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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2014-01-07


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Strukturintegration von Computern

Termin: 07. Januar 2014, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Der Computer wird zum unentbehrlichen Bestandteil der Struktur, sobald er total in die Struktur integriert ist, dass er nicht mehr herausgenommen werden kann, ohne unweigerlich die Gesamtstruktur zu schädigen.

Vortrag und Diskussion mit Michael-Johannes Georg

Ankündigung

„Computer“ haben ohne Frage heutzutage Einzug in unser alltägliches Leben gehalten, auch wenn wir nicht direkt mit ihnen zu tun haben. Insofern stellen sich die spannenden Fragen: „Was wäre, wenn der Computer nicht erfunden worden wäre ...?“ oder „Könnten wir auch ohne ...?“. Ich möchte in meinem Vortrag allerdings überhaupt nicht auf diese Fragen eingehen, denn man wird schnell merken, dass dies zu reiner Spekulation führt. Nein, das Thema nehme ich einmal als gegeben hin, und werde versuchen, die gesellschaftlichen und ökonomischen Ursachen und Wirkungen einiger Zustände und Zusammenhänge aufzuzeigen, die mehr oder weniger offensichtlich mit Computern zu tun haben. Dabei möchte ich mich auf einige von J. Weizenbaum vorgestellte Beispiele beschränken, die auch teilweise auf den ersten Blick überhaupt nichts mit Computern zu tun haben sollten.

Zuerst muss aber der Begriff „Computer“ erklärt werden, sowie eine kurze Bezugnahme auf vergangene Seminare stattfinden, um den Einstieg ins Thema zu erleichtern und nicht alle schon behandelten Themenbereiche von vorn zu behandeln. Zu diskutieren sein wird z. B., ob Weizenbaums Sicht auf heutige Verhältnisse übertragbar ist oder ob eine grundsätzlich andere Herangehensweise als die von Weizenbaum nötig ist, um die von Computern abhängige Welt überhaupt erst zu „überschauen“.

Michael-Johannes Georg, 19.12.2013

Handreichung zum Seminar

Weizenbaums genaues Zitat:

Der Computer wird zum unentbehrlichen Bestandteil jeder Struktur, sobald er so total in die Struktur integriert ist, so eingesponnen in die verschiedensten lebenswichtigen Substrukturen, dass er nicht mehr herausgenommen werden kann, ohne unweigerlich die Gesamtstruktur zu schädigen.

1. Computer (Verschiedene Bedeutungen bei Weizenbaum)
  • Vehikel, um bestimmte Ideen vorzutragen
  • Werkzeug, das die Gesellschaft in den Stand versetzt, gänzlich neue Formen des sozialen Handelns zu entfalten, jedoch gleichzeitig früher gebräuchliche Weisen des sozialen Handelns außer Kraft setzt
  • Maschine, die mit Symbolen manipuliert, nicht nur arithmetische Berechnungen schneller als früher durchführt
  • geeignet für ein abstraktes „Spiel“, dessen Grenzen nur durch den menschlichen Verstand gesetzt sind, nicht durch naturwissenschaftliche Gesetze der Computertechnik
  • Spielplatz, auf dem jedes erdenkliche Spiel möglich ist. Man kann Welten erschaffen (. . . ).
  • Instrument zur Zerstörung von Geschichte
2. Struktur (nach Duden Fremdwörterbuch)
  • Gefüge, das aus Teilen besteht, die wechselseitig voneinander abhängen.
  • [unsichtbare] Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander, gegliederter Aufbau, innere Gliederung
Weizenbaums Sicht der geschichtlichen Entwicklung
  • „Worin besteht die unwiderstehliche Kraft der Maschine, dass sie so weitreichende Konsequenzen für das hat, was der Mensch aus seiner Welt macht?“
  • Die Uhr hätte „durch die Trennung der Zeit von den menschlichen Ereignissen zur Entstehung des Glaubens an eine unabhängige Welt beigetragen.“
  • „Von jetzt an musste der Mensch neue Sinne entwickeln, um sich zurecht zu finden. [...] Man verwarf das Hungergefühl als Anreiz zum Essen; stattdessen nahm man seine Mahlzeiten ein, wenn [...] die Zeiger einer Uhr auf bestimmte Marken [...] wiesen [...]. Diese Verwerfung der unmittelbaren Erfahrung sollte zu einem der Hauptmerkmale der modernen Naturwissenschaft werden.“
  • „Jeder Denker gefährdet bestimmte Teile einer scheinbar stabilen Welt, und niemand weiß im voraus, was an deren Stelle treten wird.“ (John Dewey, zitiert bei Weizenbaum)
„Es ist ein Kennzeichen vergreister Kulturen, wenn neue Denkformen primär nach ihrer Verträglichkeit mit den traditionellen Denkformen beurteilt werden und nicht nach ihrer Wirkung in die Zukunft.“ (Karl Steinbuch)

