Hans Gert Graebe / Seminar Wissen / 2013-11-05 |
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Termin: 05. November 2013, 15.15 Uhr Ort: Seminargebäude, SG 3-10 Das Internet schafft eine seltsame Mischung aus Nähe und Ferne. Einerseits wird alles nah und gegenwärtig; jeder ist jederzeit – über Chatrooms, Facebook, You-Tube, Twitter – erreichbar. Andererseits hat diese Nähe eine neue Qualität; sie wird in gewissem Sinne belanglos. Vortrag und Diskussion mit Nele Bender
Heutzutage ist das Internet ein nicht mehr wegzudenkendes Kommunikationsmedium. Eine Mail, eine Nachricht über WhatsApp oder in einem Chat – wir können jederzeit und fast überall mit unseren Mitmenschen in Kontakt treten. Der Empfänger der Nachricht kann noch so viele Kilometer entfernt sein und wird sie dennoch innerhalb von Mikrosekunden erhalten, kann sie in den meisten Fällen direkt lesen und unmittelbar darauf reagieren. So entsteht ein Austausch, der in seiner Unmittelbarkeit einem persönlichen Zweiergespräch sehr nahe kommt. Dennoch gibt es auch SkeptikerInnen, was die Folgen dieser andauernden Erreichbarkeit und vermeintlicher Nähe für unser soziales Leben angeht. So wird die Qualität dieser Nähe in Frage gestellt. Unter anderem jene Skepsis werden wir in dieser Seminarsitzung diskutieren. Nele Bender, 30.10.2013
Das Thesenpapier von Jürgen Mittelstraß zu den Gefahren des Internet-Zeitalters, aus dem die These in der Überschrift entnommen ist, wurde im Seminar bereits vor einem Jahr sehr kontrovers diskutiert. Die Außen-Sicht eines renommierten Philosophen auf die Wichtung von Chancen und Gefahren einer Welt und die Innen-Sichten eigener Praxen der zu jenem Termin anwesenden Studierenden lagen zu weit auseinander, um das Credo des Philosophen "ihr seht das zu naiv" gelten zu lassen. Eine solche Sicht bestimmte auch den Einstiegsbeitrag von Frau Bender, wobei sie mit Blick auf die von Mittelstraß heraufbeschworenen Gefahren deutlich vorsichtiger argumentierte als die Studierenden in jenem Seminar. Dass dies in der Diskussion als historischer Pessimismus ausgelegt wurde, die höhere Wertung der Chancen durch andere Studierende also auch hier griff, war zu erwarten. Spannend an der Debatte ist aber nicht die in einer solchen Frage eingenommene (individuelle) Position selbst, sondern die Argumente, welche dafür und dagegen ins Feld geführt werden. Hier stand zunächst die Diskussion um einen angemessenen Begriff von Nähe im Mittelpunkt, denn die von Mittelstraß zitierte massive Entgrenzung privater Lebensräume, von Erinnerungen und Umgangsformen ist kein dauerhaftes Phänomen, sondern allenfalls einer gewissen zeitweisen Euphorie zuzuschreiben, die neue technische Mittel oft mit sich bringen. Die Frage, ob die Entgrenzung eine scheinbare ist, Grenzen durch diese neuen Medien also allenfalls weniger sichtbar werden und vielleicht stärker sozial zu konturieren sind als früher, führte zum Begriff von Privatheit und Privatsphäre sowie der Frage nach deren inneren Mechanismen. Ein zunächst räumlich bezogener Privatsphärenbegriff mit dem eigenen Ego im Mittelpunkt erwies sich weniger tragfähig als ein Privatheitsbegriff, der sich an sozialen Distanzen zu konkreten Personen orientiert. Derartige Distanzen, die themen- und zeitbezogen durchaus selbst variieren können, sind die Grundlage für Grenzen, die sich als Ergebnis aktiver Grenzziehungsprozesse etablieren. Entgrenzung in einem solchen Sinne bedeutete dann also die vermehrte Unfähigkeit, solche Grenzziehungsprozesse selbst zu betreiben, was in die gedankliche Nähe von Mittelstraß führt, wenn man den Konjunktiv dieses Arguments durch den Nominativ ersetzt. Die Innensicht aktueller Praxen der neuen Zeit scheint aber deutlich weniger Gründe für einen solchen Pessimismus zu liefern als die Außensicht des mit der alten Zeit enger verbundenen Philosophen. Diese persönliche wie soziale Fähigkeit zur Grenzziehung ist aber kein Naturphänomen, sondern muss - gerade auch in Zeiten neuer Technologien - stets neu gewonnen werden. Dass es Privatsphäre - im Sinne einer solchen Grenzziehung - auch bei Tieren (Hund und Katze) gibt, sei für die hier zu führende Debatte irrelevant, so der Einwand von Herrn Kleemann, denn es gehe ja gerade darum zu verstehen, was Menschsein ausmacht, also Menschen von Tieren unterscheidet. Die weitere Diskussion drehte sich zunächst um die Frage einer genaueren Strukturierung dieses Nahraums, wobei "weak ties" und "strong ties" ebenso eine Rolle spielten wie die Dunbar-Zahl, nach der es eine relativ klare Obergrenze von 150 für die Größe einer Gruppe von Menschen gibt, die sich allein über informelle soziale Kontakte strukturiert. Die Zahlen 5, 15, 50, 150, die im Umfeld der Untersuchungen zur Dunbar-Zahl als "Spektralwerte" für typische Größen sozialer Gruppen verschiedener Kontaktintensitäten gehandelt werden, legen nahe, dass es hier sogar eine feinere Abstufung gibt als nur die zwei Stufen "strong ties" und "weak ties". Über Nähe lässt sich also nur sinnvoll sprechen, wenn diese Beobachtungen einer sprachlichen und begrifflichen Fassung zugänglich gemacht werden. Dass hier stabilere soziale Mechanismen wirken, die auch durch einen digitalen Wandel nicht außer Kraft gesetzt sind, wird an aktuellen Studien deutlich, die wirkliche Nähe (im Sinne von Kommunikationsintensität) etwa bei Facebook-Nutzern analysieren. Weiter ging es um die begriffliche Fassung eben dieser Beobachtungen, die mit Worten wie Vertrauen, Gewalt, soziale Sicherung durch Rechtsförmigkeit und Menschenwürde zu versuchen ist. Dass Privatheit jeglicher Abstufung überhaupt nur durch ihren Gegenpol öffentlicher Raum zu bestimmen sei, wie weiter Herr Klemann einwendete, spielte in diesem Versuch der begrifflichen Fundierung diesmal aber nur eine Nebenrolle.
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