[Home]
Triesterviertel / Persönlichkeiten / Berta KLEMENT / Texte Über Die Weberfamilie /
Grenzüberschreitende Im Triesterviertel


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







Berta Klement:

„Heimatgefühl“ und das Grenzüberschreitende im „Triesterviertel“

Der magistratischen Einteilung und „Optik“ entsprechend ist man zu Hause am nordwestlichsten Ende des zehnten Wiener Gemeindebezirkes. Die häufigen Sonntagsausflüge – an denen man „ganz sich selber gehören“ sollte als Familie überschritten den markanten „Matzleinsdorfer Platz“ stadteinwärts. Zu Fuß ging die Familie hin und zurück. Das „Cafe Wortner“ auf der Wiedner Hauptstraße 55 war ein Ziel.

Wir Kinder durften nur dann mitgehen, wenn wir die Woche hindurch „genügend brav“ gewesen waren....und auch versprachen, uns tadellos zu benehmen! Vor allem durften wir unterwegs unsere Sonntagskleider nicht „vernudeln – als wia..“ und auch den lieben Eltern „ka Schand“ machen !

Endlich angekommen, durften wir sogar selber bestellen- „wia die Großen“ – wenn wir nicht erwartungsvoll an den runden Kaffehaustischen rückten und zappelten.

Der korrekt gekleidete Kellner machte vor seinen Gästen eine überaus tiefe Verbeugung und murmelte „Jawohl- die gnädigen Herrschaften!“ Wir Kinder sahen einander an und unterdrückten das Lachen...Sollten wirklich auch WIR Kinder damit gemeint sein? Wir hatten den Eltern versprochen: alle aufmüpfigen Widersprüche „zu hause zu lassen!“ Da platzte eines heraus: „Mir – bitte, bitte eine Schokolade mit viel viel Schlagobers – bitte, bitte!“ Der Kellner lächelte fein, neigte den Kopf und ging alle heiß begehrten Köstlichkeiten aus der Küche zu holen.

Inzwischen ergriff Großvater das Wort: „Höflich ‚Bitte’ sagt man nur einmal! Als kleine Dame könnte man dazu ein wenig freundlich mit dem Kopf nicken! Aber ja nicht zu oft und zu viel!“ Aber der Kellner hat ja auch einen schönen „Kratzfuß“ gemacht ! Den haben wir selber in der Turnstunde gelernt: Einen Schritt zurück – Verbeugung – zweiten Fuß nachgestellt und wiederum stramm stehen! Alle erinnerten sich: Die Ungeschickten sind aus ihrem Gleichgewicht gekommen und manche sind sogar hingefallen, war das lustig! Großvater bleib ernst: „Ihr seid eben nicht so wie er in die „Gastwirte- und Kellnerschule“ gegangen. Merkt euch seinen Wahlspruch: „Der Gast ist König!“ – Also dann: benehmt euch alle wie die „Könige“! Wir bemühten uns redlich. Immer wiederum gerade zu sitzen und beobachteten aufmerksam den Kellner, der mit vollendeter Eleganz servierte und sich dabei tief vor uns allen verneigte.

Noch war uns so ein Gehabe befremdend. Wir beobachteten auch einander streng, dass keines von uns Kindern aus der Rolle fiel „wohlerzogen“ zu sein!

Die Großeltern belohnten uns alsbald mit Erzählungen „wie´s früher einmal war...“ Aus dieser Umgebung, dem Haus Neugasse 1, waren die Urgroßeltern einst zugezogen ins Triesterviertel. Daher wusste vor allem meine Mutter, „was wirklich wahr gewesen ist.“

Wenn im Sommer das Sonntagswetter schön war, saßen wir an den runden Tischen im Freien vor dem „Cafe Wortner“ und lauschten auch dem Springbrunnen davor. Er plauderte laut durch Wassergüsse, wie die zwei gefährlichen gefesselten wilden Männer aus den Mäulern sprangen wieder und wieder wollten wir die Geschichte hören: Von dem lieben Mädchen, welches oben auf beiden Wüstlingen steht und seine schönen Haare kämmte. Das war „zum Fürchten schön“! Sich vorzustellen, wie ein Mädchen den Räuberhauptmann vom Wienerberg in einem eisernen „Fangstuhl“ gefangen hatte! Auch in unserem Schulunterricht hatten wir diese echte „Räubersg´schicht“ gelesen. Hier aber konnten wir ein Denkmal Aug´ in Aug´ erleben! Und dabei süße Trinkschokolade samt einer Torte schmausen.

Wir blickten rundum und lasen in der Nähe, quer über die Wiedner Hauptstraße eine bedeutsame Beschriftung über dem Haus Neugasse 1: „Zum abgebrannten Haus“. Unsere Neugier geriet in Aufruhr: Hat es dort wirklich gebrannt ?! Wir haben in der Schule gelernt, dass in Alt-Wien oft ganze Häuserviertel Feuer gefangen haben, weil die Dächer der alten Bauern- und Bürgerhäuser nur mit Stroh gedeckt worden waren.

