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Vortrag am Entrepreneurs Day 23.10.

/Hintergrund /Context ˧

Urbane Qualitäten für ländliche Regionen.
Und umgekehrt!
Gedanken zu Frithjof Bergmanns: "Wir müssen alle wieder Bauern werden"

Folie1 - Titel ˧

Wenn auf diesen Entrepreneurship Day die große Transformation auf der Tagesordnung steht, wenn zumindest in unserem Kreis klar ist dass Entrepreneurship heutzutage nicht mehr einfach heißen kann irgendetwas etwas Neues zu erfinden und maximale Gewinne einzufahren, sondern sich verstärkt um Sinnhaftigkeit und Zukunftsfähigkeit zu bemühen, dann sind in Frithjof Bergmanns Konzept der neuen Arbeit durchaus wichtige Ansatzpunkte zu finden auch und gerade für eine neue Entrepreneurship Sinnhaftigkeit und Zukunftsfähigkeit sind nur zu finden, wenn wir auf eine gemeinsame Rahmenerzählung hinarbeiten. Frithjofs Rahmenerzählung war immer bestimmt von der Suche nach dem, was die Gesellschaft wieder handlungsfähig macht, nach dem Gegenmittel gegen die lähmende Spaltung in Beschäftigte und Arbeitslose, Reiche und Arme, Gedeihende und Darbende. ˧

In den mehr als 15 Jahren in denen ich mit ihm im Austausch war, hat sich Frithjofs Perspektive und Ausdrucksweise radikalisiert. Während New Work in der Öffentlichkeit der Managementtheorien und Unternehmensberater unterschwellig und dann immer expliziter zu einem Wohlfühlkonzept für Angestellte domestiziert wurde, hat Frithjof immer wieder sein Augenmerk auf diejenigen gerichtet, die aller Mitteln beraubt waren ihre Lage zu verbessern. Das waren Arbeitslose in den Metropolen, aber das waren auch und genausosehr die Slumbewohner und heimatlos gemachten Landbewohner an den Peripherien. Wenn ich hier der Kürze wegen aufs Gendern verzichte, dann soll das nicht heißen dass nicht gerade auch und insbesondere den Frauen als Zukunftskraft seine besondere Aufmerksamkeit galt. ˧

Die Globaldiagnose war, dass im Interesse des Blühens und Gedeihens der Geldwirtschaft die Menschheit wie ein Lamm das zur Schlachtbank geführt wird, gespalten wird. Das Resultat dieser "Schlachtspaltung" ist einerseits die geographische und soziale Dissoziation von "Wüstenmenschen" und "Oasenmenschen". Andererseits ist es tatsächlich eine verwüstete Welt, die uns die unselige Kombination von Industriesystem und der sogenannten Grünen Revolution hinterlassen hat. ˧

Folie 2 - Globale Verwüstung 1 ˧

An die Stelle der in vielen Kulturen gelebten Regenerativität trat die Auslaugung, Erosion, Verdichtung des Bodens durch mangelnde Rückführung der organischen Substanz und somit der dramatische Abbau der Humusschicht, die großflächige Monokultur und damit einhergehend die Zerstörung der unsichtbaren natürlichen Helfer wie Bienen und ihrer Rückzugsräume wie Hecken, was durch den Einsatz schwerer Landmaschinen und den übermäßigen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden nur beschleunigt wurde. Der dabei eingesetzte Stickstoff beeinträchtigt nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, sondern führt zu einer weiteren Kette von Schäden an Mensch und Natur, ebenso wie die nebenbei immer knapper werdenden Phosphate und die Schwermetalle in Pestiziden. ˧

Eine übermäßige Fleischproduktion bedingt nicht nur Risiken und Umweltbelastung durch Massentierhaltung, sie ist auch extrem ineffizient und verschwendet Land zur Futtermittelproduktion mit Mais und Soja als Hauptpflanzen. ˧

Das ist paradox: Weltweit sind die Ernteerträge der Hochleistungsladwirtschaft wegen Bodenerosion und Wetterextremen am Sinken. Gleichzeitig bedeutet das auch, dass die Fähigkeit der Böden und der natürlichen Ökosysteme, Wasser zu speichern leidet. Werden einerseits die natürlichen Mikroklimata und die Speicherungsfägigkeit des Bodens zerstört, wird andererseits die industrielle Landwirtschaft durstig wie ein Fieberkranker. ˧ ˧

Folie 3 - Globale Verwüstung 2 ˧

Weltweit werden nach wie vor jedes Jahr 24 Milliarden Tonnen fruchtbares Erdreich weggeschwemmt, verweht, vernichtet. Damit könnte die gesamte Agrarfläche der USA bedeckt werden. Seit 1945 sind so schon 1,2 Milliarden Hektar fruchtbarer Boden durch Degradation verloren gegangen – das entspricht der gemeinsamen Landfläche von China und Indien. Die weltweit von Verödung bedrohten Gebiete wurden allerdings schon im Jahr 2000 von der UNEP (Umweltorganisation der Vereinten Nationen) auf noch viel mehr, 3,6 Milliarden Hektar geschätzt, was einem Viertel der globalen Landmasse entspricht. Mittlerweile betrifft uns diese Entwicklung auch in Europa in dramatischem Ausmaß. In Spanien haben sich bereits 40% der Landfläche in unfruchtbare Trockengebiete verwandelt, konsequenterweise stehen mittlerweile tausende Dörfer leer. ˧

