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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2016-01-19


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Vernetztes Wissen

Termin: 19. Januar 2016, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-12

Thema: Vernetztes Wissen (Kristof Nyiri).

Vortrag und Diskussion mit Johann Berger, Philipp Köhler und Jan Fridrich.

Literatur:

Ankündigung

In der heutigen Gesellschaft ist die Vernetzung von technischen Geräten in einem sehr hohen Maße ausgeprägt. Rechnernetze spielen nicht nur in der Informatik eine maßgebliche Rolle, sondern bilden die Grundlage für jeglichen Austausch von Informationen zwischen Nutzern von Smartphones, PCs und anderen Geräten. Doch lässt sich eine solche Vernetzung auch auf andere wissenschaftliche Bereiche übertragen oder sogar von diesen herleiten? Ist eine Vernetzung von Menschen auch ohne das Vorhandensein von Technik möglich? Kristóf Nyíri befasst sich in (Nyíri 2004) unter anderem mit dieser Frage.

In diesem Zusammenhang sollen die grundlegenden Begrifflichkeiten zum Thema "Vernetztes Wissen" erläutert und diskutiert werden.

Johannes Berger, 14.1.2016

Auch die Philosophie versucht, mit möglichen Antworten auf aktuelle Zustände und Entwicklungen einer multimedialen Welt der Computervernetzung zu reagieren. Kristóf Nyíri versucht dies in (Nyíri 2004) und geht primär der Frage nach, wie und ob enzyklopädisches Wissen im 21. Jahrhundert möglich ist bzw. sein könnte. Im Seminar soll seine Argumentation erörtert und ggf. bewertet werden. Um hierfür den Einstieg in eine sich dem Vortrag anschließende Diskussion über Nyíris komplexe Ansichten zu erleichtern, wäre es also vorteilhaft, wenn alle Seminarteilnehmer den erwähnten Text zuvor lesen würden.

Jan Fridrich, 15.01.2015

Anmerkungen

In den beiden Texten "Vernetztes Wissen" und "The Networked Mind" von Kristóf Nyíri steht das Verhältnis von Vernetzungsaspekten und Wissen im Vordergrund. Während dabei im ersten Text "kommunikationstechnologische und kommunikationsgeschichtliche" Aspekte und Fragen der Überschaubarkeit und Überschaubarmachung von Wissen thematisiert werden, geht es im zweiten Text um Analogien zwischen Netzwerken von Wissen und physiologischen Netzwerken etwa der Gehirne von "Wissenden". Motiviert werden die beiden Etüden durch die Frage, ob die Hyperlink-Vernetzungsstrukturen ausdrucksmächtigere Wissensdarstellungen ermöglichen als die "linearen Erzählungen", welche das Zeitalter des Buchdrucks präg(t)en. Das Ganze gipfelt in der Frage, welchen Einfluss derartige Vernetzungsformen auf die Möglichkeit und die Formen enzyklopädischer Projekte im digitalen Zeitalter haben. Heute – 10 Jahre später – ist wenigstens die Frage der Möglichkeit durch den Siegeszug von Wikipedia in gewisser Weise beantwortet.

Die Vortragenden wendeten sich zunächst der Frage zu, was überhaupt ein Netzwerk sei. Die Fundstellen in Nachschlagewerken waren dazu wenig ergiebig, denn später spielte vor allem ein mathematischer Netzwerkbegriff als Graph mit verschiedenen Eigenschaften eine Rolle. Der Begriff der "small worlds" wurde gestreift, ohne aber die Frage aufzugreifen, die mit derartigen Ansätzen in einem mathematischen Kontext verfolgt wird: Unter welchen Randbedingungen existieren möglichst ausfallsichere Netze, die sich mit geringen Ressourcen (also als Graphen mit möglichst wenigen Kanten) realisieren lassen? Eine solche Frage ist sowohl praktisch interessant, wenn es um den Bau neuer Netze (Computernetze, Energienetze, Verkehrsnetze) geht, als auch für das Verständnis natürlicher Vernetzungsstrukturen, bei denen zu erwarten ist, dass höhere Ausfallsicherheit einen evolutionären Vorteil mit sich bringt und sich deshalb derartige Netzstrukturen durchsetzen. Herr Kleemann wies in der Diskussion darauf hin, dass bei solchen Betrachtungen gewöhnlich drei Netzwerkarten unterschieden werden:

