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Ö1 - 28.2.2008. „Von Tag zu Tag“, mit Stella Damm:

SD: Herzlich willkommen. „Die Gesellschaft nach der Lohnarbeit“ haben wir das heutige Gespräch übertitelt. Gast im Studio ist Frithjof Bergmann, Professor für Philosophie und Anthropologie an der University of Michigan und Erfinder und Verbreiter eines Konzeptes, das ihnen unter dem Begriff „Neue Arbeit“ oder „New work“ vielleicht schon untergekommen ist. Wir sprechen heute über die durchaus utopisch anmutenden Hintergründe dieses Konzeptes und darüber, warum und inwiefern es dennoch schon vielfach schon sehr konkrete Anwendungen gefunden hat. Doch zunächst guten Tag und willkommen Frithjof Bergmann.

FB: Ja, guten Tag und vielen Dank für die Gelegenheit, mit ihnen und ihren ZuhörerInnen ein Gespräch zu führen.

SD: Das Konzept der Neuen Arbeit stützt sich auf zwei wesentliche Grundgedanken: Der eine ist Eigenversorgung auf technologisch sehr hohem Niveau. Der andere ist der, dass Menschen mehr Zeit zur Verfügung haben sollen für Arbeiten bzw. Tätigkeiten, die sie wirklich tun wollen, für erfüllende Beschäftigung oder wenn sie so wollen für Selbstverwirklichung. Ich würde gerne versuchen, in den ersten zehn Minuten über diese beiden Grundaspekte einen Überblick zu geben, generell was sie unter „Neue Arbeit“ verstehen, damit auch dann für unsere Gesprächsteilnehmer und Teilnehmerinnen am Telefon klarer ist worüber wir sprechen. Und wenn es ihnen recht ist, würde ich gerne mit dem zweiten Aspekt beginnen, weil der unserer herkömmlichen Auffassung von Arbeit sehr stark gegen den Strich bürstet. Also mit dem Prinzip: Menschen sollen Tätigkeiten machen können, an denen ihnen wirklich etwas liegt, für die sie Leidenschaft empfinden. Sie, Frithjof Bergmann, erachten das nicht als Luxus. Das ist aber der Stellenwert, den so eine Art von Tätigkeit in unserer Gesellschaft gegenwärtig hat, sondern als eine Art von Notwendigkeit.

FB: Notwendigkeit. Ich weiß nicht ganz, ob das das richtige Wort ist, aber auf jeden Fall als wirtschaftlich tüchtig und wirtschaftlich wettbewerbsfähig und wirtschaftlich unter Umständen besser als das Erlebnis der Arbeit, das ich manchmal so beschreibe, dass sehr sehr viele Menschen - nicht alle natürlich – aber sehr viele Menschen ihre Arbeit als milde Krankheit erleben. Ich meine damit nicht Krebs oder Hepatitits, sondern bei einer Erkältung sagt man: „In zwei Tagen ist es vorbei“ und bei der Arbeit sagt man: „Es ist schon Mittwoch. Bis Freitag halt ich´s aus“ oder “Bis zum Urlaub halt ich´s aus“ oder überhaupt „Bis zum Ruhestand halt ich´s aus.“ Und im Unterschied dazu ist das eigentlich ein Begriff, der sich auch in den Vereinigten Staaten aber sehr auch in Europa als sehr praktisch anwendbar und nützlich erwiesen hat, nämlich: Es ist einfach deutlich, dass ein Unternehmen, in dem die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass man ihre Talente auch achtet, dass man versucht, sie zu entdecken, dass man sie mit Arbeit verknüpft, die zu ihnen passt und nicht Arbeit, die sie unter Umständen als „milde Krankheit“ erleben oder schlimmer, Arbeit, die sie krank macht oder Arbeit, die sie verkrüppelt, so wie die Füße von chinesischen Frauen, die mit nassen Binden verkrüppelt wurden. Das, würde ich sagen, ist sehr verbreitet in der Zwischenzeit. Dazu gibt es alle möglichen Fragen, aber das ist die Grundidee: Es dazu zu bringen, dass Menschen in einem viel größerem Ausmaß Arbeit tun, die ihnen entspricht, die sie als sinnvoll erleben.

