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Wenn Wirtschaft auf den Raum vergisst

Von Christian Eigner
05. 07. 2002

Oder: Woran die "New Economy" unter anderem auch verstarb... (und was man daraus für die Ökonomie ganz generell lernen kann)

Sie lesen Teil 1 von "FastBook" Nr. 1, das den Titel "SpacEconomy" trägt und im Grazer Verlag "Nausner & Nausner" erschienen ist. Das Buch kostet 19, 50 Euro und kann direkt beim Verlag online bestellt werden: office(AT)nausner.at. Abdruck im Dorfwiki mit freundlicher Genehmigung des Autors.

                     "AUTSCH!"

Ich spüre fast, wie Ihr ganzer Leib Widerstand zu leisten beginnt, wenn Sie das Wort "New Economy" nur hören.
"Das ist doch vorbei...Wozu noch?...Nicht schon wieder...Gott, wie langweilig..."
Ein eigenartiger Druck entsteht in der Magengrube, ein Stressgefühl kommt auf, und würde man den Hautwiderstand messen, wäre er sicherlich erhöht - wie es eben ist, wenn sich der Neuwert einer Sache verbraucht hat und man sich trotzdem mit ihr befassen muss.

Aber geht es immer nur um den Neuwert?

Es ist schon richtig: Wir leben in Zeiten, in denen originäre Ideen immens wichtig sind und ihren Schöpfern wirtschaftliche Vorteile verschaffen (können); im ganz normalen Firmenalltag ebenso wie an den Universitäten, im Kunst-Betrieb oder in der Kleintischlerei am Land. Aber ist es deshalb gleich notwendig, 'gar nicht mehr zurückzuschauen? Vergessen wir dabei nicht, dass wir zwar nur einen Magen haben, intellektuell aber sehr wohl Wiederkäuer sind?

Gerade die "New Economy" gehört zu jenen Brocken, die wir noch überhaupt nicht verdaut haben: Was genau ist passiert? War das nur eine groß angelegte und vom Kapitalmarkt geduldete Party, oder waren auch Strategien und Logiken im Spiel, die weit über die "Neue Ökonomie" hinaus für die Wirtschaft wichtig sind? Ist das Scheitern der "DotComs?" deshalb nicht auch ein Indiz dafür, dass wir einige gravierende Mängel im System haben, die wir aber konsequent ausblenden? Stellt das Desaster "New Economy" folglich nicht mehr in Frage als bloß die Kompetenz tausender "Jungunternehmer" und einiger leichtfertiger Investoren?

In Wirklichkeit haben wir erst in Ansätzen begriffen, was die "Neue Ökonomie" bei ihrem Aufschlag zerstört hat. Billionen von EUROS, klar. Und viele Illusionen; inklusive der eines "weichen Kapitalismus", in dem Menschen und deren Kreativität im Mittelpunkt stehen. Aber das Ausmaß der Zerstörung ist noch viel größer, wie sich zeigt, wenn man sich erst auf die Spurensuche und das Ergründen der Ursachen eingelassen hat:
Keine Frage, echte Misswirtschaft spielte bei diesem kapitalen Absturz ebenso eine Rolle wie Business Modelle, die diesen Namen nicht verdienen. Und freilich waren da noch all diese kruden Ideen von neuen Business-Regeln, die zu einem guten Teil der so genannten "Netzwerk-Ökonomie" entliehen worden waren und einfach nicht funktionieren konnten ("Denk daran, dass ein Fax sinnlos ist, Millionen Fax-Geräte aber extrem wertvoll sind; schenk deshalb dein Produkt anfangs her und warte darauf, dass es so wichtig wie das Fax geworden ist". Dumm nur, dass die meisten Produkte nie so wichtig wie das Fax werden - ohne deswegen aber wirtschaftlich uninteressant zu sein...).
ALLERDINGS: Es waren nicht nur interne Faktoren, die die "New Economy" gleich schnell sterben wie entstehen ließen. Am Desaster war auch die ganz reale Ökonomie beteiligt; das "echte" Business mit seinen seit Jahrzehnten eingespielten und erprobten Vorstellungen davon, wie Wirtschaft aussieht.
Denn zu diesen Vorstellungen gehört auch, dass man eigentlich keine Vorstellung davon hat, wo Business passiert: Business spielt sich einfach nur ab, irgendwo in einem nicht genauer definierten Vakuum, in dem bestenfalls Distanzen existieren, die als Transport- und Transaktionskosten ausgedrückt werden. Business ist also irgendwie "raum-los", schwebend, was mehr als nur seltsam erscheint, wenn man bedenkt, dass Leben letztlich immer auch Raum-(Er)Leben ist. Allein von dem her wäre es nahe liegend, Business als ein Geschehen zu betrachten und zu leben, das sich im Raum entfaltet und anwächst, vom Raum Grenzen gesetzt und raumimmanente Dynamiken aufgezwungen bekommt. Doch nichts davon scheint der Fall zu sein; in der Wirtschaft wird der Raum nicht mitgedacht.

Und genau das ist der "Neuen Ökonomie" zum Verhängnis geworden: Diese Raum-Ignoranz, die unter anderem dazu verführen kann, die Welt als einen riesigen Marktplatz zu betrachten; als eine riesige Ansammlung von Punkten und kleinen Flächen, auf denen man sich nach Belieben aufstellen kann, um sein Produkt oder seine Dienstleistung zu verkaufen. Auch an solchen Fantasien ist die "Neue Ökonomie" gescheitert - was logischerweise mehr in Frage stellt als bloß einige Akteure und Strategien der "New Economy"....

"MOMENT! Stop!"

Zugegeben, das ging jetzt rasch und überfallsartig. Und wirft mehr Fragen auf als beantwortet werden:

"Bitte nochmals und etwas exakter", höre ich Sie deshalb sagen:

"Was genau ist mit ‚Raum-Ignoranz’ gemeint? Wozu führt die und warum ist das Ergebnis fatal? Warum ist es schlecht, sich die Welt als einen Marktplatz vorzustellen, auf dem man sich platziert, wie man will? Und wieso sind riesige Ansammlungen von Flächen keine Räume? Wird zudem in der Wirtschaft nicht ungemein viel über ‚Raum’ geredet; etwa in all den Standort- und Globalisierungs-Diskussionen? Ja - ist es nicht überhaupt an den Haaren herbeigezogen, die ‚New Economy’ mit irgendwelchen fehlenden Raum-Vorstellungen in Verbindung zu bringen? Noch dazu, wenn man bedenkt, wie wunderbar einfach sich Aufstieg und Fall der ‚New Economy’ erklären lassen, sobald man eine systemische Perspektive einnimmt: Die "Neue Ökonomie" wurde vom System, das Kapitalmarkt und Unternehmen bilden, selbst produziert, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Hunderttausende Testballons wurden in Form von Start-ups finanziert und losgeschickt, um zu ergründen, was der Telekommunikations- und Internet-Sektor an möglichen Geschäftsfeldern zu bieten hat. In einem riesigen, aber nie in unkontrolliertem Ausmaß Geld vernichtenden trial&error-Prozess hoffte man, die "Stahl- und Auto-Industrie des 21. Jahrhunderst" zu finden, wie es ein "New Economy"-Kommentator einmal formuliert hatte. Gleichzeitig brachte man auf diese Weise einen neuen Investitionszyklus in Gang, was wahrscheinlich noch wichtiger als das Ausloten zukünftiger Business-Segmente war. Schließlich kamen durch das Investment in Netz- und Telekommunikationstechnologien die Finanzmärkte in Schwung - und damit das Herzstück der zeitgenössischen Wirtschaft, hat die Finanzwirtschaft doch der so genannten Realwirtschaft längst den Rang abgelaufen. Nachdem die Start-ups ihre Mission erfüllt hatten - einige neue Geschäftsfelder wurden erschlossen (z.B. "e-procurement"), einige zukünftige "Big Player" geboren (etwa "Amazon", "AOL TimeWarner?" oder "Yahoo!") - und an den Börsen beinahe ein halbes Jahrzehnt lang mit "New Economy"-Titeln hervorragende Geschäfte gemacht worden waren, kam diese System-Bewegung zur Förderung der eigenen Weiterentwicklung ganz von selbst wieder zum Stillstand. Und der inneren Logik des Systems entsprechend, gab es wie immer nur wenige Gewinner und Unmengen Verlierer - ganz so wie bei anderen, historischen trial&error-Prozessen dieser Art; etwa bei der Entstehung des Auto-Marktes.

