Power Down / Landwirtschaft und Ernährungssicherheit / Vorüberlegungen |
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Projekt Power Down
Thesenpapier zum Bereich Landwirtschaft und Ernährung (Kurzfassung) ChristianLauk, 9. Juli 2009
Erstens: Der Energieverbrauch im Bereich Landwirtschaft und Ernährung sollte ins Verhältnis gesetzt werden zum Energieverbrauch in anderen Sektoren. Klar ist, dass der Energieverbrauch industrieller Gesellschaften insgesamt sinken muss. Angesichts des relativ geringen Anteils des agrarischen Anbaus am gesamten Energieverbrauch, bei gleichzeitig zentraler Bedeutung der Ernährung für menschliche Bedürfnisse, ist eine Senkung des Energieverbrauchs im Bereich Landwirtschaft allerdings nicht zwingend notwendig. Dies gilt insbesondere für den Bereich des landwirtschaftlichen Anbaus (im Gegensatz zu Verarbeitung, Transport, Lagerung und Verkauf der Produkte). Zweitens: Innerhalb des Bereichs Landwirtschaft und Ernährung verursacht die Landwirtschaft selbst nur etwa ein Drittel des Primärenergieverbrauchs (Faist 2000), selbst wenn man mit berücksichtigt, dass die Produktion der Betriebsmittel (Maschinen, Düngemittel, Pestizide) und der Antrieb der Maschinen mit dem Einsatz von Fossilenergie verbunden ist. Es ist denkbar, sowohl Antrieb als auch Produktion landwirtschaftlich genutzter Maschinen auf erneuerbare Energien umzustellen. Eine Rückkehr zur Handarbeit ist nicht notwendig. Drittens: Wenn der Energieaufwand zur Herstellung das einzige Kriterium für eine zukunftsfähige Landwirtschaft ist, dann ist auch eine Fortsetzung des Einsatzes von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden grundsätzlich denkbar. Die Herstellung dieser Komponenten macht laut Faist (2000) nur etwa 6% des gesamten Energiebedarfs im Bereich Landwirtschaft und Ernährung aus, während mit 11% die Treibstoffe für den Anbau, mit 8% der Bereich Stall und mit 6% die Beheizung von Gewächshäusern zu Buche schlägt. Die biologische Landwirtschaft (bei der keine Pestizide oder synthetische Düngemittel eingesetzt werden) ist deshalb angesichts von Peak Oil nicht zwingend erforderlich, auch wenn es andere gute Gründe für sie gibt. Hinzu kommt, dass in der biologischen Landwirtschaft zwar der Energieeinsatz für die Produktion von Pestiziden und Düngemitteln entfällt, jedoch mehr Energie für die vergleichsweise intensive Bodenbearbeitung und den Anbau der Leguminosen benötigt wird, so dass beim Vergleich der Energiebilanz zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft die konventionelle meist nur unwesentlich schlechter abschneidet. (Sandgruber kommt 2002 zu einem Einsparpotential von 4% im Bereich Landwirtschaft und Ernährung bei vollständiger Umstellung auf biologische Landwirtschaft, bei gleichzeitig 25% höherem Flächenbedarf.) Viertens: Eine gewichtige Rolle hinsichtlich der Abhängigkeit von Fossilenergie spielt der Konsum von saisonal nicht verfügbarem Gemüse und Obst (6% des Energieverbrauchs im Sektor Landwirtschaft und Ernährung). Dieses muss entweder über weite Strecken zum Konsumenten transportiert oder – was noch wesentlich energieaufwendiger ist – in beheizten Treibhäusern angebaut werden. Teilweise ist auch die Lagerung in Kühlhäusern möglich, was allerdings ebenso mit einem hohen Energieaufwand verbunden ist. Der erste wichtige Punkt für eine post-fossile Landwirtschaft wäre deshalb eine Ausrichtung des Konsums an den saisonal verfügbaren Produkten. Fünftens: Neben dem außersaisonalen Konsum von Obst und Gemüse ist vor allem die Produktion von Fleisch und Milch mit einem hohen Energieaufwand verbunden (20% des Energieverbrauchs im Sektor Landwirtschaft und Ernährung). Dabei spielt die größte Rolle die Tatsache, dass vor allem in die Produktion von Fleisch eine große Menge pflanzliche Produkte eingehen, deren Anbau wiederum Energie