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16 Das Digitale Gottesgeschenk


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AGORA Sendung - Ausstrahlung 25. Jänner 2021 ˧

In memoriam Kim Veltman
http://www.give.at/give/monastery21.html
/Materialsammlung
/Ergänzungen (die übersetzte Keynote von 2002 auf die sich dieser Text stützt)
zweiter Teil

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Einleitung   
Übersicht   
Erster Aspekt: Multimedialität und die neuen Möglichkeiten des Lernens   
Musikauswahl:   
(Musik 0) (Jingle)   
(Musik1)   
(Musik2)   
(Music3)   
(Music4)   
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Einleitung    

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, hier ist wieder einmal Franz Nahrada aus Bad Radkersburg mit der Sendung "Willkommen im Globalen Dorf" - ursprünglich auf Radio Agora, aber wie ich hoffe danach auch in vielen anderen freien Radios.


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Heute möchte ich schön langsam ans Ende des Zyklus zur Bildung kommen Und ich beginne mit einem Rückblick: in Sendung 11 haben wir begonnen uns mit diesem archimedischen Hebel der Globalen Dörfer beschäftigt haben, der Dörfer wieder zum Leben zu bringen vermag. Dann haben wir wiederum - quasi spiegelbildlich - in Sendung 12 festgestellt, dass eigentlich das Dorf die optimale menschliche Entwicklungs- und Bildungumgebung ist. In Sendung 13 habe ich von der Wiederauferstehung einer anderen alten Form der Bildung und Selbstbildung berichtet, von klosterähnlichen Gemeinschaften die in unserer Zeit des Wandels ein Totalexperiment in Richtung gemeinschaftlicher Selbstbestimmung wagen, und möglicherweise auch neuer Wissensinstitutionen hervorbringen werden. In der vierzehnten Sendung ging es um die engen Zusammenhänge von Bildung und räumlicher Entwicklung, und in der fünfzehnten um ein großartiges Experiment einer lernenden Region. ˧

Heute möchte ich mich nun abschließend einem Thema zuwenden, das in meinem Verständnis die Hauptproduktivkraft der Entwicklung zu einem Wiederaufstieg von Dörfern und ländlichen Regionen und auch einer Revolutionierung der Bildung ist, obwohl es viele Jahrzehnte so ausgesehen hat als würde diese Entwicklung nur verzögert oder nie eintreffen. Wenn die heutige Sendung das Thema "das digitale Gottesgeschenk" trägt, dann mag das wieder einmal viele unter Euch / unter Ihnen verwundern. (2:21) ˧

Erleben wir nicht gerade aufgrund der digitalen Technologien eine Machtverschiebung von geradezu historischen Ausmaßen? Werden wir nicht Zeuge eines noch nie dagewesenen Umbruchs, eines Transfers von Reichtum, Aufmerksamkeit und Einfluss zu den digitalen Konzernen und Medienmächten, die wirklich so weit geht, Zivilgesellschaft und Poltik als zunehmend handlungsunfähig erscheinen zu lassen, die Agenden der Gegenwart und vor allem der Zukunft zu bestimmen und - durchaus im Bündnis mit Staat und Herrschaft - ein System der sozialen Kontrolle zu errichten das es mit den schlimmsten Dystopien aufnehmen kann? Und vermeinen wir nicht auch manchmal schon den bedrohlichen Vorgeschmack der Singularität zu verspüren, wenn sogenannte künstliche Intelligenz den Menschen nacheinander in immer mehr Bereichen der Arbeit und des gesellschaftlichen Verkehrs übertrifft? Haben wir nicht schon längst die Wirkungen verspürt die die globalen Datenströme im Bereich der Produktion hinterlassen, wo sie eine globale Gesamtfabrik ermöglicht haben deren weltweite logistische und fertigungstechnische Wucht in immer mehr Sektoren der Wirtschaft jede Eigenständigkeit zunichte macht? Die Kapazitäten und Fabriken an den entlegensten Punkten der Erde aufbauen und vernichten kann wie es ihren digital kompilierten Marktanalysen gefällt? Die auch das Medium Geld in elektronische Impulse verwandelt hat, nicht nur Käufe und Verkäufe, Kreditvergaben und Aktienkurse digitalisiert hat, sondern auch zunehmend autonomen blitzschnellen automatisierten Entscheidungssystemen die Steuerung der planetaren Geldströme und Kreditierungen überlässt? Und wachsen nicht gerade durch diese intransparenten Entscheidungskaskaden in Lichtgeschwindigkeit die Ressourcen der Beherrscher des Weltmarktes an, die sich zunehmend mit ihren ehrgeizigen Plänen für Kommunikationsinfrastruktur und neue Geschäftsfelder auch zu den Nutzern des Weltraums und der Meere entwickeln, den Großmächten allenfalls noch die militärische Absicherung zuweisen, die aber selbst bereits von privaten Armeen erledigt wird? Nichts scheint auf lange Sicht dieser unheiligen Allianz aus Digitalisierung und Privatmacht des Geldes standzuhalten, aus den staatlichen Telefongesellschaften wurden private Konkurrenten, und als die Verfügbarkeit der digitalen Kopie auch das Kulturerbe der Museen und Archive zum Geschäftsgegenstand werden ließ, waren sofort die geschäftlichen Nutznießer von Lizenzen und Eigentumsrechten an den Originalen zur Stelle, um einen lukrativen Markt aus den vergangenen Kulturleistungen der Menschheit aufzubauen, von denen keine einzige existieren würde wenn ein zeitgenössisches Controlling oder Management über ihr Zustandekommen hätte entscheiden können. Es ist, als wären wir wie die Zauberlehrlinge mit Kräften konfrontiert, die nun gar keiner menschlichen Charaktermasken mehr bedürfen, sondern solche allenfalls für den Umgang mit uns simulieren, Avatare, die uns erklären dass aus Effizienzkriterien diese oder jene Entscheidung zu treffen ist. (6:30) ˧

