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Berta Klement

Frau Barkowitsch und Frau Fiala

Für eine große Anzahl von Hilfskräften aus fast allen Teilen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war der Großfuhrmann Karl Weber der Brotgeber und „Anschaffer“ geworden.

Dass man es einfach „gut“ bei ihm hatte sprach sich herum: Der Volksmund verteilte keine Orden und hochtrabende Titel. Als besondere Auszeichnung galt es, wenn man nicht nur mit „Herr“ ansprach sondern sich ermutigt fühlte, einander mit „Vater Weber“ voll Respekt nahe zu kommen. „Der Ton“ machte auch hier unter Mensch und Tier eine eigentümliche „Musik“ des Wohlwollens die jedes feinfühlende Ohr wahrnehmen konnte, auch dann wenn die wüsten Kommandos „Hott und Hüh! Öha und Brrr“ gleich Ur-Lauten weithin zu hören waren.

In dieser nach außen hin vielleicht ungehobelt-rauh anmutenden Herzenswärme konnte sich „Geborgenheit“ entfalten. Wehe, man hörte etwa von Prügelei gegenüber Mensch als auch Pferden ! Sofort wurde so ein Rohling entlassen. Dabei waren alle einfach mitreißend tüchtig bei der Arbeit. Es galt jedoch vor allem auch: „Einer trage des anderen Last!“ Ohne die seinerzeitigen politischen sozialen Aufklärungsparolen, wie diese beim abendlichen Umtrunk natürlich auch auf den Tisch kamen.

Wie instinktsicher das einfache Leben hier gemeistert worden ist, könnten zwei Beispiele vor Augen führen. aus dem Leben treuer Mägde aller „Weberischen“. Beide lallten einander immer etwas in einer uns Kindern unverständlichen Sprache zu, auf deren Verständnis wir auch „gar nix neugierig“ waren. Uns genügte das gütige Wesen dieser beiden Bewohnerinnen des „Kutscher-Hauses“ Zur Spinnerin 2!

Davor war immer eine für mich herrlich große Wasserlache ! Noch war Wien ja nicht ganz „zugepflastert“, sodass sich auch dort die Schwalben mit ihren Schnäbelchen das „Baumaterial Lehm“ für ihre Nester holen konnten. Fast jedes kleine Alt-Wiener Haus beherbergte so viele „Mehl -Schwalben“ - mit weißer Kehle. Unser Haus gegenüber in der Bucheng.170 wurde soweit man sich erinnern konnte mit „Rotkehlen-Schwalben“ angeflogen. Mit unbeschreiblicher Freude und Neugierde beobachteten wir Kinder, was da vor sich ging: erst die Ausbesserungsarbeiten am alten Nest, dann horchten wir, wer zuerst ein Gepiepse vernehmen konnte. Und erst recht die dramatische Fütterung der heißhungrigen Kleinen! Wie arm sind heute Großstadtkinder, die das unbeholfene Flüggewerden junger Schwalben nicht aufgeregt beobachten können. Vor allem die großen Pfützen auf den lehmigen Wiener Straßen gaben reichlich Gelsen-Fütter und Fliegen aller Art wurden angeflogen, wohl auch von weit her, den Ziegelteichen.

