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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2015-05-26


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IT-Einsatz in Katastrophengebieten

Termin: 26. Mai 2015, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Thema: IT-Einsatz in Katastrophengebieten

Vortrag und Diskussion mit Robert Karl und Dorian Dahms.

Ankündigung

In unserem Vortrag soll im Wesentlichen die Leitfrage „Katastrophen ohne Folgen im Jahr 2100 – Eine Utopie?“ diskutiert werden. Dabei soll zuerst das Themengebiet der Katastrophen definiert und eingegrenzt werden. Ein kurzer Vergleich von einem Erdbeben von 1930 und einem ähnlichen im Jahr 2012 sollen den Fortschritt auf dem Gebiet der Katastrophentechnologie aufzeigen. Die Leitfrage soll dann mithilfe von bestehenden Entwicklungen und Ideen zum Thema Katastrophenmanagement diskutiert werden. Hierbei geht es dann um Entwicklungen wie Apps, Software, Drohnentechnologie und ähnliches. Die anschließende Diskussion soll sich unter anderem mit der Möglichkeit von „Big Data“ bezüglich des Katastrophenmanagements und der menschlichen Haltung zur Entwicklung befassen.

Dorian Dahms, Robert Karl, 19.05.2015

Anmerkungen

Die im Vortrag entwickelte sehr optimistische Sicht auf zukünftige Möglichkeiten der Minimierung oder gar Vermeidung von extremen Katastrophenfolgen wurde in der vorgetragenen Generalität in der Diskussion deutlich in Frage gestellt.

Der Vortrag selbst beschränkte sich auf die Betrachtung von Erdbeben in Europa zu verschiedenen Zeiten und fasste den Begriff Katastrophe als regionales Schadensereignis, dessen Auswirkungen nicht allein mit regionalen Kräften zu bewältigen sind. Diese Definition fokussiert sehr stark auf technische Aspekte des Katastrophenmanagements und blended auf eigentümliche Weise die Menschen sowohl als Betroffene als auch Akteure aus. Im Gegenteil, Menschen werden als Hindernisse thematisiert, die einem "effizienten" technischen Katastrophenmanagement eher im Weg stünden, welches von Katastrophenmanagern und deren Computern als Entscheidungsunterstützungssystemen geprägt wird.

In diesem Sinne wurden vielfältige technische Artefakte und Infrastrukturen vorgestellt, die bei der Bewältigung von Katastrophenfolgen eingesetzt werden könnten, ohne darüber zu diskutieren, ob hierfür die erforderlichen Einsatzbedingungen existieren oder Einsatznotwendigkeiten bestehen. Die Bedarfe klassischer Katastrophenmanagementstrukturen entwickelter Industrieländer, wie sie etwa in Deutschland mit dem THW oder dem Roten Kreuz existieren und die ebenfalls von neuen digitalen Technologien profitieren, wurden nicht betrachtet.

In der Diskussion ging es zunächst um den Katastrophenbegriff selbst:

  1. Ist es nicht selbst bei Erdbeben zu eng gesehen, wenn allein auf die Rettung von Menschen und den Wiederaufbau zerstörter Infrastrukturen geschaut wird? Was ist mit den Schadenspotenzialen zerstörter technischer Infrastrukturen wie im Beispiel Fukushima, die lange vor der Katastrophe selbst thematisiert werden können? Welche Rolle spielt Prävention und in welchen Dimensionen?
  2. Sind Katastrophen nur das, was medial als Katastrophe passiert oder gar inszeniert wird? Was ist mit Hunger- und Flüchtlingskatastrophen?
An dieser Stelle wäre ein Brückenschlag zur Vorlesung und der dort entwickelten Argumentation zu "Technik und Vertrauen" spannend gewesen, in der "normales" menschliches Handeln auf einer Ebene 2 als "Handeln in Bedingtheiten" gefasst wird. In einem solchen Verständnis wäre zu unterscheiden zwischen Katastrophen erster Art als "plötzliche" Zerstörung dieser Bedingtheiten, die in einem Aktionsmodus der Wiederherstellung reproduziert werden können, und Katastrophen zweiter Art als langfristigen gesellschaftlichen Prozessen, die Bedingtheiten selbst aushebeln ohne Perspektive. Eine solche Unterscheidung lässt sich sinnvoll aber erst auf der Betrachtungsebene 3 der Vorlesung vornehmen.

Katastrophenmanagement, in dem vordergründig einschlägiges Verfahrenswissen, technisches Können und technische Artefakte – die drei Dimensionen des in der Vorlesung entwickelten Technikbegriffs – zum Einsatz kommen, kann nur im Kontext von Katastrophen der ersten Art angewendet werden. Von einer Außenperspektive betrachtet verhalten sich dabei menschliche Populationen wenig anders als Ameisen, deren Ameisenhaufen beschädigt wurde – es werden alle verfügbaren Kräfte und Strukturen mobilisiert, um eine Schadensbegrenzung zu erreichen und die Bedingtheiten für einen "normalen" Betrieb möglichst zügig wieder herzustellen. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn das Schadensereignis eine gewisse Dimension nicht überschreitet. Insofern bedarf der Begriff "Katastrophe", in dessen Folge Katastrophenmanagement überhaupt möglich ist, bezüglich der Schadensdimension nicht nur einer Abgrenzung nach unten ("nicht mehr mit regionalen Mitteln zu bewältigen"), sondern auch nach oben.

Katastrophenmanagement als Teil einer techno-sozialen Infrastruktur entwickelter Industrieländer arbeitet in den begleitenden Beschreibungen – auch Katastrophenmanagement ist ohne Handlungsplanung nicht denkbar – mit multiplen derartigen "Schadensintervallen", die in Eskalationsszenarien eingebunden sind. In derartigen Konzepten spielen weiterhin nicht nur das Management real eingetretener Katastrophen eine Rolle, sondern auch Aspekte der Prävention, indem etwa in erdbebengefährdeten Gebieten Gebäude auf spezielle Weise errichtet werden, die von ihrer Bauart her nicht gleich beim ersten Erdstoß wie Kartenhäuser zusammenfallen. Diese Aspekte spielten allerdings weder im Vortrag noch in der Diskussion eine Rolle.

Im letzten Teil der Diskussion wurde eher die Innenperspektive des "menschlichen Ameisenhaufens" betrachtet und Selbstorganisationsprozesse thematisiert, in denen die Grenze zwischen Betroffenen der Katastrophe und Akteuren des Katastrophenmanagements nicht mehr einfach gezogen werden können. Die Frage stand im Raum, ob es nicht vollkommen abwegig sei, Katastrophenmanagement primär unter technischen Aspekten zu betrachten, da es im Schadensfall vor allem die realen gesellschaftlichen Strukturen mit ihren Autoritäts-, Wissens- und Akteurspotenzialen seien, welche bestimmend für die Dynamik der Wiederherstellung "normaler" Bedingungen sind und global prinzipiell vorhandenes technisches Wissen nur in dem Umfang zum Einsatz kommen kann und wird, in welchem es in jenen gesellschaftlichen Strukturen überhaupt bewegbar ist.

Hans-Gert Gräbe, 27.5.2015


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