vielfalt bieten kann, die sehr attraktive für junge Leute ist.
˧

 (Dark Pattern Konformitätszwang) 
    

FN (07:51) Genau. Ein weiteres dunkles Muster ländlicher Räume ist, dass sich Konflikte oft verhärten, dass man ihnen nicht ausweichen kann, dass man sie aber auch nicht austragen kann. Streitigkeiten, die oft über Generationen gehen und dann die Kommunikation vor Ort insgesamt blockieren und damit ist natürlich auch die gemeinsame Handlungsfähigkeit gelähmt, also gibt’s da auch Beispiele, wie so etwas sichtbar gemacht und vielleicht auch überwunden wurde? ˧

GW (08:25) Ja, das ist für uns oft gar nicht so sichtbar, weil uns tritt man da oft - also gerade in der Wissenschaft dann sozusagen - tritt man eben mit - so quasi man möchte am liebsten mit einer Zunge sprechen - das ist also ein großes Bedürfnis, hier die Gemeinschaft zu repräsentieren und sie nach außen auch so zu präsentieren.
(08:49) Was wir gesehen haben zum Beispiel, wo wir unbedingt eine schriftliche Befragung durchführen mussten in den Orten, dass die Gemeinden nur genehmigt haben, wenn eben das über die Gemeinde läuft. Sprich, dass die - damals waren das junge Frauen, die ihre Antwortbögen eben abgeben mussten bei der Gemeinde und natürlich niemand garantiert hat, dass diese Bögen nicht aufgemacht werden und gelesen werden. Und davor schrecken dann viele zurück und es ist … wie eine Art Zensur, ja. Die, wie sie dann, vor der sie dann Angst haben.
(09:31) Und, also da sieht man, dass das Misstrauen extrem groß ist, dass irgendjemand eben sozusagen das Image nach außen der Einheit und der Stärke dieser Einheit eben durchlöchern könnte. Also da sind wir schon damit konfrontiert.
(09:49) Also oft ist das sehr stark personenbezogen. Also ich glaube, da gibt`s nicht Rezepte, es gibt Leute, die sind soo integrativ. ˧

 (Dark Pattern Dorfkaiser) 
    

Also wir haben einmal einen Vizebürgermeister gehabt, also der war genial bis zum heutigen Tage, um Interessenkonflikte mit einer gewissen Objektivität zu lösen, wo keiner der beteiligten Kontrahenten das Gefühl hatte, er ist jetzt parteiisch, ja. Und aber auf der anderen Seite hat man ihn gerade nicht zum Bürgermeister gewählt, weil man das sichtlich als Bedrohung gesehen hat, dass der sozusagen die seit Jahrzehnten bestehenden Fronten zwischen den 2 Großparteien einfach ignoriert und unterminiert. Also, das sieht man, da gibt’s auch schon so diesen Geist, der sich da verfestigt hat von dem Sie ja gesprochen haben und den man dann schwer durchbrechen kann, ja. ˧

FN (10:48) Ja klar, das ist auch ein bisschen so, dass, wie wir es aus der großen Politik kennen, nicht. Die Durchsetzungsfähigkeit, die Hausmacht, die Netzwerke gelten ja als Qualifikation, nicht, also das heißt, jemand, der ein Macher ist und auch über gegenteilige oder oppositionelle Meinungen hinweg zu regieren vermag, der ist ja, der ist ja jemand, der, dem Respekt gebührt, nicht. Und Macht schafft Gefolgschaft und Gefolgschaft erkauft man sich durch Gefälligkeiten und so entsteht dann auch ein - möglicherweise sogar ein, ein … ˧

GW (11:32) Ein Filz! ˧

FN (11:33) Ein Filz, der in Richtung Korruption tendiert, nicht, also das ist ja alles … ˧

 (Dark Pattern Gefälligkeitsdemokratie) 
    
