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leider kann ich nicht teilnehmen, sende aber dieses Videobook nach Berlin und hoffe dass es zur Veranstaltung beiträgt.

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Globale Dörfer: Neue Kraft, Gestalt und Attraktivität durch Kooperation und Vernetzung dörflicher Lebensräume   
Abstract   
Referat   
Vorbemerkung   
Einleitung   
Der Wandel der Kommmunikationswerkzeuge   
Bildung und Begegnung   
Kultur und Weltsicht   
Gesundheit und Fürsorge für Alte und Kranke   
Handwerk und Produktion   
Fußnote   
Kreisläufe und Automation   
Kaskaden der Kooperation   
Das Konzept Mutterstadt   
Die neue Gestalt des Dorfes   
Weltfriedensmacht Dorf   

Globale Dörfer: Neue Kraft, Gestalt und Attraktivität durch Kooperation und Vernetzung dörflicher Lebensräume    

Abstract    

Wie einst die agrarische, so steht heute die industrielle Lebenswelt in einem drastischen Prozess der Schrumpfung und der Transformation. Durch diese Transformation kann die gestörte Balance zwischen Stadt und Land wiederhergestellt werden und dörfliche Lebensformen können wieder an Bedeutung gewinnen. Es ist allerdings nicht das traditionelle Dorf das wir kennen, das hier Gestalt annimmt, sondern ein neuer Typus.

Einer der vielen Namen die diese neue Lebensfom bekommen hat ist: Globales Dorf.

Das Globale Dorf ist nicht zu verwechseln mit dem “globalisierten Dorf”, wie es etwa Christa Müller in ihrer Studie [1] über den Verfall lokaler Ökonomien im letzten Jahrhundert am Beispiel eines westfälischen Dorfs beschrieben hat; vielmehr geht es darum, für die Wiederherstellung lokaler Ökonomien- auf einem Lebensniveau, das dem urbanen gleichwertig ist – eine Vielzahl verschiedenartiger globaler Ressourcen zu moblisieren. Das begint beim Wissensaustausch und endet bei der Übernahme von unterstützenden Dienstleistungen durch urbane Zentren, zum Beispiel im Bereich der Telemedizin.

Die vielfältigen Aufgaben der Daseinsvorsorge lassen sich nach dem Prinzip der Subsidiarität sinnvoller von kleinen und dezentralen Einheiten lösen. Aber die Kompetenz, das Können, die spezifische Problemlösung sind nicht immer vor Ort zu finden. Wollen wir das Dorf wirklich als Heimat und Lebensraum erhalten, dann müssen wir, muß das Dorf dem Vergleich mit der Stadt standhalten was die rasche und kompetente Lösung von großen und kleinen Problemen aller Art anbelangt.

Die Antwort heißt: regionale und globale Vernetzung von unten:

  • Regionale Vernetzung im Sinn komplementärer und kleinregional koordinierter Dorfentwicklungsleitbilder, aber auch
  • globale Vernetzung im Sinn eines Entstehens von weltweiten fachlichen Wissens- und Könnens - Communities zur Unterstützung lokaler Arbeitsfelder.
Die wichtigste technische Infrastruktur dafür ist gerade diejenige, die dem ländlichen Raum für ein wichtiges Jahrzehnt oder länger weitgehend vorenthalten wurde: breitbandige Kommunikationsverbindungen und verlässliche Netze. Sogar die Wettbewerbshüter der EU sprechen von einem gigantischen Marktversagen und zeigen sich zunehmend offen für kooperative regionale Lösungen wie Open Access Networks.

Ebensowichtig wird aber auch die soziale Infrastruktur sein, die es uns erlaubt, aus der Fülle von Informationen die für die lokale Entwicklung förderlichen herauszufiltern und in praktisches Handeln und lokalen Reichtum umzusetzen. Eine Fülle neuer Berufe und Institutionen ebenso wie eine breite Struktur von freiwilligem Engagement trägt zusammen das neue Dorf.

Das Referat nimmt den Ausgangspunkt bei einer kleinen Gruppe von Gemeinden im nordwestlichen Waldviertel (St.Martin, Groß Schönau und Bad Großpertholz) , die in den letzten vier Jahren ein spektakuläres Glasfaserprojekt begonnen haben. Am Beispiel dieser Gemeinden und am Beispiel der steirischen Gemeinde Kirchbach sollen die vielfältigen Möglichkeiten und Perspektiven globaler Dörfer gezeigt werden, mitsamt all der – zum Teil auch noch nicht manifestierten - Elemente von Gestalt und Gestaltung die dem Dorf des 21. Jahrhunderts seine Rolle als neue Heimat und Lebensmittelpunkt für große Bevölkerungsgruppen sichern werden.


Referat    

Vorbemerkung    

Es gibt viele Bücher und Einsichten die beschreiben wie das Dorf in seiner Substanz durch Globalisierung bedroht ist [1]. Ich versuche Ansatzpunkte aufzufinden, die ein Gegenmodell zum globalisierten Dorf möglich machen.

Einleitung    

Vor ziemlich genau 5 Jahren, im Mai 2007, gab es in Brüssel eine große Konferenz die hieß "Bridging the Broadband Gap", was man übersetzen könnte mit: "die Breitbandlücke überwinden" [2]. Veranstaltet hatten diese Konferenz 4 Generaldirektionen der Europäischen Komission. Es war äußerst aufschlußreich, abseits der öffentlichen Verlautbarungen einmal Klartext zu hören über mehr als ein Jahrzehnt der Telekom - Liberalisierung und der Auswirkungen auf die ländlichen Lebensräume. Die Aussagen waren schonungslos:
"Diejenigen, die die modernen Kommunikationsmöglichkeiten am meisten brauchen, haben sie am wenigsten bekommen".
"Es ist ein gigantisches Marktversagen eingetreten, es gibt kaum leistbare Angebote für den ländlichen Raum, dafür eine Überfülle in den Städten".
Aber eine Aussage ist mir ganz besonders im Ohr hängen geblieben: "Die Vorstellung, die Probleme des ländlichen Raumes durch Wettbewerb lösen zu können, ist grundfalsch. Im ländlichen Raum gelten andere Gesetze". Wenn ich mich recht entsinne, dann kam diese Aussage von einem Vertreter der DG 3, Wettbewerb. Obwohl das offiziell nie so pointiert gesagt wurde war doch klar, dass 1O Jahre Liberalisierung und Wettbewerb dem ländlichen Raum einen gewaltigen Rückstand in Sachen Breitband - Infrastruktur eingetragen hatten, und die Konsequenz hat jedenfalls praktisch diese Aussage bestätigt...

