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Ö1-Journal-Panorama 29.1.2009

Info in „Gehört“: Für viele ältere Menschen ist die Aufgabe der eigenen Wohnung und der Umzug in ein Heim ein Horror. Das Weiterleben im vertrauten Stadtteil ist aber auch oft beschwerlich.

Ein mitbestimmungsorientiertes Projekt in Wien suchte nach Lösungsmöglichkeiten.

"sALTo": Älter werden in vertrauter Umgebung.
Gestaltung: Isabelle Engels

18.25-18.55 Uhr.
Moderatorin: „Das Wiener Pilotprojekt“ sALTo – gut und selbstbestimmt älter werden im Stadtteil“ ist ein Projekt zum Umgang mit demographischem Wandel. Es sollte auf Fragen, die die Alterung aufwirft konkrete Antworten geben und Maßnahmen setzen, die in zwei unterschiedlichen Stadtteilen erprobt wurden und von anderen Bezirken oder Städten nachgeahmt werden sollen.

Isabelle Engels berichtet: „Ein verregneter, windiger Tag im Triesterviertel in Wien Favoriten. Da flüchtet man sich gerne in das helle, freundlich wirkende Lokal einer Seitengasse. „Gabi´s Schmankerln“ ist ein beliebter Treffpunkt im Grätzl. Auch der 72-jährige Friedrich Kroisinger ist gerne bei Gabi Sich zu Gast. „Das Lokal ist schon dreieinhalb Jahre. (zu FK) Ja es schon dreieinhalb Jahre her, seit wir uns kennen. Und jeden Tag beinhart vormittags Pflichtbesuch.“ Gabi Sich lebt von älteren Menschen, die schon am Vormittag kommen und einen Kaffee oder ein paar G´spritzte konsumieren. Im 10.Bezirk sind mehr als 30 % 60 Jahre oder älter, im Wienschnitt sind es 24 %. „Das Essen nach Hause bringen ist kein Problem, dabei kommt sich entgegen, das ist eher ein Freundschaftsdienst und kein G´schäft, weil wir das gerne machen. Wir haben vier Damen, die früher jeden Tag gekommen sind und die jetzt im Alter nicht mehr herunter kommen können, weil es keinen Aufzug gibt. Dann rufen´s uns an, ob wir ihnen das Essen bringen können.“ Weil Gabi Sich den alleinstehenden pflegebedürftigen Frauen das Essen bringt, bekommt sie Einblick in deren Wohnverhältnisse: „Die haben oft kein warmes Wasser oder die Wohnungen, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Holzböden, die noch nie behandelt worden sind, Gasöfen mit zwei Flammen. Ja, das sind Wohnungen, wo es nicht so lustig ist, sich so etwas anzusehen.“ Die meisten alten Menschen wollen in ihrer eigenen Wohnung bleiben so lange es möglich ist. Herr Kroisinger wohnt seit 1963 mit seiner Frau in einer Gemeindbauwohnung: „I wohn im dritten Stock und wir haben natürlich keinen Aufzug. Bei drei Stöcken gibt es keinen Aufzug. Und da macht man sich natürlich seine Gedanken, was ist, wann man einmal nicht mehr über die Stiegen gehen kann. Dann gehe ich halt zur Gabi, wohn ich halt da. (lacht) Na, da geh´ ich halt ins Altersheim mit der Frau.“

Die eigenen vier Wände oder das Altersheim. Das sind im Wesentlichen die zwei Wohnmöglichkeiten, die alte Menschen für sich sehen. Doch die eigenen Wohnungen und Häuser sind oft ungeeignet, um dort im Alter alleine zu wohnen und das Altersheim wird nicht immer freiwillig bezogen. In Zukunft bedarf es eines differenzierteren Wohnungsangebots. Und zwar nicht nur in räumlicher sondern auch in sozialer Hinsicht meint die Architektin und Stadtplanerin Christa Reicher von der TU Dortmund: „Ich bleibe in meinen vier Wänden wohnen, kann mir aber über einen mobilen Service eine Unterstützung meiner Lebenssituation ermöglichen, in einem nächsten Schritt vielleicht dieses Angebot ausbauen, in einem dritten Schritt möglicherweise in eine betreute Wohnanlage gehen, die aber in meinem Quartier ist, in einer Nachbarschaft, die ich kenne und vielleicht in einem letzten Schritt auch das medizinische Angebot vielleicht auch im Sinne von punktueller stationärer Pflege in Anspruch nehmen.“