Neben unserem „großen Teich“ in der Spinneringasse lebten auch zwei Frauen, die den Vieh- und Kleintierstall sowie das Gärtchen des Großfuhrmannes Karl Weber. Als Kind empfand ich geheimnisvolle Kräfte von diesem Urwüchsigen ausgehen. Erst recht, wenn sie miteinander einen höchst melodischen sprachlichen „Sing-Sang“ flüsterten (?), voll „Musik“ und Ausdruckskraft. Ihr „Deutsch“ reichte gerade soweit, dass beide Arbeit durch Singen prompt verstanden und auch uns Kindern „im Zaum halten“ konnten. War es doch unser Lieblingsspiel, nicht nur artig mit kleinen Schifferln aller Art die schlammigen Lacken zu durchqueren, sondern wir steigerten uns lustvoll hinein in den „Gatsch“, dass wir einander damit weitgehends einschmierten uns sogar zu „Mumien“ einbalsamierten, wie wir es von „den Großen“ aus Erzählungen vom fernen Ägypter-Land gehört hatten. Ach, wären wir doch dort geboren: dort wären wir sicherlich nicht der besonders kraftvoll stämmigen Frau „Fialerin“ ausgeliefert gewesen....Diese erschien regelmäßig auf dem Höhepunkt unseres „Gatsch-Vergnügens“ auf offener Straße und begann zu brüllen: „Habt´s no net gnua, es Saubattln ös! Ihr g´hört´s jetzt alle in an Waschtrog und a´g´riebn bis unter die Haut!“ Mehr hab´ ich mir von ihrem täglichen Strafgesang nicht merken können, weil wir fühlten: Jetzt setz´s was! - und (?) jedes Mal uns Kindern seinem eigenen elterlichen Strafgericht entgegen.

Diese Frau konnte wirklich Kräfte aus sich heraus lebendig wirksam machen, die man ihrer sonst stillen Emsigkeit gar nicht zugetraut hätte. Da geschah etwas Unvergesslich-Unheimliches mit ihr: Sie, die immer eine blaue Arbeitsschürze über ihren stets rundlichen Leib trug, war – so wie alle – mit uns am Feld dabei, wenn es um die Ernte der fruchtbaren Felder am Wienerberg ging. Man arbeitete bis zum Umfallen, Tag für Tag, dann gingen alle gemeinsam nach Hause in die „Weber-Häuser“.

Eines Abends wollte „die Fialerin“ nicht mit heimgehen: „Lasst´s mi, geht´s nur. I kumm euch scho´ nach..!“ meinte sie energisch wie immer – So dass sich keiner mehr umzusehen wagte. Erst nachdem alles zu Hause zur Ruhe gekommen war, bemerkte jemand, dass sie immer noch nicht da war! Unruhe griff um sich und trieb auch die rein gewaschenen Kinder wiederum vors Haus, um Ausschau zu halten. Ein Kind bemerkte ihr Heimkommen zuerst. Zappelnd vor Aufregung rief es: „I siach´s scho! Sie kummt wirklich!“ Alle Augen bohrten sich in die Dämmerung und man ging ihr entgegen. Ganz bedächtig, mit fast feierlichen Schritten kam sie die Gasse „Zur Spinnerin“ herunter. Ihre Hände faßten die blaue Schürze hoch zusammen. Trug sie darin etwas mit sich ? Eine unsägliche Scheu und Erwartung breitete sich aus. Endlich war sie da und zeigte wortlos den Schatz in der blauen Schürze: ein kleines Kind ! Es schlief und wimmerte dazwischen: „Jetzt geht´s aber glei´ heim!“ schaffte uns Kindern ein Mann, der sich zuerst selbst gefasst hatte. Die Erwachsenen bildeten eine Art Schutzmauer gegen alle Neugier und halfen der Wöchnerin ins Haus „Zur Spinnerin 2“.

Kurze zwei Tage lang waren alle Zeugen dieses Ereignisses, wie ergriffen und in sich gekehrt vermied man lautes Reden. Am dritten Tag jedoch saß die „Fialerin“ erhobenen Hauptes bei einer „leichten Arbeit“ im Hof und flickte Jute-Säcke für die bevorstehende Kartoffelernte. Ihr zur Seite werkte die getreue Frau Barkowitsch und verließ ihren offenkundigen „Schützling“ nur auf Sichtweite. Zwischen beiden lag ein dickes Bündel warmer Tücher. Darin schlief „es“ fest. Wenn es sich aber regte oder gar wimmerte, nahm es die glückliche Mutter sogleich an sich bis es still war.

Sehr behutsam soll sich auch mein Großvater genähert haben und lachte hinein: „Du kriegst a dein Gulden, dass was wird aus dir!“ So haben es sich die Frauen gemerkt und ganz zufrieden weitererzählt. Diese lebenspraktische Ankündigung war das Zeichen, dass der Großfuhrmann Karl Weber einen neuen Spross in seine Großfamilie aufgenommen hatte. Damit war das Überleben gesichert.