...denn sie war vollkommen im Einklang mit dem, was auf dieser Konferenz an Ideen und Initiativen vorgestellt wurde. Angesichts des Desinteresses der meisten Telekoms sei es egal, wer die Breitbandinfrastruktur übernähme, aber es müsse von vorneherein dafür gesorgt werden dass eine kooperative, für alle benutzbare Infrastruktur entstünde, und die EU würde bis 80% der Kosten drauflegen.

Unter den 49 nach Brüssel eingeladenen Beispielen und Initiativen war auch ein Projekt von drei Gemeinden aus dem niederösterreichischen Waldviertel. Ich hatte bis dahin wenig darüber gewusst, aber war erstaunt über die strategische langfristige Planung dieser Gemeinden. Sie nutzten die anstehende Kanalisation, um eine öffentliche Infrastruktur in jedes Dorf, in jeden Bauernhof ihrer Region zu bringen. Mehr noch erstaunte mich, als ich später die drei Gemeinden besuchte und mir erzählt wurde, dass die drei Bürgermeister seit längerem kooperierten und sich in großen Zügen auf eine strategische Arbeitsteilung der verschiedenen Dorfgemeinschaften geeignet hätten.

Die Gemeinden St. Martin, Groß Schönau und Groß Pertholz haben sich (so weit das eben heutzutage geht, also ein wenig) abgesprochen: Die einen sind das Dorf in dem sich die innovativen Umweltangebote um ein "Bioenergetisches Trainingszentrum“ und einen "Sonnenplatz zum Probewohnen" bündeln [3] , die anderen sind das Dorf in dem biologische Lebensmittelproduktion, Verwaltungsthemen und Technik eine größere Rolle spielen [4] , das dritte Dorf ist das Veranstaltungs- und Fremdenverkehrsdorf, in der auch der Gesundheitstourismus ganz groß geschrieben wird.

Zitat Ryszard Wilczyński, Wojwode von Opole, Polen: "Das Dorf kann keinen gleichartigen Lebensraum wie die Stadt hervorbringen. Aber es muss alles daran setzen, gleichwertig zu sein".

Es hat keinen Sinn, einfach zu glauben dass die sozialen, ökonomischen und kulturellen Strukturen der Vergangenheit lediglich wieder ins Werk gesetzt werden müssten, um diese Gleichwertigkeit zu erreichen. Es bedarf oft der kreativen Neuerfindung der Dörfer, der Themensuche und der Abstimmung, um jene Vielfalt in den ländlichen Raum zurückzubekommen die wir als Lebensqualität empfinden.

Und immer weniger kann diese Aufgabe an den Staat delegiert werden, immer mehr müssen wir uns zivilgesellschaftlicher Instrumente bedienen. Dazu gehört eben auch die freie Abstimmung politischer Körperschaften und Dorfgemeinschaften über Entwicklungswege. Ein jeder baut die Welt der anderen mit.

So wichtig und richtig die fundamentale Prämisse dieser Konferenz ist, dass der Kern der Dorferneuerung die lebendige und vor Ort konkrete, alltägliche Dorfgemeinschaft ist, die Etablierung einer kooperativen Logik von unten, so sehr muß sich diese kooperative Logik nach außen fortsetzen, um der gewaltigen Aufgabe gerecht zu werden, wirklich gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen.

Dieses Außen endet aber nicht beim Nachbardorf oder bei der Region. Dieses Außen der Kooperation ist heute durch die Möglichkeiten der Technologie längst ein globales geworden. Durch diese globalen Aspekte möchte ich Sie im folgenden führen - anhand der Unterstützung in konkreten Lebenssituationen die alleine schon durch die modernen Kommunikationsmedien entsteht.

Meine Absicht ist aber auch, gerade im Vollzug dieser Rundschau zu einem neuen, spannenden Begriff von Dörflichkeit zu kommen, der uns die Wichtigkeit der Dorfgemeinschaft und ihre Erfolgsaussichten in einem neuen Licht zeigt.

Der Wandel der Kommmunikationswerkzeuge    

Vielleicht ist es notwendig, zum Einstieg ein Missverständnis aufzuklären, das sich mit dem Begriff der globalen Kommunikationsmittel verbindet, das Mißverständnis dass es eine unverrückbare digitale Barriere gäbe, eine Schranke die es für marginalisierte Gruppen schwer mache sich der Mittel des Internet zu bedienen. Das ist eigentlich nur zur Hälfte wahr; in Wahrheit zeigt sich der Fortschritt der digitalen Medien in ihrer Akkomodation an analoge Kommunikationsformen und - kulturen.


NICHT TEIL DES REFERATES! Einschub: Ein Sprecher vom MIT Center for Future Civic Media bei einer Drupal Konferenz macht eine sehr interessante Bemerkung:

The web is practically useless for the people we work with.

  • Illiterate and not technical skills with Computers
  • Information overflow

Die Entwicklung der modernen Kommunikationsmittel bringt sie näher ans Leben, an die jeweilige Lebenssituation.

  • zunehmende Bedeutung multimedialer, im speziellen audiovisueller Kommunikation.
    • nicht nur synchrone, sondern auch asynchrone Dimension ist da wichtig; ein ganzes Dorfkino kann in kürzerer Zeit runtergeladen oder sonst irgendwie kopiert werden; Lehrfilme und Dokumentationen in jeder Form verwendet werden etc.
  • zunehmende Bedeutung natürlicher Gestik und haptischer Kommunikation: von der Maus zum Zeigefinger (Touch Screen, Pointing Devices)
  • Multimedialität in beide Richtungen, interaktiv, produzierend, nicht nur passiv Medienkonsum, sondern auch aktiv.
  • zunehmende Bedeutung der maschinellen Sensorik in Kommunikationsprozessen. (Beispiel iPhone; Annäherungs-Sensor, 3D-Kipp-Sensor, Kompass, Helligkeitssensor, Gyroskop) - Lässt sich extrapolieren, sehr viel ist direkte Maschine - zu Maschine Kommunikation. Mehr dazu später beim Thema Automation.
Dies alles hat schon im Ausgangspunkt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in der Fähigkeit, in traditionellen Lebenssituationen kommunikative Prozesse zu integrieren.