Aber die Wahrheit ist immer noch: Alle diese scheinbar objektivierten Prozesse sind nichts anders als verwandelte Gestalten dessen, was wir schon Jahrtausende mit uns herumschleppen, einer großen Megamaschine eben, in der Menschen nicht aus freier Entscheidung kooperieren, sondern wo sich gesellschaftliche Zwänge in einem Wettbewerb von Machtapparaten historisch entwickelt und perfektioniert haben. Und nun, wo die Technik so ziemlich alles hergibt was man sich von ihr nur erträumen kann im Guten wie im Schlechten - wird sie selbst mehr denn je Träger und Exekutor von Gesetzen, die in wirklichkeit gar nicht die ihren sind. Sie macht sogar die Menschen die glaubten systemrelevant zu sein, immer überflüssiger. Aber genau das führt auch, man kann es kaum glauben, an die ehernen Grenzen jenes Gesellschaftssystems, das sich scheinbar so bequem automatisieren und perpetuieren wollte. Die elektronisch gesteuerten Fabriken produzieren ohne lebendige menschliche Arbeit zunehmend keinen Wert mehr, der Grenzertrag geht gegen null, die Kreditsimulation muss astronomisch aufgebläht werden und bricht doch naturnotwendig irgendwann zusammen. (8:25) ˧

Der Begründer der modernen Kybernetik, Norbert Wiener, hat diese Entwicklung vorhergesagt, als er 1948 schrieb: "Ich kann vielleicht den Hintergrund der gegenwärtigen Situation erläutern, wenn ich sage, dass die Erste industrielle Revolution, die Revolution der “finsteren satanischen Fabriken”, die Entwertung des menschlichen Armes durch die Konkurrenz der Maschine war......Die moderne industrielle Revolution ist in ähnlicher Weise dazu bestimmt, das menschliche Gehirn zu entwerten, wenigstens in seinen einfacheren und mehr routinemäßigen Entscheidungen ... Wenn man sich diese ... Revolution abgeschlossen denkt, hat das durchschnittliche menschliche Wesen mit mittelmäßigen oder noch geringeren Kenntnissen nichts zu verkaufen, was für irgend jemanden das Geld wert wäre”. ˧

Es steht zu befürchten, dass Wieners düstere Prognose von der derzeitigen Entwicklung noch weit in den Schatten gestellt wird Der stark von Wiener beeinflusste Max Bense erweiterte Wieners Prognose schon 1951 zu einer Veränderung nicht nur der Produktion, sondern der gesamten Lebenswelt "Die kybernetische Erweiterung der neuzeitlichen Technik bedeutet also ihre Erweiterung unter die Haut der Welt; Technik kann in keiner Weise mehr isoliert (objektiviert) betrachtet werden vom Weltprozess und seinen soziologischen, ideologischen und vitalen Phasen." (Max Bense, Kybernetik oder die Metatechnik einer Maschine, Merkur 1951). ˧

Gleichzeitig bauen sich aber genau mit den digitalen Medien die Konturen einer ganz anderen Gesellschaft auf, jenseits des Industriesystems, jenseits von erzwungener Abhängigkeit, jenseits von Eigentum und Monopolen und den riesigen verschwenderischen Gewaltapparaten die deren Funktionieren sichern, wahrscheinlich sogar jenseits von Wert und Geld. Eine Gesellschaft in der es Menschen möglich ist, sich zugleich mit der ganzen Welt zu vernetzen und dann und genau deswegen doch ihren eigenen Entwurf von Kultur und Leben zu realisieren. ˧

