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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2020-01-09


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Digitaler Wandel im Retail- und Online-Handel

Termin: 9. Januar 2020 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-11

Thema: Pavel Gitin: Digitaler Wandel im Retail- und Online-Handel

Ankündigung

Kann eine strukturelle Komplexität in der Produktion oder sogar beim Darstellen eines besonderen Produktes einem Unternehmen aus dem Mittelstand eine Chance geben auf einem hart umkämpften Markt Fuß zu fassen?

Sichert der technische Vorsprung und Nachhaltigkeit in den Technologien das Überleben des Unternehmens bei steigernder Konkurrenz?

Auf der Basis eines Fall-Beispiels werden diese Thesen empirisch untersucht.

Der vorliegende Vortrag gibt einen Überblick über den Einsatz von IT-Technologien im Online-Handel. Dazu wird eine langjährige Entwicklung der IT-Landschaft betrachtet. Es werden auch Vergleiche mit anderen Betrieben geführt.

Pavel Gitin, 06.01.2020

Anmerkungen

Im Vortrag wurde auf eigenen praktischen Erfahrungen aufbauend die digitale Transformation eines Geschäftsfelds – des Retailhandels mit Kontaktlinsen – beschrieben. Für die Ausführungen sei auf die Folien und die noch ausstehende Seminararbeit verwiesen. In meinen Anmerkungen möchte ich allein auf drei übergreifende Aspekte zu sprechen kommen, die mir in der Innenperspektive eines CIO, die im Vortrag vorwiegend eingenommen wurde, etwas zu kurz kamen.

1. In der Begleitung der informationstechnischen Transformation der Branche aus der Perspektive eines Retail-Unternehmens, das sich hier im Zeitraum von 20 Jahren vom Start-Up bis zum Übernahmekandidat entwickelt hat, blieb die Frage unterbelichtet, wie sich die Grundstrukturen des Geschäfts in diesem Bereich verändert haben. Im Vortrag wurde erläutert, dass im Gegensatz zu Massenware, die man bei Amazon gut kaufen kann, das eigene Geschäft Besonderheiten aufweist, die im Einsatz standardisierter E-Shop-Software in der Regel nicht abgebildet werden können und damit im einfachsten Fall umfassende Anpassungen der Software erforderlich wären.

Das vertriebene Produkt ist ein High-Tech-Produkt für die Anwendung am Menschen, das damit nachvollziehbar doppelt strenge Qualitätsanforderungen erfüllen muss. Nachvollziehbarkeit ist in Zeiten von Produktverfolgungen etwa in der Landwirtschaft kein prinzipielles technisches Problem und in der Logistikbranche weitgehend ausgerollt, erfordert aber einerseits klare kooperative Strukturen zur Fehlerverfolgung und andererseits Aufwendungen zur Implementierung entsprechender Systeme im Geschäftsbetrieb. Kontaktlinsen sind andererseits noch kein so hoch entwickeltes High-Tech-Produkt wie etwa Hörgeräte, für die es eines Netzes von Spezialisten vor Ort bedarf, welche Kunden in privatem Kontakt beraten und maßgeschneiderte Lösungen fertigen oder in Auftrag geben.

Die Zweiteilung des Geschäfts in Produktion und Vertrieb sowie das komplexe Verhältnis zwischen diesen Strukturen, so wurde in der Diskussion deutlich, ist nicht erst mit dem digitalen Wandel entstanden. Versandhandel gab es auch vorher, und dies war auch die Geschäftsidee des Start-Up. Grundlegende Retailstrukturen in diesem Bereich sind also nicht neu, allein die Transformation vom Versand- zum Onlinehandel stellte sich (nicht nur für diesen Versandhandel) als Herausforderung dar. Die Rolle einer weiteren Komponente – Beratung und Verkauf im Fachhandel, beim Optiker – blieb unterbelichtet. Optiker-Fachgeschäfte scheinen ja auch heute noch zumindest mit Brillen trotz Online-Handel und großer Ketten wie Fielmann oder Apollo noch immer eine solide Geschäftsgrundlage zu haben. Es wäre spannend, hier auch noch genauere Informationen über Gewichtsverschiebungen oder Interdependenzen zu erfahren.

