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"medianet" feature Freitag, 16. Oktober 2009

Die Krise aus anderer Sicht
Stehen wir vor einem wirtschaftlichen Aufschwung oder sind die positiven Anzeichen nur Vorboten eines neuerlichen Kollaps?

Der Experte für komplementäre Währungssysteme und medianet-Gastautor Tobias Plettenbacher über die „gefühlte“ Inflationsrate, Österreichs Euro-Millionäre und über mögliche Auswege aus der Krise.

Derzeit wird in den Medien verkündet, dass die Finanzkrise ausgestanden sei und dass es wieder bergauf gehe. Tatsächlich zeigen einige Branchen einen nie dagewesenen Aufschwung: Teile des Baugewerbes, Handwerker, Baumärkte und viele mehr. Wenn man herumfragt: Viele investieren ihre Ersparnisse in ihre Häuser aus Angst, dass das Geld bald wertlos ist. Auf der anderen Seite steht ein großer Teil der exportorientierten Industrie vor dem Konkurs. Diese Situation erklärt der österreichische Ökonom Ludwig von Mises (1881-1973) mit dem „Crack-up Boom“ (Katastrophenhausse): Vor dem Kollaps einer Währung verlieren die Bürger das Vertrauen in das Geld und beginnen es mit beiden Händen auszugeben. Dies führt zu einem Zwischenboom, einem Strohfeuer. Die Hauptursachen dafür sind nach Mises hohe Verschuldung und ein ungedecktes Papiergeldsystem (Inflation). Mises’ historische Analysen lesen sich fast wie ein aktueller Wirtschaftsbericht.

Welthandel stagniert

Ein Indikator, um die Entwicklung der Weltwirtschaft mehrere Monate vorauszusagen, ist die Menge der auf den Weltmeeren transportierten Güter (Frachtschiffe werden Monate im Voraus gebucht). So ist der „Baltic Dry Index“ von Mai bis November 2008 um 99% eingebrochen(!), erholte sich bis Juni 2009 (Crack-up Boom) und fällt seitdem wieder. Demnach scheint das Strohfeuer abgebrannt, die Krise dürfte in den kommenden Monaten in die nächste Phase treten.

„Gefühlte“ Inflation?

Wer ein Haushaltsbuch führt, stellt fest, dass sich die Ausgaben seit Jahren um 8-10%/Jahr verteuern. Seit Einführung des Euro bedeutet dies nahezu eine Verdopplung der Kosten. (Das können Sie nachprüfen, indem Sie Preise in Schilling umrechnen: von der Kanalgebühr zur Miete, von der Semmel bis zur „Halben“. Hat sich aber auch Ihr Lohn verdoppelt?) Die offizielle Inflationsrate ist „geschönt“: Der Anteil an Freizeit, Elektronik und Billigstwaren (z.B. Brot Marke „Totschläger“) entspricht nicht den Ausgaben des Durchschnittsbürgers. Hier liefert die „Österreichische Schule“ der Ökonomie eine einfache Formel: Die Inflationsrate errechnet sich aus der Erhöhung der Geldmenge abzüglich dem Wirtschaftswachstum. Der mittlere Jahreszuwachs der Geldmenge M3 von ca. 11% minus ein Wachstum von ca. 2% ergibt eine Inflation von ca. 9%. Obwohl diese Rechnung nicht völlig korrekt ist, liefert sie viel realistischere Ergebnisse als die offizielle Statistik (selbst der Mikrowarenkorb). Diese Diskrepanz wird uns „wissenschaftlich“ als „gefühlte Inflation“ erklärt – wir bilden uns die Teuerung nur ein.

Exponentielles Wachstum

Die tiefere Ursache der Krise liegt rein mathematisch in unserem Geldsystem: Vermögen und Schulden wachsen durch den sog. Zinseszinseffekt exponentiell, also umso rascher, je größer sie werden, bis sie faktisch explodieren. Unser Geldsystem ist schlicht unersättlich – es wird immer hungriger, je mehr es gefüttert wird: Je mehr Geld vorhanden ist, desto rascher vermehrt es sich, desto mehr wird spekuliert. Je größer die Schulden, desto mehr Zinsen müssen gezahlt werden. Rein rechnerisch muss dies etwa alle 60 Jahre zum Zusammenbruch dieses „Pyramidenspiels“ führen. Das Diagramm zeigt, dass sich die Geldvermögen völlig von der realen Wirtschaftsleistung (Sozialprodukt) losgelöst haben und die Nettolöhne seit den 90ern stark gesunken sind – die Reallöhne der breiten Bevölkerung um etwa 50%. Durch den Zinseszinseffekt geht auch die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf. Denn nach der Regel „Wer hat, dem wird gegeben“ wachsen die großen Vermögen – exponentiell – viel schneller und auf Kosten der kleinen. In Österreich besitzen laut Wifo 10% der Bevölkerung schon fast 70% des Gesamtvermögens. Die Anzahl der Euro-Millionäre stieg in den letzten Jahren auf ca. 70.000.

