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Was ist Neue Arbeit?

von Franz Nahrada

http://www.widerspruch.ch/49.html

In seinem "Schwarzbuch Kapitalismus" (1) führt Robert Kurz einen unverdächtigen Zeugen an, der das "Ende der Arbeitsgesellschaft" schon vor vielen Jahrzehnten kommen sah: Norbert Wiener schrieb schon im Jahr 1947 die folgenden prophetischen Zeilen zur Automation und ihren gewaltigen Auswirkungen:

"Es kann nicht gut sein, diese neuen Kräfteverhältnisse in den Begriffen des Marktes abzuschätzen, des Geldes, das sie verdienen. Wenn man sich diese Revolution abgeschlossen denkt, hat das durchschnittliche menschliche Wesen mit mittelmäßigen oder noch geringeren Kenntnissen nichts zu verkaufen, was für irgendjemanden das Geld wert wäre. Die Antwort ist natürlich, daß wir eine Gesellschaft haben müssen, die auf menschliche Werte gegründet ist und nicht auf Kaufen und Verkaufen." (Norbert Wiener, Kybernetik,s.49f (2), Hervorhebung von mir FN)

Doch es dauerte volle 30 Jahre, bis Wieners Voraussage als "Dritte Industrielle Revolution" Realität wurde und vielleicht noch länger, bis sie auch in ihren Konsequenzen verstanden und schmerzlich erlebt wurde. Die Entkopplung gesellschaftlicher Produktivkraft von Massenbeschäftigung auch in den Kernländern der kapitalistischen Akkumulation und die mannigfaltigen Erscheinungsformen dieser Entwicklung wie Globalisierung, Prekarisierung, Atypisierung, Atomisierung und Feminisierung der Arbeit bilden den Gegenstand eines fast unübersehbaren Arbeitsdiskurses, in dem Rolle und Stellenwert der Arbeit ebenso thematisiert werden wie die verschiedensten Strategien der Entkopplung des Zugangs zu lebensnotwendigen Gütern und Diensten vom Arbeitseinkommen. Kaum jemand redet heute noch von der "industriellen Reservearmee", längst ist sozusagen stillschweigend und verschämt allgemein das Faktum akzeptiert worden, daß eine Vollbeschäftigung im herkömmlichen Sinn gerade eine auszuschließende Möglichkeit darstellt.

In diesen Debatten fällt früher oder später der Name Frithjof Bergmann; der amerikanische Philosoph mit den sächsisch-salzburgischen Wurzeln hat in den achziger Jahren ein weithin beachtetes Experiment in Flint nahe Detroit angesichts einer Entlassungswelle bei General Motors durchgesetzt: statt einer Entlassung einer großen Zahl von Arbeitern wurde einer doppelt so großen Zahl eine Kombination von halbierter Arbeitszeit mit der Unterstützung und teilweisen Finanzierung von selbstbestimmten Tätigkeiten angeboten. "New Work" anstelle der alten Lohnarbeit, inklusive Training, Netzwerkbildung und sonstiger Absicherungsmaßnahmen für "das Tun, das wir wirklich, wirklich wollen"..

Böse Zungen behaupten, Bergmann habe das erste große Experimentierfeld für sozialverträglichen Arbeitskraftabbau geliefert - sozusagen eine extrem preisgünstige Variante von "Golden Handshake" und "Outplacement" für die unteren Chargen der Berufshierarchie, eine preiswerte "Stillegungsprämie" mit unsicherem Ausgang für die Betroffenen. Wenig ist hingegen bekannt und überhaupt untersucht worden zu den Wohlstandseffekten dieser Tätigkeiten, obwohl diese im Zentrum der Intentionen standen: trotz Senkung der Lohneinkommen einen Zuwachs an Lebensqualität zu erzielen. Bergmanns Absicht war dabei, zwei Faktoren zu kombinieren: den Faktor der Freiwilligkeit und der bewußten Entscheidung zu einer Tätigkeit einerseits und den Faktor einer Übertragung von Technologiefortschritten der Fabriksautomation auf den Bereich einer neu zu definierenden Eigenarbeit.