Während sich diese Situation durch den Klimawandel nur beschleunigen kann und ihrerseits auch den Klimawandel beschleunigt, ist dieser nur ein Aspekt der Verwüstung: <Zu Wasser, zu Land und in der Luft erleben wir, wie unser Planet durch das Industriesystem mit all seinen Auswirkungen unbewohnbar gemacht wird. Die Stichworte sind uns allen bekannt und man muss es sich doch immer wieder vor Augen führen: ˧

  • Versauerung, Vergiftung, Verseuchung und Überfischung der Meere ˧
  • Zerstörung der Regenwälder für Palmöl, Agrartreibstoff, oder Futtermittel der Fleischproduktion. ˧
  • Freisetzung von Giften und schädlichen Substanzen aller Art durch Industrie und Ausbeutung von Bodenschätzen, vor allem im globalen Süden, die Bilder von brechenden Dämmen und von Industrieschlamm, der sich über Mensch und Landschaft ergießt. All das wiederholt sich immer öfter. ˧
Weltweit sind 1,3 Milliarden Menschen die zumeist Subsistenzlandwirtschaft betreiben auf degradierenden Böden gefangen, zum Beispiel im Subsaharabereich Afrikas. Eine katastrophale Dürre in Madagaskar hat es kurz in die Medienberichte geschafft, tausende Menschen fielen dem Hungertod zum Opfer. War im Jahr 2014 noch von einem Erfolg gegen die Armut die Rede weil "nur" 600 Millionen Menschen kritisch unterernährt seien so sind es heute wieder weit über 800 Millionen Menschen weltweit - weitere 2,3 Milliarden haben keinen Zugang zu regelmäßiger geschweige denn gesunder Ernährung. ˧ ˧

Folie 4 - Die blaue Pille ˧

Bis dato hatten wir noch eine große Blaue Beruhigungspille: die Hoffnung, dass durch Migration in die Megastädte diese Entwicklung aufgefangen werden könne. Die Stadt erschien in vieler Hinsicht ökologischer, kurze Wege, gemeinsame Infrastrukturen, eine Vielzahl von Möglichkeiten der individuellen Entfaltung. Die Menschen sind platz- und raumsparend verpackt und stellen keine zusätzlichen weiteren Ansprüche auf Grund und Boden mehr. ˧

Nicht zuletzt Covid hat uns eines besseren belehrt: die Städte sind energie- und ressourcenabhängige Moster und krisenanfälliger als man uns glauben machen wollte. Und auch die Hoffnung, nach dem Zusammenbruch der globalen Landwirtschaft in ein Zeitalter der Postlandwirtschaft einzutreten, mit Farmwolkenkratzern und Kunstfleischlaboren, scheitert zunehmend an Kosten, Kaufkraft aber auch an tausend Unmöglichkeiten im Detail. ˧

Weltweit hat die COVID Krise eine Abstimmung mit den Füßen ausgelöst und viele Menschen haben praktisch erfahren, dass die modernen Kommunikationtechnologien auch das Leben jenseits der Städte wieder möglich machen. ˧

Folie 5 - Die rote Pille ˧

Nicht von ungefähr haben uns die Vereinten Nationen 2021 mit dem World Social Report eine rote Pille verabreicht und Jahrzehnte der Propaganda für Urbanisierung in den Müll geschmissen. Armutsbekämpfung und Urbanisierung müssen vor Ort stattfinden oder sie finden gar nicht statt. ˧

Auch das Märchen vom Menschen als Parasiten der Natur wird zunehmend zu Grabe getragen. Und wir erkennen wieder die Wahrheit von Aussagen wie etwa die von Christopher Alexander: ˧

"Wenn sich das Gewicht der Bevölkerung zu stark in Richtung der großen Städte verschiebt dann wird das die Erde ruinieren, weil die Menschen nicht dort sind wo es nötig ist, um sie zu bewahren". ˧

In der Tat haben wir heute fast vergessen, von wo das Wort "Kultur" eigentlich stammt! das lateinische "Cultura" entstammt der Landwirtschaft und bedeutet „Bebauung, Bearbeitung, Bestellung, Pflege“, das dazugehörige verb colere („bebauen, pflegen, urbar machen, ausbilden“) . ˧

Es wäre schön, wenn diese Botschaft verstanden würde und wir in Europa dem Rest der Welt demonstrieren könnten, wie wichtig der Erhalt und die Zukunft der Dörfer und ländlichen Räume für die Bewältigung der planetaren Krise ist. Gerade an unseren sich entleerenden ländlichen Räumen sehen wir, dass wir keine Bevölkerungsexplosion zu befürchten haben. ˧