Bringt es das nicht auf den Punkt?"

Zweifellos - eine überzeugende Argumentation. Sie übersieht jedoch, dass das Massensterben der "DotComs?", das man in den vergangenen zweieinhalb Jahren beobachten konnte, mehr als nur die übliche Konsolidierung einer Branche war. Viele Firmen begannen schon zu kränkeln, bevor noch irgendwelche Konsolidierungen anstanden; der "reverse auction"-Betreiber "Priceline" beispielsweise, der nach sensationellen wirtschaftlichen Erfolgen mit der kundenanbotsbasierenden Versteigerung von Flugtickets ("Welche Airline bietet mir ein Ticket von New York nach LA um weniger als 200 Dollar?") vor mehr als einem Jahr haarscharf am Konkurs vorbeischlitterte, trotz eines überzeugenden und auch funktionierenden Business Models. Was "Priceline" fast in den Ruin trieb, war die Art und Weise, wie das Unternehmen wuchs, das heißt, wie es mit Raum umging. Blitzschnell wollte es die ganze Welt und, was sich bei einem solchen Vorhaben dann gleich miteinschleicht, alle möglichen Branchen zum Feld seiner Aktivitäten machen - mit besagten gravierenden Folgen. "Raum-Ignoranz" eben...
Und weil sich Ähnliches bei unzähligen anderen "DotComs?" beobachten lässt, ist es gar nicht an den Haaren herbeigezogen, die "Neue Ökonomie" und deren Scheitern mit einem "Raum-Problem" in Verbindung zu bringen, das die Ökonomie offensichtlich ganz generell hat.
Was aber auch bedeutet, dass ich Ihnen einige Präzisierungen und Vertiefungen schulde. Schauen wir es uns deshalb die ganze Sache noch einmal und etwas ausführlicher an:
 
Die "New Economy" und der Raum
Erinnern Sie sich noch an die erste E-Commerce-Welle im Jahr 1999?
Was man sich vom Internet ganz speziell erwartete, war die Überwindung sämtlicher Grenzen. Das Netz sollte es gleichgültig machen, ob man in der Oststeiermark, im Großraum München oder in der BayArea? lebte - über den Web Shop, so sagte man, könnte man die ganze Welt bedienen.
Dass es eher schwierig werden würde, dem ausschließlich Mandarin sprechenden Kunden etwas zu verkaufen, wurde dabei vorsichtshalber gleich einmal außer Acht gelassen; aber nicht nur das: Ausgeblendet wurde auch, dass man mit dieser Vision die Welt wieder zur Scheibe machte.
Denn wo man meint, die ganze Erde bedienen zu können, sind Flächenfantasien an der Arbeit: Die Welt wird hier als Forum, als Standfläche vorgestellt, die wiederum aus einzelnen Stellflächen oder Punkten besteht. Jeder ist auf einem solchen Punkt zu Hause, von dem aus er - wie auf einem Fischmarkt - allen das zuwirft, was sie beim ihm gerade bestellt haben. Natürlich sieht man nicht immer jeden und wird auch nicht immer gesehen, aber prinzipiell ist es ein großer Platz, auf dem sich alle befinden - und auf dem man sich auch wie auf einem großen Platz verhält: Sich positionieren, auf sich aufmerksam machen, notfalls weitergehen und sich eine andere Stelle suchen - das Bewegen auf der Fläche bestimmt das Leben und Verhalten; soweit die Fläche reicht, reicht auch die Welt.
Vielleicht sollte man noch hinzufügen, dass es ganz konkret ein Platz an einem Sonntag Nachmittag ist, den die E-Commerce-Visionäre im Hinterkopf hatten. Oder noch konkreter: Ein Platz an einem Sonntag Nachmittag, auf dem nur flanierende Individualisten und Kleingruppen unterwegs sind. Denn es ist eine seltsam atomisierte Gesellschaft, auf die man auf der Welten-Fläche trifft; wie Elementarteilchen besetzen die einzelnen Protagonisten Orte, von denen sie irgendwelche Aktivitaten ausführen, bis sie dann plötzlich zu einem anderen Punkt weiterspringen.
Es ist also eine unräumliche Welt, die einem im E-Commerce und damit in der "New Economy" begegnet - außer man versteht den "Raum"-Begriff auf hochabstrakte Weise: "Raum" - ich halte mich hier kurz, weil wir das alles später noch viel genauer diskutieren werden - bedeutet dann nur so viel wie "Räumlichkeit", das heißt der Begriff will einfach darauf hinweisen, dass es ein Oben, ein Unten, ein Links, ein Rechts, ein Vorne und ein Hinten gibt. Er meint so viel wie "Ausdehnung" und weckt die Assoziation einer Blase oder einer Schachtel, wie es die Raumsoziologin Martina Löw nennt, in der sich alles abspielt und in der alles liegt; inklusive dem Platz, auf dem sich Menschen bewegen, die Elementarteilchen gleichen. In diesem Sinn ist die Welt der "New Economy" durchaus räumlich.
Allerdings meinen wir meist etwas anderes als diese "Schachtel", wenn wir den "Raum"-Begriff benutzen:
Wer davon erzählt, dass er im "Raum London" zu Hause ist, weckt in der Regel bei seinem Zuhörer nicht nur geografische Assoziationen. "Raum" steht hier auch für "Lebensraum"; meint bestimmte Lebensformen und Lebenszusammenhänge, die mit diesen "Um-Raum" von London verbunden sind.
Ja, sie sind nicht nur mit ihm verbunden - sie machen ihn sogar erst aus, erzeugen ihn. Es ist eine soziale, auf vielfältige Weise mit der Geografie verbundene Welt, die wir im Sinn haben, wenn wir vom "Raum London" sprechen. Eine Welt, die wir nicht als neutrale "Schachtel" oder "Blase" mit einer riesigen Grundfläche erleben, sondern als einen einhüllenden Ozean, in dem es Wellen, Strömungen, Riffe, Fischschwärme, Untiefen und vieles mehr gibt, mit denen wir schwimmend zu Rande kommen müssen. "Raum" beschreibt sozusagen ein "Mitten-drin-Sein" in einer Lebenswelt, die man ausgedehnt erfährt, die wächst und schrumpft, aber stets ein Kontinuum bleibt, das man nur im "Mit-Leben" erfassen, begreifen und mitentfalten kann.
"Raum" inkludiert deshalb stets auch eine spezifische Form von "Widerstand", einen "Raum-Widerstand", auf den wir in diesem "Mitten-drin-Sein" - etwa in Form von Untiefen und Strömungen - stoßen und der sich nicht umgehen, sondern nur durch Erfahrung und Geschicklichkeit meistern lässt. Weshalb zum Raum immer die Zeit gehört, die man sich nehmen muss, wenn man im Raum Fuß fassen will.
In diesem Sinne gab es im E-Commerce und in der "New Economy" definitiv keinen Raum. Flächen und Punkte waren an seine Stelle getreten; die Probleme und Widerstände, die Raum bereiten kann, waren kein Thema. Und auch die Zeit nicht. Die Business-Entwicklungs-Vorstellungen der "DotComs?" belegen das sehr deutlich:
An einem Punkt - etwa in Wien - starten, und dann möglichst rasch eine Niederlassung in Hamburg oder New York haben - so stellte man sich den Werdegang eines Start-ups vor. Entwicklung bedeutete nicht, sich einmal in einem "Lebensraum" einzunisten, sich Zeit zu nehmen, wie es allein schon die Schwierigkeiten, die einem das "Schwimmen" an einem Ort normalerweise bereitet, nahe legen (und was jeder professionelle Autohändler in der Regel tut). Stattdessen hieß Entwicklung, von einem Punkt zum anderen weiterzuspringen; an singulären Punkten präsent zu werden, um dort das nächste Geschäft zu starten; so, als ob es nur um das Einschalten eines fertigen Motors ginge, den man an dem gewählten Ort abstellen muss. Entwicklung (im Raum) war durch punktuelle Platzierung ersetzt worden.