  • Beispiel das jeder kennt ist Skype. Wir haben einmal bei einem Workshop die Geschichten des Umgangs mit Skype durchgearbeitet ....
  • Daher aber auch der Übergang fällig zu mobiler multimedialer Kommunikation, die weit übers Handy hinausgeht, also zum Beispiel Diskussion von landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Problemen vor Ort - im Feld - mit Menschen die Wissen und Können aus der Ferne einbringen.
Der Witz ist also: Wir haben zunehmend das Wissen der Welt in einer Form präsent die wirkliche Interaktion, sofortige Nutzanwendung erlaubt.

Bildung und Begegnung    

Der erste und vielleicht dringendste Punkt in der Liste der "globalen" Kooperationsfelder ist der, dass es gerade in ländlichen Regionen ein vitales Bildungsbedürfnis gibt, durchaus individuell und differenziert wie in den Städten.

Ob in der Berufsbildung, in der sozialen Daseinsvorsorge, im Bereich der Verwaltung und Infrastruktur, des Umgangs mit natürlichen Ressourcen oder der Kulturvermittlung: überall haben auch im ländlichen Raum Spezialisierung, hohe Standards und hohe Ansprüche Einzug gehalten und schaffen Aufgaben, die aber von wesentlich weniger Menschen als in städtischen Bereichen in mehreren verschiedenen Rollen befriedigt werden müssen.

Diese Menschen haben daher mit hoher Wahrscheinlichkeit einen größeren Bedarf an Bildung als im städtischen Raum. Und dieser Bedarf kann vor Ort viel schwerer befriedigt werden als in den Städten - sind doch Vermittler und Lehrende knapp.

Die wenigen vorhandenen Bildungsinstitutionen können schwerlich die Vielfalt von all dem abdecken was gebraucht wird, und so konzentrieren sie sich heutzutage auf wenige Standardangebote und machen einander zudem noch Konkurrenz.

Junge Menschen haben es in einer Zeit, in der ohne einschlägige Bildung kaum mehr Chancen in irgendeinem Beruf bestehen, besonders schwer - auch und gerade vor Ort. Sie fangen schon an wegen der Bildung zu pendeln, bevor sie dann letztendlich in den Ballungsräumen hängen bleiben.

Dies wird unterstützt durch die an der städtischen Struktur orientierte sektorale Organisation des Bildungswesens insgesamt. Es gibt zwar - ich spreche jetzt aus der österreichischen Situation - ein durchaus gut ausgebautes landwirtschaftliches Bildungswesen, doch wenige Angebote die der Vielfalt und Komplexität kommunaler bzw. territorialer Rollen, Beziehungen, Aufgaben und Berufsbilder Rechnung tragen.

Eine Fülle von Anbietern von Wissen stünde bereit, doch sind auch diese meist nur in den städtischen Zentren wirklich präsent.

Wir bräuchten eine Bildungsrevolution im ländlichen Raum die das Prinzip der kooperativen Bildung vom Grund auf neu entfaltet und mit dem Reichtum an Bildungsmaterialien und Bildungsbeziehungen kombiniert. Als Urbild kann uns die alte Landschule mit ihren Mehrjahrgangsklassen dienen, in denen ältere Kinder jüngere beim Lernen unterstützen - nicht alle Pädagogen halten das für schlecht und veraltet. (Stichwort: statt explodierender Stoff-Fülle systematische Zusammenhänge erkennen und vertiefen lernen)

Kooperative Bildung heißt aber auch Einbeziehung der lebenspraktischen Dimension, mitlernen mit Menschen vor Ort und ihren Tätigkeiten, Anwendenkönnen des Wissens auf lebenspraktische Vörggänge (Stichwort: Mathematik im Garten)

Eine ganze Reihe von sehr heterogenen Institutionen hat seit geraumer Zeit begonnen, diese Bildungsrevolution vorzubereiten: Schulen, Büchereien, Erwachsenenbildungsinstitutionen, Bildungswerke, Kulturvereine, Dorferneuerungsvereine und viele mehr: Sie haben erkannt, dass der Schlüssel zur guten Entwicklung ländlicher Räume darin besteht, zuallererst eine gleichwertige Bildung vor Ort zu ermöglichen - und diese mit lokalen Entwicklungsperspektiven (hin zu einer solidarischen Ökonomie) zu verknüpfen. Zugleich haben sie begonnen zu realisieren, dass modernen Kommunikationstechnologien wie das Internet und die Kooperation in Netzwerken ganz wichtige Mittel sind, dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen.

In diesem Kontext hat es sich für lokale Entwicklung als besonders förderlich erwiesen, wenn ein starkes lokales Zentrum geschaffen wird, wo globales Lernen und lokale Begegnung gleichermaßen stattfinden können. Diese lokale Begegnung ist wichtig, hier können sich Ideen und Initiativen entwickeln, die die jungen Menschen faszinieren, sie in der Region halten, ihre Lebenspläne nachhaltig beeinflussen und so etwas wie lokale Entwicklung generieren. Das globale Element bringt z.B. immer wieder Anstöße, neue und unmanifestierte Möglichkeiten zu entdecken.