Das ist das eigentlich Neue, das in der digitalen Technologie liegt, wenn man so will in ihrem inneren Erbgut. Darum soll es heute gehen, um ihre zugleich den einzelnen befreienden und doch die ganze Welt kooperativ verbindenden Eigenschaften. (11:50) ˧

Nur als kleiner Vorgriff einmal der Hinweis auf ein klassisches Buch, gerade vierzig Jahre alt und doch so aktuell wie eh und je, in dem erste Hinweise zu dieser Potenz gegeben wurden. Die Rede ist von Alvin Tofflers "Dritter Welle". Toffler hat eine Verwischung der Grenzen zwischen Produktion und Konsumtion konstatiert, das Herstellen von Produkten die Menschen zu etwas befähigen was sie vorher noch nicht konnten. Zum Beispiel Frauen die mit einem Schwangerschaftstest aus der Apotheke auch ohne Gang zum Arzt vergewissern konnten. Dafür hat er den Begriff des "Prosumenten" gebraucht. Er hat der damals herrschenden ökonomischen Ansicht widersprochen, dass wir immer mehr Produkte und Dienstleistungen konsumieren werden. Stattdessen wies er darauf hin, dass ein gegenteiliger Trend im Entstehen sei: Die industriell produzierten Automaten ermöglichen eine ungehgeure Steigerung der Eigentätigkeit im kleinen, nicht um die Resultate zu verkaufen, sondern um sich selbst zu versorgen. Zunächst war da die Elektrizität die als dezentrale Kraftquelle tausende neue Maschinchen hervorbrachte. Taschenrechner, Nähmaschinen, Waschmaschinen, Bohr- und Schraubmaschinen, Stichsägen, Kreissägen usf. - die Selbstbedienungsgesellschaft war geboren und mit ihr eine neue Industrie, ein neuer Wohlstandsschub, vielleicht der letzte in unserer bisherigen Geschichte nach der spektakulären Geschichte des Automobils. Den Höhepunkt und den entscheidenen Bruch in dieser Entwicklung zugleich brachte die Entwicklung des Personal Computers. Hier lag nicht mehr eine spezialisierte Arbeitsmaschine vor, sondern eine im Grunde genommen unendlich erweiterbare Schnittstelle für jede Form von persönlicher Automation. Das Bedeutsame am PC ist weniger die Rechenleistung und auch nicht die zunehmende Fähigkeit als Kommunikationsgerät zu dienen und immer komplexere Inhalte multimedial darzustellen. Viel bedeutsamer sind vielmehr zwei Faktoren: das Zusammenspiel einer mehr oder weniger leistungsfähigen Programmier - Umgebung, in den sich beliebige automatisierte Vorgänge erstellen und dann auch abarbeiten ließen - das Batchfile aus MS-DOS lässt grüßen - und die Schnittstellen zu Peripheriegeräten wie Druckern und Plottern. Gerade diese unspektakulären und wenig bunten und lauten Features sind es, die eine Entwicklung des PCs zur persönlichen Haussteuerungs- und Fertigungszentrale hätten einleiten können. ˧

Noch in den Neunziger Jahren hat die Harvard Ökonomin Shosanna Zuboff in ihrem Buch "The Age of the Smart Machine" (1988) von aufgeklärten Unternehmen gesprochen, die eine gesellschaftliche Revolution innerhalb und außerhalb ihrer Firmen einleiten würde mit dratischer Steigerung von Arbeitsproduktivität und Lebensqualität. Ihr nächstes Buch "The Support Economy" von 2002 trug schon den Untertitel "Why Corporations Are Failing Individuals", also warum die Konzerne die menschlichen Potentiale verfehlen. Sie konstatierte eine "kopernikanische Wende" von der Ära des Massenkonsums und der standardisierten Industriewaren, in dem die Unternehmen Produzenten von Lebensgestaltung und Lebenssinn sind, zu einer Gesellschaft in der die Wirtschaft eine dienende und unterstützende Funktion für Menschen haben müsse, die immermehr Mittel der Selbstgestaltung in ihren Händen haben, denen es um die „Kontrolle über die Qualität ihres Lebens, nicht nur über die Quantität materieller Gegenstände“ ginge. Die zunehmende Verfügbarkeit von intelligenten Werkzeugen erzeuge und nähre das Bedürfnis nach „psychologischer Selbstbestimmung“, der Macht der Menschen zu definieren und zu gestalten was in ihrem Leben Sinn macht. Wirtschaft müsse diese Macht ins Zentrum stellen und völlig neue Beziehungen auf Augenhöhe zu ihren Kunden entwickeln, nichthierarchisch, auf gleicher Augenhöhe, kooperativ. Doch die Realität ließ sich nicht mehr verdrängen: mit jedem Schritt der scheinbaren Ermächtigung der Konsumenten vermehrte sich die Anzahl der Fäden, durch die diese gebunden, ökonomisiert und kontrolliert wurden. "Wir glaubten, Google zu durchsuchen, aber Google durchsuchte uns" ist wohl die kürzeste Zusammenfassung dieser Entwicklung. Eine zunehmende Wolke von verborgener und verschleierter Überwachung breitet sich aus, eine allgemeine lächelnde Verdrängung und Beschönigung einer grotesken Assymetrie, in der die Konzerne alles über uns wissen und im harmlosesten Fall unsere Aufmerksamkeit an Werbetreibende verkaufen, während wir davon nichts zu wissen brauchen. Das große Buch von Shosanna Zuboff heißt "Überwachungskapitalismus" und behandelt diese Perversion des Digitalen. "Anstelle von zynischen monarchischen Edikten bieten die Konquistatoren des 21. Jahrhunderts zynisch vermittelte Dienstleistungsvereinbarungen an, deren Bestimmungen ebenso undeutlich und unverständlich sind." ˧