Der Sozialplaner Raimund Gutmann vom „Wohnbund Consult“ ortet bei den jungen Alten ein steigendes Interesse an innovativen selbstbestimmten Wohnformen: „Es ist ja auch nicht zufällig. Es kommt ja jetzt die Generation in diese Altersphase, die in den 60-er Jahren ja gelernt haben, für die eigenen Rechte zu kämpfen, Unkonventionelles auszuprobieren, die Nach-68-Genertion kommt jetzt in die Pension. Und die wird sich mit Sicherheit nicht in der gleichen Form betreuen lassen wollen wie die jetzige Generation der Hochbetagten.“ Das Büro „Wohnbund Consult“ beforscht und berät unter anderem Wohngruppen für Fortgeschrittene.“…wo sich Leute zusammentun und sich überlegen, wie sie sich in ihrer zweiten Lebenshälfte oder dritten Lebensphase, wie immer man das sieht, zusammentun und da eine Wohnform finden, die zum einen eine gewisse Einschränkung bezüglich Wohnungsgröße beinhaltet, aber zum anderen mehr vielleicht mehrere nutzbare Gemeinschaftsräume hat, auch einen Bereich Wellness und was das Wichtigste ist, dass ich mit den Leuten zusammen wohne, mit denen ich mit halbwegs gut versteh, die ich bewusst mit ausgewählt habe und ich mich bewusst angeschlossen habe und die mir ein gewisses Maß an niederschwelliger Unterstützung in dieser letzten Lebensphase bieten.“

Die Hemmnisse in Österreich für Mitbestimmungsprojekte liegen in Regelungen der Wohnbauförderung und des Mietrechtsgesetzes meint Raimund Gutmann und nennt weitere Gründe: „Da spielt ja auch eine Rolle, dass es immer mehr Haushalte mit Alleinlebenden gibt, die bereits ab 50 in der nachfamiliären Phase durchaus mit Einsamkeit zu kämpfen haben und sich dann oft nicht mehr zutrauen, so einen neuen Schritt zu setzen, zwar darüber reden, ihn aber nicht setzen. Zum anderen gibt es auch keine Angebote. Für die Wohnbauträger sind alle Aspekte mit besonderen sozialen Ansprüchen einmal schwierig. Sie haben da zu tun mit Leuten, die wollen mitreden, etwas ändern, die stellen Ansprüche und das natürlich nicht so lustig wie wenn ich einfach Objekte errichte und dann in einem bestimmten Wohnungsschlüssel Zwei- oder Dreizimmer-Wohnungen nach Standardliste vergibt.“

Älterwerden bringt meist eine Einschränkung der körperlichen Mobilität mit sich. Die Stadtplanung kann jedoch zusätzliche Mobilitätsbarrieren abbauen, indem sie etwas Gehsteigkanten abschrägt oder Niederflurbusse einsetzt. Eine große Barriere für alte Menschen bilden verkehrsstarke Straßen wie etwa die mehrspurige Triesterstraße weiß der Favoritner Friedrich Kroisinger: „Sind´s mitten auf der Straßen, blinkts schon grün. Wann aber einer mit´n Steckn geht oder so was, die traun sie oft gar net rübergehn. Die warten bis wer geht und dann nimmt man´s mit.“ (ChR:) „Das führt zur Konsequenz, dass wirklich Straßen als so stringente Barrieren betrachtet werden, dass man lieber ein Überschreiten dieser Barrieren gar nicht auf sich nimmt.“

Die Stadtplanung, so die Expertin Christa Reicher, habe sich in den letzten Jahrzehnten an der Gruppe derer, die automobil sind orientiert. Die autogerechte Stadt ist aber eine alters- und kinderungerechte Stadt: „Da fühlen sie sich unsicher. Hinzu kommt das Thema Lärm, hinzu kommt, dass eben an diesen Straßen auch noch sehr viele Parkplatzflächen sind. Also die Aufenthaltsqualität ist sehr sehr stark eingeschränkt und das nimmt man dann wahr, wenn man mit einem Menschen, der ganz anders diesen Raum erlebt, in einer ganz anderen Geschwindigkeit, sich mal genau ansieht, wie beeinträchtigt dieser Raum mein Sicherheitsgefühl, mein Wohlempfinden, meine Möglichkeiten, sich dort zu bewegen. Also von daher ist also diese Wahrnehmung von älteren Menschen eine Art von Seismograph, worauf wir achten müssen, wenn wir unsere Umwelt verbessern möchten.“