Da mußten und müssen freilich oft grosse Barrieren übersprungen werden. In Saalfelden haben sich 2 Büchereien (aus dem kirschlichen und gewerkschaftlichen Bereich) und die Volkshochschule über alle weltanschaulichen Grenzen zu einem Lernzentrum zusammengeschlossen. Oft kommt es zu Grenzüberschreitungen anderer Art, schlüpfen zum Beispiel die lokalen Schulen auch in die Rolle von Erwachsenenbildungs - Institutionen, um einen integralen Lernort zu schaffen. Kommerzielle Internetcafés können zu sozialen Dialog - Orten mutieren. Soziale Einrichtungen wie das Rote Kreuz, freiwillige Feuerwehren, Wohlfahrtsverbände und so weiter stellen nicht selten Technik und Räumlichkeiten für Bildungszwecke zur Verfügung. [[Fußnote] siehe zum Beispiel den Leitfaden der Stiftung Digitale Chancen 'Auf dem Weg ins Netz - Eine praxiserprobte und umfangreiche Anleitung für den Aufbau eines Internetcafés - mit Handreichungen und Vorlagen' http://www.digitale-chancen.de/transfer/downloads/MD325.pdf

Die Impulse solche Orte des Lernens, der Begegnung und des Zugangs zu Wissensresourcen zu stärken, kommen von verschiedenen Seiten: von Gemeinden und Ländern, Regionalentwicklungsprogrammen und aus den Bildungsinstitutionen selbst. Die Aufgaben dieser Orte sind vielfältig, oft geht es auch darum, aussterbendes Wissen der Region selbst zu dokumentieren und für die Bevölkerung dieser Region verfügbar zu machen. Den neuen Medien kommt dabei sowohl als Werkzeug der Sammlung als auch der Konservierung, vor allem aber des Verbreitens dieses Wissens eine entscheidende Rolle zu. Doch erst das Internet hat eine Situation herbeigeführt, in der eine Vernetzung der "Zugangs- und Lernorte" sinnvoll geworden ist.

Im oststeirischen Kirchbach experimentieren wir seit 2005 mit einer spezifischen Form dieser Vernetzung, nämlich dem Anbinden an Universitäten und ihre Angebote wie Ringvorlesungen. Die bei weitem erfolgreichsten Veranstaltungen waren die "Montagsakademie". wo in fünf Jahren das Interesse an einer Universitären Ringvorlesung aus dem 3o km entfernten Graz nicht erloschen ist, sowie die "Tage der Utopie", bei denen eine ganze Veranstaltungswoche aus Vorarlberg in einer dialogisch - interaktiven Form übertragen wurde.

Seither läßt uns die Gestaltungsaufgabe nicht los, die sich durch die Kombination von "globalem Input" über Projektion und Tonanlage mit einem auch nach dem Abschalten der Verbindung weitergehenden lokalen Lernprozess ergibt. Im Jahr 2010 haben wir darüber einen Grundtvig - Workshop durchgeführt und an Teilnehmer aus 11 Ländern Impulse weitergegeben, bei denen die "Regie" und die "Synchronisation" von solchen Prozessen im Mittelpunkt stand.

Wir haben aber auch gezeigt, dass eine Umkehrung der Richtung des Lernens möglich ist, dass das Dorf zum Produktionsort wird, indem eine Vorlesung über die Geschichte des Dorfes aus Kirchbach in das Netzwerk der Universität eingespeist wurde, und indem ein Jahr später eine eigene "Universität der Biobauern", die Bioversität, zu einer interaktiven Vorlesung mit 60 Außenstellen im deutschen Sprachraum führte.

Daraus ergibt sich für uns der Vorschlag, ein Netzwerk ländlicher Bildungsinstitutionen zu schaffen, die sich der modernen Medien bedienen, um Synchronizität von Lerngruppen und thematische Schwerpunktsetzung zu unterstützen. Wir nennen dieses Desiderat im Arbeitstitel "Verband von Zugangs- und Lernorten" und wir sind immer noch am Experimentieren, wie sich ein Netzwerk lernender Dörfer am effektivsten realisieren lässt.

Kultur und Weltsicht    

Ein verwandtes Thema zur Bildung ist Kultur im Sinn einer Teilhabe an Zugang zu menschlicher Kreativität und zu ästhetischen Werten. Lange Zeit schien eine gewisse Form von Kultur, ob man sie jetzt Hochkultur oder institutionalisierte Kultur nennt, das Privileg von Städten, die den Überschuss erzeugten um sich zum Beispiel Opernhäuser, Museen und Theater leisten zu können.

Vieleicht trägt nichts so sehr den Mythos der modernen Stadt wie dieser kreative Überbau, diese nahezu kultische Pflege einer vorgeblich freien Subjektivität, die sich in immer wieder neuen Formen selbst begegnet, während der ländliche Raum einerseits mit Mühe und Plackerei, andererseits mit Konservativität und der Unterdrückung kreativer Gedanken assoziiert wird.

Gerade im kulturellen Bereich scheint die Überbrückung von Distanzen durch die neuen Medien am Schwierigsten zu bewerkstelligen: Wo es auf jede Nuance, auf die Qualität und Feinheit der künstlerischen Darstellung ankommt versagt die herkömmliche Übertragungstechnik.

Im Jahr 1998 haben wir in Wien noch sehr aufwändige Installationen aufbauen müssen, um die Feinkörnigkeit, Granularität und Wirkung von digital übertragenen und realisierten Gemälden auch nur einigermaßen zu reproduzieren.

Doch nun kommen HD und Breitband diesem Bedürfnis entgegen, und die Teilhabe an kulturellen Events wie Opern- oder Konzertaufführungen, speziell eingebunden in eine kunstvoll kombinierte Ästhetik die gerade auch den lokalen physischen Raum zur Geltung bringt, ist keine Utopie mehr.


Stichworte:
  • Emanzipation von der globalen Bilderflut durch bewusstere Selektion
  • blended reality, augmented reality, land art 2.0
Gesundheit und Fürsorge für Alte und Kranke    

Ein weiterer diskriminativer Faktor ist der Zugang zu medizinischer Betreung und Pflege. Gerade in der schon erwähnten Gemeinde St. Martin mit ihrer Breitbandinfrastruktur haben wir darüber nachgedacht, wie sich die modernen multimedialen Kommunikationsmittel mit den Möglichkeiten der Telemedizin verbinden lassen und sind zu erstaunlichen Befunden gekommen. St. Martin errichtet mitten im Ortszentrum ein Altenheim für betreutes Wohnen und hat auch eine Freiwilligenorganisation zur Unterstützung älterer Menschen. [5]

Zunächst dass es auch hier gerade die Multimedialität ist die die Isolation älterer und kranker Menschen ein wenig aufbrechen könnte. Wenn die wichtigsten Ansprechpartner, Verwandte, Pflegedienste, Nahversorger etc. über dieselben Kommunikationsmöglichkeiten verfügen dann kann der gefürchtete Effekt der Vereinsamung vielleicht gemildert werden. Interessanterweise ist es gerade die gesteigerte Qualität der Kommunikation, die Plastizität und Schärfe, die älteren menschen deren Handhabung erleichtert.