Für mich persönlich personifiziert sich diese Perversion des Digitalen und der Bruch in der technologischen Entwicklung in Apple-Gründer Steve Jobs, der es geschafft hat, das kreative Potential der Erfindung des Personal Computing zurückzubiegen auf eine harmlose Konsummaschine, die über Smartphone und Smart Watch, über Smart TV und Smart Car den eben eröffneten und entwickelten Eigenarbeitsraum auch gleich wieder zielbewusst zerstört beziehungsweise auf collagierende Pseudokreativität reduziert, die uns immer wieder zu neuen Kauf- und Konsumakten nötigt statt unsere tatsächliche Lebensgestaltung zu revolutionieren. Ich war selbst in den neunziger Jahren für Apple tätig und habe Menschen dabei unterstützt, sich selber Software zu bauen, mit der sie ihre ganz persönliche Automatisierung in ihr Leben tragen konnten. Jeder dieser hunderten Anrufer an der HyperCard Hotline hatte ein Problem, das sich nicht mit Standardsoftware lösen ließ. Aber einige Visionäre bei Apple hatten für kurze Zeit einen Werkzeugkasten geschaffen, der das Programmieren zum Kinderspiel machte, ganz so als würde man in natürlicher Sprache mit dem Computer reden. Und so entstanden architektonische Tableaus, kardiologische Sonographiedatenbanken, multimediale Lernsysteme zu Beethovens Symphonien, und aus lauter Spaß an der Freud realisierten wir auch eine elektronische Version von Andreas Okopenkos Lexikon Roman. Es ist schwer in Worte zu fassen was dieser kurze Sommer der Kreativität 1987 bis 88 bedeutete. Ein allgemeiner Lerneifer setze ein, wir trafen uns in User Groups, wetteiferten um die beste Lösung für Detailprobleme und auch um Fragen wie Ästhetik und Eleganz. Millionen von guten und schlechten Applikationen mit offenem Source Code wurden ausgetauscht, eine große Zahl von Menschen lernte das "Auhoring", das gestalten aktier Information. Doch die Freude währte nur kurz: Es war ein riesiger Schock, als ohne jede Begründung und mit glatten Lügen an die Community der eben wieder zu Apple zurückgekehrte Steve Jobs das besagte Universal - Werkzeug sterben ließ und sich der hardwaremäßigen Perfektionierung und Ökonomisierung des schönen Scheins widmete. (22:10) ˧

Und so ist leider auch auf dieser Seite ein großes historischen Missverständnis der neuen Informationstechnologien gewachsen, das uns noch immer daran hindert, ihre segensreichen Wirkungen zu realisieren. Wer die Digitalisierung als Mittel der Schaffung von mehr wirtschaftlichem Wert und zur Überführung der Welt von einer Industriegesellschaft in eine sogenannte "Wissensgesellschaft" ansieht, die in Wirklichkeit rein marktgesteuert und gewinnmaximierend ist, der hat für seine Meinung zwar wie eben ausgeführt jede Menge Anhaltspunkte in der Realität, aber trotzdem hat er rein gar nichts von den Potentialen des Digitalen verstanden. ˧