"Ja und?!"
Ich ahnte schon, dass diese Frage jeden Moment kommen würde....
"Ist das nicht die normalste Sache der Welt? Gehen nicht alle Firmen, die transnational operieren, so vor?...Das ist moderne Standort-Politik!...Die Welt als Marktplatz...als PLATZ, ja!"
Sie haben völlig Recht.
Große Konzerne agieren schon seit Jahrzehnten auf diese Weise. Für sie ist die Welt ein Spielplatz, ein Geflecht von Punkten, die man als Standorte bezeichnet, die in Wirklichkeit aber keine Verortungen sind, sondern aufgepfropfte Singularitäten, die nicht in ihr Umland einwachsen. Raum scheint hier nicht die geringste Rolle zu spielen - nicht umsonst sagte ich ja, dass die "Raum-Ignoranz" ein Problem der gesamten Ökonomie ist....
 
"Ja ist sie das aber wirklich? Ich meine herauszuhören, dass Business irgendwas mit der Teilhabe an und der Entfaltung von Räumen zu tun hat und dementsprechend diese so genannte ‚Raum-Ignoranz’ irgendwie fatal ist. Warum geht es dann aber Firmen wie ‚CocaCola?’ oder ‚Siemens’ mit ihrer ‚Raum-Ignoranz’ offensichtlich ganz gut? Wieso macht diesen das Denken in Plätzen und Standorten und Punkten nichts aus? Denn dass diese Unternehmen dieser Logik folgen, ist wohl nicht zu bestreiten!"

Ein berechtigte Frage.

Um sie beantworten zu können, müssen wir allerdings weiter ausholen, das Thema "Raum" einmal kurz zur Seite schieben und einige prinzipielle Überlegungen zu Wirtschaft und globalem Wirtschaften anstellen:
 
Ein Welt-System namens Kapitalismus. Wallersteins (Durch-)Blick

Gegen "CocaCola?" anzutreten macht wenig Sinn, weder weltweit noch in kleinen Lokalmärkten. Nicht wenige haben das versucht, doch die meisten haben nicht einmal Etappen-Siege erringen können. "Afri-Cola", "American Cola" - in der Regel wurden sie vom US-Konzern schon in ihren Usprungsländern erfolgreich auf die Ränge verwiesen und vielleicht sogar als kleine Sub-Marken dem transkontinental agierenden "Coca-Cola"-Imperium einverleibt.

Genau das macht einen Weltkonzern aus: Er besiegt seine Konkurrenten nicht nur auf den internationalen Märkten, sondern auch in deren Heimatstaaten, sozusagen am eigenen wirtschaftlichen Parkett. Was er aber nur deshalb kann, weil er quasi ein Monopolist ist, dem es seine Wirtschaftskraft erlaubt, einen aufkommenden Konkurrenten mit Dumpingpreisen und exzessiven Werbemaßnahmen förmlich zu erdrücken.

Freilich: Offiziell gibt es in unserem Wirtschaftssystem keine Monopolisten. Schließlich leben wir in Marktwirtschaften, in denen Angebot und Nachfrage einander das Gleichgewicht halten. Auf Grund ihrer verzerrenden Wirkung, die Monopole auf dieses Gleichgewicht haben, stellen sie bestenfalls so etwas wie illegitime Entartungen dar, die deshalb von staatlich organisierten Kartellwächtern umgehend zerschlagen werden, falls sie entstanden sein sollten.

Doch das ist nur die Theorie. In der Realität wimmelt es nur so von (Quasi-) Monopolen, und nur allzu oft war es der Staat, der dabei behilflich war, sie zu schaffen. "Microsoft" beispielsweise hätte seinen weltweiten Siegeszug wohl kaum antreten können, wenn nicht us-amerikanische Außenpolitiker und Handelskammer-Vertreter fleißig die Werbetrommel gerührt und so manchen Mega-Deal für den nunmehrigen Software-Riesen eingefädelt hätten. Die bekanntesten Beispiele dafür sind die vielen Parlaments- und Schul-Ausstattungen mit "Microsoft"-Paketen, die von den Medien zwar gerne gemeldet, aber selten in ihrer Relevanz begriffen und adäquat dargestellt werden: Es sind das durchwegs Groß-Aufträge, die nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, aus der erfolgreichen US-Firma den "GlobalPlayer?" zu machen; Groß-Aufträge, die ohne politisches Engagement wohl nie zu Stande gekommen wären.

Zu erinnern ist an dieser Stelle auch noch daran, dass in den USA in den vergangenen 120 Jahren gerade einmal zwei große Trusts politisch zerschlagen wurden, nämlich das Rockefeller Öl-Imperium und AT&T - was nicht gerade von einer besonderen Abneigung gegen markbeherrschende Stellungen und mangelnden Wettbewerb zeugt. Denn an Gelegenheiten dazu hätte es wohl nicht gefehlt; man denke nur an die dominante Stellung, die IBM in seiner Branche in den Siebzigern und frühen Achtzigern inne hatte.

Dass die Politik eher ein Förderer von Monopolen und monopolähnlichen Strukturen als deren "natürlicher Feind" ist, liegt an der prinzipiellen Verfasstheit des Kapitalismus.

Denn Kapitalismus ist, wie Immanuel Wallerstein in seiner "Welt-System-Analyse" auf eindrucksvolle Weise gezeigt hat, nicht einfach nur gut funktionierende Marktwirtschaft oder florierender Freihandel; das wäre zu naiv und harmlos gedacht, vermittelt das Bild der Marktwirtschaft doch indirekt immer auch, dass man es mit einem Werkzeug oder Instrument zu tun hat: So, wie man sich entscheidet, in Städten Märkte abzuhalten, entscheidet man sich auch zur marktwirtschaftlichen Organisation einer Region oder eines ganzen Kontinents. Es ist lediglich eine Frage der Ideologie, ob man das tut, wobei - so wird gerne argumentiert - die Entscheidung für die Marktwirtschaft die klügere ist, weil sie sich in der Realität als ein hocheffizientes Werkzeug zur Optimierung von Volkswirtschaften herausgestellt hat.

Tatsächlich aber, so Wallerstein, greift das zu kurz. Historisch betrachtet ist nämlich im Europa des 15. Jahrhunderts ein so genanntes "Welt-System" entstanden, das auch heute noch den verbindlichen und unhintergehbaren Rahmen für unser gesamtes wirtschaftliches Handeln bildet, aber mittlerweile weit über Europa hinaus reicht. Dieses Welt-System ist eben der Kapitalismus, der im Verhältnis zu anderen Welt-Systemen eine ganze Reihe von Besonderheiten aufweist:

Nach Wallerstein sind Welt-Systeme prinzipiell nichts Neues. Schon längst haben sie die "Mini-Systeme" abgelöst, also jene sozialen Kleinsysteme, in denen die Arbeitsteilung in einem singulären kulturellen Rahmenwerk erfolgte; etwa im sibirischen Dorf, in das Fremde nur als Gäste, aber nicht als Händler - oder zumindest nicht als Händler, von denen man in irgendeiner Form abhängig war - kamen. Im Verhältnis zu diesen Kleinsystemen ist ein Welt-System das genaue Gegenteil: Es existiert in ihm eine internationale Arbeitsteilung, die über einzelne Kulturen und Staaten hinweg erfolgt und die es unter anderem mit sich bringt, dass man als Produzent eines bestimmten Gutes eine Profit-Orientierung entwickelt, da man sich nicht mehr in reinen Tauschbeziehungen bewegt.

