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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2014-06-24


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Auswirkungen digitaler Technologien auf den Musikmarkt

Termin: 24. Juni 2014 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Thema: Auswirkungen digitaler Technologien auf den Musikmarkt - Label, Verlage Künstler

Mit einem Einstiegsbeitrag von Joachim Kern.

Ankündigung

Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern sich der gesamte Musikmarkt in der Generation der „Digital Natives“ weiterentwickeln muss beziehungsweise bereits musste, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, aber auch den maximalen Nutzen aus neuen Technologien zu ziehen. Denn entgegen der ersten Gedanken (Urheberrechtsschutz, Raubkopien) hat die heutige Präsenz des Internets im Alltag der Menschen nicht ausschließlich negative Konsequenzen für den Musikmarkt, sondern durchaus auch positive. Ebenfalls wird die Gesetzgebung kurz angesprochen, in beiden Fällen stehen die Verantwortlichen vor dem Problem, dass die technische Entwicklung immer schnellere Fortschritte macht, auf die von Seiten der Industrie und Rechtsprechung nur reagiert werden kann.

Betrachtet wird dazu die Wertschöpfungskette der Musikwirtschaft, beginnend bei der Schaffung der Musik/Kunst und endend beim Konsum dieser, von denen jeder Teil dann einzeln in Vergangenheit und Gegenwart betrachtet wird, wodurch die Vor- und Nachteile der Digitalisierung verdeutlicht werden sollen. In den letzten 20 Jahren hat sich diesbezüglich in jedem Bereich viel verändert. Es wird sich zum Abschluss die Frage stellen, inwiefern die Musikwirtschaft zurzeit überlebensfähig und angepasst an die Außenbedingungen ist, und ob dieser Stand in Zukunft gehalten oder verbessert werden kann.

Joachim Kern, 16.06.2014

Anmerkungen

Im Vortrag wurde der Einfluss technischer Entwicklungen auf das Geschäft mit Musik genauer untersucht, welches sich mit wechselnden Anteilen auf verschiedene Akteure längs der Wertschöpfungskette ähnlich der des Buchhandels verteilt. Dabei wurden vier größere Einschnitte seit Ende des 19. Jahrhunderts identifiziert:

1) Die Erfindung des Phonographen und Grammophons Ende des 19. Jahrhunderts als Basis eines neu entstehenden Plattengeschäfts. Vorher war Musik ausschließlich in Form von Liveauftritten ökonomisch verwertbar. Da beide Verwertungsformen auf Konsumprodukte ausgerichtet sind, greifen klassische Geschäftsmodelle. Aus einem Masterrecord können allerdings viele Kopien hergestellt und verkauft werden, was die dominierende Rolle von Plattenfirmen im Musikgeschäft jener Zeit erklärt. Hohen Gewinnen stehen allerdings hohe Investitionskosten in die erforderliche Infrastruktur gegenüber, die nur für genügend kapitalkräftige Marktakteure überhaupt zu stemmen sind. Für Platten sind – ähnlich Büchern – rechtliche Vorkehrungen gegen Raubkopien zu treffen, die aber mit Blick auf die hohen technischen Hürden noch kaum eine Rolle spielen.

2) Mitte der 1920er Jahre entstehen mit der Erfindung des Radios als Broadcastmedium neue Wege des "Musikkonsums". Neben Liveaufführungen tritt nun die öffentliche Aufführung von Musik aus der Konserve, die für den Endverbraucher einen eingeschränkten Musikgenuss zum Nulltarif ermöglicht. Mit dem Rundfunk gewinnen insbesondere verschiedene Formen der "leichten Musik" an Bedeutung. Mit der wachsenden Rolle von Broadcastquellen steigen wiederum die Marktkonzentration und zugleich die finanziellen Einstiegshürden für die erforderlichen Investitionen in Infrastrukturtechnik.

3) Mit der Weiterentwicklung und damit deutlichen Verbilligung der entsprechenden technischen Infrastruktur werden in den 1950er Jahren Plattenherstellung und Broadcastmöglichkeiten auch für kleinere Akteure erschwinglich. Zusammen mit einer Gesetzesänderung in den USA öffnet sich damit ein Fenster für kleinere Radiostationen mit lokalem Bezug und es kommt zu einer Dezentralisierung eines Teils des Musikgeschäfts.

4) Die Vereinfachung der technischen Zugangsbedingungen zu Musikkonserven setzt sich mit der Verfügbarkeit digitaler Formate seit den 1990er Jahren verstärkt fort. Nach Kassette und CD als Zwischenstufen noch mit stärkerer Trägerbindung und damit Vorteilen eines industriellen Herstellungsprozesses schreitet mit MP3 als neuem digitalem Musikformat die Ablösung der Musikkonserven vom Träger weiter voran.