„Dass unsere Gesellschaft sich zunehmend auf Computersysteme verlässt, die ursprünglich den Menschen beim Erstellen von Analysen und Treffen von Entscheidungen ’helfen’ sollten, die jedoch seit langem das Verständnis derjenigen übersteigen, die mit ihnen arbeiten und ihnen dabei immer unentbehrlicher werden, das ist eine sehr ernste Entwicklung.“

Gegen den Imperialismus der instrumentellen Vernunft (J. Weizenbaum)

  • „Aber obwohl eine wissenschaftliche Hypothese an sich weder auf der moralischen noch auf der ethischen Ebene angesiedelt ist, so setzt doch die Entscheidung eines einzelnen, sie [...] zu akzeptieren, in jedem Fall Werturteile voraus, [...].
  • „ im Grunde geht es bei der Ethik um nichts weniger als Verzicht.“
  • „[...] es gibt unendlich viele Fragen, die einer naturwissenschaftlichen Untersuchung zugänglich sind, während der Naturwissenschaft jedoch nur endlich viele Hilfsmittel zu Gebote stehen. Aus diesem Grund muss der Mensch eine Wahl treffen, [...].“
  • „Wissenschaftler, die nicht müde werden von ’Erkenntnis um ihrer selbst willen’ zu schwätzen, um dieses Schlagwort für ihre eigensüchtigen Ziele auszubeuten, haben die Wissenschaft und die Erkenntnis von jedem Kontakt mit der realen Welt befreit.“
  • „Die Rettung der Welt hängt nur von dem Individuum ab, dessen Welt sie ist.“
Karl Steinbuch, Automat und Mensch
  • „Auf keinen Fall scheint es erwiesen oder auch nur wahrscheinlich zu sein, dass zur Erklärung geistiger Funktionen Voraussetzungen gemacht werden müssen, welche über die Physik hinausgehen.“
  • „Offensichtlich machen also rein quantitative Ursachen ein Verständnis der menschlichen Denkvorgänge unmöglich.“
Klaus Fuchs-Kittowski
  • "Die Ambivalenz der Nutzungseffekte sowie der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungseffekte ergeben sich jedoch wesentlich aus der Reduktion der menschlichen (semantischen) auf die maschinelle (syntaktischen) Informationsverarbeitung"
  • Die genannten Grundeffekte (Nutzungseffekte, Gesamtgesellschaftliche Effekte, Verfügbarkeitseffekte) moderner IKT lassen sich zu grundlegenden gesellschaftlichen Entwicklungseffekten zusammenfassen: Verringerung des Arbeitsvolumens der Volkswirtschaft, mehr Freizeit und Bildung auf der einen Seite und eine größere Abhängigkeit von den IKT und damit verbunden eine erhöhte Verletzlichkeit der Informationsgesellschaft auf der anderen.
Quellen
  • Klaus Fuchs-Kittowski Zur Ambivalenz der Wirkungen moderner Informations- und Kommunikationstechnologien auf Individuum, Gesellschaft und Natur. Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin 112(2011), S. 161–184.
  • Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. suhrkamp 1994
  • Karl Steinbuch, Automat und Mensch, Springer Berlin, Heidelberg, New York 1971
Anmerkungen