2. Das genau Verhältnis zwischen Kerngeschäft und Ausbau der IT-Infrastruktur im vorgestellten Unternehmen sowie die Entwicklung dieses Verhältnisses blieb vage. Die Ausführungen konzentrierten sich auf die technische Seite, die Höhen und Tiefen des komplexen, sich über die Zeit ändernden vertraglichen Verhältnisses wurden nur angedeutet. Nun ist rein betriebswirtschaftlich klar, dass IT zur Infrastruktur gehört und damit unternehmensintern als Investition zu betrachten ist, die aus dem operativen Geschäft heraus finanziert werden muss. Ein gutes Verhältnis von In-House-Spezialisten und Outsourcing bedeutet, dem Aufbau komplexer Vertragsverhältnisse mit den Komponenten Anstellungsverträge, Unteraufträge für Entwicklung und Betrieb insbesondere der unternehmenskritischen Teile der Infrastruktur, Vertragsmonitoring sowie die Entwicklung und Pflege entsprechender "Human Resources" – ob nun In-House oder als zuverlässiger Vertragspartner – auf der Ebene der Unternehmensführung angemessene Aufmerksamkeit zu widmen. Dies erfordert letztlich eine gute Zusammenarbeit von CEO und CIO (die Bündelung der Entscheidungskompetenz in technischen Fragen in einer solchen Rolle einmal vorausgesetzt). Die Ausführungen im Vortrag habe ich dahingehend verstanden, dass der Vortragende über längere Zeit faktisch als CIO des Unternehmens tätig war, auch wenn dies nicht formell in einer entsprechenden Position im Unternehmensmanagement verankert wurde.

Die IT-Infrastruktur hat sich auch in diesem Unternehmen über die Jahre zu einer geschäftskritischen Infrastruktur entwickelt. Mit ITIL und Ansätzen des Strategic IT-Alignments (Coltman u.a. 2015) werden derartige Fragen heute intensiv im Bereich der Unternehmensberatung diskutiert, was aber vor allem für größere Unternehmen mit entsprechenden finanziellen Möglichkeiten bedeutsam ist. Allerdings können kleinere Unternehmen sehr schnell in eine Schieflage geraten, wenn diese Faktoren "zuschlagen" und zu wenig oder fehlerhaft in eine Risikovorsorge investiert wurde. Es wäre spannend zu erfahren, wie sich das vorgestellte Unternehmen mit derartigen Fragen auseinandergesetzt hat.

3. Die Komplexität entsprechender IT-Infrastrukturen insbesondere im Bereich des Onlinehandels hat sich mit dem Siegeszug der Smartphones seit 2005 noch einmal deutlich erhöht, auch wenn der wirkliche Grund der Komplexitätszunahme im Siegeszug Semantischer Technologien zu suchen ist. Diese Komplexität ist zu akzeptablen und damit konkurrenzfähigen Kosten nur durch den präzisen Einsatz angepasster Frameworks in den Griff zu bekommen, was die Bedeutung von Skaleneffekten erhöht und damit zu weiteren "Marktkonsolidierungen" führt. Ein solcher Effekt ist aus der Theorie der Entwicklung Technischer Systeme (im S-Kurven-Modell) gut bekannt und für verschiedene Technologiewechsel gut belegt, siehe etwa (Lyubomirskiy u.a. 2018). Damit steigen zugleich die Anforderungen an die professionelle Ausbildung eines CIO. Wie ist das vorgestellte Unternehmen mit dieser Herausforderung umgegangen?

Verweise:

  • Tim Coltman, Paul Tallon, Rajeev Sharma, Magno Queiroz (2015). Strategic IT alignment: twenty-five years on. Journal of Information Technology, Volume 30, Issue 2, pp 91–100.
  • A. Lyubomirskiy, S. Litvin, S. Ikovenko, C. M. Thurnes, R. Adunka (2018). Trends of Engineering System Evolution (TESE).
Hans-Gert Gräbe, 12.01.2020


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