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Thesen zu einer vermeidbaren Kontroverse

Über die Beziehung von Eigenarbeit und Professionalität im Zeitalter dezentraler Automation - die Beziehung zwischen dem New Work Ansatz und den Bemühungen um das "Handwerk der Zukunft"

FranzNahrada, unter Aufnahme von Anregungen durch ChristineAx, FrithjofBergmann, MichaelHardt und FabianSprenger

1.

Man kann zu den beiden Ansätzen über die wir hier verhandeln gegensätzliche Sichtweisen einnehmen: dass sie sich ausschließen, dass sie einander ins Gehege kommen, dass sie von verschiedenen geistigen Voraussetzungen ausgehen - oder dass sie einander wunderbar ergänzen, dass sie ein Kontinuum bilden, dass erst die Kombination beider Ansätze eine (keineswegs eindeutige und widerspruchsfreie) sozioökonomische Realität erzeugt.

Ich möchte letzteres versuchen. Ich deklariere einfach, dass mir beide Proponenten (Christine einerseits und Frithjof andererseits) äußerst lieb und teuer sind und dass ich daher auch vom Interesse her an der Überwindung der Gegensätze arbeiten will - und dies in der gemeinsamen Sache wohlbegründet sehe.

2.

Beide Ansätze beruhen auf einer Gemeinsamkeit: sie verstehen die Tiefe der dezentralisierenden Tendenz, die der modernen Technologieentwicklung zugrunde liegt, und wollen daraus die notwendigen sozialen und strukturellen Konsequenzen ziehen.

Die dezentralisierende Tendenz kommt

2.1. aus der flexiblen Automation, die die Trennung von Werkzeugmaschine und Programmlogik (Steuerungsmaschine) konsequent umsetzt. Die Werkzeugmaschine wird fähig, immer unterschiedlichere Programme auszuführen, sie wird miniaturisiert und verbilligt.

2.2. Dem Internet, das es möglich macht

2.2.1 den Raum zu überwinden und dadurch die Entwicklungsbasis für Grundlagen, Designs Modelle, Standards, die letztlich die Basis für Produkte und Dienstleistungen sind, in den jeweils optimalen Akteurskonstellationen zu entwickeln.

2.2.2.digitale Informationen unbeschränkt zu kopieren, modifizieren, zu verknüpfen, zu separieren. Es entsteht eine "virtuelle Welt" von Informationsgütern, die gerade in ihren Querbezügen und in ihrer Kontextualität Qualitäten entfalten, die über "traditionelle" Information hinausgehen. Ein Aspekt davon ist die Feinkörnigkeit, Anpassbarkeit an lokale und individuelle Umstände.

Damit ist im Grunde jede Region auf dieser Welt imstande, auf das globale Potential an Wissen und Können partizipativ zuzugreifen (und zu ihm beizutragen) und doch eine ganz eigene den lokalen umständen entsprechende "Realisation" dieser Information zuwege zu bringen. Analoges gilt für Individuen, die vielleicht auch in verschiedenen Rollen sich dieser Information bedienen (als Selbstversorger / als Anbieter eines Produkts oder einer Dienstleistung auf einem markt / als jemand, der in vorab vereinbarten Kooperationen mit anderen eine arbeitsteilige Funktion ausübt)

2.3.

Aus dem Nachhaltigkeitsaspekt, den Christine Ax immer wieder betont: Neue Arbeit ist durch vor-Ort-Produktion und Herstellung nur dessen, was benötigt wird, sowohl ökonomisch wie auch ökologisch nachhaltig in der Produktion der lebensnotwendigen Güter. Neue Erkenntnissse in der Werkstofftechnik schaffen die Möglichkeit feingranularer Kreislaufwirtschaften, einer grünen Pflanzenchemie und eines " cradle to cradle" Prinzips.

3.

Während die globale Industrie heute noch das Subjekt dieser Entwicklung ist, geboren aus dem wachsenden Bedürfnis des Outsorcing produktiver Aktivitäten in kleine und billige Zulieferbetriebe, setzt sie damit eine Entwicklung in Gang, die letztlich sozialen Sprengstoff sondergleichen in sich trägt, aber auch Potentiale menschlicher Selbstbestimmung und Produktivität, die heutige Verhältnisse weit übertreffen. Der soziale Sprengstoff kommt aus der Bewertung der Arbeitslosigkeit und aus dem Ersatz menschlicher Arbeitskraft im industriellen Produktionsprozeß durch Automation: das Potential menschlicher Selbstbestimmung kommt aus neuen Arbeitsformen, die sich der Automation selbstbewußt bedienen und sie im Sinn einer autonomen (=eigenmächtigen) Gestaltung menschlicher Lebensräume umsetzen.