Zwischen den Stühlen der Arbeitsdebatte

Wenn heute - ganze 25 Jahre nach den mehr oder weniger gelungenen Experimenten von Detroit - Frithjof Bergmanns Schriften erstmals größere Resonanz vor allem im deutschen Sprachraum finden, dann vielleicht nicht nur deswegen, weil das Thema "Krise der Arbeitsgesellschaft" ins Massenbewußtsein gedrungen ist; sondern auch weil Bergmann unbeirrt am Doppelcharakter dieser Krise festgehalten hat und ihm immer wieder in neuen Formen darzustellen und zu entfalten versucht. Wie ein roter Faden zieht sich folgende These durch sein Werk: Die Krise der Erwerbsarbeit ist zugleich die Befreiung der emanzipatorischen Potentiale der Arbeit. Diese freizulegen, von allen Schlacken falscher Verherrlichung durch die Lohnarbeitsreligion zu befreien und in ihren genuinen Merkmalen zu identifizieren ist Inhalt des Buches "Neue Arbeit - Neue Kultur".

Das Buch führt in philosophischer Hinsicht quasi einen Mehrfrontenkrieg: Gegen die Arbeitsreligion, gegen die Arbeitsontologie aber auch gegen die prinzipielle Arbeitskritik, wie sie etwa Robert Kurz einfordert (3). So setzt sich das Buch zwischen einige modische philosophischen Stühle und ist für so manche abstrakte intellektuelle Debatte wenig geeignet.

Beginnen wir mit der Arbeitsontologie: Arbeit als überhistorische Kernbestimmung des Menschseins. Bergmann ist wohl Philosoph, aber er vermeidet gerade das Philosophieren. Es scheint daß aus den allgemeinen Bestimmungen von Arbeit ebenso wenig über ihre historische Gestalt hergeleitet werden kann wie aus den allgemeinen Eigenschaften von Früchten die Giftigkeit oder Bekömmlichkeit einer Beere. Mit anderen Worten: Lohnarbeit ist eine historische, transitorische Form der Arbeit und als solche formte sie die Arbeit selbst. Sie ist nicht zu trennen vom Industriesystem, dessen erfolgreichste historische Gestalt der Kapitalismus war, der erstmals in der Geschichte auf "Arbeit sans Phrase" beruhte, auf dem Organisieren jeder Art von Produktion als Ausstoß einer "ungeheuren Warensammlung" (Marx) um durch Rückverwandlung in Geld die Kommandogewalt über gesellschaftliche Arbeit zu erhöhen und eben nur unter diesen Bedingungen Arbeit organisiert - ganz egal, wo letztlich die Eigentümer sitzen (4) . Ein System, für das die Existenz von Armut, von Ausschluß von gesellschaftlichem Reichtum funktional ist. Ein System das die erzwungene Nichtarbeit von Menschen genauso hervorbringt wie immense Mehrarbeit, die ständig zunehmende Beschleunigung der Arbeit auf Seiten der "Arbeitsplatzbesitzer". Ein System, das sowohl absurde Sparsamkeit und ängstliche Berechnung hervorbringt wie eine ständige, systemische und notorische Überproduktion und die Verschwendung von Ressourcen: "Während das Lohnarbeitssystem einerseits Berge von leeren Hülsen erzeugt, läßt es andererseits große Bereiche notwendiger und wichtiger Arbeit ungetan" (5). All dies sind Hinweise, daß auch Begriffe wie "Arbeitsgesellschaft", die die Ontologie der Arbeit in soziologischer Form wiederaufleben lassen, irreführend sind.