SD: Wir lernen ja in unserer Gesellschaft - und das gilt vermutlich für die westeuropäische genauso für die in den USA, in der sie schon etlichen Jahrzehnten leben und wirken - ein ganz anderes Verhältnis zur Arbeit kennen, was ja durchaus paradox ist. Sie haben diesen Aspekt bereits erwähnt. Eine „milde Krankheit“ nennen sie es, ein notwendiges Übel, man muss ja von Irgendetwas leben eine Zeit von Tagen oder vielleicht im Jahr, die man gewissermaßen ausklammert aus dem, was man gerne als sein richtiges eigentliches Leben empfindet. Andererseits hat aber vor allem das Haben eines Arbeitsplatzes, also Erwerbsarbeit haben, eine ganz starke Definitionsmacht über den Menschen, über die Person. Was man ja immer wieder sehen kann an den Schwierigkeiten, denen Menschen sich gegenüber sehen, die vorübergehend ihre Arbeit verlieren oder in Pension gehen und gar keine Erwerbsarbeit mehr haben. Das hat so etwas mit Nutzlosigkeit zu tun. Der Wert der Person ist sehr stark verknüpft mit Erwerbsarbeit. Angesichts all dieser Paradigmen, die mit Arbeit verknüpft sind in unserer Gesellschaft, finde ich es überraschend, wenn sie sagen, durchaus auch Manager in der Wirtschaft springen ganz positiv an auf ihre Idee von Arbeit, die tatsächlich etwas Lebendigkeit Vermittelndes sein soll.

FB: Ich würde betonen, es gibt Arbeit, die schwächt Menschen so, dass man einen Urlaub unbedingt braucht und es gibt Arbeit, die genau das Gegenteil tut, die Menschen stärkt und es gibt Arbeit, die Menschen belebt und ihnen auch das Gefühl vermittelt, dass sie jetzt tatsächlich leben und nicht nur etwas eine Zeit lang über sich ergehen lassen. Diesen Grundgegensatz, den verknüpfe ich sehr, auch, aber nicht nur. Sie haben schon angedeutet. Eine riesige Frage, oft die aller erste Frage ist: Das klingt ja großartig. Natürlich will ich etwas tun, das Sinn hat, das Zweck hat, das mir entspricht, das mich lebendig macht, das mir Kraft gibt, sodass ich keinen Urlaub brauch sondern im Gegenteil, dass unter Umständen die Arbeit so schön ist, dass ein Urlaub sich wie eine Unterbrechung fühlen würde, aber wie kann ich davon leben ? Wie kann ich die zehn Rechnungen, die ich jeden Monatsersten auf den Tisch serviert bekomme, bezahlen, wenn ich nicht mehr wie ein Galeerensklave das tue, was mir vorgeschrieben wird und damit natürlich Geld verdiene, sondern wenn ich mehr anfange, das zu tun, was mir entspricht ? Die Antwort darauf hat sich in fünfundzwanzig Jahren natürlich sehr sehr entwickelt und eines haben wir schon gesagt: Auf der unternehmerischen Ebene ist es absolut deutlich. In vielen vielen Unternehmen – und ich habe in Stanford unterrichtet und deshalb von Anfang an eine Beziehung zu Google und Apple gehabt, das sind beinahe Studenten von mir. In diesen berühmten Betrieben wird viel mehr geachtet auf die Begabungen, Talente und Wünsche. Und das drückt sich auch darin aus, dass man sich in diesen Betrieben ganz anders anziehen kann. Die Leute von General Motors, die kommen in „Uniformen“ zur Arbeit. Natürlich sind das maßgeschneiderte, ganz kostbare Anzüge. Die Leute von Google und Apple, die kommen in Sneackers und Jeans zur Arbeit. Es ist ein bisschen interessant, dass dies die traditionellen Leute, die Automobil-Leute, die Leute, die in dreifachen Anzügen verunsichert, weil die andere Kultur eben viel lebhafter, schneller und intelligenter ist als sie. Aber zurück zur Hauptfrage: Wie kann man davon leben ? Wichtig ist, dass es einzelne Fälle gibt, in denen das ganz offensichtlich und einfach ist, nämlich als Bilderbuchbeispiel sozusagen. Ich habe mit vielen Leuten gearbeitet, die etwas getan haben, das ihnen nicht entsprach. Sagen wir auf Wunsch ihrer Eltern sind sie Steuerberater geworden und haben als Steuerberater elend verdient, wurden sich aber klar darüber, dass was sie eigentlich tun wollten sagen wir Musik machen. Da waren natürlich alle möglichen Eltern und Vorbilder, die gesagt haben, mit Musik kann man kein Geld verdienen. Das ist ein typisches Beispiel von Vorurteilen, die wir bekämpfen. Mit Musik kann man viel besser, viel mehr Geld verdienen - und die Beispiele klingen uns von allen Lautsprechern in die Ohren - als mit Steuerberaten. Deshalb sind in meiner Vergangenheit sehr viel Leute, die besser mit dem verdienen, was sie wirklich wollen, was ihnen entspricht und ihre Begabungen sind als mit dem, was sie aufzwangen als erste große Periode ihres Lebens aus dem Gefühl „so muss es sein, das ist die Arbeit und man muss akzeptieren, dass die Arbeit vor allem schwer und hart ist.