Leider ist genau dieses theoretische Unverständnis zur herrschenden Praxis geworden, mit der Konsequenz dass die Welt überflutet wird mit redundanten und chaotischen Datenkataklysmen, die kein Mensch mehr zu bewältigen vermag. Die Muster der industriellen Warenproduktion werden auf die digitalen Inhalte angewendet, wozu auch gehört, sie einem komplett absurden Eigentumsregime zu unterwerfen. Die eben erschaffene Möglichkeit, dass Individuen und Gruppen, die durch Raum und Zeit getrennt sind, nicht nur ihre Gedanken, sondern vor allem ihre Verfahren und Problemlösungen miteinander teilen können und so ständig neue technische und kulturelle Errungenschaften hervorbringen, die wiederum permanent ihren Eigenarbeitsraum erweitert und die wirtschaftliche Logik zurückdrängt, das darf einfach nicht sein. Es ist, als ob sich die Wirtschaft zur Generalprävention verschworen hätte, aber natürlich braucht es keine Verschwörung, denn wenn man nicht bereit ist zu lernen, dann genügen die alten Instinkte und alten Regeln, auch wenn sie angesichts der neuen Möglichkeiten absurd sind. In feudaler Manier werden prinzipiell Ideen und Erfindungen zu privaten Territorien erklärt, die andere nicht so einfach benutzen dürfen. Vollkommen sinnfrei werden daher - sozusagen als "natürliche" Reaktion der anderen Marktteilnehmer - kreative Abweichungen, Variationen und Originalitäten produziert, nur um noch etwas Eigenes auf diesen Markt tragen und verkaufen zu können. An die Stelle von Vereinfachung und Abstraktion tritt ausufernde Originalität und Inkompatibiltät, also das pure Chaos. Menschliche Arbeitszeit und Energie wird auf diese Weise aus sogenannten wirtschaftlichen Gründen in ungeheurem, ja geradezu kosmischen Ausmaß vergeudet. Statt einer Welt nützlicher Produkte entsteht ein Schrottplatz von sich immer rascher einstellender Obsoleszenz, und der nicht mehr vorhandene Produktwert wird ersetzt durch die lukrative Nötigungskraft, sich - einmal eingesperrt in einer Produktwelt - Support und Prothesen aller Art kaufen zu müssen. (26:15) ˧

Immerhin gibt es eine Bewegung, die diesem neuen Feudalismus und Feuilletonismus den Kampf ansagt: die Open Source Bewegung. Leider dringt sie selbst nicht in die innere Verflochtenheit und Systematik des digitalen Gottesgeschenkes vor, sonst müsste sie folgern, dass nur ein radikal anderer Gesellschaftsentwurf uns helfen würde, diese neue Quelle von Wohlstand und wirklichem Fortschritt tatsächlich nutzen zu können. Dieser Gesellschaftsentwurf deckt sich wundersamewrweise mit all dem, was schon im Lauf dieser Sendung über die globalen Dörfer dargelegt wurde, erfährt hier aber noch einmal ein paar zusätzliche Begründungen. Ich möchte das an 4 zentralen Topoi der Digitalisierung ausführen. Ganz nebenbei wird sich auch eine Antwort auf die Frage ergeben, warum Marshall McLuhan nicht mehr die Arbeit, sondern die Bildung und das Spiel zur produktivsten menschlichen Aktivität im Zeitalter der neuen Medien erklärt hat. ˧

(Musik1) ˧

Übersicht    

Ich möchte die folgenden vier Kapitel kurz in einer Übersicht darstellen bevor wir tiefer tauchen. Und ich nehme an dass ich dann die ersten beiden heute noch unterbringe. Im ersten Kapitel geht es um die Konsequenzen der Tatsache, dass das digitale Medium alle anderen Medien in sich vereinigt. Diese Vereinigung, so die These, ist keine pure Addition, sondern schafft etwas grundlegend Neues. Wir werden sehen dass es mit einer bloßen äußerlichen Operation, mit einem Umfüllen von altem Wein in neue Schläche, nicht getan ist. Vielmehr bringt die Multiperspektivität komplett neue Anforderungen von Ordnung und Interpretation mit sich, aber auch die Chance auf eine neue und vertiefte Erkenntnis der Welt. ˧

Im zweiten Kapitel geht es um den Doppelcharakter des digitalen Objektes selbst. Es existiert auf der einen Seite als eine Serie von mikrologischen Anweisungen, auf der anderen Seite als aufgrund dieser Anweisungen ausgegebenen Darstellung oder Realisation. Die Manipulation der Anweisungen verändert die Darstellung, das digitale Objekt ist beständig kopierbar, veränderbar, und aufgrund seines Anweisungscharakters auch in der Lage nicht nur Information sondern auch aktive Aktion zu enthalten. Jeses digitale Objekt kann so als ein potentieller Automat betrachtet werden, der unendlich viele andere digitale Objekte und auch Prozesse in der physischen Welt generieren kann. ˧