GW (11:39) Ja also, Gefälligkeitsdemokratie ist … das richtige Schlagwort, finde ich hier. Also das Dorfleben lebt von diesen Gefälligkeiten und gerade in meiner Profession der Raumplanung ist das ganz klar ersichtlich, wo objektive Bauentwicklungen stattfinden, wo man sagt, das wäre also absolut ein No Go und trotzdem stattfinden. Warum? Weil irgend jemand, der halt Beziehungen zum Gemeinderat hat in finanzielle Nöte geraten ist, also da, würde ich sagen, man wirtschaftet weniger heute in die eigene Tasche, also durch Korruption, ganz offensichtlich, aber es gibt andere Lösungen: z. B., dass der Betreiber einer Neuanschließung sagt: „Ich baue mir die Erschließung selber.“ und die Gemeinde dadurch nur mehr unter Anführungszeichen, muss man auch sagen, die Betriebe, den Betrieb und diese Infrastrukturen dann übernimmt. Also das sind heute so neoliberale Muster, die auch ganz stark eben nach gefälligkeits-demokratischen Elementen konnotiert sind, ja, würd` ich schon sagen. ˧

FN (12:54) Und da geht`s eigentich darum zu fragen, wie, also Sie haben jetzt dieses Beispiel von dem Vizebürgermeister, der den Ausgleich geschafft hat und ich hab` auch ein schönes Beispiel, wo ein Bildungssystem in der Gemeinde existiert hat, wo offen geredet werden konnte in Fischamend beim Adalbert Melichar, dem hat einmal ein Gemeinderat gesagt: „Wie schaffen Sie das, da drüben im Rathaus streiten wir uns permanent und bei Ihnen sind wir eigentlich immer neugierig, wie wir Probleme optimal lösen können, wie geht das?“ Das ist die Frage, wie das geht. Welche Qualitäten, welche Kriterien brauchten solche Persönlichkeiten oder solche Initiativen, damit man sozusagen das Optimum erreichen kann. ˧

GW (13:52) Es ist sicher einmal sozusagen ein bestimmtes Bildungslevel die Grundvoraussetzung, das tue ich aber nicht nur auf die akademische Bildung, sondern auch auf die Herzensbildung ausdehnen, würde ich sagen und dann eben auch nur und schon auch ein bestimmtes Wissen als verfügbar zu haben. Zweitens ist es eben schon auch die Möglichkeit, sich zu distanzieren, sprich eben hier nicht eben Subjekte, die gegeneinander kämpfen, sondern auch Interessen einfach, die hier im Widerstreit stehen, zu erkennen und dann irgendeine sogenannte gerechte Lösung erarbeiten zu können.
(14:38) Also das Schädlichste ist, wenn eine Partei natürlich erkennt, dass hier parteiisch gedacht wird und auch argumentiert wird und letztlich auch die Lösung dann eine parteiische ist. Es müssen beide Teile das Gefühl haben, jeder kommt mit seiner Anschauung bis zu einem gewissen Grad durch und der Kompromiss ist, er liegt in der Luft und wird auch gesucht, also das halte ich für ganz wichtig.
(15:04) Und dann schlussendlich ist es schon eben, wie ich meine, im ganz konkreten Fall die Persönlichkeit. Also erstens eine gewisse Grundautorität muss vorhanden sein, dann eben dieser Bildungslevel und dann natürlich auch schon vertraut sein mit dem ländlichen Leben und in dieses auch integriert sein. Also, wenn jemand von außen kommt, den findet man dann oft eben als nicht vollkommen informiert und lehnt das deshalb ab.
˧

 (Dark Pattern Gespaltenheit
    

(15:34) Also, man hat schon hier so das Gefühl oft, oder es wird auch gehegt und gepflegt und ich komm` ja aus einer Tourismusgemeinde, wo jetzt auf einmal die Zweitwohnsitze, sprich, die nicht den Hauptwohnsitz hier offiziell gemeldet haben, so als Feindlisten dem Gemeinwesen zugelassen hat, aber - ursprünglich hat man sie herbeigesehnt - weil sie haben Geld in der Tasche gehabt und haben die Bauwirtschaft eben auf Trab gehalten, haben den Konsumismus auf Trab gehalten und viele … kommerzielle Einrichtungen würde es heute gar nicht geben, wenn diese Leute nicht gekommen wären. Und heute, wo man eben selber das Maß völlig überdehnt hat, ja, sind das eben die Buhleute und werden auch einfach diskriminiert und dann sagt man: „Ja, die Zweitwohnsitzer wollen auf einmal mitregieren.“ Und das ist also ja schon einmal eine verächtliche Anrede, wenn man sagt: „Ja, die haben, …“ Man müsste ja sagen, auch die haben ein Wissen und auch gerade durch ihre Distanz sind sie oft besser dafür qualifiziert, Konflikte zu erkennen und auch zu ihrer Lösung beizutragen. ˧