Brüchiges Schuldgeldsystem

Im modernen Bankensystem entsteht Geld in erster Linie durch Kreditvergabe, also durch reine Buchungsvorgänge. Bei Aufnahme eines Kredits entstehen Schulden sowie neues Geld im Gesamtsystem (vorerst ein Guthaben am Konto des Kreditnehmers, später auf anderen Konten). Modernes Geld ist Schuldgeld: Die Vermögen der einen basieren auf den Schulden der anderen. Würden alle Schulden zurückbezahlt, würde es kein Geld mehr geben. Oder korrekt ausgedrückt: Damit die Schuldner ihre Schulden jemals vollständig tilgen könnten, müssten die Vermögenden ihre Vermögen vollständig her- bzw. ausgeben. Die Geldschöpfung erfolgt heute vor allem durch die privaten Geschäftsbanken (Buchgeld). Der Anteil der durch die Zentralbank geschöpften Geldmenge (Bargeld) wird immer geringer. Möglich ist dies durch das sog. fraktionale Bankensystem: Die Banken müssen nur Bruchteile der vergebenen Kredite absichern (Mindestreservesatz von 2%), dürfen also einen Euroschein 50-mal verleihen und die Geldmenge 50-fach vermehren. Die Schöpfung des staatlichen Zahlungsmittels wurde also fast völlig an private Banken zum Nutzen von Privatpersonen abgeben. Dennoch haftet der Staat für das Geld, die Banken und die Nutznießer dieses Systems. Selbst die Zentralbanken unterliegen – weltweit – keiner demokratischen Kontrolle mehr.

Absurdes Weltfinanzsystem

Da der USD die Weltleit- und -reservewährung ist, haben die USA die Macht der globalen Geldschöpfung: Die Welt liefert ihnen Waren, ohne dass sie Gegenleistungen erbringen müssen. Da alle Staaten Währungsreserven in USD anlegen und Öl für USD kaufen müssen, fließen die Dollar nicht in die USA zurück, sondern zirkulieren global. Die USA bekommen dadurch jährlich Waren im Wert von ca. 750 Mrd. USD geschenkt. Sie müssten ihren Verpflichtungen erst nachkommen, wenn die Staaten ihre Dollarreserven auflösen (dann würde aber der USD in einer Hyperinflation untergehen). Um den Konsum- und Rüstungswahn der USA zu decken und die Finanzkrise auf Kosten der Welt zu „stabilisieren“, wird der Dollar extrem aufgebläht – im Jahr 2008 wurde die Geldmenge verdoppelt! Da so ein Pyramidenspiel immer in einem Kollaps der Leitwährung endet, sind die großen Verlierer im Endeffekt die Exportweltmeister (wie Deutschland und Österreich): Sie verschenken einen großen Teil ihrer Produktion, ohne jemals Gegenleistungen zu erhalten.

Ausweg aus der Krise

Die „Österreichische Schule“ liefert uns keine sinnvollen Lösungen, sondern fordert die Privatisierung des Geldes (die Kontrolle über das Geld an die Konzerne abzugeben). Auch ein Goldgeldsystem müsste – wie 1973 – nach wenigen Jahrzehnten aufgrund des Zinseszinseffekts wieder aufgegeben werden. Der Ausweg aus der Krise kann nur in einem radikalen Systemwandel liegen und muss an der Wurzel, am Geldsystem ansetzen – auf globaler, nationaler wie regionaler Ebene: 1. Neuordnung des Welt­fi­nanzsystems – Ablösung des USD durch eine freie Weltwährung Der britische Ökonom John Maynard Keynes schlug bereits 1944 in Bretton Woods das virtuelle globale Buchgeld Bancor vor: Jedes Land hätte bei der „International Clearing Union“ ein Konto, über das der gesamte Außenhandel abgerechnet wird (Kontostand = Handelsbilanz). Frühindikator für die Weltwirtschaft: Der Baltic Dry Index ist von Mai bis November 2008 um 99% eingebrochen, erholte sich dann und fällt wiederum dramatisch seit Juni dieses Jahres. Zuwachsraten im Vergleich: Das Geldvermögen hat sich völlig von der realen Wirtschaftsleistung losgelöst – die Reallöhne sind um etwa 50% gesunken. tobias plettenbacher feature@medianet.at Die tiefere Ursache der Krise liegt rein mathematisch in unserem Geldsystem: Vermögen und Schulden wachsen durch den sog. Zinseszinseffekt exponentiell, also umso rascher, je größer sie werden, bis sie faktisch explodieren.“ tobias plettenbacher Experte für komplementäre Währungssysteme © Tobias Plettenbacher Die Krise aus anderer Sicht Stehen wir vor einem wirtschaftlichen Aufschwung oder sind die positiven Anzeichen nur Vorboten eines neuerlichen Kollaps? Der Experte für komplementäre Währungssysteme und medianet-Gastautor Tobias Plettenbacher über die „gefühlte“ Inflationsrate, Österreichs Euro-Millionäre und über mögliche Auswege aus der Krise. Freitag, 16. Oktober 2009 feature medianet – 5 © iStockphoto Die ICU könnte Geld schöpfen und wäre von Liquiditätsproblemen befreit. Um die Handelsbilanzen auszugleichen, wären Schulden und Guthaben mit Strafzinsen (Geldhaltekosten) belastet. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass dies den Ausgleich der globalen Ungleichgewichte, ein Zinsniveau um Null und die Befreiung der Dritten Welt von Schulden, Zinszahlungen und Abhängigkeiten bewirken würde; Kapitalflucht und Devisenspekulationen könnten verhindert werden. Keynes Plan wurde 1944 natürlich von den USA abgelehnt. Eine solche Währung wird nun von China, ATTAC und vielen anderen Organisationen gefordert. Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger und Ex- Chefökonom der Weltbank, schlägt den Bancor im UNCTAD Report der UNO als wichtigste Maßnahme zur Krisenbekämpfung vor. 2. Reform der Euro-Geldschöpfung – Stärkung und Demokratisierung der Nationalbank Eine Alternative zum fraktionalen Banksystem ist das sog. 100% Money (Irving Fisher) oder Vollgeld (Josef Huber), also die 100% Deckung aller Kredite durch Nationalbankgeld. Die Geldschöpfung wird unter (demokratische) Kontrolle gebracht. Das exponentielle Wachstum der Vermögen und Schulden wird gestoppt, Kaufkraft und soziales Gleichgewicht wiederhergestellt. Vollgeld ist jederzeit zu 100% durch Arbeit und Produktionskapazität gedeckt.