Ein Welt-System ist folglich primär dadurch gekennzeichnet, dass es größer als die juridisch definierten politischen Verwaltungseinheiten ist, die es tangiert, und durch ein komplexes Netzwerk wirtschaftlicher, arbeitsteiliger Beziehungen, die sich buchstäbliche über alle Grenzen hinwegsetzen, zusammengehalten wird.
Für Welt-Systeme war es aber immer auch typisch, dass irgendjemand versuchte, sie in Welt-Reiche, in Imperien, umzuwandeln; man denke nur an die transkulturellen mediterranen Welt-Systeme der Antike, die etwa Griechen wie Römer unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten (was phasenweise ja gelang). Laut Wallerstein ist das verständlich, erlaubt das doch das bequeme Abschöpfen einer gewaltigen Wirtschaftsmaschinerie: Die herrschaftliche Gewalt, die mit der errungenen Macht über ein Welt-System einhergeht, ermöglicht den Regierenden das Einheben von Steuern und Tributen wie auch die Errichtung von Handelsmonopolen; eine effiziente Strategie, die manch Herrscherhaus für Jahrhunderte groß und einflussreich machte. Allerdings ist diese Strategie auch wieder keine hocheffiziente, da in riesigen Reichen immense Verwaltungskosten anfallen, die die Profite fressen.

Für Wallerstein besteht der Clou des kapitalistischen Welt-Systems deshalb darin, dass es nie imperial vereinnahmt werden konnte. Die Habsburger hatten das war im 16. Jahrhundert versucht, waren aber am Widerstand potenzieller Konkurrenten gescheitert. Stattdessen entstand - durch eine Reihe von historischen Zufällen - innerhalb des Welt-Systems ein Staatengefüge, in dem zwar gelegentlich einer der Staaten zur Hegemonialmacht wurde (wie etwa die USA nach dem II. Weltkrieg), prinzipiell aber ein Gleichgewicht herrschte, das es unmöglich machte, dass eines der Länder das Welt-System zu einem Welt-Reich transformierte.

Das kapitalistische Welt-System, das im 19. Jahrhundert in Folge seiner wissenschaftlich-industriell bedingten Kraft zum alleinigen Welt-System, zum internationalen wirtschaftlichen Bezugspunkt und Rahmenwerk, aufstieg, unterscheidet sich von anderen Welt-Systemen also dadurch, dass es nicht der Politik folgt.

Im Gegenteil, es stellt die Politik in seine Dienste:

Eine weitere Besonderheit des kapitalistischen Welt-Systems ist ja, das in ihm - anders als im Feudal-System des Mittelalters - ein reger, internationaler Handel mit Massenwaren (und nicht bloß mit Einzelgütern) existiert. Eine ganze Reihe von Faktoren - klimatische ebenso wie regionalgeschichtliche oder ökologische - führten dazu, dass im 16. Jahrhundert ein gesamteuropäischer Markt für Agrarprodukte entstand, der primär nicht mehr auf Tausch ausgerichtet war, sondern eine klare Verkaufs- und Profit-Orientierung hatte (und sich später zu dem internationalen, vielgestaltigen Markt auswuchs, den wir heute kennen).

Den jeweiligen regionalen Entwicklungen entsprechend, erfolgte dabei eine klare Arbeitsteilung, wobei dem hoch entwickelten Nordwesten Europas die Rolle eines Kerngebiets zukam: Hier wurden die landwirtschaftlichen Spezialprodukte erzeugt, wie es zusätzlich eine Konzentration auf die Textil-Herstellung und den Schiffsbau gab. Die mediterrane Welt hingegen spezialisierte sich auf die Produktion kostenintensiver industrieller Güter und wurde zum Zentrum der Finanztransaktionen, während Ost- und West-Europa die herkömmliche Agrarproduktion (mit eher rückständigen Mitteln) abwickelte, mithin den Markt mit Getreide, Holz, Baumwolle oder Zucker versorgte.

Damit war jedoch eine Struktur, ein Gefälle geschaffen - hoch entwickelte Kernstaaten, gut entwickelte semiperiphere Staaten (jene am Mittelmeer) und schlecht entwickelte Peripheriestaaten (die Ost- und West-Europäer) -, das bis heute, wenn auch in veränderter Form, das kapitalistische Welt-System kennzeichnet und der Politik ihre ganz spezifische Funktion gibt (ganz konkret spricht Wallerstein von "Peripherie-Gebieten", da diese eigentlich zu schwach sind, um als Staaten bezeichnet werden zu können; der Einfachheit halber will ich aber von Staaten sprechen).

Denn natürlich lässt sich der größte Profit beispielsweise dann erzielen, wenn ein Unternehmen aus einem Kernstaat möglichst einfach auf die billigeren Ressourcen und Arbeitskräfte eines ("unterentwickelten") Peripheriestaates zugreifen kann; ein Prozess, den Wallerstein als "ungleichen Tausch" bezeichnet und der ein weiteres Merkmal des kapitalistischen Welt-Systems ist. Speziell der Peripheriestaat wird deshalb möglichst offene Märkte und Grenzen haben müssen, während es für den Kernstaat in dieser Situation von Vorteil sein kann, den Markt abzuschotten, um nur die Vorteile aus diesem Gefälle zu akquirieren.

Politik, so Wallersteins Analyse, ist im kapitalistischen Welt-System deshalb nicht mehr als ein Regulationsmechanismus, der dafür sorgt, dass in diesem Gefälle für die Unternehmen die optimalen Bedingungen herrschen: Beispielsweise ist die polnische Monarchie des 16. und 17. Jahrhundert laut Wallerstein nicht deshalb verfallen, weil irgendein Nationalstaaten bildender, ideologiebasierender oder gesellschaftlich-kultureller Mechanismus versagt hätte, sondern weil ein Peripheriestaat wie das damalige Polen möglichst offene Märkte brauchte, in denen sich ausländische Händler so bewegen konnten, als ob sie zu Hause wären. Jegliche Betonung des Nationalen und irgendwelcher interner Kräfte wäre dabei hinderlich gewesen.

Starke Nationalstaaten waren lediglich in den "Kern-Gebieten", wie Wallerstein sie auch nennt, wichtig, weil es dort starke Produktionsbetriebe gab, die mit Hilfe der Staatsmaschinerie noch stärker werden konnten (und diese Maschinerie deshalb auch zuließen, ja sogar förderten). Denn durch gezielte Staatseingriffe konnten sich diese Produktionsbetriebe vom Markt und seinen Mechanismen befreien; etwa dann, wenn sie den Staat erfolgreich dazu brachten, Schutzzölle einzuheben.

Die politische Energie wird im kapitalistischen Welt-System also nicht mehr dazu genutzt, Welt-Reiche zu bauen, sondern zur Sicherung der Monopolrechte der im Land ansässigen Unternehmen verwendet; ein Befund, der im ersten Moment wohl jeden Aufklärer schockiert, bei genauerem Hinsehen aber seine Plausibilität hat. Denn bei aller Eigendynamik, die das politische System hat; bei allen Machtkämpfen, die es kennzeichnen; bei allen sozialen Maßnahmen, die es für die Bevölkerung setzt - sein letzter Bezugspunkt scheinen doch immer wieder die Unternehmen zu sein.