Damit eng zusammen hängt Bergmanns Ablehnung der Arbeitsreligion, mit der sämtliche politischen Kräfte die Schaffung von Arbeitsplätzen als oberstes Ziel beschwören, die "employability" sichern, Arbeitslose in Scheinausbildungen und "Maßnahmen" hetzen, die nichts anderes als die "Bereitschaft" zu arbeiten am Leben halten sollen, die dem Arbeitsfetisch sukzessive "unproduktive" Sozialausgaben, Kultur, Freizeit, öffentliche Dienste opfern und ständig und immer wieder die Vorstellung von der prinzipiellen Knappheit und dem daraus folgenden Wert von Arbeitsplätzen bemühen. "Das Lohnarbeitssystem hat uns die Wahnvorstellung eingeimpft, daß es nur eine begrenzte Menge von Arbeit gibt...sodaß es sinnvoll zu sein scheint davon zu sprechen dass 'uns die Arbeit ausgeht' so wie einem die natürlichen Ressourcen Kohle oder Öl ausgehen können" (6). Nichts sei verfehlter, und schon die Berufung auf die trivialste Alltagserfahrung eines Bauern oder einer Hausfrau könnte diese Vorstellung Lügen strafen; tatsächlich ist ja der Bedarf an Arbeit angesichts der zunehmenden Verwahrlosung von Gesundheit, Alltagsbedürfnissen, Kultur etc. sogar voluminös gestiegen. Der Umstand, daß von Seiten der Wirtschaft trotz Intensivierung und Beschleunigung der Arbeit immer weniger Arbeitsvolumen bezahlt werden könne, rechtfertige nicht die Rede vom "Ende der Arbeit" (Rifkin). "Wir haben uns beeilt, wie ertrinkende Hühner mit schlagenden Flügeln all diese Opfer zu bringen weil wir überzeugt waren dass wir in jedem Moment so nutzlos und überflüssig sein könnten wie in Büsche geworfene leere Flaschen. Wir glaubten an die Apokalypse, an das Ende aller Arbeit. Aber eben das war widersinnig, zutiefst und abgrundtief lächerlich und zur gleichen Zeit abgrundtief traurig. ...weil der Gedanke, Arbeit sei so etwas wie eine natürliche Ressource, oder wie ein Fluß, schlicht und einfach falsch ist". (7)

Das führt uns zu der dritten verbreiteten theoretischen Sackgasse, der Arbeitskritik. Denn die Ablehnung der Lohnarbeit, der abstrakten, fremdbestimmten Leistung von Arbeitsquanta unter dem Kommando des Vorgesetzten oder des anonymen Markts, das Konstatieren der vampirhaften Natur toter Arbeit, die im Kapital als anwendender Macht vergegenständlicht ist, und die Entzifferung dieser Arbeit als "Substanz des Kapitals" (Robert Kurz) rechtfertigt nicht, der Arbeit an sich den Kampf anzusagen. Arbeit ist vielmehr auch in ihrer entfremdeten Form eine Strukturformel des Menschseins, ist die Fähigkeit, zwischen einem Istzustand und einem Ziel zu unterscheiden und die Aufhebung dieser Differenz zu bewerkstelligen, und als solche sozusagen unhintergehbar: "Man könnte darauf hinweisen, daß es nicht ein einziges Objekt in dieser Welt gibt, das nicht zum Empfänger von mehr Arbeit werden könnte. Jeder Stuhl und jede Bank und jeder Tisch kann noch verbessert werden, kann durch zusätzliche Arbeit stabiler, eleganter oder ansprechender gemacht werden." (8) Arbeit ist ihrem Wesen nach - und Bergmann macht wie schon gesagt nicht viel Aufhebens um dieses Abstraktum - die andere Seite des Denkens, das sich von der Unmittelbarkeit der Erscheinung trennt, um zum Kern der Dinge vorzustoßen. Es geht wie bei folgerichtigem Denken darum, nicht in der schlechten Differenz von Vorgestelltem und Wirklichem zu verharren, sondern zur Identität von Wesen und Erscheinung zu gelangen. So wie sich Denken in der Erklärung der Dinge abarbeitet, so betätigt sich Arbeit in der Veränderung der Welt. Die Wahrnehmung der Möglichkeiten, das Lernen um die Gewordenheit der Dinge, schließt den Wunsch und die Aufgabe ihrer zielgerichteten Veränderung mit ein. Doch noch mehr: wie der Mensch im Denken zum Ansichsein der Dinge vorzustreben versucht, die subjektive Zutat wegzukürzen versucht, so richtet er in der Arbeit seine Anstrengungen darauf, daß die Dinge von selbst ihrem vorgestellten Resultat ähnlicher werden. Er schiebt nicht nur Werkzeuge zwischen sich und die Dingwelt, läßt Dinge auf Dinge wirken, sondern dieses Wirken soll möglichst nachhaltig und von selbst zum Ziel führen: das Gestell, der Automat.