benötigte. Möglicherweise wäre hier nicht nur die Reduktion des Konsums von Tierprodukten, sondern (im Idealfall ganzjährige) Weidehaltung eine Möglichkeit, den Energieverbrauch zu reduzieren, da hier gewissermaßen die Tiere selbst für ihre Ernährung sorgen. Sechstens: Allein über ein Drittel am Energieverbrauch im Bereich Landwirtschaft und Ernährung nimmt die industrielle Verarbeitung, Verteilung und Vermarktung der Produkte ein (Faist 2000). Den größten Anteil hat dabei mit 12% Anteil am Energieverbrauch im Sektor Landwirtschaft und Ernährung der Energieverbrauch des Lebensmittelhandels, wobei hiervon wiederum die Hälfte auf die Kühlung der Lager zurückzuführen ist. Danach folgt mit 11% die Verarbeitung (z.B. Backen) und mit 7% die Herstellung von Verpackungsmaterial, was damit allein bereits energieaufwendiger ist als die Herstellung von Düngemitteln und Pestiziden. Vor allem in diesem Bereich stellt sich die Frage, ob und wenn ja, welcher Teil davon vermeidbar wäre. Auch bei der Vermarktung, oder allgemeiner der Distribution, der Nahrungsmittel stellt sich die Frage der Vermeidbarkeit. Prinzipiell ist es hier hinsichtlich des Energieaufwands am günstigsten, wenn die Produkte ohne Zwischenwege vom Hof zum Konsumenten gelangen. Allerdings gilt auch das nur unter bestimmten Bedingungen. Eine sehr ungünstige Energiebilanz ergibt sich zum Beispiel, wenn der Konsument zwar direkt vom Bauern kauft, dafür aber 20 km mit seinem Privatwagen anfährt. Siebtens: Ein weiteres Drittel beim Primärenergieverbrauch nimmt die Verarbeitung in den Haushalten ein, also vor allem das Kochen und Kühlen der Lebensmittel (Faist 2000). Die wichtigste Rolle spielt dabei wiederum das Kühlen, mit 18% des Energieverbrauchs im Sektor Landwirtschaft und Ernährung, gefolgt vom Kochen mit 10%. Insgesamt sind also landwirtschaftlicher Anbau, industrielle Verarbeitung und Verarbeitung im Haushalt (v.a. Kochen und Kühlen) mit jeweils einem Drittel am Energieverbrauch im Bereich Landwirtschaft und Ernährung beteiligt. Achtens: Aus diesen Punkten ergibt sich als erste Konklusio: Um die Abhängigkeit des Sektors Ernährung und Landwirtschaft von fossiler Energie zu reduzieren, wären die wichtigsten Komponenten:
Neuntens: Mit dieser vorläufigen Konklusio ist allerdings nur die stofflich-materielle Ebene beschrieben, das heißt es beantwortet noch nicht die Fragen, unter welchen Bedingungen Menschen bereit sind, entsprechend zu handeln und welche Bedingungen diesem Handeln evtl. entgegenstehen. Zehntens: Wie also wird entsprechendes Handeln möglich? Eine Antwort wäre: Die Menschen müssen über die Konsequenzen ihrer Kaufentscheidungen informiert werden, z.B. über den damit verbundenen Energieverbrauch. In der Folge würde vernünftig eingekauft, das heißt vor allem saisonale Produkte, weniger Fleisch und weniger verarbeitete Produkte. Dies wäre zum Beispiel durch entsprechende Angaben auf den Nahrungsmitteln möglich, verbunden mit weiteren Informationsangeboten (Aufklärungskampagne, etc.). Ein solcher Ansatz greift jedoch zu kurz. Erstens verkennt es die Psyche des Individuums in der Warengesellschaft. Zum Weißkohl zu greifen, während nebenan Tomaten und Paprika angeboten werden, an der Fleischtheke vorbeizugehen, bedeutet Verzicht. Eine solche asketische Haltung ist aber nicht nur als Ziel fragwürdig, es widerspricht vor allem fundamental allem, zu dem Menschen in der Warengesellschaft erzogen werden. Elftens: Selbst unter der Annahme, dass sämtliche Menschen ihre Kaufentscheidungen an obigen Kriterien ausrichten würden, würde zum Beispiel die stärkere Hinwendung zu unverarbeiteten Lebensmitteln zu ökonomisch problematischen Konsequenzen führen. Denn der Einsatz von Energie ist oft mehr oder weniger stark an den Einsatz von Arbeit gekoppelt. Würde es z.B. gelingen einen großen Teil der Verarbeitung durch