Gerade die letzten zehn Jahre haben das in Europa nur allzu deutlich gezeigt. Überall wurden systematisch die Märkte geöffnet; egal ob rechte oder linke Regierungen an der Spitze des Staates standen. Als "neoliberale Wende" wurde das heftigst und kontrovers diskutiert - und damit vorausgesetzt, dass es sich allein um ein ideologisches Problem handelt. Allerdings konnte die Neoliberalismus-Diskussion zwei Dinge nie plausibel erklären:

- Erstens, weshalb die Politik diese Wende vollzogen hat und weiter vollzieht (wobei es natürlich Erklärungen gibt, die jedoch stets in Richtung Geschmack - Reagan und Thatcher sympathisierten einfach mit konservativen Haltungen - oder Manipulation - mächtige Konzerne gewinnen in der Politik an Einfluss und beginnen diese zu steuern - gingen, was aber erschreckend unstrukturelle und damit unbrauchbare Erklärungen sind), und
- zweitens, weshalb viele Menschen doch den Eindruck haben, dass sich jenseits aller ideologischen Geplänkel eine tief greifende Wandlung vollzieht, die sich gleichsam hinter unserem Rücken abspielt - und auch hinter dem Rücken der Politik.
Tatsächlich vollzieht die Politik die Öffnung der Märkte vor allem auf Druck der Unternehmen, die jedoch nicht aus bösartiger Machtgier die Demokratie ausschalten wollen (auch dieses pseudo-mythologische Argument wird von der Neoliberalismus-Diskussion gerne bemüht), sondern mit dem Faktum konfrontiert sind, dass sich das "Kernstaat - Semiperipheriestaat - Peripheriestaat Gefälle" verändert hat. Nicht nur sind mit dem geöffneten Ostblock neue semipheriphere Staaten hinzu gekommen; auch begann der rasante Aufstieg der asiatischen Staaten am "Kern-Gebiet"-Status Europas zu nagen, weshalb eine Stärkung der europäischen Märkte dringlich notwendig erschien und auf dem Wege der weit gehenden Öffnung versucht wurde.

Das macht nicht nur plausibel, weshalb linke wie rechte Regierungen heute mehr oder minder identische Positionen beziehen (und warum all die Diskussionen darüber, was links oder rechts noch bedeuten kann, den Eindruck hinterlassen, dass man eigentlich nicht wirklich zum Kern des Problems durchgedrungen ist); es erklärt auch, weshalb viele Menschen das Gefühl haben, tief greifenden Veränderungen ausgesetzt zu sein, die mit Weltbildern und politischen Strategien nichts mehr zu tun haben.

Nicht Ideologien, so Wallerstein, erzeugen mithin die uns so vertraute politische Dynamik, sondern allein die Position, die ein Staat im "Kernstaat - Semiperipheriestaat - Peripheriestaat Gefälle" innehat. Stets geht es um die Ausschaltung negativer Markt-Effekte oder von Märkten überhaupt, was die Unternehmen selbst freilich nicht leisten können; dazu ist eine übergeordnete Instanz wie der Staat notwendig.

Nur zu diesem Zweck investieren die Unternehmen in die Staatsmaschinerie - jedoch lediglich so lange und in dem Ausmaß, wie es sich für sie rechnet. Allerdings können auch zu geringe Investitionen fatale Konsequenzen haben, wie die australische Wirtschaft im Zuge ihrer umfassenden Liberalisierung in den frühen Neunzigerjahren erfahren musste: Das Zurückdrängen des Staates brachte - nach Wallerstein verständlicherweise - speziell den Außenhandel in eine dermaßen prekäre Situation, das sich die Außenpolitik, wie die Medien damals nicht ohne Schadenfreude berichteten, sehr bald wieder - und gegen das liberale Credo - in den Dienst der Wirtschaft stellte.

Aus dieser Grundfunktion des Staates ergibt sich alles Weitere, was man aus der Politik kennt: Das Erbringen von Sozialleistungen, beispielsweise (was stabilisierend wirkt und Revolten verhindert) - aber auch die direkte wie indirekte Förderung genau jener Betriebe und Konzerne, die es auf den ersten Blick nicht nötig haben; etwa von "Kirch Media" in Deutschland oder von "Magna" (einem Auto-Zulieferer internationalen Formats) in Österreich.

Für diese wird der Staat mit seinen Steuervergünstigungen, billigen Krediten, Kreditgarantien oder Subventionen zu jenem Hebel, den sie brauchen, um jene Wettbewerbsvorteile oder Kapitalmengen lukrieren zu können, die allein durch Wirtschaftlichkeit und Effizienz auf den internationalen Märkten ansonsten nicht mehr lukrierbar sind. Erst diese partiellen Staatseingriffe machen es möglich, dass sich ein gut etabliertes Unternehmen sukzessive zum Monopolisten entwickeln kann; eine Ansicht, die mit Wallerstein sogar liberale Theoretiker wie Friedrich August von Hayek teilen, wenngleich bei letzteren der Staatseingriff stets eine Art illegitime Anomalie bleibt - ein Standpunkt, der angesichts der politisch-wirtschaftlichen Alltagsrealität allerdings mehr als nur seltsam anmutet.

Womit wir wieder bei "CocaCola?" und "Microsoft" angekommen sind. Und auch bei der Frage, weshalb Konzerne dieser Art mit der "Raum-Ignoranz" kein Problem haben:

Nimmt man Wallerstein ernst - und man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass seine Welt-System Analyse die zurzeit wohl zutreffendste Beschreibung der ökonomischen wie politischen Wirklichkeit liefert -, muss es sogar zur Aufgabe professioneller Außenpolitik gehören, Firmen dieser Größenordnung auf unterschiedlichste Weisen zu unterstützen (was die Amerikaner viel besser zu tun wissen als etwa die Deutschen, wie die "WirtschaftsWoche?" bereits vor Jahren in einem großen Beitrag zu diesem Thema klagend feststellte).

Erst der Staat hebt sie in jene Sphäre des kapitalistischen Welt-Systems, die den Märkten mit ihrem permanenten Wettbewerb eigentlich schon entrückt ist und in der es vielmehr darum geht, Monopolansprüche auszubauen oder zu verteidigen.

Dazu ist es aber vor allem nötig, an möglichst vielen Orten der Welt präsent zu sein. Nicht das Kennenlernen von "Lebensraum" ist für einen Konzern, der sich in dieser Sphäre bewegt, notwendig; nicht das "Einnisten" in Lebenswelten und nicht das Ausloten von Untiefen und Strömungen: Wer um Monopole kämpft, hat vor allem Flächen zu besetzen und Standorte zu beziehen, von denen aus rasch eine wahre Überschwemmung der umliegenden Platzabschnitte mit Gütern vorgenommen werden kann. Wenn das Unternehmen klug ist, wird es dabei einige Produktanpassungen an die lokalen Gegebenheiten vornehmen und darauf achten, welche Alltagspraxis vor Ort gelebt wird; aber es muss nicht wirklich am "Raum-Leben" teilnehmen und den "Lebensraum" mitentfalten, wie das das kleine Software-Unternehmen oder der Autohändler tun muss. Denn wer sich einmal in dieser Sphäre bewegt, ist nicht nur wenigstens ansatzweise den Märkten entrückt, sondern auch dem Raum.

Genau das ist es nämlich, was die Politik mit ihrem Eingriff bewirkt: Macht zerstört, worauf schon Hannah Arendt hingewiesen hat, den Raum zwischen den Menschen, respektive in diesem Fall den Raum zwischen den Unternehmen und den Mitbewerbern (und allzu oft auch den Raum zwischen den Unternehmen und den Kunden). Sie hinterlässt eine Welt, die eine Oberfläche ist, der Grund einer Schachtel, auf der man sich in weiterer Folge auch wie am Grund einer Schachtel bewegt, mithin wie jemand, der Mühle oder Schach spielt: Von Punkt zu Punkt ziehend oder springend.