Reichen die Folgen dieser Erkenntnis so weit, dass Parkplätze für Aufenthaltsflächen geopfert werden? Brigitte Jedelsky von der Magistratsabteilung 18 Stadtentwicklung und Stadtplanung: „Noch nicht. Ich hoffe, dass man sagen kann: Noch nicht. Es gibt viele Ideen dazu, aber da ist die Lobby der Autofahrer und Autofahrerinnen noch immer sehr sehr stark.“

Stadtumbau erfordert Mut und Übung. Genauso wie bei einem Salto, bei dem man am Anfang noch kein Gefühl für die Landung hat. Darauf verweist das Infoblatt von sALTo, einem Projekt, dessen Ziel es war, die Verhältnisse im Stadtteil so zu verändern, dass sie ein guten und selbstbestimmtes Älterwerden ermöglichen. Und andererseits die Bewohner selbst zu einem gesundheitsfördernden Verhalten anzuregen. Und das alles möglichst präventiv, weshalb die Zielgruppe auch die aktiven, gesunden Menschen im Pensionsalter waren. Der Name sALTo verheißt Vitalität und Bewegung und enthält sogleich das Wort „alt“. Durchgeführt wurde das Projekt vom Planungsbüro „PlanSinn“ und dem Büro für Gesundheitsmanagement „die Partner“ in Kooperation mit den Planungsabteilungen für Gesundheitsförderung und Stadtplanung. Die Projektgebiete lagen im 10. und im 22.Bezirk. Aktionen wurden gesetzt, die das Miteinander der Nachbarn und Generationen fördern sollten wie Sportfeste und Grünflächenbepflanzungen. Und die Stadtteile wurden daraufhin analysiert, welche Angebote sie für Bewegung und lokale Fitness enthalten, wie diese besser genutzt oder auch ergänzt werden müssen. Eine der ersten Aktionen waren Stadtteilführungen von ErgotherapiestudentInnen. Deren Ziel war es, Barrieren zu identifizieren, berichtet Brigitte Jedelsky von der MA18: „Es hatte kurz vorher geregnet und es gab große Lacken auf der Straße und wie ist es, wenn Menschen mit einem Rollator die Stadt benützen und da ist auf der Ecke, wo der Gehsteig abgesenkt ist, eine große Lacke? Entweder geht er durch die Lacke zu der abgesenkten Gehsteigkante oder er geht auf der erhöhten Gehsteigkante drüber. Und da war für den Bezirksrat wirklich das „Aha, so ist das“

Die autogerechte Stadt zeichnet sich durch lange Wegstrecken aus. Fehlende Möglichkeiten, sich auszurasten, um die Einkaufstasche abzustellen, sind Mobilitätshürden für ältere Menschen. Und wer nicht mehr aus der Wohnung geht, dem droht nicht nur Bewegungsmangel, sondern auch Vereinsamung. Eine einfache Maßnahme sind Sitzbänke. Zuerst ist zu klären, ob genug und günstiger Platz vorhanden ist, sagt Karin Schmidt, Bezirksrätin in Wien Favoriten: „Wenn das alles passt, dann wird das Bankerl aufgestellt. Wir zahlen das ja gerne, ja. Wenn dann auf diesem Bankerl in dem Fall jetzt net alte Leute am Weg zu einer Kulturveranstaltung sondern Jugendliche um 21 Uhr haben wir eine Welle der Empörung, was uns einfällt, dass wir da Bankerln hinstellen und die Leut, die durt sitzen, die wolln wir sicher net durt sitzen haben. Wir werden nie alle zufrieden machen können, dass alle sagen: Perfekt.“ Und so werden in Wien seit Jahren Bänke aufgestellt und wieder abmontiert, wie auch Brigitte Jedelsky von der Wiener Stadtplanung bestätigt: „Ja, das ist so, dass Bänke generell eher wieder abgebaut werden, weil sie ein Brennpunkt sind für Konflikte.“ Diese Vorgangsweise müsse sich ändern, meint Jedelsky: „Da geht es auch darum, dass der Bezirk sagt, ich moderiere und begleite den Konflikt und räume nicht als quasi Lösung die Bank weg. Die Leute, denen die Bank dann abgeht, die melden sich ja meistens nicht. Es melden sich die, die stark sind und sagen: I will den Lärm net! Und s melden sich weniger die, die sagen: Wieso ist denn jetzt die Bank weg? Die war doch recht angenehm.“ Im Rahmen des sALTo-Projektes wurden die Sitzbänke stehen gelassen und sogar zusätzliche aufgestellt. Diese wurden mit Sprüchen versehen, die die Generationen zum Dialog ermuntern sollten. Friedrich Kroisinger gehört als 72-Jähriger noch mobiler und rüstiger Pensionist im Triesterviertel zur Zielgruppe von sALTo: (IE:) „Haben sie etwas vom Salto-Projekt gehört?“ (FK:) „Nein, habe ich nichts gehört.“

