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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2015-06-30


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Digitale Kunst

Termin: 30. Juni 2015, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Thema: Digitale Kunst.

Vortrag und Diskussion mit Lydia Woldach und Marcus Scheffel.

Ankündigung

Wo früher Papier und Leinwände, zahlreiche Stifte und Töpfe mit Farben und Pinseln das Atelier eines Künstlers ausmachten, ist es heute oft nur noch ein einziger Tisch mit einem Computer, denn Digitalisierung macht auch vor Kunst keinen Halt. Moderne Medien, Technik und Software machen Künstlern jeden Bereiches neue Möglichkeiten der Kreativität Entfaltung und auch Selbstvermarktung zugänglich.

Dabei benutzen wir das wohl offensichtlichste Beispiel für ‘Digital Arts’, Zeichnen und Malen, um die Unterschiede zum “traditionellen” Equivalent genauer zu beleuchten und welche Konflikte sich sowohl für den digitalen Künstler als auch den Käufer/Konsumenten auftun können.

Lydia Woldach, Marcus Scheffel, 25.06.2015

Anmerkungen

Welchen Einfluss hat der digitale Wandel auf "die Kunst"? Kunst und Technik waren schon immer wie Zwillinge eng verbunden – große Künstler waren meist auch gute Techniker, große Techniker oft passable Künstler. Kunst als komplexe Reflexionsform menschlichen Tätigseins bringt selbstverständlich auch alles verfügbare Verfahrenswissen und -können zum Einsatz. Unter den Begriff digitale Kunst wurden in diesem Sinne im Vortrag alle Kunstformen gefasst, in denen Computertechnologien oder digitale Beschreibungsformen eine wichtige Rolle spielen.

Eine erste Frage ergab sich aus dem Wechselspiel von Kunstformen, Techniken und Ausdrucksformen: Neue Techniken wie digital painting erweitern zwar die Ausdrucksmöglichkeiten und senken möglicherweise Zugangshürden, aber führen sie auch zu neuen Ausdrucksformen? Ist digitale Kunst mehr als alter Wein in neuen Schläuchen?

Die Diskussion drehte sich jedoch zunächst um ein anderes Thema: Welche Veränderungen bewirkt der digitale Wandel im Kunstbetrieb? Welche Auswirkungen haben die in anderem Kontext bereits mehrfach thematisierten ökonomischen und rechtlichen Auseinandersetzungen um die Gestaltung des digitalen Wandels auf diesen Bereich? Alte Geschäftsmodelle, die stark auf dem Konzept des Unikats oder (kontrolliert) limitierter Auflagen aufsetzen, geraten mit der Einfachheit digitalen Kopierens unter Druck.

Mit ausbleibenden Geldflüssen trocknen entsprechende gesellschaftliche Infrastrukturen aus, die vielen Künstlern bisher die finanziellen Mittel für eine karge bis auskömmliche Existenz garantierten, damit aber auch Kunst und Kunstformen in "Mainstreams" kanalisierten. Viel ist im Umbruch, aber hat das mit "Kunst" zu tun oder "nur" mit der Art, wie Künstler "ihre Brötchen verdienen"? Die "Brötchenfrage" ist allerdings eine virulente Frage, die immer wieder auch im Kontext von Freier Software und Selbstentfaltung diskutiert wird.

Was also ist Kunst? Um diese bereits auf der ersten Vortragsfolie aufgeworfene und mit einer Reihe von Zitaten untermauerte Frage kommt kaum herum, wer sich dem Thema "digitale Kunst" auch auf der Ebene der Ausdrucksformen nähern möchte. Die Frage erweist sich schnell als komplex und korrelliert mit der Frage nach dem Kern unseres Menschseins schlechthin. Mit der naheliegenden Frage, ob "Kunst und Wirkung" auf "Bewirken von Kunst" und damit ein Macher-Rezipient-Muster sinnvoll reduziert werden kann, sind wir bereits bei einer fundamentalen Frage unserer technisierten Gesellschaft als Ganzem angekommen – in welchem Umfang kann Wirken auf Bewirken reduziert werden? Gibt es neben dem durch Bewirken Intendierten auch nicht intendierte Effekte und welchen Stellenwert haben letztere? Lässt sich menschliches Handeln auf "rational choice" reduzieren – eine durch den Umfang gesellschaftsmächtig verfügbaren Verfahrenskönnens naheliegende Perspektive, sich primär auf die Auswahl angemessener Mittel für Tätigwerden zu konzentrieren? Eine solche Perspektivbeschränkung, die Joseph Weizenbaum bereits 1976 in seinem Buch "Macht der Computer und Ohnmacht der Vernunft" vehement kritisierte, hat uns seither im Machbarkeitswahn der Industriegesellschaft zu einer veritablen Krise von Menschsein insgesamt geführt.

In der Vorlesung wurde diese Problematik im Begriff der "Janusköpfigkeit von Technik" gefasst, dass Technikeinsatz niemals nur intendierte Effekte bewirkt, sondern stets auch kollaterale Wirkungen hervorruft. Diese Differenzen werden im Spannungsfeld von begründeten Erwartungen und erfahrenen Ergebnissen aufgefangen und gesellschaftlich reflektiert. Dieses Spannungsfeld bearbeiten Kunst und Technik auf je eigene Weise. Während im Technikeinsatz das Bemühen um Bedingtheiten im Vordergrund steht, unter denen das zu Bewirkende und das Wirkende konvergieren, thematisiert Kunst (nicht nur, aber) stärker das Kollaterale.

Ein Begriff von Kunst zu entwickeln – so Herr Kleemann sinngemäß – ist damit ein Vorhaben, das (noch) unbeschriebene Kollaterale beschreibbar zu machen und damit seit 50.000 Jahren – seit man aus heutiger Kenntnis heraus von Menschheiten sprechen kann – in perpetual status nascendi.

Hans-Gert Gräbe, 3.7.2015


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