Dass "CocaCola?" kein Problem mit der "Raum-Ignoranz" hat, liegt folglich daran, dass das Unternehmen einer Sphäre angehört, in der es keinen Raum mehr gibt. Oder bloß noch einen sehr abstrakten Raum, eine Blasen- oder Schachtel-Konzeption von Raum, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass "Lebensraum" darin nicht mehr als solcher wahrgenommen wird (es ist der Cyberspace, wie Peter Nausner meint, der sich hier aufzutun beginnt; der wirkliche Cyberspace, an dem all die Netznutzer ein wenig partizipieren dürfen, der de facto aber von ganz anderen Kräften hervorgebracht wird und strukturell besehen auch ganz woanders als im Internet zu Hause ist, nämlich eben im Kapitalismus...). In dieser Sphäre, in der sich das kapitalistische Welt-System wahrscheinlich selbst am nächsten kommt, ist Kapitalismus Flächenwirtschaft - was sich in der Anfangsphase des kapitalistischen Welt-Systems vielleicht am schönsten gezeigt hat.

Denn laut Wallerstein hatte die Politik des 15., 16. Jahrhunderts vor allem die Aufgabe, die Interessen der Landbesitzer und der mit ihnen kooperierenden Händler zu vertreten, was zu all den Landeroberungen und (von Regierungen finanzierten) Entdeckungsreisen führte, die in der Neuzeit zu beobachten waren. Wobei die Landeroberungen stets Flächenbesetzungen waren, der Gewinn von Oberfläche (was nur allzu gut zur Cyberspace-These passt, ist mit dem Cyberspace doch die Idee der Oberfläche aufs Engste verwoben....) und nicht das Teilhaben an Raum, wie die Katastrophe des Kolonialismus deutlich zeigt....

"AUSZEIT! AUSZEIT!"

Zugegeben: Das war jetzt dicht.

Aber mein kleiner Monolog hat uns auch ein großes Stück weitergebracht. Schließlich habe ich zumindest einmal Ihre Frage beantworten können, weshalb das Denken in Plätzen und Punkten großen Konzernen nichts ausmacht....

"Schön und gut. Wie geht das alles aber mit der ‚New Economy’ zusammen? Ein bisschen was haben Sie ja schon angedeutet. Aber trotzdem....wirklich greifbar wird das noch nicht!"

Keine Frage! Ich schulde Ihnen noch eine Erklärung dafür, warum bei "DotComs?" und Start-ups angeblich alles anders ist und wieso die "Raum-Ignoranz" sehr wohl ein allgemeines Problem der Ökonomie darstellt, wenn es sich bei ihr doch offensichtlich um einen "natürlichen" Bestandteil des kapitalistischen Welt-Systems handelt.

Bleiben wir deshalb noch kurz bei Immanuel Wallerstein und seiner "Welt-System Analyse". Auch die Antworten auf diese Fragen sind in ihr angelegt.

Kapitalismus vs. "family business"

Also: Wie wir schon gehört haben, sind internationale Märkte das zentrale Element des kapitalistischen Welt-Systems. Allerdings haben wir auch bereits erfahren, dass sie zugleich jene Struktur sind, denen die Unternehmen zu entkommen versuchen, wozu sie regelmäßig auf die Hilfe des Staates zurückgreifen: Das Ziel bleibt die Markbeherrschung, der Monopolismus - was verständlich ist, lebt es sich in dieser Position doch entschieden einfacher.

In diesem Sinn sind Märkte dem Kapitalismus eigentlich entgegengerichtet:

Permanent verhindern sie, dass der erwünschte Monopolismus zu Stande kommt; immer wieder lassen sie den Unternehmen nur den Ausweg, die Politik für sich einzuspannen - im Kleinen (in der Gemeinde) ebenso wie im Großen (auf dem internationalen Weltmarkt)...

"Stop!! Sagen Sie das bitte noch einmal: Märkte sind dem Kapitalismus entgegengerichtet?!?"

Eine fast schon ungeheuerliche Behauptung, nicht wahr? Der Gedanke, dass Märkte nicht nur Träger des kapitalistischen Welt-Systems sind, sondern immer auch eine im System wirkende Gegenkraft darstellen, ist jedoch ein zentraler Baustein des gesamten Wallerstein’schen Denkens. Er übernimmt diese Ansicht vom französischen Historiker Fernand Braudel, dessen "dritte fundamentale Idee war, dass Kapitalismus nicht mit Marktwirtschaft gleichzusetzen ist, sondern in der Sphäre des ..... contre-marché ("Gegen-Markt". Ch.E.) beheimatet ist", wie Wallerstein es einmal in einem Interview formuliert hat. Tatsächlich ist diese Trennung plausibel - und auch ausgesprochen erhellend; speziell für das Problem der "Raum-Ignoranz", um das es hier geht.

Wenn nämlich Märkte und eine Sphäre des contre-marché - die Sphäre, in die erst der Staat die Unternehmen entrückt - unterschieden werden müssen, ist es in weiterer Folge nahe liegend, auch zwischen zwei Arten von Unternehmen zu differenzieren: Einerseits gibt es dann jene Firmen, die sich schon erfolgreich vom Markt befreit haben oder zumindest in ihrem Bestreben, das zu tun, sehr weit gekommen sind. Und andererseits existieren dann jene Betriebe, die diesbezüglich noch nicht sonderlich erfolgreich waren, mithin dem vollen Marktdruck ausgesetzt sind oder, wie man sagen könnte, in den Märkten stehen.

Diese Unterscheidung ist auch insofern einsichtig, als nicht alle Firmen automatisch der Sphäre des contre-marché angehören können. Den Zugang zu dieser eröffnet ja die Politik, und nicht jedes Unternehmen hat von Anfang an politische Beziehungen; schon gar nicht kleine, junge Firmen. Denn die Politik unterstützt Unternehmen ja nicht nur auf allgemeine Weise, indem sie etwa Druck auf einen Peripheriestaat ausübt, um diesen zur Öffnung seines Marktes zu bewegen (wovon prinzipiell alle Firmen des von der Politik vertretenen Staates profitieren, auch die kleinen). In der Regel gibt es darüber hinaus sehr konkrete Unterstützungsmaßnahmen, die nur einzelne Betriebe betreffen und etwa darin bestehen, dass spezielle Fördermittel für ein Unternehmen bereitgestellt werden. Oder es wird das Management des Betriebes dazu eingeladen, Regierungsvertreter auf Handelsdelegationen zu begleiten - wenn die Delegation nicht überhaupt auf Drängen dieses Unternehmens unterwegs ist.

Doch der Weg zu dieser Art von politischer Protektion ist bekanntlich weit; viele Jahre des Abrackerns in Märkten gehen ihr meist voraus. Und müssen ihr auch vorausgehen. Denn es ist zwar die Politik, die es den Unternehmen ermöglicht, sich vom Markt zu befreien. Aber freilich kann die Politik das nur für jene leisten, die sich in irgendeiner Form am Markt bewährt haben. Sie ist lediglich ein Hebel, aber nicht mehr. Es wäre dementsprechend ein Missverständnis, zu glauben, dass die Politik das erfolgreiche Wirtschaften eines Betriebs ersetzen kann: Die Grundlage für den Sprung in die Sphäre des contre-marché müssen die Betriebe schon selbst schaffen.

Wobei einem Großteil der Unternehmen dieser Sprung freilich nie gelingt - einfach deshalb nicht, weil es ihnen aus vielen Gründen an der notwendigen Substanz fehlt. Sie stehen deshalb oft während ihrer gesamten Lebensdauer im Markt; ein Faktum, das den meisten Klein- und Mittelbetrieben (KMU) nur allzu vertraut sein dürfte.

"Zwei Welten oder Sphären, zwei Strategien: Wollen Sie darauf hinaus?"

Genau. Unterscheidet man zwischen "contre-marché-Konzernen" und "Markt-Unternehmen", so ist es nahe liegend zu vermuten, dass zweitere auch andere Strategien verfolgen (und auch verfolgen müssen) als erstere, also nicht unbedingt in Flächen, Standorten und Punkten denken, weil das ja zu einer anderen Sphäre des Systems gehört....