Eigenarbeit zu ersetzen (selbst produzierte statt Fertigsaucen) oder die Vermarktung zu umgehen (direkter Kauf beim örtlichen Bauern statt beim Billa), so wären Entlassungen und Arbeitslosigkeit die Konsequenz. Zwölftens: Aufklärung und Information der Konsumenten allein sind deshalb ein erster und wichtiger Schritt, gehen aber nicht weit genug. Auf der psychischen Ebene könnte möglicherweise eine stärkere Identifikation des Konsumenten mit der Produktion dazu, dass das Wissen über die Produktionsbedingungen umgesetzt wird in eine entsprechende Gestaltung der Produktion bzw. die Hinwendung zu bestimmten Produkten. Ein drastisches Beispiel zur Verdeutlichung: Wären die chinesischen Wanderarbeiter, die unter schlimmen Arbeitsbedingungen in einer Textilfabrik arbeiten, meine Freunde, würde ich eine solche Produktionsweise nicht akzeptieren (ähnliches gilt für viele andere Geschehnisse in unserer Welt: Afrikanische Migranten, die im Mittelmeer ertrinken oder in Europa unter miesesten Bedingungen leben, etc.). Wenn diese mir aber fremd bleiben, so fällt es wesentlich leichter, das entsprechende T-Shirt zu kaufen, selbst wenn ich mir zumindest ungefähr ein Bewusstsein über die Produktion besitze. Dreizehntens: Ein erster Schritt in Richtung dieser Identifikation wäre, Produzenten und Konsumenten miteinander zu vernetzen, das heißt miteinander bekannt zu machen. Ein noch weitergehender wäre es, Konsumenten direkt in die Produktion zu involvieren, einerseits durch Entscheidungen über die Produktionsbedingungen, andererseits durch Mitarbeit. Beispiele dafür sind Community Gardens ( http://en.wikipedia.org/wiki/Community_gardening) oder Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften (Asendorf et al. 2003). Vierzehntens: Eine Senkung des Energieverbrauchs bedeutet normalerweise weniger Produktion (sprich: eine Wirtschaftskrise), verbunden mit einem geringeren Angebot an Lohnarbeit. Nicht nur aber auch im Sektor Landwirtschaft und Ernährung ist es deshalb eine zentrale Frage, wie ein Rückgang der Verfügbarkeit von Lohnarbeit aufgefangen werden kann. Auch hier könnte Eigenarbeit, also z.B. die Erzeugung von eigenem Obst und Gemüse, eine wichtige Rolle spielen. Die Überlegung, wie der Energieverbrauch gesenkt werden kann, ist deshalb zu wenig. Es stellt sich ebenso die Frage, welche gesellschaftlichen Strukturen einen niedrigeren Energieverbrauch überhaupt erst ermöglichen. In der jetzigen gesellschaftlichen Grundstruktur war ein Rückgang des Energieverbrauchs bislang immer mit einer groben sozialen Krise verbunden. Umgekehrt erfordert deshalb eine „Niedrigenergie-Gesellschaft“ auch ganz andere gesellschaftliche Strukturen.
AloisKemmer: Ich würde mir einen Meinungsaustausch über diese hochinteressanten "Vorüberlegungen" des Herrn Christian Lauk wünschen und möchte einige Fakten im Zusammenhang damit zur Diskussion stellen (gekennzeichnet mit AK):
ChristianLauk: Lieber Alois Kemmer, zunächst einmal vielen Dank für den Beitrag! Ich will auf Ihre Einwände eingehen, mit dem Hinweis vorweg, dass ich natürlich gerne dazu lerne und nicht für alle hier diskutierten Aspekte Experte bin. Der Bereich, in dem ich mich besonders gut auskenne, ist die Frage des (direkten und indirekten) Energieeinsatzes in verschiedenen Agrarsystemen und darauf habe ich auch das Thesenpapier fokussiert. Nichtsdestotrotz stimmt es natürlich, dass auch andere Aspekte, z.B. hinsichtlich der Frage des Klimawirksamkeit, Berücksichtigung finden sollten. Im Folgenden zu den einzelnen von Ihnen angesprochenen Punkten: Ich bin vollkommen einverstanden, dass die Verbrennung von Biomasse sehr kritisch zu sehen ist und kaum zur Lösung des Energieproblems beitragen kann. Dazu ist schlicht zu wenig produktives Land vorhanden und die steigenden Preise für Nahrungsmittel im Jahr 2008, die zu einem Anstieg der Hungernden führten, waren wesentlich auf die Produktion von Biotreibstoffen zurückzuführen. In der obigen Version des Thesenpapiers gehe ich darauf nicht ein, in der nächsten Version wird das aber Berücksichtigung finden! Hinsichtlich der Frage, inwieweit Biotreibstoffe sinnvoll sind, würde ich folgende Fragen unterscheiden:
Wo ich möglicherweise eine etwas andere Einschätzung habe, das ist die Frage, inwieweit biologische Methoden den Energiebedarf signifikant senken können. Die heute dominierende Biolandwirtschaft produziert ja genauso mit Maschinen wie die konventionelle. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass der Biolandbau keinen Stickstoffdünger und keine Pestizide verwendet. Damit fällt der Energieeinsatz zur Produktion dieser "industriellen Werkzeuge" flach. Auf der anderen Seite aber braucht der Biolandbau eine eher intensivere Bodenbearbeitung und vor allem den regelmäßigen Anbau von Leguminosen, was dann wiederum eher mehr Energie braucht. Wenn man das beides miteinander verrechnet, dann kommt man zum Schluss, dass die Energieabhängigkeit des Biolandbaus nur unwesentlich niedriger liegt. Ich bin aber wiederum einverstanden, dass der etwas höhere Flächenbedarf (genauso übrigens wie der nur unwesentlich niedrigere Energiebedarf) relativ zu sehen ist, wenn es andere Gründe gibt, die für den Biolandbau sprechen (und ich denke, dass es die gibt!). Nur muss man dann in der Diskussion bei den Argumenten präzise bleiben, weil der erhöhte Flächenbedarf unter Umständen auch bestimmte Konsequenzen mit sich zieht, etwa dass der Fleischkonsum zurückgehen muss, wenn man innerhalb Österreichs mit der vorhandenen Fläche auskommen will. Bei all dem lasse ich mich übrigens gerne vom Gegenteil überzeugen! Ich weiß, dass ich mich gerade bei der Frage der Energieabhängigkeit bei den von mir sehr geschätzten Biobauern nicht beliebt mache, es entspricht aber einfach meinem derzeitigen Informationsstand.
AloisKemmer 2.3.2010: Lieber Herr ChristianLauk! Es freut mich zu sehen, wie intensiv Sie sich mit meinem Diskussionsbeitrag befasst haben. Dafür herzlichen Dank.
Der schlimmste Raubbau und das Problem Nr.1 ist ohnehin die "Fleischproduktion". Wir werden die hochwertigen Bioprodukte die auf noch ertragreichem Boden wachsen zukünftig wohl selber essen "müssen" (nicht zuletzt auch unserer Gesundheit zuliebe!!), anstatt diese an das Vieh zu verfüttern! Und nun kommt neuerdings auch noch die "Produktion von Bioenergie" hinzu? Wer noch halbwegs klar und realistisch denken kann, dem müsste doch klar sein, dass die Humusschichte, die ohnehin nur auf geringen Teilflächen der Erdoberfläche vorhanden- und oft nur wenige Zentimeter dick ist, niemals das alles schaffen kann! In "kürzester Zeit" wurde von der "modernen Industriegesellschaft" der Großteil jener Ölreserven verbraucht, die im Laufe der gesamten Erdgeschichte entstanden sind (und der daraus entstandene "Gewinn" ist die Massenarbeitslosigkeit?) - und jetzt "vergreifen" wir uns auch noch an der Humusschichte - die ja auch noch unsere Nachkommen ernähren soll ...? Wir brauchen "schützende Hände", die dafür sorgen, dass der Humus als unsere wichtigste Lebensgrundlage vor dem Zugriff der alles beherrschenden Industriegiganten beschützt wird!
Das ist einer der Gründe, dass ich mich ab morgigem Tage dem Projekt "Keimblatt Ökodorf" - http://www.oekodorf.or.at/cms/ - anschließen werde. Ich habe mich bereit erklärt, meine Lebenserfahrungen und viel von meiner Energie (mehr habe ich nicht anzubieten) dort kostenlos einzusetzen. Ich hoffe, dort an der Erarbeitung praktikabler Lösungen für eine funktionierende "Kreislaufwirtschaft" mitarbeiten zu können.
AloisKemmer 23. Mai 2010 14:26 CET Dokumentation meiner eigenen Anbauversuche: http://picasaweb.google.com/AloisKemmer
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