Die Ahnen der Frau Barkowitsch waren von der Kaiserin Maria Theresia eingeladen worden, die total durch die Türkenkriege entvölkerten und verwüsteten Gebiete des Burgenlandes neu zu besiedel, zu beleben !

„Irgenwoher aus Kroatien“ - mehr wusste sie nicht mehr zu sagen. Die neue Heimat der Familie war in der Folge wechselnd deutsches oder ungarisches Herrschaftsgebiet geworden. Zu Hause sprach man mehrfach (?) kroatisch in der Schule, jedoch durfte man nur die jeweilige Sprache der Obrigkeit benützen. Im Zuge dieses raschen, herzlosen Wechsels konnten viele Kinder das Deutsch weder lesen noch schreiben. Die „Sprache der Häute“ wurde zum übergreifenden Ausdrucksmittel, welches reichte, um mit der Zeit auch als „Wanderarbeiter“ in Wien unterzukommen. Diese Menschen vermochten umso direkter Wünsche „vom Mund abzulesen“ und helfend zuzupacken. Durch die Einschränkung ihres Wortschatzes sprach Frau Barkowitsch nur „was Sache ist“ und ganz Wesentliches gegenüber allen bloßen „Wortgeräuschen“, die vor allem meinen gelehrten Vater wütend machen konnten.

Am liebsten saß sie neben meiner Großmutter, wenn alle beide etwas zu Nähen hatten. Sie wussten bald einander zu ergänzen, wenn Frau B. Jammerte, dass ihr die feine Stoffarbeit aus der groben Arbeitshand falle und meine Mutter klagte, sie könne ob ihrer Sehschwäche keine Nadel mehr einfädeln. Dann sagte sie: „Aber geben´s her, gnä Frau, dös mach i eahna glei!“ „Augen hatte sie wie ein Lux“ sagte man ihr nach.

Wenn die beiden Frauen so gemeinsam vor sich hin werkten, sahen sie zu einem ganz großen Familienbild, welches der Bruder meiner Urgroßmutter, der Barockmaler Johann Baptist Reiter gemalt hatte. Darauf ist zu betrachten: mein Großvater als Wickelkind auf dem Schoße seiner Mutter. Beiden zur Seite schmust eine Katze: „Wie gefällt ihnen eigentlich dieses Bild?“ wollte meine kunstsinnige Mutter wissen. „No joooh!“ kam die Antwort: „wann Katz Kuah war – war alles noch fül scheana.“ Diese Kunst-Beurteilung aus purem Volksmund geistert heute noch humorvoll zwinkernd unter ernsthaften Betrachtern.

Ich versuchte dieser Herausforderung auf den menschlichen Grund zu gehen: der Biedermeier-Maler darf verehrungswürdig in der Galerie des Oberen Belvedere mehrfach zu bewundern. In seiner Geburtsstadt Linz beherbergt das Stadtmuseum einen Saal von Bildwerken, die dieser große Künstler gemalt hat und der Fachverlag Schroll hat ein Buch über ihn hergestellt und am Kunstmarkt werden Werke von ihm hochgeschätzt. „Jo, jo, aber wann Katz – Kuah war...!“, das war eben die ehrliche Meinung, so wie alles, was sie aus ihren Lebensumständen zu beurteilen hatte.

Wir Kinder waren bald wiederum gleicher Meinung wie sie und sahen ihr genau auf ihre Finger, wenn sie uns zeigte, wie man „Spahnlhacken“ muss, um im Winter den Ofen aufheizen zu können. Das war ernsthaftes Leben, während „nur a Bild“ eines beängstigenden Tages zum Schutz vor einem Bombenangriff zugedeckt und verborgen worden ist.