In gewohnt kleiner Runde führten wir eine intensive Diskussion vor allem um die Frage, ob Steinbuchs Fortschrittsbegriff

Wo sich das geschichtliche Interesse jedoch der Naturwissenschaft und der Technik zuwendet, kann die Realität des Fortschritts nicht geleugnet werden. Man kann hier den Fortschritt präzise erklären: Er besteht darin, dass im fortgeschritteneren Zustand nicht nur die früheren Einsichten vorhanden sind und die früheren technischen Leistungen vollbracht werden können, sondern darüber hinaus auch noch neue, zusätzliche. In der Geschichte der Naturwissenschaft und Technik ist der Fortschritt nicht eine bestreitbare Fiktion, sondern die Vermehrung registrierbarer Leistungen.
Karl Steinbuch: Die informierte Gesellschaft. Stuttgart 1966. S. 7.

wirklich trägt oder wir "Verluste im Vorwärtsschreiten" (Fuchs-Kittowski mit Bezug auf Ernst Bloch, 1956) einrechnen müssen, wie groß diese Verluste denn seien, welches Maß hierfür geeignet sei oder bereits eine solche Frage nach dem Maß der Verluste auf einen Holzweg führt.

Herr Georg begann eine genauere Explikation der beiden Begriffe Computer und Struktur, die selbst bei Weizenbaum in sehr verschiedener semantischer Aufladung verwendet werden, um danach mit einer Reihe weiterer Thesen einen möglichen Diskussionspfad abzustecken.

In den Mittelpunkt der Diskussion rückte die Möglichkeit, den Computer zu nutzen als "Spielplatz, auf dem jedes erdenkliche Spiel möglich ist; man kann Welten erschaffen ...". Die Ambivalenz dieser knapp 40 Jahre später von Mittelstraß mit dem Bild der "schönen neuen Leonardowelt" neu aufgegriffenen Befürchtungen wurde bereits in mehreren Seminarterminen diskutiert. Neu hinzu kam die Überlegung, dass diese Möglichkeit der Erschaffung virtueller Welten in der Zeit des kybernetischen Wandels der 1960er Jahre den Grundstein legte für eine neue Erkenntnisform - die Computersimulation, die heute aus wichtigen Bereichen (Wetter, Klima, Forschung) nicht mehr wegzudenken ist. Die vielfältigen Experimente des homo ludens mit dieser neuen Form wurden an der kurzen Geschichte der "second world" Phase Anfang der 2000er Jahre thematisiert, die Konsequenzen auch militärischer Nutzung kurz eingeblendet. Heute ist eine zunehmend kritische Phase zu verzeichnen, in der die Frage lauter gestellt wird, ob denn wirklich nur das zähle, was in den Computer eingegeben sei.

Die kritische Distanz im Seminar zu Mittelstraß, die aus der Verschiedenheit der gezogenen Bilanzen über Gewinn und Verlust im aktuellen "Vorwärtsschreiten" resultiert, übertrug sich dabei auch auf Weizenbaums Buch. Wichtige Ansätze an (aus heutiger Sicht) hausbackenen Beispielen vorzutragen zeigt, dass hier (1) wohl doch eine andere reflektorische Leistung erforderlich ist und (2) die Frage nach den "Verlusten im Vorwärtsschreiten" jedes einzelne handelnde Subjekt für sich selbst thematisieren muss. Die Resultante eines solchen Ambivalenz von Technik einbettenden und diskursiv begleitenden Prozesses ist elementares Moment von Kultur.

Hans-Gert Gräbe, 26.01.2014


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