Die dabei auftretenden Probleme mit der bisherigen faktischen und rechtlichen Organisation des Vertriebs von Musikkonserven sind vielfältig:

  • Urheber- und Vertriebsrechte können leicht umgangen werden; die Durchsetzung solcher Rechte erfordert immer umfangreichere technische, rechtliche und juristische Anstrengungen, was unmittelbar auf entsprechende Return on Invest Rechungen und damit Geschäftsmodelle durchschlägt.
  • Dies führte seit Ende der 1990er Jahre zu einer fundamentalen Krise der Tonträgerindustrie, die allerdings auch in der bisherigen Form technologisch überholt ist und sich auf qualitativ hochwertige Erstellung von Musikkonserven in Studioaufnahmen konzentrieren muss.
  • Die Verbreitungswege der digitalen Samples solcher Arbeiten sind deutlich schwerer zu kontrollieren als im vordigitalen Zeitalter, da digitale Kopien ohne Qualitätsverlust möglich sind.
Zugleich eröffnen sich mit der einfacheren Verfügbarkeit entsprechender Aufzeichnungstechnik die Spielräume für einen "Heimwerker- und Bastlermarkt", in dem Kreative wieder stärker selbst Musik machen und die Verteilung derartiger Musikkonserven selbst organisieren. Solche Verschiebungen in Richtung von "Prosumenten"-Konzepten sind bei vielen technologischen Wandlungsprozessen in einem gewissen Reifestadium zu beobachten, in dem die Technikhersteller ihre ursprüngliche Zielgruppe industrieller Fertigung in Richtung technikaffiner Laien erweitern und damit einen offensichtlich auch ökonomisch potenten neuen Markt erschließen.

Dabei verschieben sich die Schwerpunkte von einer Musikindustrie hin zu einer Musiktechnikindustrie und ändern sich auch Momente in der Wertschöpfungskette:

  • Der traditionelle Einzelhandel wird um die Komponente des Onlinehandels erweitert. Dies ist keine exklusive Entwicklung auf dem Gebiet der Musikindustrie, hat dort aber mit Blick auf die technischen Charakteristika moderner Musikkonserven besonders einschneidende Wirkungen.
  • Der Onlinevertrieb kann als direkte Leistung des Labels mit anderen Nutzungsformen (Konzertauftritte, Eventmarketing) verknüpft werden, da mit Blick auf die geringeren technischen Hürden die Produktion der Musikkonserven wieder in die Labels (als "Musikverleger") zurückverlagert werden kann.
  • Damit rücken die Marketingaktivitäten wieder näher an die Künstler selbst heran, die im Spannungsfeld zwischen Künstler und Label auch online stärker interaktiv gestaltet werden können.
Solche interaktiven Möglichkeiten öffnen allerdings auch den "Kunden", also den Fans der Musiker, neue Freiräume zur Vernetzung, was aus der Sicht alter Geschäftsmodelle, die sich an einem klassischen Verständnis von Wertschöpfungsketten orientieren, sehr problematisch ist.

In diesem Spannungsfeld sind in den letzten Jahren Downloadplattformen wie Apples I-Tunes, Streamingdienste wie Spotify, allgemeine Online-Shops wie Amazon oder Social Media Seiten mit neuen Geschäftsmodellen entstanden, in denen nicht mehr einzelne Musikkonserven als Produkte im Vordergrund stehen, sondern komplexe, sich über die Zeit weiterentwickelnde Produktbündel mit Kanalcharakter, die Fans als Nutzer und Kunden unterstützen, die Aktivitäten ihrer Künstlerfavoriten zu verfolgen.

Mit einem solchen Geschäftsmodell ändert sich aber auch Rolle und Selbstverständnis der Label. Während früher die Musikdistribution im Vordergrund stand, bieten viele Label heute den unter Vertrag stehenden Künstlern eine "360°-Betreuung" an, die viel Ähnlichkeit mit der Autorenbetreuung durch Verlage hat. Dieses arbeitsteilige Vorgehen ermöglicht es den Autoren, sich auf die kreative Seite ihres Schaffens zu konzentrieren. Dies gilt auch für "independent labels" mit einer ähnlichen organisierenden Funktion in Nischenbereichen, die oft auf spezielle Lebensweisen fokussiert sind. Dabei entstehen oft ähnliche Organisationsstrukturen, wie wir sie in früheren Seminaren etwa für die LARP-Szene diskutiert hatten.

In der Diskussion wurde betont, dass technologische Wechsel seit den 1950er Jahren nicht nur unter dem Aspekt der Geschäftsmodelle betrachtet werden können, sondern innermusikalischen Prozessen – der Herausbildung einer E-Musik bis hin zu den großen Synthesizer-Gigs, in der sich die neuen technologischen Möglichkeiten auch in neuen Ausdrucks- und Produktionsformen von Musik selbst manifestieren – eine ähnliche Bedeutung für die Umgestaltung der Institutionen zukommt.

Hans-Gert Gräbe, 1.1.2015


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