Was die Telemedizin anbelangt: Einige Forscher und Entwickler sind der Meinung dass der persönliche Zugang von Ärzten zu Patienten vielleicht sogar gewinnen könnte, wenn PatientInnen einerseits in der Alltagssituation "besucht" werden können, andererseits neue technische Möglichkeiten wie zum Beispiel "digitale Stethoskopie" zur Verfügung stehen.

Eine Stufe komplexer gedacht, steht einer lokalen Arztpraxis wiederum eine ganze Welt von diagnostischen Einrichtungen zur Verfügung. Telesonographie, Teleradiologie, Telepathologie sind spezialisierte Einzeltechnologien, aber sie lassen sich vielleicht in Zukunft zu einer Kette zusammensetzen die den hohen Standard städtischer Medizin auch im ländlichen Raum verfügbar macht.

Dennoch wird sich immer ein qualitativer Unterschied zwischen Stadt und Land ergeben, der aber auch so ausschauen könnte, daß sehr viel mehr Möglichkeiten des Gesundheitsmonitoring und der Vorsorge, aber auch der Ersten Hilfe und Notversorgung technisch unterstützt werden können.

Auch hier entscheidet letztlich der Aufbau von kompetenter Gemeinschaft vor Ort alles, und die Grenze zwischen dem Erreichbaren und der Überforderung ist ständig neu auszuloten.

Handwerk und Produktion    

Der Dreh- und Angelpunkt der Wiederherstellung oder Erhaltung funktionierender Dorfgemeinschaften ist die Sphäre der Arbeit. (Auch wenn der Arbeitsbegriff sich verschiebt, übersetzt sich also in:) Nur wenn es eine ökonomische Logik gibt, die dafür sorgt dass es sich lohnt vor Ort zu leben kann Dorfgemeinschaft nachhaltig gesichert werden.

Ist in der gegenwärtigen Phase weitgehend aufgelöst, ökonomische Logik vieler Dörfer ist lediglich etwas niedrigere Lebenshaltungskosten, Pendlerwesen und landwirtschaftliche Monokultur.

An allen Ecken und Enden wird es prekärer: die Landwirtschaft steht zunehmend in globaler Konkurrenz, die Güter des täglichen Bedarfs kommen aus dem Supermarkt und damit aus der Industrie und die Dichte an Dienstleistungen vor Ort geht zurück, im glücklichsten Fall konzentrieren sie sich in einer nahen Kreisstadt. Versuche, selber "exportfähig" zu werden, scheiterten zumeist auf breiter Front.

Und doch gibt es genug Beispiele, daß das Gegenteil politisch gewollt und ökonomisch machbar sein kann. Die Strategien sind durchaus verschieden - von der Inwertsetzung lokaler Ressourcen und der Entstehung verbundener und attraktiver Angebote bis hin zur Ausrichtung von Gemeinschaften auf ein Thema, das umfassend gelebt und kultiviert werden kann (siehe Tiedoli)

Daran lassen sich einige allgemeine Charakteristika festhalten, die wiederum im Verbund mit den neuen Medien eine ganz neue Durchschlagskraft bekommen können:

  • kleine Betriebe mit geteiltem, freien "Zunftwissen" (darin wieder die Bedeutung der Kommunikationsmedien)
  • kooperative Ketten zwischen Handwerkern, Beispiel Maßschuhproduktion Christine Ax) . eine Alternative zum städtischen Clustering.
  • Qualität durch Ganzheitlichkeit und Werteorientierung
  • die Möglichkeit, eigene Bilder zu generieren und zu verbreiten und damit die eigene Produktion zu unterstützen, nicht aus Prinzip aber eben als notwendiges Maß an Export.

Die Entwicklung der computergesteuerten Automation hat nicht nur dazu geführt, daß menschliche Arbeitskraft im industriellen Produktionsprozeß durch Maschinen ersetzt wurde; sie hat vor allem dazu geführt, daß sich mehr denn je die Produkte dieses industriellen Produktionsprozesses selbst als flexible Produktionsmittel im Kleinen gebrauchen lassen. Ein neues Handwerk ist im Entstehen, das mit sehr viel mehr inkorporierten Fähigkeiten aus kleinen und intelligenten Maschinen funktioniert. Der oben angesprochene Schuster scannt die Füße seiner Kunden mit einem speziellen Scanner, der dann auch als Modell für Leistenmacher und Schaftmacher dient. Moderne Holzbearbeitung mittels CNC Maschinen gibt Tischlern ganz neue Möglichkeiten in Sachen Gestaltung und Verarbeitung. Vielseitigkeit und Flexibilität tritt an die Stelle industrieller Massenproduktion.


Fußnote    

schöne Redensart: "Jemandem das Handwerk legen": "Wer im Mittelalter einen Beruf ausüben wollte beziehungsweise eine Arbeit erledigen wollte , musste mit zur Dorfgemeinschaft gehören. Und nicht nur das, er musste einer Zunft der Handwerker angehören. Jeder Handwerker der nicht hierzu gehörte und trotzdem sein Geschäft im Ort machen wollte war ein Problem. Er musste seinen Auftrag niederlegen und darüber hinaus meist noch eine enorme Summe Strafe zahlen." "Zum einen wollen die bestehenden Handwerker nicht das ihre Preise gedrückt werden, nur weil andere Handwerker die nicht aus dem Ort kamen andere Preise machten. Zum anderen wollten Erlöse und Erträge innerhalb der Gemeinschaft bleiben. Und zuletzt war man sich sicher, dass wenn jemand aus dem Ort die Arbeit machte man die Qualität kennt. Somit sollten die Bürger vor unseriösen Handwerkern geschützt werden." http://www.sprueche-klopfer.de

