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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2013-05-28


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Aspekte von Individualität, Selbstbestimmung, Selbstentfaltung und neue Formen der Kooperation im Internetzeitalter

Termin: 28. Mai 2013, 15.15 Uhr

Ort: Augusteum, A-520

Vortrag und Diskussion mit Richard Uhlich

Ankündigung

Im Abschnitt 2.2.1 des Memorandums werden neue, erst durch das Internet mögliche Formen kooperativen Handelns thematisiert, die neue Möglichkeiten auf dem Weg zu einer "Welt der Freien und Gleichen" als einem zentralen Ideal der bürgerlichen Gesellschaft eröffnen. Im Seminar sollen Handlungsoptionen und auch die Bedingtheiten dieser Formen und Optionen kooperativen Handelns genauer beleuchtet werden.

Folien

Hans-Gert Gräbe, 05.05.2013

Anmerkungen

Heute sind nahezu alle Lebensbereiche von ICT durchdrungen, vieles wird durch ICT überhaupt erst machbar. Beispielsweise werden in Unternehmen mit Hilfe von ICT Produkte konstruiert sowie Anlagen und Prozesse gesteuert, die öffentliche Verwaltung setzt ICT zur Verarbeitung bürgerbezogener Massendaten ein, viele medizinische Diagnosen und Therapien werden erst durch ICT möglich, und in der Aus- und Weiterbildung eröffnet ICT neue Wege des Lernens. Selbst in privaten Haushalten kann heute kaum noch auf ICT verzichtet werden: Computergesteuerte Geräte für Haushalt und Unterhaltung (weiße und braune Ware) sind heute so selbstverständlich, dass bei der Nutzung oft gar nicht mehr bewusst ist, dass die Funktionen durch ICT gesteuert werden.

So heißt es eingangs des Kapitels 2.2. "Effekte der Nutzung von ICT" im Memorandum. Der Fokus ist stark darauf gerichtet, welches Bekannte mit den neuen technischen Mitteln einfacher oder präziser zu bewältigen ist. Auch die Teilüberschriften
  • Neuartige Beziehungen
  • Informationelle Selbstbestimmung
  • Neue Wissens- und Lernmöglichkeiten
  • Kommunikation und Kooperation
  • Anwendungen in der Medizin
  • Vielfalt und Komplexität von Anwendungen
  • Vereinbarkeit von Familie, Ehrenamt und Beruf
des Abschnitts 2.2.1 lassen visionär neue Dimensionen, die einen neuen Begriff Informationsgesellschaft rechtfertigen würden, vermissen. Also alter Wein in neuen Schläuchen?

Nach dem Vortrag, der sich eng an diesen Plot hielt, konzentrierte sich die Diskussion darauf, ob etwas und ggf. was im kommunikativen Bereich neu sei. Die Debatte entzündete sich am allgegenwärtigen Begriff der Medienkompetenz, die - neben einer Reihe anderer Kompetenzen - (nicht nur) im aktuellen sächsischen Schulcurriculum eine wichtige Rolle spielt. Schnell waren ein enger und ein weiterer Begriff zu unterscheiden. Der enge Begriff hat die Auswahl und Nutzung der zum Einsatz kommenden Mittel, also die Technik im Fokus, der weitere Begriff stellt zentral auf die Qualität der Ergebnisse ab.

Technischer Wandel geht stets mit der Entwertung bisheriger technischer Fertigkeiten einher, ein Dilemma, vor dem heute Lehrer oftmals stehen - als "digital Native" sind viele Schüler mit den neuen Technologien aufgewachsen und beherrschen diese oftmals besser, als ein großer Teil der Lehrer. Medienkompetenz im engeren Sinne zu vermitteln ist für Lehrer ein schwieriges, stets neu herausforderndes und extrem arbeitsintensives Unterfangen.