Folie 6 Riace ˧

Ganz im Gegenteil: Gemeinden wie das kalabrische Riace haben demonstriert, wie größere Migrantenströme temporär absorbiert werden könnten - und wie der europäische Weg auch für die Menschen die alles verloren haben ein gewaltiges Lernfeld sein könnte, langfristig einen sinnvollen und nachhaltigen Wiederaufbau in ihren Heimatländern in Gang zu setzen. Bürgermeister Mimmo Lucano hatte Bootsflüchtlkinge aufgenommen und den Neuankömmlingen die leeren Häuser der Weggezogenen überlassen, während Europa Mauern baute, dort entstanden auch, getragen von den Migranten, eine Reihe von kleinen Unternehmen! Doch was ist passiert? Riace wurde zum Show-Objekt, wurde überflutet von Menschen und eine korruptionsanfälige Hilfegelderindustrie entstand. Letztlich wurde der Bürgermeister von der migrationsfeindlichen Regierung symbolisch zum Sündenbock gemacht und kriminalisiert. ˧

Müsste man nicht systematisch diese Potentiale einsetzen und zum Ziel einer neuen Renaissance ländlicher Räume machen? ˧

Folie 7 Lößplateau ˧

Was das Heimkehren und Wiederaufbauen betrifft: Mitten in China wurde ein komplett degradiertes, von Ziegen kahlgefressenes und von der Bodenerosion verwüstetes Land mit Hilfe der lokalen Bevölkerung wieder zum Blühen gebracht. Und zwar kein kleines Stück Land, sondern bis dato schon dreißigtausend Quadratkilometer des zentralchinesischen Lößplateaus. Ich empfehle, sich den Film "Hoffnung in einem sich wandelnden Klima" von John Liu anzusehen. Die Kunst der Wasserretention, entwickelt und verfeinert von Generationen von Experten, ist der Schlüssel zur Wiederherstellung und auch Neuschaffung von Kulturlandschaft. ˧

Folie 8 - die Vison ˧

Aus all dem gesagten folgt: Wir müssen alle Energien, die unsere Zivilisation noch übrig hathat, für die Ausdehnung und den Ausbau der Kulturlandschaft in all ihren Facetten einsetzen. Alles andere ist Stühlerücken auf der Titanic. In der Tat: wir müssen alle wieder Bauern werden, auf eine neue und faszinierende Art, die das beste der städtischen Lebensweise in eine neue Beziehung zur Natur aufhebt. Dazu gehört auch, dass wir der Natur statt giftiger Abfallberge echte Nährstoffe zurückgeben. und viel mehr, wir müssen unser gesamtes System der Kultur wieder von der Natur inspirieren lassen. das möchte ich mit einem Zitat von Hans Werner Mackwitz ausdrücken: ˧

"Ein Baum zum Beispiel ist eine wunderbare Inspiration für Design: Die Idee, ein Gebäude wie einen Baum zu gestalten, heißt, ein Gebäude zu entwerfen, das Sauerstoff produziert, Sonnenenergie nutzt, Wasser reinigt und vieles mehr" und weiter: "Die wirklich „schönen“ Dinge des Lebens weisen nicht nur ein hübsches oder extravagantes Design auf; sie sind nicht nur elegant oder reizend, witzig oder originell; sie sind schön dann, wenn sie die Alltäglichkeit verklären helfen, indem sie die technischen, kommunikativen und sozialen Funktionalitäten mit einer Qualität versehen, die nicht nur unseren Sinnesorganen schmeichelt und unseren Geschmack befriedigt, sondern eine Ahnung davon vermittelt, was es hieße, mit all unseren zivilisatorischen Versatzstücken Teil einer großen und harmonischen Kreislaufkultur zu sein und auch deshalb ein geglücktes Leben zu führen." ˧

Ich glaube mit dieser gelungenen Beschreibung von Hanswerner Mackwitz können wir zurückkehren zu unserem Frithjof Bergmann Einstieg und die frage, warum wir alle wieder zu Bauern werden müssen, beantworten. Es bedeutet eben mit all unseren Potentialen, und das heißt nur mehr zu einem Bruchteil mit unserem Handanlegen, vielmehr auch und gerade mit unseren kreativen Potenzen, unserer Vorstellungskraft, unserer Neugierde, unserer Erfindungsgabe, unserer Kombinatorik, unserer wissenschaftlichen Skepsis und so weiter quasi nach Hause zurückkehren, dort, wo unsere Ahnen im Schweiße ihres Angesichts und unter sehr schwierigen und keineswegs idyllischen Bedingungen ihr Leben bestritten. Wir haben in der städtischen und in der globalen Epoche all die Fähigkeiten erworben, die diese Reise ins Kleine, Unscheinbare, scheinbar beschränkte und Umgrenzte zu einem spannenderen und lohnenderen Abenteuer machen als die utopischen und zugleich sinnfreien Eskapaden in die Leere des Weltraums. ˧

Wenn wir mit dieser Perspektive unseren Geist nach Hause bringen, dann wird sich auch bewahrheiten, was Frithjof mit großer Sicherheit mitgemeint hat und womit ich meine Sendung für heute beschließen möchte: Reale Freiheit gibt es dort und nur dort wo sie einen Boden unter den Füßen hat. ˧