ChristineAx: Europas Regionalentwickler blicken heute mit großem Respekt nach Österreich, weil unser kleiner Nachbarstaat bereits in den 70er Jahren die Abkehr vom Export-Basis-Theorem wagte. Einige seiner Regionen setzten frühzeitig auf eine nachhaltige, eine 'eigenständige' Regionalentwicklung. Eine Regionalentwicklung, die 'eigen' und 'ständig' sein wolte. Ausgangspunkt dieser Bewegung waren einige abgelegene Bergtäler, die keine Lust mehr hatten, vergebens auf Investoren oder Touristen zu hoffen und nach Wegen suchten, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Wie kreativ Menschen sein können und welche Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen, wenn die eigene Region zum Aus- gangspunkt der wirtschaftlichen Entwicklung gemacht wird, können wir heute von Österreich lernen. http://www.koennensgesellschaft.de/pageID_8772259.html

Stichworte:

  • Der ländliche Raum als Schwamm, der städtische Überbevölkerung - die selbst "ökonomisch nutzlos" wird - wieder aufsaugen kann?
  • Eine neue Logik von "nachwachsenden" Rohstoffen, Nährstoffen (Michael Braungart, Wiege zu Wiege) siehe nächster Abschnitt, aber natürlich auch mit Handwerk in guter Synthese.
Kreisläufe und Automation    

(soll natürlich heißen: "wandeln mit ihrer Hilfe Stoffe um")

Es wäre allerdings verfehlt, die Möglichkeiten dezentraler ländlicher produktion Produktion auf das Paradigma des traditionellen oder erneuerten Handwerks zu beschränken. Der Wandel in der Technologie ist längst darüber hinaus, und interessanterweise erinnern viele der neuen Entwicklungslinien an uralt Bekanntes.

Was die Natur in Form von Leben schon längst hervorgebracht hat, einerseits das perfekte dezentrale autonome Funktionieren komplexer Systeme, die sich selbst erhalten, reparieren, gruppieren, andererseits das organische Wachstum von Gegenständen durch einen additiven Prozess der oft in winzigen Schritten verläuft, all das ist von zunehmendem Interesse für die fortgeschrittenste System- und Automationstechnologie.

Man nehme nur als Beispiel das sogenannte additive Fabbing, "So spritzen 3-D-Drucker aus winzigen Düsen Kunstharztröpfchen zu wenige Mikrometer dicken Schichten, die unter Lichteinstrahlung aushärten. Damit lassen sich Plastikobjekte etwa für medizinische Anwendungen aufschichten. Die Geräte sind bereits auf die Größe von leistungsstarken Bürokopierern geschrumpft." (Die Zeit).

Zeitgleich mit dieser technologischen Revolution erleben wir aber auch eine materialtechnische Revolution. Viele ernstzunehmende Entwickler beschäftigen sich heute mit den Möglichkeiten einer postfossilen Chemie.Der leider im letzten Jahr verstorbene Chemiker Hanswerner Mackwitz erkannte vor vielen anderen das ungenutzte Potential, das im ländlichen Raum steckt.Seine Einsicht war, dass die hochgradige Komplexität der Photosynthese eine Fülle organischer Verbindungen hervorbringt, die die Grundlage für verschiedenste Kunststoffe, Pharmaka, Kosmetika und so weiter liefern. Sein beliebtestes Beispiel war der Umstand, dass wir maximal ein halbes Prozent der Sonnenblume als Nährstoff nutzen und den Rest als Abfall behandeln. Statt sie zu verbrennen oder verrotten zu lassen müsste es systematische Verfahren zur weiteren Veredelung von solcher Biomasse geben.

Ich kann hier nur Schlaglichter werfen auf Entwicklungen, die die zukünftigen Möglichkeiten und Chancen des dörflichen Raumes, der angebunden ist an den Infoprmationsreichtum und das Können der Welt, bestimmen werden. Eines wäre eine Synthese von dezentraler Automation und postfossiler Materialtechnik, der die Möglichkeiten der ländlichen Eigenproduktion vervielfältigt.

Ein anderes wäre der Umstand, dass wir gerade durch die Kybernetik und Informationswissenschaft unseren Zugang zur Natur vertieft haben: eine verfeinerte Auffassung der Natur hat sich herausgebildet, die diese nicht mehr als mystisches und geheimnisvolles Jenseits des Menschlichen begreift, und auch nicht als triviale Anhäufung zufälliger Mutationen in die der Mensch beliebig eingreifen kann, sondern als einen unendlich komplexen und sogar lernfähigen Systemzusammenhang. Autoren wie John Lyle und John Todd haben Pionierarbeit geleistet bei der Aufbereitung des Verständnisses natürlicher Systeme als fein abgestimmte kybernetische Regelkreise, in denen die Evolution von Metasystemen und die Evolution von Organismen sich gegenseitig unterstützen. Seit geraumer Zeit wissen wir, dass das Netzwerk der Pilzfäden in einem Wald von Bäumen benutzt wird, um Wasser- und Nährstoffe aus dem Boden aufzunehmen, Krankheiten und Schädlinge abzuwehren, und dass im Gegenzug die Bäume Pilze mit Zucker und Kohlehydaten "füttern". Viel neuer ist die Erkenntnis, dass Bäume über dieses "Netzwerk" miteinander in Verbindung stehen, ältere Bäume junge Bäume mit Nährstoffen und vielleicht sogar mehr versorgen.

Dieses Verständnis der Natur als hochkomplexer kybernetischer Prozeß, wie es sich in Termini wie "Lebende Maschine" ausdrückt, hat in den letzten Jahren zu einem Aufschwung von Ansätzen geführt, die nicht einzelne Organismen kultivieren, sondern Metasysteme, also vom Menschen bewußt eingesetzte komplette Biotope, die zum Beispiel Wasser bei weitem kostengünstiger reinigen als herkömmliche Filter und sich im Zug dieses Prozesses ständig selbst erneuern und als Draufgabe noch Nahrung und Energie liefern. Von John Todd stammt der Ausdruck "Living Machines" für derartige Konstruktionen. Der bekannteste dieser Ansätze ist die Permakultur, und er zeigt gegenüber herkömmlicher Landwirtschaft erstaunliche, wiewohl immer noch umstrittene Überlegenheit in Sachen Effizienz und Nachhaltigkeit von Prozessen auf.