Inzwischen ist Fritz Endl zum Gespräch dazu gestoßen. Er ist pensionierter Lehrer, wohnt im Grätzl und war aktiv am sALTo-Projekt beteiligt: „Also der Untertitel im sALTo-Projekt ist selbstbestimmt und gut älter werden im Grätzl. Selbst bestimmt, also nicht von anderen bestimmt und darauf wollte man mit diesem Projekt hinweisen. Auch uns alten Menschen überlassen, wie wir in unserem Grätzl mitbestimmen wollen in den Bereichen Verkehr, Gesundheit, Sicherheit usw.“ (FK:) „Für das würde ich auch sein.“ Um sich vernetzen und mitbestimmen zu können bedarf es zunächst einmal geeigneter Räumlichkeiten. „Gabi´s Schmankerln“ ist Treffpunkt und Info-Drehscheibe, die auch günstig liegt: (GS:) „Man kann rechts und links rausschaun auf die Straßen. Manche kommen ein bisserl weiter runter bis zur Favoritenstraße und bringen von dort Informationen für die, die nicht so weit gehen können.“ Allerdings ist dieser Ort eine Gaststätte und die 35-jährige Wirtin kann nur überleben, wenn die Gäste viel konsumieren. „Ich brauch auch Orte, wo ich hingehen kann, ohne etwas bezahlen zu müssen und das bieten leider im Grätzl nur Pfarren und Parteien.“ Wer sich weder einer Kirche noch einer Partei zuordnen möchte sei arm dran, so Fritz Endl. Die Idee von ihm und anderen engagierten Bürgern: In der Geschäftspassage neben Gabi´s Schmankerln Initiativen für ältere Menschen zu setzen ist bisher gescheitert: „Dazu brauchen wir entweder die Unterstützung des Eigentümers oder eben von den Bezirkspolitikern, die sagen, das ist eine wichtige Sache für den Bezirk. Aber der Bezirk und das ist eine ganz entscheidende Schlüsselfrage ist deshalb daran nicht interessiert, weil es hier parteipolitische eine Abhängigkeit gibt. Die Mehrheit ist SPÖ und die Politiker der SPÖ haben kein Interesse daran, etwa zu unterstützen, was nicht unter ihrer Parteifahne geschieht.“ „Da sag ich jetzt einmal, aha, interessant.“ Karin Schmidt, Bezirksrätin in Favoriten, verweist darauf, dass man eben Finanzierungsanträge stellen müsse. Ob diese dann genehmigt werden, stehe auf einem anderen Blatt. Außerdem gebe es ein Kulturzentrum mit Ausstellungen und Konzerten sowie eine große Anzahl an Pensionistenklubs, die trotz SPÖ-Etiketts natürlich jedem offen stehen. „Das Problem ist, dass wir keine wirklich öffentlichen Räume haben, wo man die Heizung, die Miete usw. von der Öffentlichkeit zur Verfügung bekommt und das, was drinnen geschieht, den Personen im Rahmen der Gesetze überlassen ist. Und an dem mangelt es hier.“ „Ich würde schon sehr stark unterscheiden zwischen öffentlichen Initiativen und Privatinitiativen und wenn irgendwo eine private Initiative entsteht, dann ist sie privat.“ So die Bezirksrätin Karin Schmidt zum Bedürfnis nach Selbstbestimmung älterer Menschen. Sie kann diesbezüglich auf ihre Erfahrungen als Lehrerin zurückgreifen: „Das Problem ist immer so, wenn ich sag, i mag zwar alles von der öffentlichen Hand finanziert haben, nur mitreden derfens überhaupt net. Oder Wünsche äußern oder Regeln erstellen. Ja, das ist das Problem auch bei Kindern. Die haben den unheimlichen Drang sich zu entwickeln, irgendwas zu tun und Initiativen zu setzen und da müssen wir als Lehrer, wo i sag, da san ma das Regulativ, die Grenzen setzen. Manchmal sind sie enger gestellt, manchmal sans weiter, aber es is immer die Obsorge da, dass nix passiert.“