"Und wie schauen diese Strategien nun aus?"
Hier kann uns Nicoletta Stame weiterhelfen; eine Sozialwissenschafterin, die in ihren Untersuchungen und Analysen an Wallerstein anschließt: In einem vor zwei Jahren erschienen Artikel über italienische KMUs hat sie systematisch herausgearbeitet, welche Eigenheiten und spezifischen Vorgehensweisen Klein- und Mittelbetriebe (oder "Markt-Unternehmen") kennzeichnen. Wobei sie diese meist als "family business" bezeichnet, da, wie sie sagt, nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa KMUs meist mit Familienbetrieben identisch sind.

Demnach bringt "family business" in der Tat eine ganz eigene Welt hervor, die wirtschaftlich gesehen aber extrem wichtig ist: Nach Stames Ansicht ist es ein gravierender, arroganter Irrtum der neo-klassischen Theoriebildung, diese Familienunternehmen als noch nicht professionalisierte Betriebe der Zukunft abzutun, in denen schnellstens moderne Managementstrukturen eingeführt werden müssen, auf dass etwas "Vernünftiges" aus ihnen werde. Diese Sichtweise ignoriert die Tatsache, dass es genau diese "unprofessionalisierten Betriebe" sind, in denen die meisten Arbeitsplätze geschaffen werden, wie sie auch den Großteil des Bruttosozialprodukts eines Landes erwirtschaften. Außerdem, so Stame, mangelt es dem "family business" nicht an Strukturen - es hat nur andere als ein Großkonzern; angepasst an die Situation, in der sich diese Familienbetriebe oft befinden:

  • So ist "family business" sehr oft eigenfinanziert; und zwar in dem Sinn, dass entweder tatsächlich Eigenkapital eingebracht wird oder die Tochter wenigstens das Grundstück geschenkt bekommt, auf dem sie ihr Geschäft bauen kann.
  • Ebenso weist "family business" häufig einen extrem hohen Flexibilisierungsgrad auf (womit gemeint ist, dass Arbeit und Freizeit zusammenwachsen) oder reinvestiert den erwirtschafteten Gewinn in das Universitäts-Studium der Kinder, die schon im Betrieb mitarbeiten.
  • Weiters ist typisch, dass es keine klassischen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisse gibt, sondern dass freundschaftlich-familiäre Beziehungen (man dutzt einander, trifft sich auch außerhalb der Arbeitszeit, ist mehr Freund als entrückter Chef usw.) den Arbeitsalltag bestimmen.
  • Wie auch zu beobachten ist, dass die Gründung des Unternehmens nicht auf der Basis einer ausgetüftelten Strategie zur Eroberung eines Marktes passiert, sondern oft aus einer Abenteuerlust, aus einer Spielerei oder gar aus einer Wette heraus erfolgt. Wobei man es deshalb nicht bei einer Spielerei belässt und stattdessen gleich Unternehmerin oder Unternehmer wird, weil das vielleicht die Mutter oder der Onkel auch schon waren und man durch familiäres "Mit-Leben" einiges an "stillem Wissen" über Business und Business-Praktiken erworben hat, also hin in Richtung UnternehmerIn sozialisiert wurde.
Folgt man Stame, ist die Welt des "family business" also eine der Traditionen und guten Beziehungen, des gelebten Berufs und des riskierten Eigentums, des unaufhörlichen Kommunizierens und des Schaffens wie Teilens von Lebenszusammenhängen (was im Übrigen nicht heißt, dass es hier nicht auch Streit, Misserfolg und ein Scheitern geben kann, das ganze Familien ruiniert; "family business" ist sicher keine Kuschelbude). Ganz eng arbeiten Menschen in ihr zusammen; schließen an das an, was an (Lebens- und Wirtschafts-)Kultur bereits da ist, um es weiter auszubauen. Es ist folglich - und schon die simple Alltagserfahrung mit KMUs kann das nur bestätigen - eine Welt, die als "Lebensraum " erfahren und gelebt wird...

"Als ‚Lebensraum erfahren und gelebt wird’...?"

Ja. Sich als Teil eines bestimmten (historisch-kulturellen) Geschehens fühlen, dieses Geschehen durch Teilhabe verstehen, Gespräche suchen, aus diesen Gesprächen Arbeitssituationen machen, in diesen Arbeitssituationen das plötzliche Entstehen von Angebot und Nachfrage erleben, zum nächsten Gespräch weitereilen, die Lebenswelt immer genauer kennen lernen, sich von ihr zum nächsten Kontakt und Auftrag weitertragen lassen, wie in einem Ozean schwimmen, schwimmen und wieder schwimmen, bis man jede Strömung, jeden Fischschwarm, jede Untiefe kennt - DAS ist "family business"; das Agieren in und mit "Lebensräumen"!

Und weil "family business" eben genau so ist, ist es immer Raumwirtschaft. Raumentfaltung, die Einpassung in Lebensräume ist ihr Thema; nicht die Flächenbesetzung, nicht das Denken in neutralen Schachteln!

Tatsächlich sind auch so gut wie alle Internet-Firmen, die heute noch übrig sind, im Sinne einer Raumwirtschaft vorgegangen: In Graz beginnen, sich dort in Kommunikations- und Traditionsverläufe einklinken, über diese zu Kunden in der Steiermark finden und dann irgendwann einmal erste Schritte nach Wien setzen - so sieht der Weg der Raumwirtschaft aus, dem man nun einmal zu folgen hat, so lange man an den Raum gebunden ist und noch nicht der Sphäre des contre-marché angehört.

Was im Übrigen auch der Weg der Architekten und Architekturbüros ist oder zumindest sein sollte; nur um das gleich einmal vorwegzunehmen. Wieso die Architektur in diesem Kontext eine Rolle spielt, wird später noch ausführlich erläutert werden.

"Okay; so weit wird mir das jetzt klar. Wie ich auch zu ahnen beginne, weshalb nicht nur die ‚New Economy’, sondern - wie Sie sagen - die gesamte Ökonomie ein ‚Raum-Problem’ hat... Aber erklären sie es doch bitte selbst! Wie schaut Ihre Argumentation im Detail aus?"

Folgendermaßen:

Wenn zwischen einer Flächen- und einer Raumwirtschaft unterschieden werden muss, hat das eine ganze Reihe von schwer wiegenden Konsequenzen: Unter anderem bedeutet es, dass einerseits "Raum-Ignoranz" zwar ein "natürlicher" Bestandteil des kapitalistischen Welt-Systems ist, andererseits sein Gegenpart - nämlich das kluge Umgehen mit "Lebensraum" - aber auch! Das wiederum heißt jedoch nichts anderes, als dass es, wie eingangs kurzerhand behauptet wurde, in der Tat eine Katastrophe ist, wenn "Raum-Ignoranz" zu einem allgemeinen Prinzip der Ökonomie erhoben wird. Denn es gibt eben einen Teil von Unternehmen, für den es völlig verkehrt ist, sich einer Flächenwirtschaft zu verschreiben, weil diese Firmen - als Vertreter eines "family business" - in Wirklichkeit einer Raumwirtschaft und damit dem Gegenteil von "Raum-Ignoranz" verpflichtet sein müssten.

