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Rezension von FranzNahrada

Es ist ein weitverbreitetes Gefühl, dass die industrielle Gesellschaft mit all dem was sie uns gebracht hat - einer Fülle von Wissen über die Natur, eine Perspektive des guten Lebens für alle, ein Bewusstsein vom Menschen als Individuum und Schöpfer seiner Welt, sowie Kommunikationsbahnen die vom einen Ende der Welt zum anderen reichen - , dass also diese Industrielle Gesellschaft mitsamt all ihrem realen Terror, dem zur Orgie der industriellen Vernichtung von Mensch und Natur gewordenen ökonomischen, politischen und militärischen Machtkampf der Herrenmenschen, der gnadenlosen Trennung und Abstraktion von allem und jedem, der Akkumulation von Menschen in Städten und von Waren in Lagern- Wir fühlen klar dass diese Gesellschaftsform schlicht und einfach am Ende ist und sich und die Erde auffrisst wie die Gottesanbeterin die ihren eigenen Hinterteil zwanghaft in sich reinknabbert.

Wir sind freilich in ihr gefangen in einem doppelten Gefängnis, einerseits in der ungesellschaftlichen Struktur von Ware und Geld, in die uns die Industriegesellschaft gebracht hat, die uns aus unseren Dörfern gelockt oder auch verschleppt hat in die ach so freie Stadtluft, wo aus unserer Freiheit eine ganz perfide Abhängigkeit geworden ist - und wir sind gefangen in der scheinbar alternativlosen Gestalt dieser Städte, in der Einsinnigkeit und Abstraktion der Technologie, in der analytischen Zergliederung der Welt von der es keinen Weg zurück in eine Ganzheit zu geben scheint.

Das schlimmste Gefängnis ist das Gefängnis der Phantasielosigkeit, mit der das Bestehende zum Maß aller Dinge erklärt wird, das Zeitalter der Utopien für beendet erklärt wird.

Währenddessen hat sich aber, in schöner Dialektik, die Industrielle Gesellschaft auch durchaus nützlich gemacht im Sinn ihrer eigenen Aufhebung und Überwindung: wir verfügen heute über Kommunikationsmittel und Automaten, die uns in nie gekannter Effizienz und vermittels des gesamten Wissens der Menschheit teilhaben lassen können an der Fähigkeit, jeden Ort auf diesem Planeten zum Paradies zu machen! Dies eröffnet eine neue, gewaltige Perspektive der Aufhebung der gegenwärtigen Gesellschaft, die gewaltloser, schmerzloser und wirksamer ist als alle Revolutionsphantasien, die den Leidensweg der Menschen seit 300 Jahren begleitet haben. Wir können zurückkehren in die Dörfer und "den Geist nach Hause bringen", wie es der britische Visionär Tony Gwilliam einmal formuliert hat. Wir können einen Exodus beginnen -- nicht in die Plackereien einer immer unmöglicher gewordenen Randexistenz, sondern mitten in die Keimformen neuer Zivilisationen, die sich sowohl in Anlehnung an traditionelles Wissen aber noch viel mehr in Anlehnung auf neue Erkenntnisse der Wissenschaft daran machen, ganzheitliche Systeme (Holotope) zu werden und gerade durch die Arbeit des Menschen hindurch die schon so lange auf diesem Planeten wirksamen Lebensprinzipien zu verstärken.

Wir werden diese Änderung nicht mit einem Schlag durchführen und die Städte dabei keineswegs aufgeben, sondern in einem möglicherweise sehr graduellen und evolutionär stattfindenden Prozess der Synergie von Altem und Neuem ein neues Gleichgewicht von Stadt und Dorf schaffen.

Mikrokosmisch und mit wunderschöner Phantasie, aber auch mit Sammlerleidenschaft und einem Gespür für die breite Vielfalt der menschlichen Bedürfnisse beseelt bringt dies Alexander Baltosée in ein inspirierendes Bild einer Kleinstadt des dritten Jahrtausends, in der es mindestens so bunt zugeht wie wir es von einer Metropole gewohnt sind.