SD: Ich kann mir vorstellen, dass eine zweite Gruppe von Bedenken, die sie häufig zu hören bekommen, ist: Ja aber, wenn jetzt alle machen was sie wollen, dann heißt das, dass wir nur noch Philosophieprofessoren, Popsänger, sonstige Musiker, Dichter und Spitzenköche in unserer Gesellschaft haben. Wie soll denn eine Gesellschaft funktionieren, in der alle nur tun, was sie wollen ?

FB: Wenn ich ganz schnell noch sagen darf. Das Thema, was wir eigentlich als Voraussetzung sehen, damit man dann tatsächlich das tun kann, da ist mehr zu sagen, viel mehr zu sagen. Nämlich: Wir arbeiten auch an der Entwicklung einer grundsätzlich anderen Wirtschaft, die es in einem viel größeren Maße Menschen möglich macht, das zu tun, was sie wollen. Aber wenn jetzt die Frage ist, lieber Gott, alle wollen Sinfonien schreiben und niemand will die unter Umständen schwierige Arbeit tun, da muss ich grob werden und mich wehren sozusagen. Das ist eine fürchterliche Arroganz. Ich kenne keinen und bin ein Professor, der sehr versucht, nützlich zu sein, trotzdem ich Professor bin und ich kenne Kellnerinnen, bei denen merkt man in den ersten fünf Minuten, das ist das, wofür sie geboren sind und man vergisst auch diese Kellnerin nicht. Ich kenne Stubenmädchen, ich kenne Leute, die Flure wischen und ich bisher noch nie einen Beruf gefunden, wo es nicht Leute gibt, die das tatsächlich machen wollen.

SD: Im Grunde müsste es sich also ausgehen, wobei sie ja gesagt haben, sie arbeiten auch an der Entwicklung einer neuen Form von Wirtschaft, dezentral unter intelligenter Nutzung der aktuellsten technologischen Möglichkeiten, die auch Zeit freischaufeln könnte, eben indem man sich eben stärker selbst versorgt, von dem Zeitbudget, das wir jetzt grundsätzlich in Arbeit investieren. Wie funktioniert das ?