FN (16:49) Ja, es geht eigentlich auch immer um die Frage, wie können diese Blockaden aufgelöst werden. Vorher haben Sie die Geschichte von sich erzählt, dass, wer nicht da ist, nicht existiert. ˧

GW (17:06) Genau. Ja. ˧

FN (17:07) Das würd ich gern noch einmal auch, sozusagen als Anekdote hier einbringen. ˧

 (Selbstvorstellung für Intro - Rückkehrerin) 
GW (17:14) Ja, also grundsätzlich bin ich ja auch jemand, der weggegangen ist aus einem 1500 Seelen zählenden Dorf, seit vielen Jahrzehnten ist die Bevölkerung relativ gleich-geblieben, aber es haben sich die Zweitwohnsitzer sozusagen von Null auf 50% der Gesamthaushalte hier mehr oder weniger jetzt entwickelt. Und ich kann nur sagen, selbst dadurch, dass ich ausbildungsbedingt, aber später dann auch berufsbedingt eben weggegangen bin, ist man gleich also hier faktisch für die Dorfgemeinschaft eigentlich verloren, anstatt man also quasi ein Interesse daran hat, hier diese Qualifikationen, die man ja erworben hat, für sich zu nützen. Also hier werden dann neue Feindbilder aufgebaut, wie eben Leute, die Zweitwohnsitzer, die glauben, die können jetzt mitregieren, aber man sieht nicht, dass die oft eine bessere Qualifikation haben, als die Leute, die nicht weggegangen sind. Ja.
(18:23) Und das ist etwas sehr Schades, das ist auch eben ein großer Nachteil fürs Gemeinwesen, weil die Außensicht oft ja auch ein ganz wichtiges Element ist, um die Situation richtig einschätzen zu können. Und was mich an der Kommunalpolitik stört, ist eigentlich, dass man oft Wege so lang beschreitet, so lang das geht und über Jahrzehnte nichts verändert und dann irgendwo bass erstaunt ist, wenn das nicht mehr honoriert wird, bzw. man Entwicklungen eingefädelt hat, die fast nicht mehr rückgängig zu machen sind oder überhaupt nicht mehr rückgängig zu machen sind, aber eigentlich nie da selbst gegengesteuert hat.
˧

FN (19:07) Wir haben vorhin ein bissl, bevor ich das begonnen hab, das aufzunehmen, über die Perspektiven sozusagen einer Aktivierung eines kommunalen Bildungswesens, also sozusagen „die freiwillige Bildungsfeuerwehr“ gesprochen, also die Idee, dass man ganz aktiv auf diese Ressourcen zugeht und sagt: „Ja, was haben wir nicht alles bei uns im Ort, was uns weiterbringen könnte? Und was haben wir auch nicht alles in den Netzwerken, was uns weiterbringen könnte? Und sollten wir nicht diese Ressourcen erschließen, um uns gemeinsam ein besseres Bild von der Zukunft zu machen? Zu wissen, wie wir unsere Ressourcen, wie wir unser Zusammenleben so produktiv wie möglich gestalten?“ Da kann auch Kultur eine Rolle spielen, da kann auch sozusagen Begegnung eine Rolle spielen. Haben Sie da gute Beispiele, wo das ein bisschen Gestalt angenommen hat? ˧