Erst die Kaiserin Maria Theresia hat gesetzlich verordnet, dass alle Wiener Häuser mit „Ziegeltaschen“ vom Wienerberg feuerfest gedeckt werden mussten! Nachdem Großmutters Vater mit seiner Familie in dem „abgebrannten Haus“ einst lebte und von diesem Milchmeierhof in den zehnten Bezirk übersiedelt ist, wusste alles über diese aufreizende Bezeichnung und sie erzählte: „Vor langer langer Zeit regierte in Österreich die großmächtige Kaiserin Maria Theresia. Ihr Denkmal kann man bewundern zwischen dem Kunst- und dem Naturhistorischem Museum am Ring. Dort ist sie auch umgeben von klugen Generälen und Wissenschaftlern.

Sie regierte nicht immerfort in der Wiener Hofburg oder dem Schloss Schönbrunn. Um die Anliegen auch des einfachen Volkes unmittelbar kennen zu lernen, mischte sie sich oft einfach „unter die Leut’...“ Sie war eine leidenschaftliche Kartenspielerin! Nachdem ausgekundschaftet worden war, dass in dem genannten....werkes und Milchmeierhof in der Vorstadt Wieden ehrenwert lustige Spieler sich trafen, war sie bald „mit von der Partie“! Gespielt wurde „rasant“ und man verlor dabei nur so seine „Kreuzer“.....

Ein derart verunglückter Spieler musste letzten Endes in das Wehgeschrei ausbrechen: „Jetzt bin i a´brennt!“ Kreuzfidel vergnügt ließ auch „die Frau Kaiserin“ oftmals ihre Stimme erschallen! Ihr Schuldbekenntnis beeindruckte das Zuschauervolk dermaßen, dass ihr Klageruf zur ewigen Erinnerung über dem Haustor angebracht worden ist. Die Vorstellung, wie die Kaiserin ihre Kreuzer verspielt hat, ging uns sehr zu Herzen und wir bettelten: „Mutter, was weißt du noch? Hatte die Frau Kaiserin auch Kinder?!“ – „Ja, dreizehn!“ – „Und die waren alle brav – so wie wir?!“ - „Hoffentlich! – Aber da war einer, der Josef, von welchem heute noch eine Inschrift erzählt im Hausflur des uralten nahen Hauses am Spittelberg, Gutenberggasse 13: „Durch diese Tür im Bogen, ist Kaiser Josef II. geflogen“. Hell lachten wir auf und stellten uns die resche Gastwirtin vor, zu der ein Kaisersohn frech geworden war! „Nix Genaues weiß man nicht mehr – aber: was wahr ist – ist wahr – das gilt auch für einen künftigen Kaiser und basta!

Mit Großvaters Hilfe versuchten wir im offenbaren Durcheinander der Gefühle einen festen Halt zu finden. Immerhin: Hier, im „Cafe Wortner“ haben wir uns sehr bemüht, artig zu sein – bei Schokolade und Torte – und aren dafür hochgelobt worden entsprechend dem Ausspruch: „Der Gast ist König!“ Unsere Mitwisserschaft mit einem so hochgeborenen Familiengeschick wurde ernstlich vertieft: „Zur gleichen Zeit wurde in Paris der Kaisertochter Maria Antoinette samt ihrem königlichen Gemahl revolutionär der Kopf abgeschlagen!“ „Da hat ihre Mutter schon auch geweint!“ platzten wir heraus: „Darf denn eine Kaiserin auch weinen? – oder nur fröhlich sein und Kartenspielen?!“ Einfach unvorstellbar für unsere erlebnishungrigen Seelen: Wie man zu einander so sein kann!

Die Großeltern fühlten wohl, dass es nun an der Zeit war, nach Hause zu gehen in den zehnten Wiener Gemeindebezirk, jenseits des „Wiedner Gürtels“, ins „Triesterviertel“. Dort geht es heute noch „geschichtslos“ zu, verglichen mit der viel älteren Substanzbildung der einst dörflichen Siedlungen innerhalb des Linienwalles, später „Gürtel“ genannt.

Wie Kolonisatoren hat die Generation unserer Großeltern wilde Gstetten bewohnbar gemacht für die “ausgewanderten“ nun „Zugewanderten“ aus dem „abgebrannten Haus“ im Bezirk Wieden. Wien ist längst zu einer magistratisch geordneten Stadt geworden: Sie ist angewachsen wie ein Organismus ! Wir alle müssen auch teilnehmen an den Lebensformen des „technischen Zeitalters“! Was unser Zusammenleben jedoch „menschlich“ erhält, ist, die Wurzeln auch unserer Herkunft zu achten. Diese könnten auch „saft- und blutlos“ werden, zu befangen innerhalb peinlich genauer „Schreibtischorientierung“ und Ermächtigungen! Ob in Favoriten oder Wieden, innerhalb oder außerhalb des Gürtels: Grenzenlose menschliche „Heimatliebe“ verbindet hier ein „hüben und drüben“ – wie sie planmäßig getrennt erscheint.

Diese „Liebe“ hat sich schon oft auch bewährt, wenn das Leben selber Abgrenzungen abstrakter Ordnungsmächte aufgebrochen hat und unsere Gemeinschaftsfähigkeit auf die Probe stellte: Die heutige Zuneigung wie Verantwortung heißt: „Jeder für jeden!“