  1. Zentralisierte Netze wie z.B. der Blutkreislauf. Der Ausfall des Zentrums (etwa beim Herzinfarkt) führt zum Ausfall des gesamten Netzes.
  2. Föderierte oder dezentrale Netze (etwa die Postverteiler) sind solche, die lokal über zentrale Knoten laufen, so dass der Ausfall eines solchen Verteilknotens zwar nicht das ganze Netz lahmlegt, aber einen gewissen lokalen Bereich.
  3. Verteilte Netze sind so vermascht, dass bei jedem Ausfall einer kleineren Menge von Knoten der Betrieb insoweit aufrecht erhalten werden kann, als noch immer alle im Netz verbliebenen Knoten paarweise verbindbar sind.
Diese Eigenschaft (3) lässt sich als Eigenschaft des Verbindungsgraphen formulieren: Finde Ausdrücke für d(n) und k(n), dass ein zusammenhängender Graph dieser Art mit n Knoten und k(n) Kanten zusammenhängend bleibt, wenn man aus ihm d(n) Knoten entfernt (d wie Defekte). Diese Eigenschaft hat natürlich der vollständige Graph, in welchem je zwei Knoten direkt miteinander verbunden sind. Die Herstellung dieser vielen Verbindungen ist allerdings teuer, so dass man in der Theorie der small worlds nach Graphenklassen fragt, in denen die Zahl der Kanten k(n) deutlich geringer (linear in n) ist, die bei d(n) Defekten aber immer noch zusammenhängend bleiben.

Diese Frage soll hier allerdings nicht weiter vertieft werden, denn sowohl für Diskussionen auf der Basis der Fiktion eines Internets mit universell verfügbaren Ende-zu-Ende-Verbindungen zwischen je zwei Knoten als auch für ein Verständnis von enzyklopädischen Projekten bleiben die (computernetztechnischen bzw. neurophysiologischen) Spezifika dieser Vernetzungsstrukturen transparent. Da ist eher schon die in der Diskussion aufgeworfene Frage relevant, ob überhaupt ein solcher Fokus auf Netzstrukturen sinnvoll sei, da in beiden Fällen die über diesen Netzen operierenden Signalmuster eine wesentlich zentralere Bedeutung für die faktische (und praktische) Wirksamkeit dieser Netzstrukturen haben.

Im zweiten Teil des Vortrags wurde das Thema enzyklopädischer Projekte im digitalen Zeitalter aufgenommen und (mit Nyíri) Lyotards These zu "postmodernem Wissen" auf den Prüfstand gestellt, dass das Projekt der Moderne und der Aufklärung mit seinem Anspruch der Legitimation einer allgemein verbindlichen wissenschaftlichen Rationalität gescheitert sei und in eine Vielzahl von Diskursen mit je eigenen Regeln und Aussageverknüpfungen ("Sprachspielen") aufzulösen sei. In der Diskussion stand die Frage, ob man mit einer solchen individuenzentrierten Sicht auf die Reproduktion von Wissen und dem Verständnis eines enzyklopädischen Projekts als eines großen "Werks" wirklich der Thematik gerecht werde.

Selbst für die großen Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts standen als innere Motivation oft andere Fragen im Vordergrund als die Wirkung, welche die Enzyklopädien dann im 19. Jahrhundert als bürgerliches "Konversationslexikon" entfalteten. Der enzyklopädische Prozess ist als Tradierung und Weitergabe von Wissen umfassender zu verstehen. Nicht im enzyklopädischen Text selbst, sondern erst im Kontext der Unterweisung, Aus- und Weiterbildung usw. wird die praktische Wirksamkeit des aktuell gesamtgesellschaftlich verfügbaren Verfahrenswissens reproduziert. Ein solcher Kontext ist aber mehr als die Tradierung allein von Text und reicht mit seinen Wurzeln einer Volksbildung (etwa mit Adam Rieses "Coß") auch historisch weiter zurück. Kommunikationsfähigkeit über Diskursgrenzen hinweg ließ sich dabei auf der Basis gemeinsamer Praxen bisher noch immer herstellen. Mit der Einheit und inzwischen auch globalen Nähe der Auswirkungen auch scheinbar getrennter Praxen wäre ein gemeinsames "enzyklopädisches Projekt" in einem solch umfassenden Sinne dringlicher denn je. Ein derartiges Projekt ist aber in einer Welt "geistiger Eigentümer" deutlich schwieriger umzusetzen als unter den Bedingungen einer Offenen Kultur.

Hans-Gert Gräbe, 23.01.2016


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