GW (20:15) Ja, also grundsätzlich muss man sagen, die ganze Geschichte beginnt ja dann nach dem Zuzug, dass man auch willkommen geheißen wird, also das halte ich für ein ganz wesentliches Element, das auch die Gemeinschaft zum Beispiel Willkommens-feste veranstaltet, wo dann auch die Neuzuzügler eben sozusagen vorgestellt werden, wenn sie das möchten, aber einfach auch symbolisch integriert werden in die Dorfgemeinschaft.
(20:43) Das heißt aber auch, dass die Zuzügler z. B. einen Besuch eines Bürger-meisters erwarten dürfen/sollten und eine Willkommensmappe, wo jetzt dann die Basics drin stehen, die das Gemeinwesen eben prägen, wo auch Zusammenkommen eben möglich ist. Aber zugleich auch das Angebot z. B. einen Mentor oder eine Mentorin zu haben, um einmal Grundvoraussetzungen, wie hier eben das Zusammenleben bisher funktioniert hat und wie man sich da einklinken kann und natürlich das Vorhandene dann auch sich zunutze machen kann.
(21:22) Also das sind ganz wesentliche Elemente, es sind eben auch Elemente, dass die Kinder oft ein gutes Trittbrett sind, um eben z. B. über den Kindergarten und über die Schule hier diese Integrationsfunktionsfunktion übernehmen zu können, wo eben dann auch die Eltern oder Elternteile immer wieder partizipieren können.
(21:46) Also es ist ganz wesentlich, eben Orte der Begegnung zu schaffen, aber auch - glaube ich dann - das Potential der Ankommenden einmal zu hinterfragen und zu schauen, wie man es auch für das Gemeinwesen nutzen kann und die Funktions-fähigkeit, aber auch die Verbreitung der Basis des Gemeinwesens eben besser nützen zu können.
(22:10) Also Zuzügler dürfen nicht als Problemmacher gesehen werden, sondern eben auch ihr Potenzial als potentielle Problemlöser, weil sie haben ja auch eine gewisse Intention gehabt, an den Ort X zu ziehen, um eben hier sich bestmöglich entfalten zu wollen und zu können.
(21:31) Also da ist ein hohes Maß an Willkommenskultur einfach die Basis dafür und das sieht man oft nicht, weil man - glaube ich - oft auch ein bisschen Angst hat, dass hier jemand kommt, um einem das Heft aus der Hand zu nehmen und das Ganze in eine Richtung steuert, wo eben dann die Dorfgemeinschaft nicht mitgehen will oder wo man nicht die Leithammelfunktion dann weiterhin spielen könnte, sondern diese verliert.
(23:04) Also es ist auch hier die Angst vor zu viel Wissen, die Angst vor zu viel Bildung, die Angst vor zu viel Geld oft, die dann hier diese Leute immer kritisch beäugt und wo man dann schaut, sie möglichst aus dem Gemeinwesen und deren Entscheidungs-gremien z. B. herauszuhalten, anstatt die Potentiale, die darin liegen, besser zu nützen.
˧

FN (23:33) Super. Ich glaub` das ist genau das, was ich jetzt gebraucht hab`. ˧

GW (23:38) Ich habe auch Sie gesehen, wie Sie genickt haben und haben auch auf ??? gesprochen. ˧

FN (23:44) Ja, ja, klar. Das ist ja wirklich schön. Ich weiß nicht, ob sie die Geschichte vom Michael Nader kennen, in Maria Laach am Jauerling. Der war dort Volksschuldirektor, man kannte ihn sogar bis China, aber in Österreich hat ihn kein Mensch gekannt, der hat in den Siebziger und Achziger Jahren seine Hochzeit gehabt, da hat er … „Die Schule als Herz der Gemeinde“ war sein Leitspruch, da hat er als Volksschuldirektor in einem Dorf mit sehr, sehr vielen Zuzüglern - also so eh genau diese Situation, die dann auch - egal ob Hauptwohnsitz oder Nebenwohnsitz - die aber vor allem weggependelt sind, die quasi das Dorf nur als Schlafplatz genutzt haben. Aber die Kinder waren natürlich in der Volksschule. Da hat er die Idee gehabt, er fordert die Kinder auf, die Eltern dazu zu überreden, jeweils die Geburtstagsfeier für ihre Freunde plus deren Eltern zu machen. Das war, … ich hab das … ˧

GW (24:58) Sehr nette Idee, ja. ˧

FN (25:01) … so genial gefunden, nicht. ˧

GW (25:01) Ja, ganz einfach eben, ja. ˧

FN (25:04) Ganz eine einfache Idee und auf die Art und Weise sind Menschen, die einander nicht gekannt haben, aber deren - wie Sie gesagt haben, nicht - deren Kinder in die Schule gegangen sind, aber dass die Kinder alleine hätten das nicht g`schafft, aber wenn man das sozusagen so arrangiert, dass die Kinder ihre Freunde einladen, aber die Freunde sozusagen bringen ihre Eltern mit, dann ist sozusagen diese Alchemie in diesem Dorf passiert und ich fand das eine großartige soziale Erfindung und ich bin eigentlich ziemlich - wie soll ich sagen - konsterniert, dass solche sozialen Erfindungen nicht zum, wie soll ich sagen, nicht zum Alltagswissen in unseren Gemeinden … ˧