Projekte wie sALTo wollen ältere Menschen aktivieren. Der Folder von sALTo enthält eine Menge von kreativen Ideen wie gemeinsamen Kochen über Werkstätten bis zu Botendiensten, die Kultur in die Wohnungen bringen. Konrad Hummel, Sozialdezernent in Augsburg, kann Projekten wie sALTo einiges abgewinnen, versteht aber auch die kritischen Stimmen: „Die Kritik der freien Stadt Hamburg ist verständlich, weil wir in einer medialisierten Zeit leben, wo sich auch die Projektpartner gegenseitig überbieten mit fröhlich lächelnden alten Menschen in bunten Papieren und Aktionsprogrammen. Die "Telefonkette" als ein Beispiel, das gemeinsame Bepflanzen von Gemüse durch alt und jung als zweites Beispiel. Manchmal ist man wirklich geneigt zu sagen: Das kann doch nicht der Sinn eines großen politischen Demographieprojektes sein. Auf der anderen Seite ist eben die Ratlosigkeit groß. Es ist eine Gruppe, die über die klassischen Erziehungs- und Arbeitsmaßnahmen nicht zu erreichen sind, also weder Schule noch Arbeitsmarkt, sondern das ist eine Gruppe, die zu aktivieren ist in der eigenen Wohnung und Häuslichkeit und die man nicht negativ ansprechen will, also über Mangel, Armut, Leiden, Gesundheit oder Akutmedizin. Das führt dazu, dass man stark über Aktivierung nachdenkt.“ Ja zum Bürgerengagement, das sich aber nicht immer über vordergründige Aktivitäten äußern muss, ergänzt Konrad Hummel: „Ich habe den Ansatz vertreten, dass es nicht nur um Aktivierung geht, sondern dass es vielleicht zuerst darum geht, die Menschen in die Lage zu versetzen, ihre eigene Rolle zu ergreifen. Das kann auch mal eine passivere zurückhaltende Rolle sein. Das kann also auch bedeuten, dass die Toleranz zwischen Ethnien, Mann und Frau, arm und reich ein wichtiger Bestandteil ist. Es geht eigentlich mehr darum, eine Rolle aktiv zu finden und Politik muss aus diesem Grund auch lernen –insbesondere in Wien – stark loszulassen und zu sagen: Wir können nur die Rahmenbedingungen schaffen, aber wir können nicht die Menschen glücklich machen.“

Im siebten Wiener Gemeindebezirk hat ein neuer Seniorentreff eröffnet. Heinrich Hoffer wohnt ums Eck und hat ihn sich angesehen: „Das Angebot dort besteht aus Kaffee oder Tee, den man verabreicht bekommt und aus Kegelnachmittagen, Operetten-Programmen. Es ist ein Konsumprogramm.“ Heinrich Hoffer, der auf Grund einer Multiplen Sklerose in Berufsunfähigkeitspension und Rollstuhlfahrer ist, möchte sich seine Umwelt aktiv aneignen und hat daher andere Vorstellungen von einem Seniorentreff: „Ich würde mir wünschen, dass ich meinen eigenen Schlüssel zu meinem Seniorenklub hab´. Dass ich dorthin gehen kann, wann ich will. Wir könnten doch statt der jetzigen versorgenden Konsumform kleine Werkverträge haben für jemand, der sich um die Bibliothek kümmert, jemand, der sich um die Audiothek und Videothek kümmert. Wo die Menschen ihre eigenen Bestände einbringen und öffentlich zugänglich machen für andere. Das wäre sicher zeitgemäßer als das was jetzt noch immer behaftet ist mit diesem Geruch von der Wärmestube der Nachkriegszeit, wenn die Pensionisten ihre Wohnungen nicht heizen konnten.“