Im dritten Kapitel geht es um die Konsequenz, die die Zugänglichkeit und Vernetzung der digitalen Objekte auf unseren sozialen Zusammenhang hat. Wir werden durch die digitalen Objekte in eine anonyme und doch reale soziale Beziehung gebracht, die uns zu gemeinsamer Kreation und zu synchroner Kooperation jenseits aller historischen Maßstäbe und jenseits aller geographischen Grenzen befähigt. Wir werden damit wie von selbst in neue stammesförmige Kulturgemeinschaften hineingesogen, deren Kompetenz, Diversität, Intensität und Dynamik im Guten wie im Schlechten zu bestimmenden Faktoren unseres sozialen Lebens werden. ˧

Im vierten Kapitel wird das Rückwirken der Digitalsierung auf die physischen Umstände unseres Lebens zum Thema. Die Kombination von kulturellen Gemeinschaften aus dem dritten Kapitel, die Zugriff auf das Wissen der Welt wie im ersten Kapitel dargestellt haben, begünstigt die zunehmende Verwandlung der digitalen Objekten in Komponenten von Automaten, in Anweisungen zur Steuerung von realisierenden Maschinen. Damit entsteht die mächtigste Produktivkraft der Weltgeschichte, aber nicht mehr als globale Gesamtfabrik, sondern als das global verbundene Netz von autarken und zunehmend von kulturellen Gemeinschaften getragenen lokalen Lebenswelten, die zurückkehren in das Eingebettetsein in ihre jeweilige natürliche Umgebung. Die entschlüsselte Automatik der Biosphäre und die angepasste Automatik der Technosphäre kreieren Technobiotope, die sich unabhängig voneinander und doch einander beständig unterstützend und durch Wissensaustausch bereichernd weiterentwickeln. Die Vollendung des Projektes der globalen Vernetzung erzeugt eine noch nie dagewesene Renaissance des Lokalen, aus der, vielleicht in fernerer Zukunft, gewaltfrei, freiwillig und jenseits der alten Imperien, Aufbrüche einer geeinten Menschheit stattfinden könnten. ˧

Es versteht sich von selbst, dass an jedem Punkt dieser Vision ein krasser Gegensatz zur heutigen, atavistischen Form des Missbrauchs der Technologie konstatiert und darfgestellt werden kann. ˧

Es versteht sich auch von selbst, dass der einzige wahre Realismus heute darin besteht, auf die Dringlichkeit und Wirklichkeit dieses nur scheinbare Unmöglichen mit Nachdruck hinzuweisen. ˧

Beginnen wir also, die vier dargelegten Aspekte im Detail zu untersuchen. ˧

Erster Aspekt: Multimedialität und die neuen Möglichkeiten des Lernens    

Multimedialität noch ausführlicher -> /Ergänzungen ˧

Der erste Aspekt des Digitalen Mediums ist der, dass so gut wie alle anderen Medien in sich aufzunehmen vermag: Schrift, gesprochene Sprache und Musik, mathematisch gesteuerte Diagramme und Simulationen, Bilder und Graphik, Filme: all das kann digitalisiert werden, also als Kette von bits und bytes eingelesen, gespeichert und wieder ausgegeben, dargestellt, erzeugt. Computer können - vorausgesetzt sie haben die richtigen Scanner und leistungsfähige Ausgabegeräte - zu allen fünf Sinnen sprechen; sie können sogar Gerüche und Geschmäcker erzeugen, Skulpturen schnitzen und so fort. ˧

Dies bietet neue und noch nie dagewesene Möglichkeiten des Lernens und Verstehens. Zum Beispiel können Fertigkeiten, die eine große Menge an visuellen Informationen oder mündlich übermittelte Lehren erforderten, jetzt leichter in einen Rahmen von sich ergänzenden Medien gestellt werden. Jedes Medium ist nun der Interpret eines anderen Mediums und nicht nur eine Botschaft für sich. Wir kennen das von der Buchkultur als das Prinzip der Fußnote, des Querverweises sowie der visuellen Abbildung. Die Computerrevolution hat den Hyperlink gebracht und uns die Möglichkeit gegeben, jedes Stück Information mit theoretisch unendlich vielen Verzweigungen und Assoziationen zu versehen. Damit hat sie aber im Grunde genommen die assoziative Struktur der Neuronen im menschlichen Gehirn selbst zu simulieren begonnen. Mit der Multimedialität löst sich die Dominanz des Sprachlichen auf. ˧

