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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2020-11-12


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Umbrüche in der Musikindustrie

Termin: 12. November 2020 15.15 Uhr

Ort: BBB-Raum BIS.SIM

Thema: Raphael Luz Y Graf: Streamingdienste und Umbrüche in der Musikindustrie

Ankündigung

Das Aufkommen von Streaming-Anbietern wie z.B. Spotify hat im System „Musikindustrie“ massive Änderungsprozesse bei allen Beteiligten angestoßen. Menschen, die solche Dienste nutzen, konsumieren Musik anders, Künstler*innen produzieren Musik auf andere Weise, und auch die Art, wie sie mit ihrer Kunst Geld verdienen, hat sich geändert. Labels sehen sich ebenfalls in einer neuen Position in der Industrie.

In meinem Vortrag erörtere ich, wie Musikstreaming diese Veränderungen herbeigeführt hat, und zeige Unterschiede im Verhalten einzelner Anbieter auf. Weiterhin stelle ich vor, wie sich die anderen vorhin genannten Akteure in der Musikindustrie angepasst haben.

Raphael Luz Y Graf, 05.11.2020

Anmerkungen

Musik aus der Konserve ist eine relativ junge Erfindung. Während es die Spieldosen als Topprodukte der Uhrmacherkunst schon länger gab, erfolgte die Trennung von Musikträger und Abspielgerät in Form von Lochscheiben und Staffelwalzen erst zum Ende des 19. Jahrhunderts und Musikträger wie Grammophonplatten kamen überhaupt erst am Anfang des 20. Jahrhunderts in Gebrauch. Broadcastmedien wie Radio und Fernsehen beginnen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtigere Rolle bei der Verbreitung von Musik aus der Konserve zu spielen und die bis dahin dominierende Schallplatte und die sich parallel entwickelnden Tonträger auf magnetischer Basis abzulösen.

Das Thema des Seminars fokussierte also auf ein exklusives Phänomen der Neuzeit, auch wenn das in der Diskussion keine Rolle spielte – Musik aus der Konserve und damit Musikkonsum in der besprochenen Form gibt es noch nicht lange. Vor jener Zeit bedeutete Musikkonsum entweder selbst zu singen oder zu musizieren oder andere dies in einer Liveaufführung tun zu lassen. Letzteres – auch heute noch als andere Form des Musikkonsums verbreitet – war eine relativ elitäre Angelegenheit (und ist es in gewissem Sinne auch heute noch), denn es musste gesellschaftlich genug übrig sein auch für "die Brötchen" jener Musiker.

Es ist also ein überschaubarer Zeitraum, in dem sich die Musikindustrie als industrielle Produktionsform jener Musikkonserven ebenso herausgebildet hat wie das schwunghafte private Sharen und Teilen solcher Konserven. Deren einfache Reproduzierbarkeit – zunächst verlustbehaftet auf Magnetbändern, nach mehreren Kopiervorgängen teilweise bis zur Unkenntlichkeit, später als digitale Kopien – machte das Sharen einfach, jedenfalls einfacher als das Sharen einer Konservenbüchse mit Gurken.

Dem musste natürlich ein Riegel vorgeschoben werden, denn das Produzieren solcher Musikkonserven war ökonomisch deutlich aufwendiger als das Sharen. Entsprechende Rechtssysteme zur Nutzung der durch – im kontinentaleuropäischen Rechtsraum nicht abdingbare – Autorenrechte geschützten Kunstwerke entwickelten sich parallel seit den 1960er Jahren und sind heute unter dem Begriff Immaterialrechte und dem Kürzel IPR allgegenwärtig. Dieses Rechtssystem wurde immer wieder gegen das Sharen in Stellung gebracht, wenigstens dort, wo Sharen den privaten Raum verlässt und selbst an die Öffentlichkeit tritt. Verbände der Inhaber der Nutzungsrechte wie die amerikanische RIAA oder die deutsche GEMA versuchten sich als Zerberus an den Toren dieser heiligen Markthallen und versuchten, dem technisch immer einfacheren Sharen immer größere Hürden in den Weg zu legen.

Die Seminarerzählung beginnt mit Napster und einer weiteren Runde in dieser Auseinandersetzung, in der man Ende der 1990er Jahre mit ausgeklügelten Kopierschutzverfahren (wie etwa einem Dongle) punkten wollte, sowie dem DMCA, dem Digital Millenium Copyright Act, der es auch juristisch unter Strafe stellte, derartigen Kopierschutz auszuhebeln, nachdem deutlich wurde, dass der Kampf allein an der technischen Front nicht zu gewinnen ist.

Informationen zum Prozess der ökonomisch-rechtlichen Einhegung jener (auch) mit Napster verbundenen "technischen Rebellion", der "Napster Deal" (New York Times 2.11.2000) auf dem Weg zu einem "Kommerz-Napster" (Der Spiegel, 7.6.2001) und weitere Schritte der Assimilation guter technischer Ideen auf dem Weg zu künftig tragfähigen Geschäftsmodellen jener Musikkonservenindustrie lassen sich zwar mit Google leicht aufspüren, blieben aber in Vortrag und Diskussion unterbelichtet.

Letztere konzentrierte sich vor allem auf rezente Hör-, oder vielleicht besser Musikkonsum-Gewohnheiten, die heute noch einfacher zu realisieren sind als noch vor 20 Jahren. Die Alternative Speichern statt Streamen erschien so vorsintflutlich, dass sie kaum zur Debatte anregte – Sharen ist out, Streamen ist in. Andererseits stand die Frage "Musikkonsum wozu?" und fand eine ähnlich vage Antwort: "Zur Entspannung nach einem anstrengenden Arbeitstag". MEINE Musik statt gemeinsamer Musik, auch wenn sich das MEIN primär auf die spezifische Zusammenstellung aus einem für alle (Abonnenten) gleich verfügbaren Pool bezieht. Musik hören als spezifischer, konzentrierter Genuss oder gar als KUNST spielte nur eine untergeordnete Rolle. Diese Frage der Rückkopplung von Hörgewohnheiten auf Mechanismen von Marktgängigkeit und damit die sozio-ökonomischen Mechanismen, die über "Marktdruck" und "finanzielle Zwänge" auf "künstlerische Freiheit" zurückwirken, wurden dann auch vor allem unter jenem Blickwinkel diskutiert. In welchem Umfang ein solcher Blickwinkel entscheidend, wichtig oder auch nur relevant für eine Musikszene ist, die man nicht mit der Musikkonservenindustrie verwechseln sollte, und für die auch die "Mucke um die Ecke" eine relevante Größe kreativen Schaffens sein kann, blieb allenfalls ein vorsichtiger Nebenstrang der Diskussion.

Hans-Gert Gräbe, 19.11.2020


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