Inspiriert von Wissen und Können der ganzen Welt weben Menschen an diesem nur halb fiktiven Ort ein buntes Kleid des Lebens mit fantastischen Mustern voller Lebensfreude und Kreativität, und brauchen dazu doch nicht mehr als einige Quadratkilometer Raum. Ich nenne solche Räume in Anlehnung an McLuhan, der das Ende und den notwendigen Umschlag der Globalisierung in eine nie dagewesene Renaissance des Lokalen vorausgesehen hat, "Globale Dörfer", und trage mich schon seit 20 Jahren mit der Idee, eine literarische und plastische Würdigung dieser neuen Realität zu schreiben, die über die bislang vorliegenden teilweise noch sehr im politisch-moralischen Denken verfangenen (Callenbachs Ökotopia) oder davon abgegrenzt durch betont nihilistisch-zynische Untertöne unwirksam gemachten (bolo'bolo von P.M.) Utopien hinausgeht und in Kontrast dazu wirklich eine praktikable Inspiration zur Realisation von Keimformen einer neuen Gesellschaft darstellt.

Diese Arbeit hat mir Alexander Baltosée zunächst einmal vorläufig abgenommen, denn er beschreibt, was ich auch als Möglichkeit fühle: dass eine intelligente Gesellschaft die sich selbst systemisch betrachtet einerseits möglich ist und andererseits bewusst gestaltet werden kann; dass sie unendliche Fülle an wirklichem, kulturellem Reichtum hervorzubringen imstande ist , und dass sie vor allem eines wahr macht, was die empfindlicheren unter uns schon lange wissen: "The Ultimate Purpose of the Global Village is Health". In der industriellen Gesellschaft mit ihren Trennungen, mit ihrem alles dirigierenden Zweck der Geldvermehrung, kann es keine wirkliche Gesundheit geben, weder körperlich noch geistig. Zugleich wissen wir wo die Quellen unserer Gesundheit sind, sie liegen in der unbeschränkten und offenen Kommunikation mit der Natur, mit den Mitmenschen und mit unserem eigenen Selbst. Das ist schwierig und komplex, und der österreichisch-amerikanische Autor Christopher Alexander hat dies auch theoretisch begründet: Energien können konfligieren, sich verlieren, diffundieren, erschöpfen, wenn sie nicht in Räumen des optimalen Lebendigwerdens entfaltet, bewahrt und gefördert werden die er Muster nennt. Lebendigkeit ist eine Qualität von guten Lebensentwürfen, und diese guten Lebensentwürfe fußen zwar einerseits in zeitlosem, aber auch sich ständig erneuerndem Wissen, aber auch mindestens ebensosehr in partizipativem Gestalten und Verstehen der Menschen selbst, die einander ihre Welt bauen.

Jamilanda ist so ein Gedankenmodell einer gemeinsam aufgebauten musterhaften Mikro - Welt, und wer es mit den spätindustriellen Effizienzphantasien eines Jacques Fresco vergleicht (Venus Project), der wird wohl nicht lange brauchen um zu entscheiden wo und wie er lieber leben möchte. Ein Meilenstein des wiederentstehenden utopischen Denkens, der seine Größe gerade aus der Kleinheit gewinnt, in der so viel Freiheit realisiert ist wie sonst nirgendwo - auch und gerade weil es so manche Grenzen gibt, die der Willkür und Unwissenheit gesetzt werden. Jamilanda ist voll von Mustern, Mustern die auch der geniale Alexander nicht behandelt hat weil es sich nach einem grandiosen und fulminandten Anfang über Regionen, Städte und Dörfer dann doch auf die Städte meinte beschränken zu müssen. Eine Mustersprache der Globalen Dörfer, in der ich mein Gesundungshaus, mein Haus der Stille und viele alte Bekannte mit freudigen Wiedererkennen entdeckt habe. Eine Bauanleitung ohne Dogma für eine wirklich mögliche und den Menschen nicht in ein Schema zwängende schönere neue Welt. Ich empfehle dieses Buch - das mit 700 Seiten schon wirklich epische Ausmaße angenommen hat - zur allgemeinen Lektüre, und wie andere Rezensenten auch bemerke ich dass so manche behauptete Innovationen und Muster ins Werk aufgenommen worden sind, die sich nicht wirklich bewiesen haben und dem Hang zum esoterischen Wunschdenken entgegenkommen, der in so vielem das Opium der modernen Welt geworden ist. Aber das tut dem Gesamtbild keinen Abbruch und wird auch gerade in seiner Ambivalenz gezeigt als ein möglicher Geist des Respekts vor der kreativen Kraft des Menschengeistes, und ich freue mich dass sich auf diese Weise ein Feld des Handelns und Denkens verstärkt das uns allen tatsächlich zeigt was wir noch erleben können, wenn wir es tun.

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