Wenn wir wissen wie sehr der subtile Einfluss und die positive Wirkung verschiedenster Verbindungen zur Natur für die Gesundheit des menschlichen Organismus maßgeblich sind, wenn wir sehen wie sehr wir im innersten geprägt sind durch das, was Edward O. Wilson die in seinem gleichnamigen Buch die Biophilie [6] genannt hat, dann dürfen wir die Hypothese wagen, dass das Dorf wahrscheinlich die optimale Lebensform für die Entwicklung eines ganzheitlichen und gesunden Menschen ist, trotz aller Nachteile, in die es eine jahrhundertelange Konzentration des menschlichen Innovationspotentials in den Städten gebracht hat.

Die Möglichkeit dieser dezentralen und ubiquitären Produktion setzen dem klassischen Paradigma von Wirtschaft ein Ende, dessen Inhalt die "Konkurrenz" von "Standorten" war. Schon längst ist der Nettoeffekt dieser Konkurrenz ein negativer, die Kosten des Eintritts in die hochproduktiven Aggregate der Warenproduktion steigen mit jedem gesellschaftlichen Produktivitätsfortschritt. Die Idee "Globaler Dörfer" ist sehr stark verkoppelt mit der idee der lokalen Produktion für lokale Bedürfnisse als Normalfall, was man auch als gemeinschaftliche Subsistenz bezeichnen könnte.

Kaskaden der Kooperation    

Der Schritt hinunter in den Mikrokosmos unserer Lebenswelt ist offensichtlich ungeheuer wissensintensiv. Ein Globales Dorf als überschaubar gestaltetes System von Kreisläufen, von lokalen otimierten Wirkungsketten ist eine komplexe Angelegenheit. Wenn es in einem berühmten und oft zitierten afrikanischen Sprichwort heißt, es brauche ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen, es mit dem Reichtum der menschlichen Möglichkeiten bekannt zu machen, dann müsste man vielleicht in Abwandlung dieses Wortes sagen: es braucht viele Dörfer / Orte / Gemeinschaften auf der Welt, die sich spezialisieren und miteinander forschen und entwickeln, um auch nur annähernd das zu erreichen, was an Möglichkeiten der Verbesserung und Verfeinerung an jedem Ort erreicht werden könnte. An sich hat das Dorf als jene Form des menschlichen Lebens, die eingebettet ist in einen kultivierten Landschafts- und Naturraum, einen Vorteil, der sich in eigenen gemeinschaftlich genutzten Ressourcen ausdrückt.

Wie aber lässt sich dieser "an sich" Vorteil des Dorfes wirklich realisieren? Eine mögliche Lösung wäre es, ganz bewusst und in kooperativer Abstimmung spezielle Aufgaben für Dorfgemeinschaften zu definieren, an denen entlang sie ganz bewusst und verantwortlich ein Thema für viele andere Dörfer mitübernehmen, erforschen und vertiefen. Ich sprach vorhin von einer "virtuellen Universität der Dörfer", von einem "Netzwerk lernender Dörfer", und damit ist eben auch gemeint, daß es auch jeweils einen oder gar mehrere Forschungs- und Lernprozesse gibt, in denen eine Dorfgemeinschaft sich identifiziert. Ich glaube nicht dass diese bewusste Entscheidung, "lernendes Dorf" zu sein und nicht einfach nur Wohnraum, Arbeitsraum und Lebensraum eine grundsätzliche Überforderung der Dorfgemeinschaft darstellt. Es könnte sich vielmehr herausstellen, daß gerade die Aufgabenstellung und gerade der Anspruch zu ihrer Kohäsion beiträgt.

Eine weitere Voraussetzung muss hier expliziert werden: das riesige und unendliche Potential der Kreativität, das uns die modernen Informationstechnologien gebracht haben, realisiert sich in dieser Welt Globaler Dörfer, entgegengesetzt der herrschenden Auffassung nicht in "geistigem Eigentum", sondern in Wissen als universellem Gemeingut. Wikipedia und Freie Software sind Erfolgsgeschichten, die sich auch in neue und weltweit geteilte "Dorftechnologien" übersetzen lassen können, die es möglich machen den Kreislauf mit den natürlichen und kultivierten Ressourcen auf allen Gebieten enger zu schließen. Erst wenn Wissen gemeinfrei ist, können sich die Kaskaden der Kooperation entfalten.

Dabei können die Anfänge durchaus bescheiden sein, wie ein Beispiel zeigt. Ein ehemaliger steirischer Volksschuldirektor hat gute Verbindungen in ein Dorf in Thailand und stellt fest, dass es schwierig ist die Reisfelder zu bewirtschaften weil sie höher liegen als ein See. Mit seinen Verbindungen und in einer Kette von Kooperationen wird eine Solarkraftgetriebene Wasserpumpe entwickelt, die das lokale Problem löst und vielleicht an anderen Orten einsetzbar ist.

Die Überlegung die dahinter steht ist denkbar einfach, viele mögen sie naiv nennen, und doch äußerst anspruchsvoll: Wenn wir einander in die Lage versetzen, den jeweiligen lokalen Lebensraum so zu kultivieren dass wir verfügbare Ressourcen für intellektuelle, forschende und gestaltende Arbeit freisetzen, dann könnte ein positiver Verstärkungseffekt zwischen den Dorfgemeinschaften weltweit entstehen, eine Feldbildung, die in einer Zeit der sich verschärfenden planetaren Krisen eine Heilungsmöglichkeit eröffnen könnte.

Open Source Ecology -

Ein solcher, überregional vernetzter und selbstbewusster ländlicher Raum könnte sehr viel besser gezielt Partnerschaften mit städtischen Industrien und Institionen eingehen. Ein "User Led Development" könnte eine Alternative zum verschwenderischen und zusammenhanglosen Schrotthaufen der Marketinggesellschaft sein.

Stichworte:

Das Konzept Mutterstadt    

Bin ich so naiv nicht wahrzunehmen dass die Hälfte der Menschheit bereits in Städten lebt? Das wir uns immer noch inmitten eines rasanten Urbanisierungsprozesses befinden? Nein, das bin ich keineswegs.