GW (25:48) Multipliziert, …. mulitpliziert werden, ja. ˧

FN (25:52) Genau! ˧

GW (25:54) Was ich auch sehe und auch rückblickend natürlich, ich weiß gar nicht, ob das jetzt wirklich sehr viel Aktualitätsgrad hat, also wir haben auch in unserem Dorf ein Heim gehabt für Kinder, ja, die meistens eben aus Linz gekommen sind - das ist unsere Landeshauptstadt und wo die Eltern offensichtlich so beschäftigt waren, dass sie ihre Kinder sozusagen ins Heim abgegeben haben. Und dass diese Heimkinder derartig diskriminiert wurden in der Schule von den anderen Kindern, also dass man sie nie als Teil der Gemeinschaft eben schon … wir waren ja alle total kleine Kinder, ja, und ohne viele Vorbehalte, aber dass dieses Fremde sozusagen, elternlose, schutzlose, das war den Kindern in unserer Klasse sehr suspekt, immer und was ich heute sehe, wenn wir Klassenzusammenkünfte haben, dass diese Kinder nie mehr gekommen sind, ja. Weil sie das so als kränkend empfunden haben, dass man sie nicht aufgenommen hat, schon einmal ordentlich in die Klassengemeinschaft und dass sie vor allem nie aufgenommen wurden von der Dorfgemeinschaft.
˧

(27:09) Und das sind also ganz große Verluste, die man damit eingefädelt hat, die bis ins Erwachsenenalter und vielleicht bis zum Tode sozusagen wirken. Und da sieht man schon auch, dass da große Fehlentwicklungen in den kleinen Dörfern stattgefunden haben und Gott sei Dank! Aber das muss ich schon auch sagen, ich erlebe ja mein Dorf ja jetzt seit 70 Jahren und vielleicht seit 60 Jahren einigermaßen bewusst, wo ich feststellen kann, dass schon also hier einiges aufgebrochen ist.
(27:44) Also, dass auch Leute, die selbst eher kontaktfreudig sind und allein schon durch den ganz anderen Heiratsmarkt, also aus ganz anderen, oft Weltregionen kommen - also wir haben da sicher Japaner, Türken und alles Mögliche in unserer Dorfgemeinschaft. Das die oft dann schon und das hat auch so ein … also sozusagen …
(28:06) Man kann nicht alles nur der Dorfgemeinschaft anlasten. Wenn die andere Seite integrationswillig ist und auch entsprechende Signale sendet, dass die schon aufgenommen wird. Also da würde ich sagen, … das Ganze hat schon viele Fortschritte gemacht, in Hinblick auf diese Kultur, dass man nicht mehr das Fremde als Fremde empfindet und wahrscheinlich hier das aufeinander zugehen heute leichter gelingt, als im städtischen Raum, wo das Ganze einfach anonymer ist und auch, wie die Konstellationen sind, hier nicht so gut überblicken kann. (28:43) Also ich würde hier da dem ländlichen Raum nicht eine besondere Schwer-fälligkeit anlasten wollen. Heute! ˧

FN (28:50) Also, vielleicht ist eben beides zugleich der Fall, so habe ich das eigentlich immer erlebt. Meine Zuneigung zu ländlichen Räumen ergibt sich ja dadurch, dass ich immer die Erfahrung gemacht habe, ich kann in ländlichen Räumen, in Dörfern, an der Peripherie, ich kann dort verbindliche menschliche Beziehungen sehr viel leichter eingehen, als in der Stadt, wo alles total oberflächlich, unverbindlich und sinnlos ist. Ich kann dort wirklich… ˧

GW (29:25) Und in der … in der gleichen Sozialschicht sozusagen stattfindet, ja. ˧

FN (29:29) In der gleichen Sozialschicht stattfindet und vielleicht mich gar nicht sehr bereichert, weil wir sowieso dieselben Erfahrungen haben und so weiter, nicht? ˧

GW (29:37) Also man sucht die Verstärkung sozusagen in der Stadt und sie wird auch geleistet. Die eigene Lebensführung. ˧

FN (29:43) Wer`s mag, ja. Genau das, nicht…. Das Tolle an … selbst wenn ich im Urlaub war und war in einem Dorf und dort war jemand auch zu Besuch, dann war einfach die Chemie anders, also das heißt vor diesem Hintergrund gab`s auch wirklich die Möglichkeit, ganz anders menschlich aufeinander einzugehen, als wenn wir in der Stadt gewesen wären, also diese eine Seite und auch dieses unterstützt werden durch Gastfreundschaft, durch ganz viele traditionelle Qualitäten, die ländliche Räume oft auszeichnen, und auch das andere, also das war unmittelbar nebeneinander, …, ich kann mich erinnern, in Griechenland, da war eine eingewanderte Zypriotin und ein bodenständiger, griechischer Dorfwirt - das war in Balos auf so einem Küstendorf in Samos - die waren Todfeinde, also das war einfach nicht auszuhalten, also das heißt, im selben Moment die größte warmherzige Beziehung und im selben Moment die größte Ablehnung und ich glaub, das sind die Kräfte, mit denen man umzugehen lernen muss und da vielleicht auch in irgendeiner Form beeinflussen lernen muss durch solche Prozesse, wie Sie sie geschildert haben. ˧