Auf jeden Fall muss man in Zukunft das Angebot für ältere Menschen stärker differenzieren. Frühpensionisten Ende 50 haben andere Ansprüche als pflegebedürftige Hochbetagte. Und die Bedürfnisse unterscheiden ich auch nach Bildung, Lebensstil, sozialer und kultureller Herkunft, kurz, dem Milieu. Diese Milieuverbundenheit älterer Menschen müsse man berücksichtigen, erklärt der Sozialplaner Konrad Hummel: „Ich muss natürlich einen Bürgerlichen, einen Proletarischen, einem Aufsteiger, einem Hedonisten, einen Intellektuellen dort abholen, wo er steht. Nur so kann ich ihn auch gewinnen zum Engagement in der Stadtgesellschaft, wenn ich ihn ernst nehme in dieser Gruppe, in diesem Milieu. Nur, die Menschen wollen insbesondere im Alter über das Milieu hinaus Anreicherung, Bereicherung, weil sie kennen ja ihr Milieu, sie sind ja oft jahrzehntelang drinnen und Anreicherung, Anregung, Herausforderung bekommen sie in der Regel nur, indem sie mutig ihre gewohnten Wege manchmal verlassen, ihr gewohntes Milieu manchmal verlassen. Also ein älterer türkischer Mitbürger sich mit einem anderen, nichttürkischen Mitbürger auf etwas einlässt, wenn eine ältere Frau sich mit einem Mann sich in einem Projekt im öffentlichen Raum einlässt.“ Die Alltagserfahrung lässt einem daran zweifeln, dass die Menschen tatsächlich aus ihrem homogenen alten Bekanntenkreis heraus wollen. „Ich bin der festen Überzeugung, dass sie´s wollen. Der Fehler von Projekten besteht darin, dass sie glauben, die Leute wollen ihr Milieu verlassen. Das ist riskant, denn das Milieu ist Sicherheit und ich brauche im Alter soziale Sicherheit. Aber sie wollen natürlich Anreicherung, weil das Milieu ist – Entschuldigung – stinklangweilig irgendwann.“ Stadtplanerisch kann man diese Entwicklung begünstigen, indem man öffentliche Gebäude wie Schulen, Sportstätten oder Altersheime für verschiedene Nutzergruppen öffnet statt Zentren für einzelne Bevölkerungsgruppen zu errichten. Allerdings dürfe man die Menschen mit dem Plan des Miteinanders auch nicht überfordern weiß Konrad Hummel: „Auch da gilt es in einer Großstadtpolitik genau hinzuschauen: Wo jetzt die Altersgruppen, die unterschiedlichen volkskundlichen Ethnien wohnen und wie kann man versuchen, dass die in einem Raum miteinander klarkommen. Soviel Toleranz wie möglich, aber ich akzeptiere und halte es für richtig, dass Politik respektiert, dass zuviel Nähe zu anstrengend ist und zu romantisch.“