Arbeit, so schrieb Ulrich Sigor einmal, sei charakterisierbar als jene menschliche Tätigkeit die ihre eigene Verminderung zum Ziele hat. Die Paradoxie ist freilich, daß gerade darin ständig neue Handlungsoptionen und -notwendigkeiten entstehen. Der Arbeit geht gerade deswegen die Arbeit nicht aus, denn wo sie auf der einen Seite wegbricht, wäre rationellerweise neuer Handlungsspielraum geschaffen, kann sich das Denken neuen Möglichkeiten zuwenden. Und wo mehr Agentien in Bewegung gesetzt werden, mehr Prozesse ablaufen, bedarf es notwendigerweise mehr des Denkens und mehr und neuer Arbeit, sie in Ordnung zu halten. Daß diese elementare Logik heutzutage durch die Wirtschaft außer Kraft gesetzt wurde ist, daß der ständig steigende Bedarf an Arbeit durch Arbeit systematisch ignoriert wird, darf nicht der Arbeit als Ihre Natur angerechnet werden.

Die Autonomisierung der Arbeit

In diesem Sinn ist Frithjof Bergmann einer der wenigen, der die kopernikanische Wende wagt und gerade vom Standpunkt der Evolution der Arbeit her ein System angreift, das sich in einem historischen Prozeß das Monopol auf Arbeit angeeignet hat. Genau in dem historischen Moment, in dem auf der einen Seite dieses Monopol auf Arbeit im Sinne der Massenbeschäftigung zusammenbricht, in dem die letzten Gefechte für die Aufrechterhaltung dieses Monopols mit Arbeitssimulation und Arbeitszwang geführt werden, bricht sich auch eine neue Form der Arbeit Bahn, die grundverschieden vom alten System funktioniert. Diese neue Form der Arbeit zeichnet sich dadurch aus, daß sie der ganzen zwanghaften Vergesellschaftung, die in der sozialistischen Spielart des Industriesystems auf ihre absurde Spitze getrieben wurde, nicht mehr bedarf - wobei sowohl "zwanghaft" als auch "Vergesellschaftung" wichtig sind. Neue Arbeit fragt nach dem, was die Menschen wirklich wollen und gründet ganz radikal in der freien Entscheidung für sie als bester Basis ihrer Entfaltung. Sie sucht die Realisierung primär im individuellen Handlungsraum, dessen Möglichkeiten sie zu erweitern sucht.

Bergmann greift hier einen Gedanken auf, der in anderer Form von Alvin Toffler und Mashall McLuhan geäußert wurde. Das Industriesystem vergegenständlicht im Lauf seiner Reife immer mehr produktive Intelligenz in den Produkten, die ihrerseits zu Produktionsmitteln werden, in den Händen von immer mehr Menschen, bis es qualitativ in ein neues System umschlägt das von Dezentralisierung und Selbstbestimmung dominiert wird. Dieser Wechsel im Epizentrum gesellschaftlicher Produktivität - weg von der Fabrik und hin zum Individuum - hat vor Jahrzehnten schleichend und allmählich begonnen und ist in der Gegenwart bereits zur fühlbaren Möglichkeit geworden. Die immer intelligenteren Peripheriegeräte der Computer fangen an, materielle Produkte zu schaffen - und eine Explosion ihrer Vielseitigkeit und Einsatzgebiete ist absehbar. Dieselbe Ursache, die auf der einen Seite zur immer drastischeren Reduktion der industriell verwertbaren Arbeitskraft führt - die Ausbreitung der Mikroelektronik und Automation -, ermöglicht so auf der anderen Seite ein Autonomwerden, ein Selbständigwerden der Arbeit, das historisch ohne Parallele ist.

Im Grunde ist ja das Lohnarbeitssystem selbst schon im Begriff, in diese Richtung zu zerbröckeln. Es wird ja nicht nur die Zahl der Arbeitenden abgebaut, sondern auch die Organisationsweise der Arbeit verändert sich radikal. Es kommt ja in den Zentren der Produktivität gerade nicht mehr auf das getreue und repetitive Wiederholen von Arbeitsvorgängen an, sondern auf das flexible und selbstverantwortliche Erreichen von Zielen. Menschliche Intelligenz wird auf allen Ebenen mobilisiert wie nie zuvor, auch wenn sie sich oft absurden betriebswirtschaftlichen Zielen unterzuordnen hat. Die Leichtigkeit, mit der "Kernkompetenzen" von "outsourcebaren" Tätigkeiten geschieden werden, das Verschwinden der Loyalität und Orientierung an Firmen und Orten und die vermehrte Hinwendung zu Prozessen sowie die häufigen Übergänge in die scheinbare oder wirkliche Selbständigkeit - all das verrät einen tiefen kulturellen Einschnitt. Er bedeutet nicht mehr und nicht weniger als eine langsame, aber immer sichtbarer werdende Entfremdung der bisher so unauflöslich miteinander verbundenen Pole Arbeit und Kapital.