GW (31:19) Also, was ich sehe, ist … das war auch so meine eigene Erfahrung. Ich hab ja sehr viel Kontakt eben mit Japan gehabt und hab dann entweder Studenten oder auch Kollegen zu mir nach Hause … eingeladen, um mit mir hier einige Tage - oder eine gewisse Zeit halt - zu verbringen und was ich dann gesehen hab ist, dass z. B. meine Nachbarn natürlich erkannt haben, dass diese Leute anders ausschauen, als wir und ich sage, gefremdelt haben. Und man tut das aber oft missinterpretieren als ausländerfeindlich. Die sind nicht ausländerfeindlich, die haben nur Angst, dass sie jetzt zum Beispiel nicht mit denen Englisch reden können auf einem Niveau, wo man halt sagt, also, da ist eine Unterhaltung möglich. Also, ich sehe dieses eher - das Fremdeln - nicht als irgendwie etwas, das Ablehnen, sondern eher diese eigene Unzukömmlichkeit, dass man die halt möglichst verdeckt und sich gar nicht der Situation ausliefern möchte, wo man dann eben ein Gespräch mit jemand führen sollte, das erstens nicht in der Muttersprache wahrscheinlich ablaufen wird und zweitens vielleicht eben, dass man diesen Kultursprung als so groß empfindet, dass man vielleicht Angst hat, den überhaupt noch zu verstehen, was er meint. Also ich sehe das gar nicht so, immer diese Schwarz-Weiß-Malerei, dass man da feindlich ist gegenüber allem, was fremd ist. Man hat eine normale Skepsis, das hat jeder Hund auch, indem er den anderen einmal beschnüffelt und vielleicht dann auch weitergeht, ohne Kontaktnahme. ˧

FN (33:04) Okay. Ich glaube, das war sehr reichhaltig, die Ernte. ˧

 (Selbstvorstellung 
    
GW (33:11) Na, freut mich, ja. Ja und das sind auch Lieblingsthemen von mir, diese sozialen, wo ich da oft mehr erfühle, als dass ich es wirklich dann belegen könnte. Also ich erlebe eben, ich lebe auch in zwei Welten, ich muss sagen, ich genieße das extrem. Mein Leben ist dadurch sehr reich, ich hab einerseits den akademischen Hintergrund und die Beschäftigung in einer Großstadt und zugleich dieses Bodenständige, das ich mit dem Bauernhof verbinde, das ist eine unglaubliche Bereicherung und ich muss daher gar nicht großen Reisen mehr machen, weil ich in diesen zwei Welten so viel erleb und so viel Schönes aber auch natürlich Schiaches, wo man sich ärgern muss, aber trotzdem, beides sind Erfahrungswelten, die ich nicht missen möchte. ˧

FN (34:01) Super! Gut, ja. Danke für heute, würde ich sagen. ˧

GW (34:07) Ich danke auch für Ihr Interesse und für das ausführliche Gespräch, weil man … oft wird man so gehudelt und man muss alles kurz sagen und dann ist man schon wieder weg. Also vielen Dank für diese Hingabe an das Gespräch und wenn ich was beitragen konnte, freut`s mich und jetzt wünsche ich Ihnen, dass diese Barrieren auch sich langsam lockern können in Ihrer eigenen Erfahrungswelt und vor allem freut`s mich, zu sehen, dass Sie wirklich ihre Bestimmung gefunden haben und da mit großer Zufriedenheit und Engagement diesen Faden aufnehmen und verfolgen. ˧

FN (34:47) Dankeschön! Danke! ˧

GW (34:49) Danke auch und alles Gute und wenn wieder was benötigt wird, gerne, ich mache das gern. ˧

FN (34:55) Super! ˧

GW (34:55) Mir taugt das, wenn man über das sprechen darf, was einem selber am Herzen liegt. ˧