An dieser Stelle ist es wichtig, sich eine grundlegende Tatsache über Medien vor Augen zu halten, über all jene Erweiterungen des menschlichen Nervensystems, die zum Sprechen, Singen, Tanzen, Trommeln, Malen, Schreiben, Darstellen verwendet werden, all jene Medien wie Sprache, Leinwand, Musikinstrumente, Mikrofone, Ton, Hammer, Pinsel, Gesten, Kostüme, Bühnen. Auf der einen Seite erweitern sie bestimmte Fähigkeiten des Menschen, verbinden seinen Körper mit Erweiterungen der Sinnes- und Handlungsorgane, auf der anderen Seite verengen sie die Ausdrucksmöglichkeiten. Ohne es zu wissen, werden wir einseitig. "Die 'Botschaft' jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt" (Understanding Media p.22) Die orale Stammeskultur, die Brief- und Manuskriptkultur, die visuelle Buch- und Zeitungskultur - sie alle verändern Wahrnehmungsweisen und Weltbilder, bereichern und verarmen zugleich. Das digitale Medium scheint hier die Möglichkeit einer Aktivierung aller Sinne in sich zu tragen. Dies bietet neue und noch nie dagewesene Möglichkeiten des Lernens und Verstehens, eröffnet enorme Bildungswelten. Zum Beispiel können Fertigkeiten, die eine große Menge an visuellen Informationen oder mündlich übermittelte Lehren erforderten, jetzt leichter in einen Rahmen von sich ergänzenden Medien gestellt werden. Jedes Medium ist nun der Interpret eines anderen Mediums und nicht nur eine Botschaft für sich. Das hat freilich eine enorme Konsequenz, die allzuleicht vergessen wird: ˧

Wir sprechen von Konvergenz der Medien, als ob alles auf eine einzige quantitative Einheit reduziert würde, von der es ein mehr oder weniger gäbe, während die Digitalisierung wie beschrieben in Wirklichkeit eine Reihe von unterschiedlichen und scheinbar gegensätzlichen Medien miteinander verbindet. Ein einzelnes Medium ist nicht mehr die Botschaft. Multi-Media in seinem tieferen Sinn bedeutet mehrfachen Zugang zu Wissen, wechselseitige Erhellung und Interpretation. Während zum Beispiel Sprache und Worte auf Erinnerung, historische Perspektive und gemeinsame kulturelle Anmerkungen und Assoziationen angewiesen sind, ermöglicht der bildliche oder der musikalische Ausdruck eine ganzheitliche und universelle Kommunikation. Udo Jürgens hat das in der Ballade auf die beiden Brüder Maler und Sänger wunderbar dargestellt. Auf diese Weise erfahren wir, wenn wir die digitale Autorenschaft und das digitale Eintauchen ernst nehmen, viel mehr über den Grund für die Wahl eines bestimmten Mediums. Wir könnten zum ersten Mal vollständig "medienkompetent" werden, indem wir die spezielle Grammatik jedes einzelnen Mediums verstehen. Und vor diesem Hintergrund können wir die neuen Botschaften untersuchen, die sich aus den Kombinationen ergeben. Dies erforderte angesichts der zunehmenden Komplexität und Konnektivität eine gewaltige, aber lohnende gesellschaftliche Anstrengung. Mehr Elemente bedeuten mehr Beziehungen. Mehr Vernetzungen bedeuten mehr Interpretationen. Mehr Interpretationen erfordern mehr Zeit für Reflexion, die Scheidung von wesentlich und unwesentlich, eine sinnvolle Ordnung. Aber genau diese höchst lohnende Arbeit will keine Buchhaltung und kein Controlling der Welt bezahlen. Wahrscheinlich würden wir neue Klöster brauchen, so wie in Hesses Glasperlenspiel, um spielerisch die sinnhaften Beziehungen und die lebendigen Zusammenhänge unserer Welt zu erfassen. ˧

Stellen wir uns also vor, wir hätten alle Ausdrucksmittel - Worte, Bilder, Musik, Animationen, Simulationen, taktile Erfahrungen, Klänge, Gerüche, Geschmäcker - gleichzeitig zur Verfügung und könnten sie kreativ einsetzen. Es wäre wie ein Orchester, das die Perfektion der einzelnen Musikinstrumente zu etwas Größerem verbindet, als nur die Summe der einzelnen Beiträge. Es wäre wie ein Konzert, eine Sinfonie, in der ein Instrument ein Thema übernimmt und auf seine spezielle Art und Weise behandelt, um das Einseitige zu einem vollständigeren und umfassenderen Ausdruck zu machen. Digitale Medien, sobald sie mit der Granularität und Präzision ihrer analogen Vorfahren umgehen können, erlauben uns genau das: ein Medium durch das andere zu interpretieren und ein Ganzes zu schaffen, das mehr ist als die Teile. ˧