Da brach ein Aufbauwille aus dieser einfachen Frau hervor und sie half noch bevor die Entwarnungssirenen heulten, aus der Wohnung Schutt und Glassplitter hinweg zu räumen. Sie war ja geschult, alles zu nehmen wie es kommt und eben (?) ist und war ringsum einfach „ein Retter in der Not!“ Damals brauchte es dazu nicht viele Worte.

Erst als nach Kriegsende das Registrieren uns alle erreichte und wir eine Identitätskarte vorzeigen mussten, wurde ihre besondere Hilflosigkeit gegenüber der Behörde offenbar. Etwas übermächtig Befremdendes schien diese urtümliche Frau plötzlich zu lähmen. Ich war in diesen Schreckenstagen gereift und einfühlsam geworden gegenüber verborgenen großem Kummer. Sie mochte dies gefühlt haben und platzte heraus: „Was soll i den ....auf den Wisch von die Ami nix unterschreiben! Die sperrn mich ein, oder, oder“. Alles, was an Kriegsgräuel uns ungefiltert damals vorgeworfen worden ist, stand Frau Barkowitsch nun entsetzlich vor Augen und sie sah sich schon abgeurteilt – weil sie „den Wisch“ nicht unterschreiben konnte. Ich versicherte ihr zuerst, dass ich sicherlich mit ihr mitziehen werde, wenn „die Amis mit ihren Bomben...“ sie ohne Identitätskarte internieren würden. Nach mühsamer Beruhigung gestand sie mir, dass sie wirklich nicht einmal ihren Namen schreiben oder etwas lesen könne. Kurzerhand erklärte ich mich bereit mit ihr zu „den Amis“ zu gehen, ja, zu jeglicher Behörde, um sie in Schutz zu nehmen. Sie wollte mir die Hand küssen – wie dies als ein uralt eingefleischtes Zeichen der Devotion im Kreise Untergebener viel früher einmal üblich gewesen sein mag.

Der diensthabende Soldat schüttelte den Kopf und machte große Augen. Er rief noch Kollegen herbei zur Beratung, ob und wie es möglich sei, dass „in dem nun befreiten Österreich jemand nicht lesen und schreiben könne.“ Auf einmal kamen mir die englischen Worte derart zu Hilfe, wie ich sie in der Schule sicher mühsam erst im Wörterbuch hätte suchen müssen. Ich erklärte alles über die politischen Schwierigkeiten der burgenländischen Heimat unserer Frau Barkowitsch aus „Rehgraben“. Nachdem ich überzeugend geredet hatte, brach sie auf einmal hervor, dass sie aus einer anständigen Familie sei, die jährlich einmal zu Fuß von Rehgraben bis nach Mariazell wallfahrten ging, mit harten Erbsen in den Schuhen. Manche hatten diese vorher weich gekocht – aber was hilft das: „Unser aller Sünden sind vorgemerkt und können nicht verloren werden!“ Die rauhen Soldaten lächelten nicht mehr so wie zu Beginn dieses seltsamen Bekenntnisses. Am schwierigsten fiel mir die Übersetzung: Die Soldaten sollten ihre Füße doch – wie die Wallfahrer – in Huflattichblätter einwickeln – statt Schuhfetzen zu gebrauchen. Dann schwieg Frau Barkowitsch. Mit diesem letzten mütterlichen Rat an wildfremde Soldaten hatte sie eine wundersame Atmosphäre voll Güte und Menschlichkeit in der Amtsstube fühlbar werden lassen.

Kurz und gut, sie unterzeichnete mit drei Kreuzen, ich selber schrieb ihren vollen Namen darunter und beglaubigte alles mit meinem eigenen Namenszug. Daraufhin erhielten wir den erforderlichen Stempel in den Identitätsausweis der Frau Barkowitsch Darüber war sie wiederum in ein erst peinliches Schweigen versunken, als ob sie sich selber verraten hätte. Die amerikanischen machthabenden Soldaten hingegen ließen uns nicht gehen ohne uns die Hand zu schütteln, ja sogar zu salutieren. Es war auf einmal so befreiend, als hätten die Volksseelen einander begegnet, ohne alle Uniformiertheit einfach von Mensch zu Mensch handeln dürfen.