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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
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Open Culture am Beispiel von Wikipedia

Termin: 25. November 2014, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-12

Thema: Open Culture am Beispiel von Wikipedia - Informatorischer Mehrwert oder Qualitätsverlust? Vortrag und Diskussion mit Tamara Winter und Sarah Cujé.

Ankündigung

Die zentrale Fragestellung unserer Präsentation lautet: „Welche möglichen Auswirkungen ergeben sich aus der Open Source Bewegung für den Journalismus und die Gesellschaft?“. Dabei möchten wir zunächst traditionelle Darstellungsformen des Journalismus beleuchten, wobei der Fokus auf den informatorischen Formen liegen wird.

Der Recherche seitens des Kommunikators kommt eine besondere Bedeutung zu, die sich jedoch bedingt durch aktuelle Entwicklungen und die Digitalisierung zunehmend verändert. Diese ist gerade im Hinblick auf die strukturelle Spannung zwischen kommerzieller Aufgabe und gesellschaftlicher Qualität kritisch zu betrachten. Daran anknüpfend werden wir die Studienergebnisse von Professor Dr. Machill und Professor Dr. Beiler (2012) vorstellen (Verfügbar unter: Infokompass).

Hinsichtlich der Informationsquellen von Journalisten und der Tendenz zur Selbstreferentialität werden wir genauer auf Wikipedia als Teil der Open Source Bewegung eingehen. Dies wirft die Frage auf, inwieweit journalistische Gütekriterien wie beispielsweise Objektivität, Gültigkeit und Verständlichkeit überhaupt noch erfüllt sind.

Neben dieser kommunikatorzentrierten Betrachtung wird im zweiten Teil des Referats die Perspektive der Rezipienten verdeutlicht, indem wir eine Nutzertypologie der Internet User präsentieren. Abschließend werden wir auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung Bezug nehmen und mögliche Risiken aufzeigen.

Sarah Cujé, Tamara Winter, 13.11.2014

Anmerkungen

Wikipedia gehört neben den großen Open Source Software Projekten wie Linux, Apache, Eclipse oder Mozilla, die scheinbar unberührt von kapitalistischen Profitmechanismen ihren weltweiten Siegeszug fortsetzen, zu den Flaggschiffen eines neuen kulturellen Verständnisses des Umgangs mit Wissen, das die Weisheit der Vielen als wichtige Quelle neben die Weisheit der Experten stellt - der Wissenden im Sinne von Mittelstraß, die Wissenschaft zum Beruf machen können und machen dürfen.

Gerade bei Wikipedia wird mit der Gründung von Wikimedia als "internationaler gemeinnütziger Organisation, die Freies Wissen fördert", mittlerweile deutlich, dass sich gewisse Formen bürgerlicher institutioneller Organisation kaum vermeiden lassen. Regelmäßige Aufrufe zur Finanzierung des Projekts durch Spenden lassen hehre Visionen einer Kostenlos-Kultur ebenso an den harten "Fakten der Realität" zerschellen wie die Visionen einer Mitmach-Enzyklopädie an den mittlerweile deutlichen Einstiegshürden, welche die Regeln institutioneller Organisation mit sich bringen.

Es bleibt also zu fragen, was Wikipedia wirklich auszeichnet, denn eine faktische Sonderstellung der Wikipedia unter den enzyklopädischen Projekten der Neuzeit ist unbestreitbar. Während alte enzyklopädische Projekte wie der "Brockhaus" oder die "Encyclopaedia Britannica" ihre Ausflüge in den Online-Bereich nach kurzer Zeit grundlegend modifiziert haben, auch die Printausgaben nicht mehr neu auflegen [1,2] und Microsofts "Encarta" 2009 eingestellt wurde, boomt die junge, vor nicht einmal 15 Jahren gegründete Wikipedia nach wie vor.