Von der Entfremdung ist es noch ein weiter Weg hin zur Scheidung, und die autonomer werdende Arbeit ist auch mit voller Wucht der Tatsache ausgesetzt, daß sich das Kapital prächtig aufs Konkurrieren versteh, auf den Einsatz von Marktmacht, Dumping, Produktionsschlachten und damit gegen das kleine Gewerbe. Frithjof Bergmann schließt den Weg in die Selbständigkeit nirgends aus, doch stellt er das Mißverständnis, Neue Arbeit würde sich für die Gründung von "Ich AGs" stark machen, deutlich klar. Es gehe nicht darum, auf eine noch schlimmere Art und Weise zum "Sklaven des Marktes" zu werden als dies durch das Lohnarbeitssystem ohnehin schon geschehe.

Daß es andere, ganz neue Organisationsweisen der autonomen Arbeit gibt, hat sich in großem Stil in der Open Source Bewegung gezeigt: die modernen Informationstechnologien geben den Produzenten mehr denn je die Möglichkeit, sich direkt zu vernetzen und kooperativ zu ergänzen. Wenn diese Möglichkeit wahr genommen wird, dann führt sie auch zu Austausch an Wissen, Erfahrungen und Kompetenzen, die auch sehr anspruchsvollen Vorhaben einen möglichen Raum der Entfaltung gibt.

Doch noch sind wir auf vielen Gebieten nicht so weit, und die Interventionsversuche der Neuen Arbeit konzentrieren sich derzeit auf ein ganz anderes Gebiet: dem Gebiet der ständig anschwellenden "Ränder" der Produktionsweise, die von der sich auf einen diffusen "Zentralraum der Flüsse" zurückziehenden Industrie verlassen und aufgegeben werden. Das wahre Ausmaß der Katastrophe der Lohnarbeit wird erst dort sichtbar, wo die Wanderarbeiter aus den ländlichen Gebieten mit den sinkenden Wachstumsraten der Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft zusammenprallen. An den Rändern der großen Städte der Dritten Welt, wo die Arbeitslosigkeit gepaart ist mit Überlebenswillen. Dorthin - konktret nach Johannesburg - hat sich auch Frithjof Bergmann begeben, um im wirtschaftlichen Niemandsland der koperativen High-tech Eigenproduktion einen Raum zu erschließen. In der Begierde der Armen hat er ein Experimentierfeld für die Überwindung dessen erschlossen, was die Jahrzehnte und Jahrhunderte der Gewöhnung an Lohnarbeit als die Armut der Begierde zurückgelassen haben. Dennoch ist dieses Experiment sowohl von Anspruch als auch von den Inhalten alles andere als ein Armutsprogramm. Erhofft wird eine Rückwirkung auf die reichen Länder, in denen selbstorganisierte Gemeinschaftsproduktion auf hohem technischen Niveau einstweilen noch Utopie bleibt.

Anmerkungen

(1) Robert Kurz, Schwarzbuch Kapitalismus, Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, Frankfurt 1999 (Eichborn)

(2) Wiener, Norbert, Kybernetik, Regelung und Nachrichtenübermittlung im Lebewesen und in der Maschine, Düsseldorf 1992, zuerst 1948)

(3) So in sehr vielen Essays der Zeitschrift "Krisis" (später "Exit") und im populär verfaßten "Manifest gegen die Arbeit", Nürnberg 1999, das mit den Worten beginnt: "Ein Leichnam beherrscht die Gesellschaft - der Leichnam der Arbeit. Alle Mächte rund um den Globus haben sich zur Verteidigung dieser Herrschaft verbündet: Der Papst und die Weltbank, Tony Blair und Jörg Haider, Gewerkschaften und Unternehmer, deutsche Ökologen und französische Sozialisten. Sie alle kennen nur eine Parole: Arbeit, Arbeit, Arbeit!"

(4) Frithjof Bergmann, Neue Arbeit, Neue Kultur, Freiburg 2004, p. 155

(5) ebd, p. 89

(6) ebd. p.99

(7) ebd. p. 102

(8) ebd. p.104