FB: Ich sage im Allgemeinen, dass alle Ideen, an denen ich arbeite, ganz einfache Ideen sind, die ein fünf Jahre altes Kind sich hätte ausdenken können. Im Grunde genommen wissen wir alle, es pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass 80 Prozent sagt man manchmal der Menschen sind wirklich nicht mehr nötig und man könnte auch ohne sie auskommen und deshalb fühlen sie sich ein bisschen an den Rand gedrängt und nutzlos usw. Aber im Unterschied zu anderen Leuten habe ich von allem Anfang an das Technologische sehr betont, habe auch sozusagen Informatik in Stanford und Ähnliches in Berkely unterrichtet und war von allem Anfang an ganz verwoben in die Entwicklung der Industrie, die auf Computern aufgebaut worden war. Und deshalb vertrete ich sozusagen den einfachen und meiner Ansicht nach ganz ganz klaren und einfachen Standpunkt, dass nämlich mit intelligenter Anwendung der fortschrittlichen Technologien könnte man das, was wir zum Leben wirklich brauchen und das bedeutet unter Umständen schon elegante Dinge, denn ich finde, man sollte nicht armselig leben und blass werden, aber natürlich brauchen und nicht irrsinnigen Luxus. Das könnte man in verhältnismäßig kurzer Zeit mit wenig biblischem Schweiß unter Benützung intelligenter Technologien. Ich erwähne ganz schnell ein paar Beispiele. Das allersinnvollste Beispiel ist natürlich Elektrizität. Das hat sich herausgestellt, dass es auch aus ökologischen und vielen anderen Gründen besser ist, dezentral im Kleinen und das ist die Wirtschaft, an der wir arbeiten, Elektrizität herzustellen und nicht noch mal den Nil einzudämmen oder den Gelben Fluss und Unheil anzustiften und es ist viel billiger, auf moderne Arten Elektrizität herzustellen. Daran schließt sich, was in Deutschland noch ein bisschen weniger gang und gäbe ist , aber ich arbeite sehr viel in Afrika, dort ist es sehr verbreitet, dass man sich selber den Treibstoff erzeugt z.B. aus Sonnenblumensamen, die man in einer einfachen Presse pressen kann. Aber es gibt auch sehr viel Anderes. Ich komme zu wirklich den Beispielen, die mir sehr wichtig sind. Es ist ein bisschen kontrovers, aber ich arbeite sehr viel mit Leuten, die finanziell sehr schlecht dran sind und die geben eine unwahrscheinlich hohe Geldsumme für ihre Telefone, für ihre Handy aus. Und wenn ich darf, bin ich ein bisschen krass, wenn ich sage, ich kenne eine Menge Leute, die prostituiert arbeiten, als Prostituierte arbeiten und die prostituieren sich, um die zehn Minuten zahlen zu können, die sie fürs Telefon absolut brauchen. Ihr Beruf sozusagen ist abhängig von Telefon. Und daran arbeiten wir, wir gründen Zentren, wir bauen Hallen, zu denen die Leute hinkommen. Es gibt jetzt schon viele viele solcher Hallen – wir brauchen jetzt mehr das Wort Hallen statt Zentren – und zu diesen Hallen kommen Leute, um bedeutend billiger zu telefonieren. Das ist ein sehr sinnfälliges Beispiel, denn wir, die Leute, die Radiosendungen machen, wir können über das Internet telefonieren, wir können Computer zum Telefonieren benützen, wir können alle möglichen Sachen benützen, um diese eine der monatlichen Rechnungen zu reduzieren, aber die Leute, denen es finanziell schlecht geht, sind auch die Leute, die das nicht wissen. Und deshalb sind wir sehr nützlich in dem Sinn, dass wir den Leuten als erstes Angebot sagen, das aller erste was wir versuchen werden, ist, dass wir ihre Ausgaben reduzieren. Darin sind wir Experten, was das Telefon oder die Elektrizität angeht, was Miete angeht, was Krankenkasse angeht, was Versicherung angeht, auf den Gebieten sind wir sehr erfahren und wir können ihre Ausgaben reduzieren. Außerdem gründen wir zusammen mit solchen Leuten und ich will schnell einfügen: Wir arbeiten ganz betont mit zwei Gruppen, nicht nur mit der Gruppe, denen es schlecht geht, die übrigens in Amerika sehr schnell wächst, den Leuten, denen es schlecht geht, sondern wir arbeiten auch, das ist sozusagen unsere zweite Ansprechgruppe, das sind die Leute, die besonders begabt sind, abgekürzt, die Laptop-Leute, die Leute, die mit einem Laptop in einem Cafe arbeiten und sehr oft unabhängig arbeiten, die oft ihr eigenes kleines Unternehmen aufgebaut haben, das irgendwas mit Webseiten – Design zu tun hat und die arbeiten oft im Cafehaus. Das sind auch unsere Kunden. Die kommen zu uns, weil ihnen sehr viel daran liegt, nicht eine Ich-AG zu werden, weil Ich-AG produziert Magengeschwüre, geht auf Kosten von Sex, da ist keine Zeit, keine Energie mehr übrig, Ich-AG geht sehr auf Kosten der Kinder und Familie und deshalb schließen sich jetzt diese Leute, die mit Laptop arbeiten und schon unter den Begabtesten sind zusammen und da kann man, wenn man will, ein altes Wort hineinbringen, nämlich so eine Art Genossenschaft. Die verbinden sich, um sich gegenseitig zu stärken und das tun sie im Rahmen der „Neuen Arbeit“ in Hallen, die sie mit uns einrichten. In diesen Hallen haben sie dann die Arbeitsbedingungen, die man nicht in einem Cafe hat. In einem Cafe muss sozusagen alle zwei Stunden einen verlängerten Braunen bestellen, um die Miete für den Tisch zu bezahlen. Das ist gar nicht eine so kleine Miete, das addiert sich, aber der wichtigste Punkt ist, das diese wirklich sehr begabten Leute wissen, dass 85 % von dem ist jetzt Arbeit, da ist nicht so schrecklich viel übrig, wenn man die Arbeit sozusagen erst mal so sieht. Und die sind schlau genug, begabt genug, fähig genug um zu sagen: Nein, ich will nicht ein Galeerensklave für einen großen Betrieb werden, ich will so arbeiten, wie es mir entspricht, in dem Rhythmus, in dem Zeitrahmen. Wenn mich plötzlich eine Idee packt um zwei Uhr in der Früh, dann will ich um zwei Uhr in der Früh arbeiten und das verträgt sich ganz mit der “Neuen Arbeit“.