Eigenmacht bedeutet aber immer auch Souveränität gegenüber den eingebauten Beschränkungen von Technologie. Es geht gerade nicht darum, daß wir alle zu inkompetenten Maschinen- "Bedienern" des Typus „Produktdrucker“ werden. Diese Eigenmacht entfaltet sich im "Reichtum der Begierde", im Wunsch nach Verbesserung, Individualität und Qualität. "Meisterschaft" gibt es nicht nur bei "Profis", sondern auch bei "Amateuren".

Ob sich in einem konkreten Arbeitsschritt der solchermaßen ermächtigte Produzent der Maschine oder der Hände bedient, ob er beide Wege abwechselnd anwendet, kann nicht gesagt werden. Beide Anliegen, das Anliegen der Ersparnis von Arbeitsmühe wie das Anliegen des Genusses der eigenen Tätigkeit kommen hier gleichberechtigt zum Zug.

3.1.

Das neue Modell setzt an die Stelle der globalisierenden, von gnadenlosen Konkurrenzkämpfen beherrschten " Flächenwirtschaft" (Christian Eigner) die Renaissance des lokalen, klein-räumlichen, "dörflichen" Produktionsraumes, in dem globale Produktionselemente und vor allem Wissenselemente "eingebaut" und in biotop-ähnliche Kreisläufe anverwandelt werden. Für die Realisierung dieses Konzepts sind aber gerade auch Teile der globalen "Flächenwirtschaft" als Bündnispartner gewinnbar.

4.

Das wesentliche ist aber zunächst die Frage, wo der soziale Träger dieser Umwälzung sein wird. Wir können heute nur sagen: wir wissen es noch nicht genau. Wir leben in einer Welt mit überkommenen sozialen Rollenmustern, und natürlich werden manche dieser Rollen durch die neue Entwicklung gestärkt und Ausgangspunkt eines sozialökonomischen Machtwechsels sein.

Die potentielle Kontroverse zwischen New Work und Christine Ax' Ansatz,die wir vermeiden wollen, ergibt sich aus den verschiedenen Anknüpfungspunkten, die beide "Denkschulen" aus der gemeinsamen Beobachtung heraus wählen. (Und aus unterschiedlichen Menschenbildern sowie unterschiedlichen Erfahrungshintergründen). Während die new Work auf einen radikal erweiterten Begriff der Eigenarbeit setzt, und damit eigentlich an der sozialen Figur des "Prosumenten" ansetzt, die erstmals von Alvin Toffler identifiziert wurde, wendet sich Christine Ax dem Handwerk zu, der in Kleinbetrieben (minifabriken) verrichteten Spezialistenarbeit, die durch Vernetzung eine Chance hat, wesentliche Arbeitsschritte zu automatisieren und damit wieder global konkurrenzfähig zu werden.

An sich ist aber diese unterschiedliche Akzentsetzung eigentlich ein Gewinn; es liegt in der Natur mancher Arbeiten, dass sie Spezialistenwissen erfordern, auf der anderen Seite wird immer mehr Spezialistenwissen in den Programmen und in der Software inkorporiert.

Die Grenzlinie zwischen diesen beiden Bereichen ist nicht nur schwer zu ziehen, sie ändert sich auch auf der Seite des Subjekts ständig; wer wirklich anständige Resultate erzielen will, muss eben vom Amateur zum Profi werden und sich Wissen und Fertigkeiten aneignen.

Hier liegt die Crux aller Vorstellungen, die einfach an einer linearen Verlängerung traditioneller Rollenbilder in die Zukunft festhalten; die Technologie verändert das System der menschlichen Qualifikationen so profund und nachhaltig, dass eben genau diese Verlängerung traditioneller Rollen nicht greift; ebensowenig wie es z.B. in Hinkunft einfach möglich sein wird, das traditionelle Rollenbild der Schule und des Lehrers aufrechtzuerhalten.

5.

Auch das Argument der Qualität wird von keiner Seite bestritten; ein Ansatz der sich auf Spezialistentum fokussiert erreicht höhere Werte an Produktqualität als einer der auf allgemeine Verfügbarkeit von Kompetenzen drängt. Um es populär und sicherlich mißverständlich auszudrücken: Es ist wie Breitensport und Spitzensport, auch hier gibt es deutliche Unterschiede, die sich in verschiedenen Leistungsniveaus niederschlagen.

In der sich herausbildendenden sozioökonomischen Realität wird auch weiterhin ein Unterschied von Qualitätsniveaus enthalten sein - und das ist gut so. Nicht deswegen, weil die "Arbeitslosigkeit" verhindert werden soll, sondern weil gerade das Kontinuum von Eigenproduktion und Meisterschaft Existenzbedingung für beides ist.

