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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2020-01-23


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Online Dating

Termin: 23. Januar 2020 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-11

Thema: Felix Nirsberger, NN: Online Dating

Ankündigung

Spätestens seit der Markteinführung von Tinder ist das Thema Online-Dating in der Mitte der westlichen Gesellschaft angekommen. Dies zeigen auch die stetig steigenden Anmeldezahlen diverser Dating-Portale.

Zu Beginn unseres Vortrags wollen wir uns an einer Kategorisierung der verschiedenen Plattformen und Apps versuchen, verschiedene Nutzungsarten unterscheiden und einen geschichtlichen Abriss der Partnersuche von der Zeitungsannonce bis zum Swiping Verfahren geben. Im Anschluss werden wir uns mit dem gesellschaftlichen Einfluss des Online Datings auseinandersetzen. Hierbei werden wir insbesondere auf die Themen Datenschutz, den Abbau sozialer Schichten und die Gefahr von Belästigung eingehen.

NN und Felix Nirsberger, 16.01.2020

Ankündigung

Der insgesamt spannende Vortrag, auf den ich hier mit Verweis auf die im Netz verfügbaren Folien nicht weiter eingehen werde, orientierte sich an der Reflexion des Phänomens "Online-Dating" im Feuilleton und in ausgewählten Studien, die im Feuilleton-Kontext eine Rolle spielen. Die Diskussion offenbarte ein eigenartiges Auseinanderfallen dieser medialen Debatte mit den – allerdings nur in Ansätzen erkennbaren – wirklichen Praxen. Die normative Wirkung derartiger ideologischer Einseitigkeiten auch auf die Diskussion im Seminar selbst umriss Herr Kleemann relativ deutlich als Perpetuierung klassischer Reproduktions-, Familien- und Moralvorstellungen, die nach wie vor medial virulent, aber in ihrer Eindeutigkeit und Eingleisigkeit möglicherweise bereits länger überholt sind. Das betrifft gerade auch die Frage der sexuellen Orientierung, wo medial Homosexualität zwar nicht mehr stigmatisiert, aber doch in die Ecke des Exotischen gedrängt wird. Dass mit "gay parades" dieses mediale Bild von jener Minderheit selbst mit gefüttert wird, ist Teil der Ambivalenz der Stabilisierungsmechanismen ideologischer Muster. Wir sind damit allerdings weit über die Zusammenhänge hinausgegangen, die in Vortrag und Diskussion berührt wurden. Ich möchte dennoch fortfahren, weitere Punkte anzusprechen, die im Seminar keine Rolle spielten.

1. Wie neu sind Dating-Phänomene? Gibt es etablierte "vordigitale" Strukturen von Dating als Vermittlungsleistung, und wie transformieren sich diese im digitalen Wandel? Der durch Fokussierung auf Sexuelles getrübte Blick reicht da vielleicht noch bis zum Anzeigengeschäft in Zeitungen und Partnervermittlungsagenturen, Head Hunting im Managementbereich oder der ganze Fußballtransfermarkt bleiben ebenso ausgeblendet wie das uralte, weit in vorkapitalistische Zeiten reichende Gewerbe der "Kupplerin" (interessanterweise eine weiblich konnotierte Profession, auch wenn sich dies für patriarchal geprägte Gesellschaften im Praxischeck kaum bestätigen dürfte).

2. Online-Dating als Technologie hat also einen deutlich weiteren Anwendungsbereich als nur zur Kontaktanbahnung zwecks Geschlechtsverkehrs. Woher aber die Fokussierung des medialen Interesses auf dieses Thema, die zudem durch Voyeurismus, Häme und Skandal dominiert wird? Ist dies Teil eines hohen normativen Drucks, der subtil ausgeübt wird, um gerade in diesem hoch tabuisierten Bereich Selbstbestimmung zu verhindern und alte kirchlich geprägte Moralvorstellungen zu perpetuieren, nach denen Geschiedene nicht einmal zum Abendmahl zugelassen werden?

3. Damit relativieren sich aber auch die Datenschutzanforderungen. Der Schutz intimer Daten steht nicht überall im Datingbereich im Vordergrund – im Gegenteil kann das Öffentlichmachen von Interessen an Reisekontexten und Reisezielen ein wichtiger Baustein sein, um Interessenten zu kooperativem Handeln zusammenzuführen. Dies ist auch ein klar erkennbares Geschäftsmodell bei Veranstaltern von Sportreisen oder Kulturreisen. Andererseits steht der Schutz intimer Daten auch in anderen Bereichen – nicht zuletzt beim Thema "elektronische Gesundheitskarte". Die Datenschutzfrage ist also schlicht falsch gestellt und lautet: Mit welchen sozio-technischen Instrumenten lässt sich skalierbarer Datenschutz verlässlich umsetzen?

4. Für die unter 3. formulierte Frage existieren technisch hinreichend leistungsfähige Konzepte. Warum werden sie praktisch nicht umgesetzt? Dies ist auch keine spezifische Frage für Dating-Portale, und sie hat bei verschiedenen Betreibern verschiedenen Stellenwert. Gibt es hier Muster und vielleicht sogar Begründungen für diese Muster in Betreiber- oder Geschäftsmodellen? Derartige Fragen wurden auch im Vortrag nur am Rande berührt und sehr plakativ beantwortet. Der Blick auf die "Match Group", das Aufsetzen von neuen Portalen für spezifische Zielgruppen – offensichtlich in einem Produktlinienansatz –, das Bootstrap neuer Portale durch (nur gruppenintern weitergereichte?) Fremddaten, kurz, wirtschaftliche Phänomene, die heute unter dem Begriff Plattformkapitalismus zusammengefasst werden, blieben komplett außer Betracht. Besonders der Zusammenhang zwischen unreifer Software und dem Umfang von Venture-Kapital und Return on Investment Rechnungen in diesen initial hoch defizitären Geschäftsmodellen wäre eine Betrachtung wert gewesen.

5. Damit bleibt aber auch ausgeblendet, ob die neuen technischen Analysemöglichkeiten der "Big Data", die in den verschiedenen Zielgruppenportalen jener "Match Group" anfallen und jenseits aller Datenschutzbestimmungen den Betreibern faktisch zur Verfügung stehen, zivilgesellschaftlichen Gewinn in Form von besserem Matching versprechen, weil der Analyseraum die Möglichkeiten und damit die Performanz der klassischen "Kupplerin" um Größenordnungen übersteigt. Dass derartige digital gestützte Praxen in Unternehmensberatungen und Personalagenturen längst eingesetzt werden und auch bei Plattformbetreibern wie Xing und LinkedIn eine Rolle spielen, sei hier nur in Parenthese angemerkt.

Hans-Gert Gräbe, 24.01.2020


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