SD: 0800 22 69 79 ist die Telefonnummer, unter der sie sich in dieses Gespräch einschalten können. Frithjof Bergmann ist mein Gast. Das Thema ist „Das Konzept Neue Arbeit“, das so eine Art möglicher Ausweg aus der Krise der Lohnarbeit, der wir uns im Augenblick gegenüber sehen, sein könnte. Unser erster Anrufer ist Herr Appel, guten Tag.

Hr.A: Grüß Gott, ja prinzipiell. Ich beschäftige mich mit der Thematik Arbeit aus gegebenem Anlass, weil ich selbst seit einigen Jahren arbeitslos bin und was ich bisher zugehört habe in fast allen Punkten dem Herrn Bergmann glaube ich ihrem Gast recht gebe.

FB. Vielen Dank dafür

Hr.A: Gerne. Zunächst ein kleiner Kommentar zum Gehörten. Es war die Frage, wie soll das gehen, wenn jeder sozusagen nur das macht wozu er wirklich Lust hat. Sie sagten schon, man möchte es nicht glauben, auch zu scheinbar unangenehmen Arbeiten gibt es jemanden, der sie wirklich macht, zweitens aber gerade in der heutigen Zeit gibt es eine viel stärkere Automatisierung. Japan macht das vor. Fast alle Arbeiten könnte man völlig automatisieren sprich computerisieren. Also, für solche unangenehmen Arbeiten braucht man niemanden. Ja, aber das führt zur nächsten Frage: Was machen dann die Leute, für die es dann keine Arbeit mehr gibt ? Und die ihnen meiner Meinung auch einem vernünftigen Menschen gar nicht zumutbar ist, also irgendeine Anführungszeichen oder auch ohne Anführungszeichen „Drecksarbeit“.

SD: Vielen Dank, Herr Appel, ich denke es ist klar geworden worauf sie hinauswollen. Also einerseits birgt die Automatisation die Möglichkeit, quasi die unangenehmen Arbeiten an Automaten zu delegieren, andererseits was tun dann wie es so schön heißt die „freigesetzten“ Arbeitskräfte mit ihrer Zeit ? Das ist im Grunde genau wo sie ansetzen.