Wer selbst einmal versucht hat, mit Pagemaker oder einem modernen Layoutprogramm eine Zeitung zu machen, der wird gelernt haben, dass das Wissen eines ausgebildeten Graphikers um Seitenlayout und Wirkungen auch von einem sehr mächtigen Programm nicht wirklich ersetzt werden kann. Analoges gilt für die Schuhproduktion, die Möbelproduktion, das Bekleidungshandwerk.

Um Frithjof Bergmann zu zitieren: auch das legendäre Rote Auto der New Work Werkstätten ist kein Ferrari. Aber es tut seinen Dienst und es gibt keinen Grund denjenigen, der nicht auf allerhöchste Qualität wert legt, zu verachten. Menschen können wählen und sich differenzieren; das ist ein Abenteuer, das wir einfach auch ohne die derzeitige existenzbedrohende Realität für aufregend genug befinden, dass wir dafür eintreten.

Für beide Seiten gibt es Argumente, eher an einem Kontinuum als an einem Ausschluß festzuhalten; auf der einen Seite spricht es durchaus für ein Kontinuum, dass nur der passiv kompetente Kunde auch wirklich Kunde sein kann; erst wer eine Ahnung von dem hat was ein Tischler macht und kann, weiß dessen Leistung zu würdigen, vermag seine Bedürfnisse geltend zu machen und angemessen zu honorieren.

Umgekehrt ist die Massen-Eigen-produktion auch Existenzbedingung derjenigen, die ihre Lebenshaltungskosten senken müssen, um die Krise der (Kapital-)Wirtschaft in Würde zu überleben.

Professionalität und Qualität haben –soweit sich das im Augenblick überschauen läßt - im New Work-Ansatz noch keine wirklich entscheidende Rolle gespielt. Diese Begriffe waren bislang im Wettbewerbskontext der Erwerbswirtschaft angesiedelt. Für den Axschen Ansatz, der ja im Bereich der (abhängigen) Erwerbsarbeit (des Handwerks) angesiedelt ist, sind diese Begriffe konstitutiv, da dort das Bestehen im Wettbewerb (und seine Auswirkungen) Professionalität und Qualität im höchsten Maße erfordern! Professionalität und Qualität sind im Bereich der HTEP wahrscheinlich noch gar nicht genügend diskutiert. Aber in einem sich entwickelnden Eigenarbeitssystem könnte die Diskussion durchaus in Gang kommen. Die Tatsache, daß man etwas wirklich, wirklich will, bedeutet ja noch lange nicht, daß man es auch wirklich wirklich gut macht.

6.

Die Realisierung von new Work, so glauben wir, erfolgt am besten mit "New Craft" gemeinsam. Der Graben, das Quality Gap, ist überbrückbar. Institutionen wie das Unperfekthaus zeigen gerade, welche aufregenden Entwicklungen sich an der Nahtstelle dieser beiden Pole (Eigenarbeit undkreative Meisterschaft) abspielen können. Es ist wie ein ständig sich erweiternder Lernprozess der hier möglich wird; eine Spirale die ständig neue Vertiefungen, Allianzen und Kreisläufe generiert. Lernen unter Anleitung ermöglicht uns viel besser zu sehen was wir wirklich wirklich wollen; denn dazu gehört auch, unsere Fähigkeiten und Grenzen gut einzuschätzen. Dieses Lernkonzept gilt es weiterzuentwickeln, und hier liegt das Verbindende beider Ansätze. Gerade auf dieser Basis kann die Entscheidung getroffen werden, in welcher Arbeitsform der Einzelne weitermachen will.

7 .

Der wahre Rubikon, die wahre Scheidung zwischen alt und neu, zwischen richtig und falsch, liegt meiner Meinung nach woanders. Sie liegt genau dort, wo Wissen als Schatz eifersüchtig gehütet und privatisiert wird. Wir wollen in diesem Sinn keine Rückkehr zu alten Handwerksgilden, die Wissen erstarren lassen und es nur wenigen zugänglich machen. Hier hat Open Source eine neue und epochale Richtung in der Entwicklung der Menschheit aufgetan: wer wissen versteckt hält, der vermindert seine Wirkung. Alle Arbeitsformen, in denen die Existenz, der gesellschaftliche Status und letztlich die gesamte sogenannte berufliche Karriere von der Zurückhaltung des eigenen Wissens abhängen, sind nicht einfach nur moralisch zu ächten: sie erweisen sich den neuen Modellen der Produktion und Arbeitsteilung schlicht als unterlegen.

Wien, am 5.6.2005

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PerspektivenDezentralerProduktion/Diskussion zu diesen Thesen

Veranstaltung mit Cristine Ax und Frithjof Bergmann