Heterogenität bedeutet mehr Reibung und erfordert daher Mut zur Auseinandersetzung. Diesen Mut vermisst der vielseitig interessierte Heinrich Hoffer bei den Stadtpolitikern bei dem Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern. „Ich glaube, was der Stadt gut täte wäre zu sehen, dass es bei irgendwelchen Aushandlungsprozesse auch mit kleinen Gruppen ja immer auch darum geht, was für das Sozialgefüge der Stadt wichtig sein könnte. Diese selbstbewussten Eigentümer der Stadt, die wir ja sind.“ Es fehle, so Hoffer, auch an einer demokratiepolitischen Form für diese Auseinandersetzung im Grätzl. Beim sALTo-Projekt fand er sie in den sogenannten Resonanzgruppen. Bewohner, Politiker und Vertreter von Institutionen machten sich gemeinsam Gedanken zu Themen wie Pflege und Betreuung und ihrer optimalen Gestaltung im Stadtteil: „Da waren ganz viele Möglichkeiten sichtbar und spürbar, die wenn sie nicht gepflegt werden jetzt, wieder verloren gehen.“ „Pilotprojekte haben so die Sache, dass sie enden und dann gehen sie in ein Projekt über oder sie haben geendet.“ Karin Schmidt war als Bezirksrätin in Favoriten im sALTo-Projekt eingebunden. „Also für uns ist das Projekt jetzt zu Ende. Wir werden aber die Dinge, die im Bezirk passieren, die auch vorher schon da waren, natürlich weiterführen, weil das Thema: wo stelle ich eine Bank auf? ist nicht enden wollend.“ Die Hoffnung, dass die vielen Maßnahmen und begonnenen Kooperationen weiter geführt werden oder gar zu strukturellen Veränderungen führen, ist nicht allzu groß. Brigitte Jedelsky von der Wiener Stadtplanung und Stadtentwicklung findet aber, dass zumindest viele Erkenntnisse gewonnen wurden. „Die Köpfe müssen noch ein bisschen weiter werden und intergenerativer, interkultureller denken. Ich glaube, dass wir noch immer viel zu sektoral denken. Da gibt´s die Gesundheitsplanung, da gibt´s die Stadtplanung, da gibt´s die Sozialplanung, da gibt´s die Planung für Freiflächen. Ich orte aber durchaus, dass es jetzt viel mehr Querschnittsdenken angesagt ist und auch wirklich praktiziert wird. Ich denke, wir haben auch sehr klar, ist und beim sALTo-Projekt bewusst geworden: Das was ein öffentlicher Raum ist, der Lebensqualität und selbstbestimmtes Leben für alte Menschen ermöglicht, hat auch die Qualitäten für Fußgänger, Fußgängerinnen, für Kinder, für Jugendliche, für Alleinerzieherinnen, für behinderte Menschen.“

Der 66-jährige engagierte Bürger Fritz Endl beklagt, dass sich die Politik trotz der allseits demographischen Entwicklung noch nicht auf die neue Generation der Älteren eingestellt habe: „Das sind ja noch körperlich und geistig sehr aktive Menschen, die sich da etwas denken: Wo leb´ ich denn da? Und wollen von Politikern nicht mehr für dumm verkauft werden und die Reaktion ist dann, dass man sich einfach ärgert. Das Potenzial der alten Menschen wird nicht ausgenützt, um das geht´s. Die sitzen herum in der Wohnung und sagen: meine ganze Erfahrung, die ich im Beruf gemacht habe, die Sozialkompetenz, die alte Menschen haben, die wird nicht gefragt, aber das ist notwendig.“

Es gibt eine Ausnahme: Die Sozialkompetenz alter und älterer Menschen war und ist immer noch sehr gefragt, wenn es um die Betreuung der Enkelkinder geht. (FK:) „Ja, des ist aber wichtig. Wir haben auch mit jungen Menschen Kontakt.“ (GS:) „Er ist der brave Opa, was mithilft und die Enkel in den Kindergarten führt jeden Tag.“ (FK:) „Ja, des sind die Opa-Jobs“ (GS:) „Ja, ohne Omas und Opas wären wir glaube ich verloren.“ Mit dem Ende der Erwerbstätigkeit beginnt für viele Menschen eine Phase, in der die Gefahr der Vereinsamung groß ist. Die Aufgabe der Stadtpolitik ist es, die Gelegenheiten zu schaffen, Kontakte auch außerhalb der Familie zu fördern. Die Bezirksrätin Karin Schmidt sowie die Pensionisten Heinrich Hoffer und Friedrich Kroisinger: „Für uns ist eher das Problem, dass zwar das Angebot da wäre, dass die Leute aber nicht so den Drang haben, hinauszugehen.“ „Ich glaub, dass man in der Oberflächenebene ist und dass dahinter bei eigentlich allen Leuten, die ich treffe, ungeheure Bedürfnisse nach Kontakt, nach Kommunikation da sind und dass es eigentlich niemanden gibt der allein und einsam alt werden will.“ „Ich sage ihnen was: Pensionist muss man lernen. Des kann man net vom Start weg.“

Moderatorin: Sie hörten einen Bericht von Isabelle Engels. Das Projekt sALTo erhielt übrigens einen Preis der deutschen Bertelsmann-Stiftung.