[Home]
Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2017-10-17


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







Was sind Tatsachen im Zeitalter von Fake News und Filterblasen?

Termin: 17. Oktober 2017 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Thema: Tatsachen im Zeitalter von Fake News und Filterblasen

Diskussion auf der Basis folgender Texte

Ankündigung

"Massive digital misinformation is becoming pervasive in online social media to the extent that it has been listed by the World Economic Forum (WEF) as one of the main threats to our society". (Del Vicario u.a. 2016).

In welchem Umfang sind "Filterblasen" und "Echokammern" ein Kind des digitalen Zeitalters? Gibt es Besonderheiten digitaler Umgangsformen, die solche Phänomene verstärken? Und handelt es sich wirklich "um eine der großen Herausforderungen", vor denen unsere Gesellschaft steht, wie das WEF behauptet? Welche Rolle spielen Öffentlichkeit (Singular) und Öffentlichkeiten (Plural) in der heutigen Zeit und in einer "modernen" Gesellschaft überhaupt?

Diesen Fragen wollen wir uns in unserer Diskussion nähern.

Hans-Gert Gräbe, Ken Kleemann, 03.10.2017

Anmerkungen

In der diskursiven Annäherung ans Thema standen zunächst die Einstellungen und Verhaltensweisen selbst zur Diskussion, die einer "verzerrten" Wahrnahme von Welt und damit Fake News und Filterblasen zugrunde liegen. Es wurde die Frage gestellt, ob es sich überhaupt um ein einheitliches Phänomen handele oder nicht zwischen Fake News und Hate Speech unterschieden werden müsse, da ersteres ein zur gezielten Desinformation eingesetztes Instrument sei, letzteres aber eher ein sich selbst verstärkendes Gruppenphänomen, dessen Ursachen genauer zu analysieren wären. Auch wurde die Frage aufgeworfen, welche Sanktionierungsmöglichkeiten für menschenverachtende Positionen existierten und welche Rolle dabei den Gatekeepern, also den Betreibern entsprechender Portale, zukomme.

Genau der letzte Begriff "Gatekeeper" kommt allerdings aus einer vordigitalen Zeit, wo schreibender Zugriff auf Medien noch stärker regulier- und reglementierbar war, hier also Phänomene des digitalen Wandels zu berücksichtigen sind. Allerdings herrschte Einigkeit darüber, dass Fake News und Filterblasen keine neuen Phänomene des digitalen Zeitalters sind, sondern auch vorher schon existierten. In vordigitalen Zeiten wurden derartige Positionen aber durch Tendenzen der Tabuisierung und "Schweigespiralen" in der Öffentlichkeit marginalisiert. Der Druck zu "political correctness" führte dazu, dass radikale Positionen nur in eingeschränkten Öffentlichkeiten Raum fanden. Durch die Online-Medien und ein stärkeres Gefühl von Anonymität ändern sich hier Sichtbarkeitshorizonte und radikalisierende Wirkungen, während sanktionierende Wirkungen, wenn überhaupt, nur sehr mittelbar eintreffen. Die Unverbindlichkeit von Meinungsäußerungen im Internet fördere genau solche Tendenzen. Die verstärkende Wirkung von Algorithmen auf derartige Tendenzen wie etwa bei Facebook wurde zwar nicht diskutiert, ist aber aus meiner Sicht ambivalent. Wenn derartige Algorithmen darauf trainiert werden, menschliche Bedarfe zu erkennen und zu befriedigen, dann muss man sich nicht wundern, wenn sie hier etwas erkennen und verstärken. Die Frage, den Algorithmen selbst "political correctness" beizubringen, führt zu einer Vielzahl grundsätzlicher politisch-ethischer Probleme und lässt keine einfache Antwort zu.

Wir landen damit unvermittelt bei der Frage, warum sich Menschen so verhalten und wie man derartigem "Fehlverhalten" entgegentreten kann. Dies ist vordergründig eine Frage des Menschenbilds. Auch die Frage von Fake News als gezielter Desinformation geht in der Prognose eigener technischer Wirksamkeit von einem solchen speziellen Menschenbild aus. Eine besonders einfache Erklärung kam mit dem Begriff "Tittytainment" auf den Tisch – Menschen sind halt so und möchten vor allem unterhalten werden. Wikipedia schreibt dazu

Der Begriff steht für die Vermutung, dass auf Grund steigender Produktivität zukünftig ein großer Teil der Weltbevölkerung von der Produktion von Dienstleistungen und Gütern entbunden sein werde und dann von Transferleistungen leben werde. Um diesen Teil der Bevölkerung „ruhigzustellen“, müsse er medial „berieselt“ werden.

Ein solcher scheinbar überhistorisch geltender Erklärungsansatz der Wirksamkeit von "Brot und Spiele" impliziert allerdings den Ausschluss von Teilhabe an gesellschaftlicher Gestaltung in einem umfassenden Sinne und übersieht, dass er heute auf Verhältnisse und Individuen trifft, die einen harten Arbeitstag schon hinter sich haben und "bei der Arbeit außer sich" waren, um nun "außer der Arbeit bei sich" ( Quelle) zu sein. Individuelle Verdrängungen treffen dabei auf für privatkapitalistische Verhältnisse typische soziale Entfremdungsmechanismen. Das scheinbar überhistorische entpuppt sich als Teil eines durch privatkapitalistische Verhältnisse geprägten Menschenbilds.

Alle bisher diskutierten Ansätze des Umgangs mit Fake News und Filterblasen gingen davon aus, dass klar ist, wer die "Guten" sind, und das sind selbstverständlich "wir". Dieser Ansatz wurde in der weiteren Diskussion problematisiert mit der Frage, was denn überhaupt Tatsachen seien. Schnell war klar, dass das irgendwas mit Wahrheit zu tun haben müsse und letzteres etwas mit Beweisen, so die Position des wissenschaftlich geschulten mündigen Bürgers, der gelernt hat, dass die Wissenschaft der Hort des objektiv Wahren ist.

Leider ist es längst nicht so einfach, denn Irrtümer gibt es auch in der Wissenschaft, sogar sich hartnäckig haltende Irrtümer, in deren Kontext Wahrheit gesellschaftlich als Häresie wahrgenommen wird bis hin zur Gefahr für Leib und Leben. "Wahr ist, was für wahr gehalten wird" lautete mein Vorschlag eines Zugang – ein aus dem Diskurs um das "Postfaktische" entlehnter Ansatz, der dort aber sehr verkürzt aufgenommen wird. Vielmehr geht es darum, ob Wahrheit mit gesellschaftlicher Konsensbildung auf der Basis intersubjektiv kommunizierter praktischer Erfahrungen zu tun hat. Eine solche Konsensbildung manifestiert sich in vielfältigen intersubjektiven Strukturen wie Begriffsnetzen, Denkschemata, Normen und Institutionen. In einer hochgradig arbeitsteilig organisierten Gesellschaft sind derartige Strukturen selbst wieder strukturiert, was sich in Pluralismus auf der einen Seite niederschlägt, der aber in kooperativen Praxen und Handlungsvollzügen sowie kommunizierbaren begründeten Erwartungen seine Einhegung findet.

Hans-Gert Gräbe, 21.10.2017


OrdnerVeranstaltungen