FB: Lieber Herr Appel. Sie haben vollkommen recht. Das was automatisiert werden kann, von dem haben wir bisher erst den Anfang erlebt, die erste Böe von einem Orkan. Es wird noch viel viel mehr wegautomatisiert werden, aber ich würde doch entgegensetzen, aber nur, um das etwas zu begrenzen, so zum Beispiel: Es ist nicht ganz klar, dass man das Taxifahren automatisieren werden kann und da habe ich eine andere Lösung und die hat man auch schon aufgegriffen, nämlich mit dem Faktor Zeit. Zum Beispiel ein ganzes Leben lang mit dem Taxi in Manhattan zu fahren ist eine Verurteilung, davon stirbt man, aber sagen wir einen Sommer lang als Student Taxi zu fahren und unter Umständen mit einem Spiegel, damit man sieht, was hinten im Taxi passiert, könnte eine psychologische Erziehung sein. Es gibt Arbeiten, die nicht wegautomatisiert werden, die aber ganz anders verteilt werden können. Aber jetzt komme ich zu dem viel größeren Hauptpunkt. In meinem Weltbild ist es eine ganz wichtige Tatsache und ich glaube es ist erwähnt worden, dass ich auch Anthropologie unterrichte, dass seit Jahrtausenden die große große Mehrheit der Menschen auf die eine oder andere Art - und ich bin da gar nicht romantisch - aber 80-85 % der Menschheit arbeiten auch jetzt noch in Indien, in China, in Afrika als Bauern und das ganze System, das sie im Augenblick schlecht behandelt, wenn ich sie recht gehört habe, das System, wo man um 9 Uhr da sein muss und um 5 Uhr nach Hause gehen darf und in der Zwischenzeit unter Druck steht und bewacht wird und beschleunigt wird und beschränkt wird usw. das ganze System existiert erst seit ungefähr zweihundert Jahren. Vorher hat der Großteil der Menschen anders gearbeitet und so ich wird man einmal vielleicht auch einmal auf diese letzten zweihundert Jahre zurückblicken und sagen: Das war ja wirklich eine schreckliche Episode, also so was von Sichverirren und so was von Wahnsinn, das ist ja ekelhaft.

SD: Moment, jetzt muss ich einhaken, weil so wie sie steuern hört es sich fast an, als wollten sie sagen, wir sollen jetzt alle zurück aufs Land und unsere Hühner sozusagen auspacken und uns mit den Unwegbarkeiten des Gemüseanbaus herumschlagen. Das ist ja auch so etwas, was man so herkömmlich unter Selbstversorgung assoziiert. Sie haben das ja einmal probiert.

FB: Ich hab´s nicht nur probiert, aber ich möchte auf das antworten, was sie gesagt haben. Schön, etwas ausführlicher. Ja, ich ein Jahr in Princeton Philosophie unterrichtet und dann mich entschlossen, im Wald zu leben und nur das zu essen, was ich auch vorher angebaut hatte.

SD: Sie hatten Thoreau gelesen.