Stärkung der Nationalbank

Durch vollständige Besteuerung der Zinsen kann die Geldmenge reduziert oder gleichmäßig an die Bevölkerung umverteilt werden (z.B. durch ein Grundeinkommen). Die Nationalbank kann endlich die Geldmenge steuern und Inflation und Deflation verhindern. Da dies eine extreme Stärkung der Nationalbank wäre, müsste sie als vierte Säule des Staates demokratisiert werden (sog. Monetative neben Legislative, Judikative und Exekutive). 3. Einführung regionaler Währungssysteme mit neuen Spielregeln Wie Computermodelle (z.B. von Richard Douthwaite, siehe Literaturempfehlung) zeigen, sind die oben genannten Änderungen nicht ausreichend für ein stabiles und nachhaltiges Finanzsystem. Die Währungs- und Wirtschaftskreisläufe sind viel zu groß und instabil. Es braucht parallel zum Euro kleinräumige Systeme („Vielfalt statt Monokultur“).

Komplementäre Währungen

Diese sog. komplementären, also ergänzenden Währungen sollen nach anderen Spielregeln funktionieren: zins- und inflationsfrei, gemeinschaftsbildend, demokratisch, als Basis für eine nachhaltige, ressourcenschonende, regionale Wirtschaft. Sie ermöglichen selbst beim Kollaps von USD oder Euro stabile regionale Kreisläufe und eine Sicherung der Grundversorgung. Weltweit gibt es bereits etwa 5.000 solcher Währungen mit einer großen Vielfalt an Wertmaßstäben (Zeit, Ökoenergie, Lebensmittel...) und Funktionen (Regionalzoll, Negativzins...). Vorreiter in Europa ist Vorarlberg, das mit Unterstützung von Landesregierung und Landeshauptmann mit großem Erfolg Zeittauschsysteme (Nachbarschaftshilfe), Zeitsparmodelle (inflations- und krisensichere Altersvorsorge) sowie kommunale Währungen umsetzt. Viele Wissenschaftler erkennen die Probleme unseres Geldsystems und beginnen den Finger auf die offenen Wunden zu legen. Der Weg zu den dringend nötigen Reformen unseres maroden Geldsystems scheint uns durch eine Hyperinflation und den Bankrott mancher Staaten zu führen, denn die Bereitschaft zu Reformen ist noch nicht vorhanden. Der Leidensdruck ist noch zu gering, doch das kann sich rasch ändern. In Österreich besitzen laut WIFO 10% der Bevölkerung bereits fast 70% des Gesamtvermögens. Die Anzahl der Euro-Millionäre stieg in den letzten Jahren auf ca. 70.000. feature@medianet.at

literaturempfehlung

Joseph Huber, 1998: Vollgeld. Duncker Humbolt, Berlin, ISBN 3-428-09526-X Irving Fisher, 2007 (1934): 100% Money, 100%-Geld. Gauke Verlag, ISBN 3-87998- 451-4 Tobias Plettenbacher, 2007: Neues Geld – neue Welt, www.planet-verlag.at, ISBN 978-3-0902555-16-8 Helmut Creutz, 2004 (1993): Das Geld- Syndrom. Wissenschaftsverlag Aachen, ISBN 3928493469 Margrit Kennedy & Bernd A. Lietaer, 2004: Regionalwährungen. Riemann Verlag, ISBN 3570500527 Peter Heisenko, 2006: Bankraub globalisiert. Anderwelt Verlag, ISBN 3940321168 Richard Douthwaite, 2002: Geldökologie. www.feasta.org/documents/moneyecology/ {EOM German}?.pdf