Ich meine nur erstens dass gerade dieser Urbanisierungsprozess gerade durch und vielleicht nur durch eine große und schöne Vision der Dörfer von sich selbst aufgehalten oder zumindest gemildert werden kann. Nur wenn die Dörfer eine ebensolche Kraft mobilisieren können wie die Städte - aber eben die ihre - werden sie das 21. Jahrhundert und die gegenwärtige Beschleunigung von Landraub und Subsistenzvernichtung überleben. Dazu soll Sie dieses Referat anspornen.

Zweitens aber, und das erscheint mir ebenso spannend, eröffnen die neuen Technologien Perspektiven gerade für ein neues Verhältnis von Stadt und Land, eines, in der die Stadt nicht mehr wie ein Staubsauger das Land leer macht, sondern in ein neues Austauschverhältnis zu den Dörfern und Dorfgemeinschaften tritt. Ob es spezifische Gesundheitsdienste sind, spezifische Bildungsangebote, städtische Institutionen mit ihrem hohen Spezialisierungsgrad können sich gerade in ihrem ländlichen "Hinterland" und im ländlichen Raum weltweit zusätzliche Absatzmärkte für das schaffen, was die Dörfer vielleicht auch in Kooperation miteinander nicht so einfach können. Ich nenne diesen Typus Stadt, der ein proaktives Interesse an einem unterstützenden und fördernden Verhältnis zum ländlichen Raum hat, der nicht mehr über alle Grenzen der Vernunft wachsen will, aber seine Bedeutung behalten will, die "Mutterstadt". Ob große oder kleine Städte, es gibt überall enorme Wissensbasen die mit dem selbstbewußt und selbständig gewordenen Raum der Dörfer zusammenspielen können. Es ist genauso utopisch und doch mögliche Realität wie das Faktum, dass Großfirmen wie IBM oder HP sich mit freien Entwicklercommunities zusammengetan haben und die nichtproprietäre Logik eines Betriebssystems Linux unterstützen. Gerade in der Arbeitsteilung zwischen dezentraler Produktion vor Ort und zum Beispiel einem auf die Effizienz dieser Produktion gerichteten zentralen Maschinenbau liegen enorme Chancen.

Ich habe hier ganz bewusst das Bild von Kapstadt genommen, weil diese Stadt in Südafrika tatsächlich den Spitznamen "the Mothercity" trägt....

Die neue Gestalt des Dorfes    

Gestatten Sie mir zum Schluss, eine Spekulation auf die physische Gestalt des Dorfes der Zukunft einzubringen. Durch die Geschichte haben Dörfer immer neue Formen und physische Gestalten gehabt, vom Haufendorf zum linearen Dorf an Straßen und Flüssen , vom befestigten Dorf zur Streusiedlung und so weiter. Je mehr wir diese physische Formen aus den sozialen und ökonomischen Gegebenheiten der Zeit verstehen, umso mehr können wir uns auch erlauben über die Gestalten der Zukunft zu spekulieren.

Vielleicht wird das Dorf der Zukunft sehr viel organischer sein als alles, was wir bis jetzt kennen; ein bewohnbares Lebewesen, das wie eine Pflanze die Energien der Sonne nutzt und die Stoffe der unmittelbaren Umgebung in großer Komplexität assimiliert und verarbeitet. In dessen Kern sich ein Bereich der Kommunikation befindet, eine Piazza, eine Sphäre, die urban gestaltet und benutzt wird; zur immer mehr symbolmanipulierenden Arbeit an der Arbeit, zu Entwurf, Steuerung und Abstimmung automatische Prozesse, ob sie nun lokal oder weit entfernt sein mögen. An dessen Außenseite die Menschen ihren Traum von Leben in der Gartenlandschaft erfüllen können. In dessen Organen ein beständiger Prozess von Assimilation und Umwandlung stattfindet. Ein Netzwerk von bewohnbaren Lebewesen, verbunden durch Nah- und Fernverkehrssysteme, optmiert in Mikroregionen und Clustern. Ein Netzwerk von kooperierenden Dorfgemeinschaften, die neben allgemeinen Vereinbarungen auch spezifische Freundschaften pflegen.

Wir können die physische Gestalt nicht am Reißbrett entwerfen, obwohl uns die kühnen Visionen eines Vincent Callebaut, der sogar schwimmende und fliegende Dörfer sinnfällig erträumt, schöne Inspirationen geben können. Die schönste Vision ist die der Vielgestaltigkeit, in der kein Dorf dem anderen gleicht, und in der sich Menschen zusammenfinden, um jeweils eigene Werte im kleinen Lebensraum zu manifestieren, die sich auch in der physischen Gestalt des Dorfes äußern.

Richard Rogers ursprünglicher Entwurf für ParcBIT

Vincent Callebaut Lillypad

Weltfriedensmacht Dorf    

Und noch ein allerletzter Gedanke: richtet sich unsere Gestaltungskraft und unser Gestaltungswille nach Innen, auf die Entwicklung und Vervollkommung unseres gemeinschaftlichen Lebensraumes, dann verschwindet immer mehr der Grund für Aggression und Gewalt, für die Export- und Kriegsmaschinen, die die Welt für jedermann spürbar an den Rand des Abgrundes getrieben haben. McLuhan träumte von der ersten historischen Renaiscance, deren Ergebnis nicht Krieg und Aggression, sondern Lernen und Kooperation sein würden.

Es wird vielleicht gelingen, diese positive Friedenskraft zu entfalten, der es nicht mehr um die Frage nach den Kommandohöhen der Politik geht, sondern um die Frage der Aufrechterhaltung des Lebens. Es wird dann gelingen, wenn sich diese Friedenskraft mit einer kühnen und klaren Vision darstellt, der folgerichtige Schritte im unmittelbaren Tun entspringen.

Franz Nahrada Wien, am 19.4.2011





[1] zum Beispiel Christa Müller, von der Lokalen Ökonomie zum Globalisierten Dorf oder Klaus Brill: "Deutsche Eiche - Made in China. Die Gloablisierung am Beispiel eines deutschen Dorfes."