FB: Schlimmer, ich hatte Thoreau unterrichtet,. Das habe ich zwei Jahre lang gemacht und dabei entdeckt, dass das eine Sklaverei ist, eine selbst eingebrockte Sklaverei. Das hatte in meinem Fall sehr viel mit Holz zu tun. Ich habe es in New Hampshire gemacht und da war es eiskalt und ich hatte aus ideologischen Gründen nur eine Bogensäge und ich habe gesägt und gesägt und gesägt und nicht Stücke geschrieben, was ich damals wollte. Also, ich absolut nicht ein Mensch, der allen Menschen rät, zurück zu den Hühnern zu gehen. Im Gegenteil, ein Spruch, den ich oft in New York gebraucht habe, ist: „Züchte nicht Hühner, denn Hühner sind sehr laut und Eier sind sehr billig.“ Also, im Gegenteil, ich wehre mich eigentlich, aber das hereingekommen in das Gespräch gegen das Wort Selbstversorgung. Das verknüpft sich selbstverständlich sofort mit Marmelade und Ziegen und Käse und so. Nein, nein, nein, nein. Es dreht sich darum, dass es jetzt möglich ist, die Technologie, die wirklich brillant und erstaunlich ist und die wir entwickelt haben und die so großartig ist, dass wir sie feiern sollten, die Technologie nicht für die großen Konzerne, nicht für den Profit, nicht dafür einzusetzen, dass man noch mehr Luxusgüter und noch mehr auf den Markt werfen kann, was die Leute eigentlich gar nicht wollen und das auch keinen Sinn hat, sondern die Technologie dahin zu steuern, dass eine grundsätzlich andere Art des „Für-sich-selber-arbeitens“ und ich würde lieber das Wort Selbstarbeit nehmen als Selbstversorgung sich selbst entwickelt und das kann nicht der Einzelne machen, das kann man nur in einer größeren Menschenansammlung oder bei sich gegenseitigem Unterstützen, Verknüpfen und Vernetzen machen und daran arbeiten wir, aber die Kernantwort auf ihre Frage, die ich ihnen noch schulde, hier ist sie: Viele Menschen in der Zukunft werden nicht in einem Arbeitsplatz für irgendjemand anderen arbeiten, sondern sie werden für sich selbst arbeiten und sie werden in einer Gemeinschaft, in einer Nachbarschaftsgemeinschaft oder in einer Dorfgemeinschaft sehr viel von dem, was man zu einem eleganten, fröhlichen, erfüllenden menschlichen Leben braucht - nicht Subsistenz, also ich rede nicht von blassen Lippen - das kann man alles selber herstellen, inklusive italienisch aussehende Schuhe, inklusive elegante Stoffe, das kann alles dezentral und mit verhältnismäßig natürlich unwahrscheinlich intelligenten Maschinen, ja ja Computer, weiterentwickelt, nächste Entwicklung nach dem Computer, der sogenannte Fabrikator. Was machen die Leute ? Sie werden zu einem Teil Arbeit tun, die sie als sinnvoll erleben, weil es Arbeit ist, die ihnen sofort zugute kommt, für sich selber, für ihre Familie, für ihren Umkreis, es dazu zu bringen, dass man auf neue Art und Weise baut, dass man auf neu Art und Weise sich Kleider und Möbel macht, dass man Elektrizität erzeugt, dass man selbstverständlich auf sehr raffinierte Arten – und da kenne ich mich sehr aus – auch Gemüse züchtet, aber was wir eingeführt haben auch in den Slums von New York und in Kalifornien und in Afrika sind die sogenannten vertikalen Gärten, aber das ist ein Thema für sich, das müssen wir jetzt nicht haben.

SD: Stichwort Fabrikator, das ist schon etwas, das denke ich schon sehr spannend ist, weil es sich um eine Fertigungsmöglichkeit handelt, die sehr mobil ist, die sehr klein ist, die das einzelne individuelle Stück produzieren kann, ohne dass man jetzt darauf achten muss, es zahlt sich erst nach 300 000 Stück Durchlauf am Tag oder so aus. Als ich zum ersten Mal versucht habe, mit meinem mangelnden technischen Verständnis mir einen Überblick zu verschaffen, was dieser Fabrikator ist oder kann habe ich mich ein bisschen erinnert gefühlt an Replikators aus „Star Track“. Man kann sich das, wenn ich es richtig verstanden habe vorstellen wie eine Art Drucker, der in 3-D agiert und statt Druckerschwärze pulverisiertes Material verwendet, das dann auf Grund der Hitze, während es verwendet wird abkühlt und hart wird. Das kann Metall sein oder Kunststoff sein oder Ähnliches. Habe ich das einigermaßen richtig beschrieben ?

FB: Erstaunlich, mit ganz genauer Richtigkeit. Etwas, das mich manchmal verwundert ist, dass es noch immer eine ganze Anzahl von Leuten gibt – also ich habe gerade gestern in Graz einen Vortrag abends gehalten und am Abend vorher in Salzburg und heute Abend in Linz – dass es noch immer Leute gibt, wenn man in einem Saal voller Menschen spricht, die sagen: „Ich habe noch nie von einem Fabrikator gehört, was ist das überhaupt ? Gibt es das und kann man das schon kaufen und wie viel kostet das?“ und so. Und wenn ich das sagen darf. Ich würde sehr unsere Zuhörer bitten, wenn sie irgendwo die Möglichkeit haben, einfach das Wort Fabrikator in das Google einzugeben, das Wort also zu googeln und da ist ein Welt von Informationen über die sich entwickelnde Technologie. Das ist radikaler, ein größerer Schritt, etwas, das einschneidendere Wirkungen haben wird als der Computer und wir wissen alle, dass der Computer die Welt verändert hat und wie in den letzten 25 Jahren. Aber der Fabrikator wird noch viel Drastischeres bedeuten, wenn abgekürzt: Der Fabrikator ist ein Computer, der nicht mehr monoton und langweilig und blöd auf Papier druckt, sondern der dreidimensionale Dinge mit wunderbaren eleganten Formen, die also wirklich erstaunlich und kompliziert und elegant sein können, der macht die aus einem Stück und man kann zusehen und es einem tatsächlich wie ein Wunder vorkommt, aber es ist technisch ganz einfach Schichten aufeinander kleben.