Es wäre also zu erwarten gewesen, dass sich der Vortrag von dieser enzyklopädischen Seite dem Phänomen Wikipedia nähert. Die Referentinnen wählten den Zugang von einer anderen Seite - der Auswirkung auf journalistische Praxen. Auch wenn dies mit Blick auf ihr Studienfach nachzuvollziehen ist, begaben sie sich damit allerdings mitten hinein in ein Knäuel widersprüchlicher Entwicklungen, mit denen das journalistische Tagesgeschäft im Zuge des digitalen Wandels, der Ablösung von Print- durch Online-Medien und geringer Einstiegshürden für "Laien" in die "Blogosphäre" konfrontiert ist, die aber nur wenig mit dem Phänomen "Wikipedia" zu tun haben. Das Wegbrechen klassischer Finanzierungsmodelle erhöht den Druck zur Uniformisierung und Wiederverwendung von leicht zugänglichem journalistischen Material; Qualitätsjournalismus gerät dabei zunehmend unter die Räder, wie wir bereits 2011 in einem Gespräch mit Prof. Marcel Machill (Journalistik, Uni Leipzig) unter dem provokanten Titel "Die Macht des Internets und die Ohnmacht der Medien" herausgearbeitet hatten.

Die Brücke zwischen Journalismus und Wikiedia ist schmal - auch Journalisten nutzen Wikipedia gern als Einstieg in die eigene Recherche. Damit hat Wikipedia eine ähnlich präformierende Wirkung wie Google - die dort aufgeführten Argumente und Quellen, so "objektiviert" sie auch scheinen mögen, bestimmen den öffentlichen Diskurs, andere Quellen und Positionen werden "automatisch" marginalisiert. Dies spannt einen ersten Bogen zur Wirkung enzyklopädischer Projekte im Allgemeinen, der hier in Frageform präsentiert sei: Welche Rolle kommt Enzyklopädien bei der Herausbildung eines "objektivierten" Wissenskanons, einer "Wissensstrukturierung", zu? Was waren die Gründe für die französischen Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts, ein solches wissenssystematisierendes Projekt im Vorfeld der französischen Revolution überhaupt in Angriff zu nehmen? Und welche umfassendere Bedeutung hat dabei die Herausbildung eines solchen "Wissenskanons", dessen sich das "gebildete Bürgertum" als "Konversationslexikon" versicherte, worauf Herr Kleemann hinwies? Wir haben dies bereits 2012 in einer Diskussion mit Prof. Ulrich J. Schneider (Direktor der UB der Uni Leipzig) zu "Autoren und Wissenswelten im digitalen Wandel" genauer beleuchtet.

Gleichwohl scheinen solche Fragen den Kern der Bedeutung von Wikipedia nicht zu treffen, denn einer Wissenssystematisierung sehen sich auch andere moderne enzyklopädische Projekte verpflichtet, von den genannten Universalenzyklopädien über verschiedene Arten von thematischen Wörterbüchern bis hin zu großen Monographien in einzelnen Wissensgebieten. Wikipedia unterscheidet sich von jenen primär nach klassisch-akademischen "expertokratischen" Prinzipien organisierten Wissensprojekten vor allem durch eine neue Form der Wissensorganisation. Eine solche Erkenntnis gegen Ende unserer Seminardebatte wird weiter zu vertiefen und zu detaillieren sein.

  • [1] "Der Verlag »wissenmedia« mit den Handelsmarken Brockhaus, Bertelsmann Lexikon und Chronik hat sein Buchhandelsgeschäft zum 01.02.2014 eingestellt. Wir möchten uns für Ihre langjährige Treue und Verbundenheit mit unserem Haus ganz herzlich bedanken!" ( Quelle)
  • [2] Am 13. März 2012 gab der Verlag bekannt, dass die Enzyklopädie in Zukunft ausschließlich digital erscheinen werde. ( Quelle)
  • [3] Die Enzyklopädie Encarta hat den Kampf gegen Wissensgigant Wikipedia aufgegeben: Noch in dieser Jahreshälfte beendet Microsoft die Produktion seiner Software und schließt bis Ende 2009 alle Online-Ausgaben. ( Quelle)
Hans-Gert Gräbe, 1.12.2014


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