Die "DotComs?" gehörten beispielsweise zu jenen Unternehmen, die eine Raumwirtschaft gebraucht hätten: Natürlich handelte es sich bei den Start-ups um nichts anderes als um "family business", stand doch meist eine krude Idee oder Spielerei am Anfang des ganzen Unternehmens, war doch der Flexibilisierungsgrad immens hoch, und traten doch regelmäßig freundschaftliche Beziehungen an die Stelle von Arbeitsverhältnissen (gar nicht zu Reden vom Eigenkapital, das eingebracht wurde....) - alle wichtigen Kriterien, die Stame aufzählt, wurden erfüllt! (Ja, fast könnte man meinen, dass Nicoletta Stame die "New Economy" beschrieben hat...) In Historien und Räume hineinwachsen und sich in diesen entfalten wäre dementsprechend die wirkliche Aufgabe der "DotComs?" gewesen. Und dazu hätten sie vor allem eines gebraucht: Zeit. Zeit und die Möglichkeit, auf die Erfahrungen von Raumwirtschaftsexperten zurückgreifen zu können, um Strategien für die Entfaltung in, aber auch von "Lebensräumen" erarbeiten zu können.

Was sie bekamen, war jedoch etwas ganz anderes, nämlich Businesspläne und Risiko-Kapital. Wobei Geld freilich wichtig war. Aber Risiko-Kapital ist nicht einfach nur Geld: Risiko-Kapital ist zugleich auch ein Instrument, mit dem eine ganz bestimmte Logik einhergeht; eine Logik, die das Instrument automatisch mittransportiert. Und das ist die Logik der Flächenwirtschaft.

Denn mit Risiko-Kapital ist die Idee des rasanten Wachstums verbunden. Schnell sein, der Erste sein, die richtige Standorte beziehen - dafür ist "Venture Capital" da. Ein "Venturer" gibt sein Geld nicht dafür, dass jemand Entwicklungsarbeit im Raum betreibt: Er will binnen bestimmter Zeitfristen, die in Businessplänen festgelegt werden, konkrete Ergebnisse sehen. Was aber voraussetzt, dass das Unternehmen wie ein Uhrwerk funktioniert. Und diese Uhrwerk-Sicht setzt wiederum voraus, dass Business lediglich das Platzieren der richtigen Angebote am richtigen Ort ist; macht man das, so die stille Annahme, funktioniert die Maschinerie schon... Der ganzen Idee des Risiko-Kapitals ist folglich eine Flächenfantasie unterlegt.

Wer Risiko-Kapital erhält, wird deshalb automatisch in die Welt der Flächenwirtschaft katapultiert: In dieser haben sich die "DotComs?" auch tatsächlich wiedergefunden; selbst dann, wenn sie nur kleine Summen erhielten.

Wobei es allerdings nicht nur das Risiko-Kapital war, dass die "New Economy"-Firmen in eine völlige falsche Dimension beförderte. Durch die gängige "Raum-Ignoranz" war es gar nicht vorstellbar, dass sie nicht dorthin gehören könnten.

Wo Raumvergessenheit herrscht, ist natürlich gar nichts anderes denkbar; mit dem Effekt, dass sich unzählige Start-ups von sich aus - und zusätzlich motiviert von einem angeblich alle Grenzen sprengenden Internet - einer Flächenwirtschaft verschrieben. Beispielsweise auch "Amazon", das dann jedoch wenigstens in Ansätzen zu einer Raumwirtschaft überwechselte, Länderniederlassungen und Logistikzentren errichtete - und nicht zuletzt deshalb bis heute überlebt hat und sich sogar (mangels Alternativen) als "Big Player" etablieren konnte...

"Weil solche gravierenden ‚Irrtümer’ - ich weiß nicht, wie ich sonst sagen soll - möglich sind, hat die gesamte Ökonomie ein ‚Raum-Problem’, verstehe ich das richtig?"

Exakt! Die Raumvergessenheit macht blind für die Differenz zwischen Raum- und Flächenwirtschaft - und das ist in etwa so, wie wenn man den eigenen Körper nicht mehr merkt und glaubt, nur aus dem Kopf und aus dem Denken heraus zu existieren (wovon einen spätestens aber der erste Herzinfarkt abbringt). Schließlich ist es die Raumwirtschaft, die Unternehmen anwachsen lässt und damit die Basis für den Sprung in die Sphäre des contre-marché legt: "Family business" mit seinen ganz spezifischen Strategien ist nicht bloß ein "Big business", das es noch nicht geschafft hat und das man möglichst schnell als "erste Phase einer Konzerngeschichte" hinter sich lassen sollte, sondern etwas ganz Eigenständiges, aus dem - und nur aus dem! - "Big business" werden kann, aber nicht muss (ohne dass das ein Scheitern wäre). Es lohnt sich daher, sich mit ihm auseinander zu setzen - und dabei zu begreifen, dass mitunter eine andere Perspektive nötig ist als die eines flächenwirtschaftsfixierten Ventures, wenn man Zusammenhänge tatsächlich verstehen und etwa Start-ups effizient helfen will.

Dazu ist es aber notwendig, dass die Ökonomie den Raum als Kategorie entdeckt, sich also von ihrer "Raum-Ignoranz" und ihrem "Raum-Problem" befreit: Was gebraucht wird, ist eine Ökonomie, die Wirtschaft als Raumentwicklung beschreibt; eine SpacEconomy?, die erklären kann, wie Unternehmen in und mit dem Raum anwachsen, um sich dann eventuell von ihm zu befreien, indem sie in die Sphäre der contre-marché aufsteigen.

Das ist es, was heute ansteht; das ist eine der Aufgaben, die sich durch die harte Landung der "New Economy" für die gesamte Ökonomie ergeben hat!

"UND??"

Was "und"?

"Ich will wissen, ob Sie sich dieser Aufgabe stellen werden! Werden Sie mir jetzt auch noch erzählen, wie eine ‚SpacEconomy?’ aussehen könnte? Und vielleicht dabei auch ein paar Fragen beantworten, die meiner Ansicht nach offen geblieben sind, beispielsweise wie dieses ‚Schwimmen’ oder ‚Einnisten’, von dem Sie öfters gesprochen haben, genau funktioniert? Geht das alles vielleicht auch noch ein bisschen genauer? Denn zurzeit weiß ich nur, dass ein ‚kluges Umgehen-Können mit Lebensraum’ angeblich sehr wichtig ist, habe aber keine Ahnung, welches Ausmaß das annehmen darf: Ist das auch die Legitimation dafür, dass jedes Start-up zehn Jahre herumwursteln darf - Sie haben ja auch von der Bedeutung des ‚Zeit-Gebens’ gesprochen - oder war das alles doch anders zu verstehen?"

Selbstverständlich will ich mich mit all dem auseinander setzen! Wobei ich Ihnen nicht nur etwas über SpacEconomy? erzählen werde, sondern auch über ein neues Instrument der Raumplanung, das mit dieser verbunden ist. Denn Raumplanung hat natürlich immer sehr viel mit Wirtschaft zu tun, auch wenn man auf den ersten Blick meinen könnte, dass sie das Feld der Politiker, Architekten und Raumplaner ist. Die klassische, flächenorientierte Raumplanung, die sich in der Idee der Flächenwidmungspläne und Regionalkonzepte niederschlägt, ist z.B. ein typisches Instrument der Flächenwirtschaft. Mit diesem Instrument will die Flächenwirtschaft sicherstellen, dass der Zugriff auf mögliche Standorte schnell und optimal vor sich gehen kann; so wie es für eine Flächenwirtschaft eben notwendig ist. Aber dazu später mehr...

Lesen Sie Teil 2 und 3 in "SpacEconomy?", Nausner & Nausner Verlag. Das Buch kann direkt beim Verlag online bestellt werden: office@nausner.at
Es freut uns auch, Sie an dieser Stelle auf unsere neue Diskussionsplattform hinweisen zu können: Im Rahmen des neuen "Bücher-Wikis" auf "www.wikiservice.at" können zukünftig auf einer eigenen Site –<o:p</o:p http://www.wikiservice.at/buecher/wiki.cgi?WikiDiskussionenUeberTexteZurWirtschaft - "Texte zur Wirtschaft"-Beiträge wie der vorliegende Fastbook-Text diskutiert werden. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!<o:p</o:p

Christian Eigner, geb. 1966, ist hier zu finden: http://www.perspektivenmanagement.com