SD: Es gibt bereits Fabrikatoren, es wird an ihnen gearbeitet und gefeilt an der technischen Universität in Chemnitz zum Beispiel und auch die Fachhochschule Aachen geht in der Fachbereich Maschinenbau und Mechatronik in diese Richtung. Wie sehr sind solche Geräte bereits einsetzbar, leistbar ?

FB: Also, ich habe hohen Respekt vor Österreich, weil Österreich in manchen Dingen weltführend ist und zum Beispiel ist Österreich weltführend in der Verarbeitung von Kunststoffen, in Oberösterreich, um Linz, um Schlierbach herum haben sich angesiedelt eine Vielfalt von kleineren Unternehmen in den Tälern und die Fabrikatoren besuchen und ihnen zuschauen. Und Zuschauen ist wichtig, weil man sich sonst kein wirkliches Bild machen kann, wenn man´s nicht mal gesehen hat. Es ist eigentlich jetzt der Punkt erreicht, wo fast überall auf der Welt, auch wenn man in Brasilien ist und ich davon erzähle, dann sagt auch jemand: Ja, doch, in dem anderen Stadtteil, da habe ich einen Fabrikator gesehen. Ja, das gibt es.

SD: Nächster Anrufer, Herr Nedkof. Guten Tag, sie haben jetzt lange warten müssen. Ich hoffe, sie sind noch dran.

Hr.Nedkof: Ich habe zwischen den Begriffen Arbeit und Tätigkeit eine Verwandtschaft gefunden. Ich glaube wenn die Arbeit verbunden ist mit Herstellen, Produktion von materiellen Werten, die Tätigkeit ist ein umfassender Begriff und zuerst muss man sagen, dass Tätigkeiten, die nicht materiell orientiert sind, machen den Menschen viel Spaß und Freude wie künstlerische Betätigung. Viele Leute wollen malen, tanzen, Theater spielen und deswegen meine ich, dass ein Gegengewicht, eine Ergänzung zum Alltag muss man sich Aufgaben stellen, die allen Menschen die Möglichkeit geben, einen Ausgleich zu finden, eine Vermenschlichung der körperlichen, der leiblichen Arbeit....

FB: Ich habe das Gefühl, lieber Herr Nedkof, dass das was sie eben gesagt haben, sich sehr gut mit dem was ich versuche zu entwickeln verträgt. Also ich würde schon mal sehr betonen, was sie als ersten Punkt gesagt haben. Ja, sehr viele Menschen haben jetzt nicht die Möglichkeit, künstlerisch zu arbeiten und das hat auch damit zu tun, dass sehr sehr viele Künstler und wir sind in der Stadt, in der Mozart gestorben ist, ein ziemlich armseliges Leben haben trotz unerhörter Begabungen. Der Ansatz, an dem wir arbeiten, macht es sehr vielen Menschen möglich, das was man zu einem fröhlichen, einem erfüllenden Leben braucht, sehr sehr schnell zu erzeugen und dann ist reichlich Zeit und dann ist die Basis dafür geliefert – es gibt ja den berühmten Satz im Deutschen. Jeder Mensch kann Künstler sein. Und das ist absolut ein Teil von dem, was wir versuchen zu verwirklichen. Ja, ganz wie sie sagen, dass jeder Mensch wenigstens darin unterstützt werden sollte, verschiedene Künste einmal auszuprobieren.

SD: Professor Frithjof Bergmann, ich bedanke mich bei ihnen für dieses Gespräch und für ihren Besuch hier im Studio. Ihnen danke ich fürs Zuhören und fürs Mitdiskutieren. Weiterführende Hinweise finden sie auf der deutschsprachigen Internetseite www.newwork-newculture.net.