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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2020-05-28


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Fake News, Ideologie und Demagogie

Termin: 28. Mai 2020 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-13 oder virtuell im BBB-Raum https://conf.informatik.uni-leipzig.de/b/gra-y36-wd4

Thema: Fabian Stöhr, Simon Reich: Fake News, Ideologie und Demagogie

Ankündigung

In unserem Vortrag zum Thema Fake News wollen wir der folgenden Frage nachgehen: Welche Kommunikationsstrukturen werden durch die Digitalisierung verstärkt. Hierfür wollen wir eine Reihe zentraler Begriffe klären. Fake News, Desinformation, Ideologie und Demagogie. Im Anschluss soll aufgezeigt werden, wie sich Informationen und Überzeugungen in Gemeinschaften ausbreiten. Dabei werden wir unter anderem auf das Buch „The Misinformation Age“ von Connor und Weatherall zurückgreifen. In diesem entwickeln sie ein Modell, welches Prozesse der kooperativen Wahrheitsfindung dahingehend untersucht, unter welchen Umständen die Verbreitung von Falschinformationen besonders erfolgreich ist. Eine Übertragung dieser Erkenntnisse auf die globale Vernetzung, insbesondere digitaler sozialer Netzwerke soll zugleich den Schlusspunkt des Vortrages und Aufsatzpunkt der gemeinschaftlichen Diskussion bilden.

Fabian Stöhr, Simon Reich, 20.05.2020

Anmerkungen

Nach der Einordnung des Themas unter den Schlagworten Ideologie und Demagogie ging es zunächst darum, die Clusterbildungsprozesse in sozialen Netzwerken, die als Basis von sich verbreitenden und verfestigenden "Fake News" betrachtet wurden, in einer mathematischen Modellierung besser zu verstehen. Ein zu eng gefasster Wahrheitsbegriff als "objektiv wahr" oder "Faktencheck" musste dazu bereits zugunsten eines Konformitätsansatzes und damit emergenter Gruppenphänomene aufgegeben werden, auch wenn die harte Aussage "jede Form von Wissenschaft ist Glaube" nicht weiter untermauert wurde.

Damit erhebt sich die Frage, ob das Fake-News-Phänomen nicht eher als Gruppenphänomen zu betrachten ist, und die vorgestellte Netzwerkmodellierung, die mit lokalen "Glaubensfaktoren" arbeitet, den Prozess der kommunikativen Verstärkung gemeinsamer "Beliefs" (so der englische Terminus in entsprechenden stochastischen Netzwerkmodellen, wie sie etwa auch am Leipziger MPI-MIS untersucht werden) ausblendet. Derartige Gruppenphänomene der gegenseitigen Verstärkung von Argumenten hin zu einem "kooperativen Weltbild" werden auch in der Vorlesung thematisiert und spielen eine zentrale Rolle im Bereich semantischer Technologien, wenn es um die Vereinbarung gemeinsamer Begriffswelten und deren syntaktische Befestigung in Ontologien geht (siehe dazu die Folien zu den Blöcken 5 und 6). Ähnliche Phänomene der kooperativen Befestigung von "Memen" hatten wir im Seminar bereits am 30.04.2019 und am 28.05.2019 diskutiert, wo es um die integrative Bedeutungsbildung von Hashtags und "digitalen Memen" ging. Auch die Diskussion am 24.10.2019 zum Thema "Tatsachen, Wahrheit, Wissenschaft" ist themenrelevant.

Herr Kleemann fragte dann, ob Wissenschaft nicht mehr sei als ein Gruppenkonsens, auch wenn ein paar Staatsoberhäupter in ihrem Handeln einem solchen Verständnis Vorschub leisten. Welcher Selektionsdruck besteht also, der in entsprechenden gruppendynamischen Prozessen gewisse "Meme" die Oberhand gewinnen lässt? In der Vorlesung (Block 6) wird hierfür konkrete praktische Erfahrung als Widerspruch zwischen begründeten Erwartungen vor dem Handeln und erfahrenen Ergebnissen nach dem Handeln in Stellung gebracht. Der Stabilisierungsprozess von "Memen" ist damit nur in seiner historisch-konkreten Einbettung zu verstehen. Ein geozentrisches Weltbild kann sich gut befestigen, wenn es für die täglichen Praxen unwesentlich ist, ob die Erde oder die Sonne der Mittelpunkt ist, die Äußerung einer "falschen" These aber schnell auf den Scheiterhaufen führt.

Damit verbunden ist eine dritte Frage: Gibt es eine "Wissenschaft der Fake News", die sich mit geeigneten technischen Mitteln (also – im Sinne des Technikbegriffs der Vorlesung – mit gesamtgesellschaftlich verfügbarem (im Rahmen des Möglichen ggf. geheim gehaltenem) Verfahrenswissen, institutionalisierten Verfahrensweisen und privatem Verfahrenskönnen) zur Gestaltung kooperativer Strukturen einsetzen lässt? Ja, natürlich, entsprechende Machttechniken sind nicht erst mit dem digitalen Wandel aufgekommen. Allerdings erweitert und verändert sich das verfügbare technische Arsenal im Zuge technischen Fortschritts.

Damit verbunden ist eine vierte Frage: Wie wird die Auseinandersetzung um den gesellschaftlichen Gebrauch jener technischen Mittel geführt? Die Virulenz einer Fake-News-Debatte zeigt, dass hier Prozesse im Gange sind, in denen Zwecke und Interessen aufeinander stoßen. Aktuell hat Twitter einen neuen Algorithmus "Faktencheck" implementiert, der "automatisch" Tweets analysiert und diese mit einem Link auf einen solchen automatisch generierten "Faktencheck" versieht, wenn diese den Check nicht bestehen ... Ein Staatsoberhaupt war "not amused".

Die dahinter stehenden Verfahren sind im Lichte der Entwicklung von "Wissensgraphen" als wesentliche Errungenschaft semantischer Technologien weitgehend verständlich. Bleibt natürlich die Frage, was sind "Fakten", wenn wir uns eingangs von einem objektiven Wahrheitsbegriff verabschiedet haben ...

Hans-Gert Gräbe, 29.05.2020


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