Medienkompetenz im weiteren Sinne hat dagegen sehr viel mit Lebenserfahrung zu tun, aus der heraus die auf uns einströmenden Informationen sortiert und bewertet werden. Spannend zunächst, dass in der Reihe "Daten, Information, Wissen" (Seminar am 14.05.) eine solche Frage ausgeblendet bleibt. Weiter steht die Frage, ob dieses "Aufbereiten von Informationen" für das eigene Handeln allein Medienkompetenz erfordert (was das auch immer sei) oder nicht Kompetenz schlechthin. Was also ist Kompetenz und was hat diese mit verantwortungsbewusstem, verantwortungsbeladenem und letztlich vernünftigem Handeln zu tun (im Gegensatz zu verständigem Handeln, das vor allem nach dem adäquaten Einsatz der verfügbaren Mittel fragt)? Diese Frage blieb offen.

Wenigstens wurde deutlich, dass Aufbereiten von Informationen für das eigene Handeln etwas mit Informationsselektion zu tun hat und schon immer zu tun hatte. Im Unterschied zu vordigitalen Zeiten ist es mit den neuen Technologien um vieles einfacher geworden, Informationen, Kommunikationsaufforderungen und Angebote zu gemeinsamem Handeln an andere heranzutragen. Damit sinkt der Prozentsatz praktisch realisierter Aktionen und der Prozentsatz der failed communications, also der scheiternden Aktionsanbahnungen, nimmt drastisch zu.

Erfordert eine solche neue Unübersichtlichkeit auch neue Selektionsstrategien oder gar -techniken? Was bedeutet es, wenn der Prozentsatz scheiternder Aktionsanbahnungen drastisch zunimmt? Welchen Einfluss hat das auf die durchschnittliche Qualität von Angeboten zu gemeinsamem Handeln? Wie gehen wir mit einer solchen zunehmenden Oberflächlichkeit und Unverbindlichkeit um? Welche Rolle spielt im Spektrum der Begriffe Daten, Information, Wissen, Kompetenz, Handeln ein Begriff wie Vertrauen? Welche Unterschiede zu vordigitalem Vertrauen existieren, welche Verbindungen zum Begriff der Manipulierbarkeit sind zu beachten? Ist Facebook ein "soziales Netz"? Zweifelsohne, aber in welchem Sinne? Seine geringe faktische Tragfähigkeit im Falle der Not ist ebenso offensichtlich wie sein Potenzial im Erschließen einer offenen Welt.

Eine letzte Beobachtung: Informationsselektion ist ein sehr privater Vorgang, der viel mit der schon früher diskutierten Privatsphäre zu tun hat. Verantwortungsbeladenes Handeln, also private Verantwortung für private Entscheidungen als Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft, ist auf einer anderen Grundlage nicht möglich. Selbst wenn ungleiche Individuen in ungleichen Kontexten dieselben prinzipiellen Techniken zur Informationsselektion anwenden - die grundlegende Verschiedenheit, die Verschiedenheit der Kompetenzen, verstärkt sich damit eher noch. Die neue Gesellschaft ist also eine, die durch die Vielzahl sich ausdifferenzierender Kompetenzen auch in dieser Richtung zu einer neuen Unübersichtlichkeit führt. Worauf kann Vertrauen in einem solchen Umfeld gründen?

In einem Vortrag vor angehenden Lehrern hatte ich drei Thesen zum Thema "Warum Mathematik?" formuliert und dabei Kompetenzen benannt, die mit dem Mathematikunterricht befördert werden (sollen):

  • These 1: Mathematik als Grundlage von Rechenkompetenz - der Fähigkeit, die Folgen eigener Handlungsmöglichkeiten quantitativ abzuschätzen.
  • These 2: Mathematik als Grundlage von Sprachkompetenz - der Fähigkeit, über die quantitativen Folgen gemeinsamer Handlungsmöglichkeiten zu kommunizieren.
  • These 3: Mathematik als Grundlage von Gestaltungskompetenz - der Fähigkeit, Handlungsmöglichkeiten zur gemeinsamen Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen vernünftig auszuwählen und umzusetzen.
Nun ist Mathematik nicht jedermanns Lieblingsfach. Weizenbaum warnte davor, alles Handeln auf berechnendes und berechenbares Handeln reduzieren zu wollen. Doch das Kind sollte nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Welche Rolle spielt berechnendes und berechenbares Handeln in einer digitalen Welt?

Hans-Gert Gräbe, 31.05.2013


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