Es würde Sinn machen, eine solche Anstrengung nicht als einzelner Autor zu unternehmen, sondern als einen Wissensbaum und ein Gemeinschaftswerk zu schaffen, in dem sich Generationen von Autoren bemühen, die Interpretationsmöglichkeiten zu verbinden. Dies war die grandiose Vision meines Freundes Kim Henry Veltman, der im April letzten Jahres an COVID 19 verstarb und dem ich diese Sendung widmen möchte. Das System for Universal Media Searching war nicht nur entworfen als elektronisches Autorensystem, sondern es sollte die Wissensorganisation in der Größenordnung riesiger Bibliotheken leisten, und für verschiedene Wissensstufen Lernpfade bereitstellen und dabei explizit auf alle medien zurückzugreifen. Ich möchte diese Vision hier nur erwähnen, um nachdrücklich darauf hinzuweisen dass Wikipedia nicht der Weisheit letzten Schluss ist. ˧

Schon am ersten, und möglicherweise noch gar nicht spannendstem Aspekt der Digitalisierung können wir schon festhalten: Digitalsierung ist nicht einfach das 'Scannen' von Objekten, das Abbilden auf Datenträger und der Umgang damit; die Idee der Digitalisierung beinhaltet die Fähigkeit, die Objekte wohlunterscheidbar in die richtigen Kontexte zu stellen, und damit für ihre beliebige Wiederverwendbarkeit aufzubereiten. Digitalisierung schafft als allererstes die Möglichkeit, Wissen in allen relevanten Kontexten zu ordnen, die durch alle bisherigen Formen der Wissensorganisation nur unvollkommen erreicht werden konnte. Diese Idee der Digitalisierung unterscheidet sich vom neoliberalen Chaos ums Ganze. ˧

Ich sehe schon, wir sind bald am Ende unserer Sendung angelangt und ich mute Euch und Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, heute und das nöächste mal eine etwas weniger leicht verdauliche Kost zu. Ich würde mich sehr freuen wenn Ihr, wenn Sie dennoch dran bleiben. Mit dem digitalen Gottesgeschenk richtig umgehen zu lernen wird die Aufgabe der kommenden Jahre und Jahrzehnte sein. Aber je mehr Menschen auch und gerade in der heutigen Zeit sich damit auseinandersetzen lernen, je mehr sie verstehen die verschiedenen Komponenten in ihrem gewaltigen Wechselspiel und Zusammenspiel zu verstehen, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit dass wir beginnen, einfach hier und jetzt beginnen, die Kraft einer kooperativen Weltgesellschaft mit der Wiederentdeckung unserer Heimat oder auch unserer Heimaten zu vereinen. ˧

Ich verabschiede mich für heute, das war die Sendung vom 25.1.2021 auf Radio Agora, und sie wird schon am 22.2. fortgesetzt werden. Die Musik kam heute von Scott Holmes Music, und ist unter Creative Commons verfügbar. Unsere Welt ist also schon voll von Ansätzen, sich digital zu beschenken. Die Zukunft wird eine Welt der Schenkökonomie sein oder sie wird möglicherweise gar nicht sein. ˧

Musikauswahl:    

https://freemusicarchive.org/music/Scott_Holmes/media-music-mix ˧

(Musik 0) (Jingle)    

Track: Sunday Lights Artist: Blue Dot Sessions Album: One such Village Download site: https://freemusicarchive.org/music/Blue_Dot_Sessions/Onesuch_Village/Sunday_Lights Attribution-NonCommercial? License. ˧

(Musik1)    

Track: DreamComeTrue? - 00:02:02
Artist: Scott Holmes Music
Album: Media Music Mix
Download site: https://freemusicarchive.org/music/Scott_Holmes/media-music-mix//dream-come-true
License: CC BY-NC ˧

(Musik2)    

Track: Smart Tech - 00:02:02
Artist: Scott Holmes Music
Album Media Music Mix
Download site: https://freemusicarchive.org/music/Scott_Holmes/media-music-mix/smart-tech
License: CC BY-NC ˧

(Music3)    

Track: We are One - 00:02:44
Artist: Scott Holmes Music
Album Media Music Mix
Download site: https://freemusicarchive.org/music/Scott_Holmes/media-music-mix/we-are-one
License: CC BY-NC ˧

(Music4)    

Track: Space Orbit - 00:02:24
Artist: Scott Holmes Music
Album Media Music Mix
Download site: https://freemusicarchive.org/music/Scott_Holmes/media-music-mix/space-orbit
License: CC BY-NC ˧